Advent

Zwischen Besinnlichkeit und Nervenkrise

Advent ist gleich besinnliche Zeit? So mancher fürchtet um sein Seelenheil, wenn bereits in der Vorweihnachtszeit bei Planung und Geschenke-Stress die Gefühle in der Familie hohe Wellen schlagen. Wie ihr trotz vorweihnachtlicher Hektik das Weihnachtsfest genießen könnt, beschreibt urbia-Autorin Gabriele Möller.

Autor: Gabriele Möller

Wieder mal Geschenke auf den letzten Drücker

Weihnachten2-Teaser
Foto: © Fotolia / gpointstudio

"Jauchzet, frohlocket! Auf, preiset die Tage!" heißt es enthusiastisch in Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium. Der Mann hatte gut singen. Die Lobpreisung der stressigen Tage vor Weihnachten bleibt uns weniger inspirierten Normalsterblichen schnell im Halse stecken. Auch das Jauchzen kommt einem zwischen der Jagd nach den Geschenken (was kaufe ich bloß für Tante Utemarie, die hat doch üüüberhaupt keine Interessen...) und der Planung für die schönsten Tage im Jahr (wen laden wir am ersten Weihnachtstag ein, wen am zweiten?) irgendwo abhanden. Natürlich haben wir es auch in diesem Jahr mal wieder nicht geschafft, die Geschenke bereits im November zu besorgen. Aber dieser gute Vorsatz hat trotzdem etwas so Rührendes, dass wir darauf auch im nächsten Jahr keinesfalls verzichten werden. Und auch dann werden wir wieder kurz vor Ultimo zu sehen sein, wie wir mit fiebrig-irrem Blick durch die Fußgängerzone hetzen. Um uns von Abertausenden finster dreinblickender Mitmenschen, die denselben originellen Einfall hatten, so gar nicht christlich schubsen und auf die Füße treten zu lassen.

Es tappt sich leicht in die Spekulatius-Falle

Auch zum Frohlocken ist in dieser Zeit allenfalls dem Einzelhandel zu Mute. Der damit – wir wissen es längst – immer schon im Spätsommer anfängt. Wir verurteilen es selbstverständlich entschieden, dass schon lange vor dem Fall des Herbstlaubs der Kunstschnee in die weihnachtlichen Auslagen rieselt. Und dann schaffen wir es (wegen stressbedingter Unterzuckerung?) doch wieder nicht, verächtlich am Regal mit den Mandelspekulatius oder dem Marzipanstollen vorüberzugehen. Die schlappe Ausrede "Ja, was ist das denn? Das muss mir irgend jemand versehentlich in den Wagen gelegt haben", zieht da auch allenfalls beim ersten Mal.

Die liebe Verwandtschaft fällt ein

Zu den Widrigkeiten der Weihnachtszeit gehört natürlich oft auch die liebe Verwandtschaft. Schon der Gedanke an die gemeinsame Feier löst bei nicht wenigen Zeitgenossen spontan den Drang zu haltlosem Schluchzen aus. Da ist zum Beispiel Onkel Paul, der zwar das ganze Jahr dick und rund ist, aber immer genau an Weihnachten demonstrativ die Gans stehen lässt und mit Trauermiene an den Beilagen knabbert ("Ihr wisst doch, ich will abnehmen!"). Ganz zu schweigen von Schwiegermutter Lisbeth, die dem Enkelkind immer so viele Süßigkeiten mitbringt, dass diesem schon allein vom Anblick des Zuckerberges die Zähne wegfaulen. Diplomatie und gute Nerven sind also gefragt – aber wer hat die noch nach den Wochen des Überlebenskampfes in Supermärkten und Kaufhäusern?

Und doch wirkt er: Der alte Zauber der Weihnacht

Und wo bleibt bei all dem Trubel die Besinnlichkeit, wirst du vielleicht jetzt ratlos fragen. Es wäre Unsinn vorzuschlagen, nun asketisch der Welt zu entsagen, täglich die Kirche zu besuchen und dem Nachwuchs nichts zu Weihnachten zu schenken, damit er nicht zu materialistisch wird. Das braucht es auch gar nicht. Es ist schon viel, sich hier und da daran zu erinnern, warum die meisten Menschen Weihnachten trotz aller Widrigkeiten mögen und sich darauf freuen. Es ist eben doch schön, wenn mal wieder die ganze Familie mit all ihren Marotten am festlichen Tisch sitzt und plaudert. Oder wenn die Kinder das Weihnachtszimmer zur Bescherung mit einem Leuchten in den Augen betreten, das sich auf unseren Gesichtern längst verloren hat. Und auch, wer nicht religiös ist, darf ohne Bedenken das Weihnachtsfest als eine besonders schöne Geburtstagsfeier ansehen. Für einen Menschen, der so viel Licht im Herzen trug, dass wir noch nach 2000 Jahren durch all den elektrischen Lichterzauber hindurch etwas davon erahnen können.