Interview zur neuen Lust-Pille für Frauen

Sex beginnt im Kopf

Ende Oktober kam Addyi, die „Lustpille“ für Frauen, auf den amerikanischen Markt. Sie ist bei Medizinern wegen ihrer Nebenwirkungen und fragwürdigen Wirksamkeit umstritten. Wir sprachen mit Gabrielle Stöcker, Beraterin und Frauenärztin bei „pro familia“, über mögliche Vor- und Nachteile des Medikaments.

Autor: Heike Byn

Keine Lust auf Sex hat viele Ursachen

Unlust
Foto: © Colourbox

Was halten Sie als Ärztin von den Nebenwirkungen und der Wirksamkeit des Präparats?

Gabrielle Stöcker: Dass Addyi drei Anläufe gebraucht hat, um zugelassen zu werden, spricht schon für sich. Am Ende war wahrscheinlich der Druck der Pharma-Lobby so groß, dass die Behörden nicht mehr anders konnten, als es zuzulassen. Das bleibt allerdings spekulativ. Für mich ist die Wirksamkeit mehr als fraglich. Die Probandinnen gaben in Tests des Herstellers an, sie hätten 0,8 mal mehr Sex pro Monat gehabt als vorher. Rechtfertigt so ein Ergebnis die längerfristige Einnahme eines Psychopharmakons mit zahlreichen Nebenwirkungen, die an sich ja auch nicht gerade lustfördernd sind?

Addyi soll doch aber Frauen mit der Diagnose „Hypoaktive Sexualstörung" helfen ...

Stöcker: Ich finde diese Diagnose fragwürdig. Ist sexuelle Unlust überhaupt eine Krankheit? Wer entscheidet das? Wenig oder keine Lust auf Sex zu haben wird doch nur dann zum Problem, wenn die betroffenen Frauen oder Paare darunter leiden. Darüber hinaus ist der Zustand der sexuellen Unlust oft ein vorübergehender und auch von sehr vielen Faktoren und äußeren Umständen abhängig. Tabletten zu schlucken scheint dann auf den ersten Blick eine einfachere Lösung zu sein, als eine Beratung oder Therapie zu beginnen, das eigene Leben umzukrempeln oder eine besonders stressige Zeit schlicht überstehen zu müssen. Es könnte auch passieren, dass Frauen sich von ihren Partnern gedrängt fühlen, das Medikament zu nehmen.

Paartherapie hilft besser als Lustpille

Das verschreibungspflichtige Medikament ist ausdrücklich nicht für Frauen geeignet, die wegen Schwangerschaft, Stillzeit, Krankheiten oder Medikamenteneinnahme lustlos sind. Könnte Addyi dagegen nicht Kinderwunsch-Patientinnen beim Sex nach Plan zu mehr Lust zu verhelfen?

Stöcker: Das bezweifle ich, denn man muss hier die Risiken und Nebenwirkungen eines Eingriffs in Gehirn-Prozesse gegen den Nutzen einer fraglichen Wirksamkeit abwägen. Frauen mit Kinderwunsch stehen ja ohnehin schon unter großer Anspannung und seelischem Druck. Der würde sich wahrscheinlich noch erhöhen, wenn die Frauen das Präparat nehmen und es ihnen nicht hilft.

Zu Ihnen in die Beratung kommen Frauen, die wenig oder keine Lust auf Sex haben. Wie können Sie denen helfen?

Stöcker: Die Frauen und Paare kommen dann in die Beratung, wenn sie Sorge haben, dass ihre Beziehung an der Flaute im Bett zerbricht. Phasen der sexuellen Unlust sind gerade in langjährigen Beziehungen gar nicht so selten, werden aber längst nicht immer zum Problem. Tendenziell haben Männer damit größere Schwierigkeiten und möchten, dass sich an der Situation etwas ändert. Aus meiner Erfahrung leiden manche Frauen gar nicht so sehr direkt unter ihrer Unlust, aber unter der schlechter werdenden Beziehung. Gemeinsam überlegen wir, wie wir die Ursachen für die Unlust finden und die beiden als Paar wieder mehr zueinander finden können. Dabei kann ihnen eine Paartherapie langfristig sicher besser helfen als eine „Lustpille".