Tochter (9 Jahre) sehr perfektionistisch und geringe Frustrationstoleranz...

Guten Tag zusammen,

ich mache mir in letzter Zeit vermehrt Gedanken um meine Tochter (9. Jahre, 3. Klasse).

Sie war schon immer sehr perfektionistisch veranlagt und reagiert mit Wutausbrüchen wenn sie etwas nicht auf Anhieb schafft. Sie ist aber eine sehr gute Schülerin (Klassenbeste) und hat dennoch immer das Gefühl, dass sie zu wenig lernt oder die Klassenarbeiten nicht schafft. Auch bei den Hausaufgaben wird sie, völlig unnötig, schnell unsicher. Sie ist - meiner Meinung nach - sehr, sehr sensibel (hochsensibel?) und reagiert auf viele Reize sehr stark. Sie braucht auch viel Ruhe und Rückzug weil es ihr oft zu laut und zu viel ist.

Sie leidet auch unter einer extrem niedrigen Frustrationstoleranz. Die zeigt sich darin, dass sie immer die erste sein will (bei der Hilfe bei den Hausaufgaben, als erste duschen bevor die Schwester darf....) und schlecht bei Gesellschaftsspielen verlieren kann. Oft spielt sie dann lieber gleich gar nicht, mit aus Angst zu verlieren #schmoll

Wir versuchen wirklich sie immer wieder zu bestärken, ihr zu erklären, dass Fehler zum Leben dazuzugehören, dass verlieren nicht schlimm ist. Wir hatten auch gehofft, dass sich das Verhalten ein Stück weit mit dem Reifeprozess verliert. Nun steht aber in einem Jahr der Schulwechsel an und ich habe langsam das Gefühl, dass wir die Kurve nicht mehr bekommen.

Sie ist ein sehr hilfsbereites Mädchen, kann ansonsten unsere Grenzen gut respektieren und ist emotional unheimlich reif. Wir haben, abgesehen von den Wutausbrüchen bei vermeintlichen Misserfolgen, keinerlei Schwierigkeiten mit ihr. Im Gegenteil - sie ist sehr höflich, diplomatisch, kann sehr gut Kompromisse eingehen. Oft habe ich das Gefühl, dass sie schlichtweg mit ihren Gefühlen überfordert ist.

Kennt das jemand? Habt ihr mir Tips? Sollte ich mich ggf. mal an eine Erziehungsberatungsstelle wenden?

Danke, Lilli

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Hallo,

ich war als Kind auch so. Unser Sohn (10) ist ähnlich, nicht ganz so schlimm, was das angeht, hat aber dafür Baustellen, die ich nicht hatte.

Meine Eltern waren da immer sehr verständnisvoll. Ich war ein Einzelkind und hatte ihre volle Aufmerksamkeit.
Ich habe aber das Gefühl, dass es mehr bringt, wenn man weniger verständnisvoll ist, sondern den Kindern auch mal sagt, dass sie sich nicht so anstellen sollen.

Ich habe den Eindruck, dass unser Sohn da nicht ganz so herum zickt, weil wir eben nicht unendlich darauf eingehen.
Das Theater beim Spielen haben wir gleich ausgebremst, indem wir dann mit seiner Schwester ohne ihn gespielt haben. Wenn er während des Spiels immer weiter motzt, dass er verliert, ist er raus aus dem Spiel. Dass wir dann zu dritt ohne ihn Spaß haben, ist schon eine Motivation für ihn, sich weniger anzustellen.

Wenn er meint, sich in Selbstmitleid suhlen oder einen Wutanfall bekommen zu müssen, bitte, seine Sache.
Aber wir stehen dann nicht daneben und reden ewig auf ihn ein, dass das doch alles nicht so schlimm ist.

"Wir versuchen wirklich sie immer wieder zu bestärken, ihr zu erklären, dass Fehler zum Leben dazuzugehören, dass verlieren nicht schlimm ist."

Das machen wir natürlich auch, aber, wie gesagt, nicht unendlich lange.

Bei mir war das damals auf dem Gymnasium kein so großes Problem, weil ich mir dramatische Anfälle im Unterricht verkniffen habe. Da hätte man sich ja vor den Klassenkameraden blamiert. #schwitz
Zu Hause stellt man im Laufe der Zeit fest, dass man mit Aufregen nicht weiter kommt. Wenn man damit fertig ist, ist die Arbeit immer noch da. ;-)
Damit, dass man auf dem Gymnasium nicht immer die Beste ist, habe ich ebenfalls recht schnell gelernt, zu leben. Das hatte sich da nämlich schnell erledigt, weil die Haupt- und Realschüler, die mit in der Grundschulklasse gesessen haben, dann weg waren, und das Niveau somit viel höher.

Unser Sohn ist in der 5. Klasse und gibt da auch nicht die Drama-Queen. Das hebt er sich für zu Hause auf. ;-)
Leider funktioniert es bei ihm anderweitig nicht mit der Schule. Aber das sind die anderen Baustellen, die ich erwähnte.

Unser Sohn hat Träumer-ADS, und ich vermute, dass ich das auch habe.
Daran liegt das bei uns.

Mit Erziehung hat so ein Verhalten direkt nichts zu tun. Ich glaube, da wird man Euch nicht wirklich weiterhelfen können. Die haben normalerweise Eltern da, wo die Kinder außer Rand und Band sind, weil sie keine Grenzen akzeptieren oder gesetzt bekommen. Das ist bei Eurer Tochter ja nicht so.

Wenn Ihr einen Rat von außen wollt, würde ich mich an einen Kinderpsychiater oder -psychologen wenden.
Aber ich denke, das pendelt sich auch so ein.

LG

Heike

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Liebe Heike,

vielen Dank für deinen langen und verständnisvollen Beitrag. Es tut gut zu lesen, dass man nicht so alleine ist #winke

Ich denke schon, dass ich insgesamt viel Verständnis für sie habe, aber ihr auch nicht alles durchgehen lasse. Schon alleine deshalb weil sie ja noch eine jüngere Schwester hat und da gar nicht die Zeit bleibt nur nach ihr zu schauen #schein
Wenn sie also bei den Hausaufgaben verzweifelt ist, dann bekommt sie natürlich Unterstützung von mir. Wenn sie aber zu sehr zornt, kann auch mal sein, dass ich die Hilfe für den Tag beende und sie erst am nächsten Tag wieder Hilfe von mir erhält.

Witzigerweise würde sie sich in der Schule auch nie trauen so zu toben. Da kullern zwar ab und zu mal Tränchen, aber ansonsten hält sie sich zurück. In der Schule kann sie ihren Frust dann auch erstmal zurückhalten weil sie sich ja nicht blamieren will. Der große Frustabbau kommt dann zu Hause #schock

Spannend, dass du die Regeln auf dem Gymnasium schnell gemerkt hast. Ich war bislang skeptisch ob das Gymnasium etwas für meine Tochter ist, wenn sie sich solch einen Stress und Druck macht. Aber vielleicht ist es ja wirklich so, dass dort ein gutes Lernfeld für sie ist, dass sie eben NICHT immer die Beste ist #schein

Grenzen hält sie definitiv ein. Sehr gut sogar. Sie ist auch absolut liebenswert, zuverlässig, beliebt. Da haben wir wirklich keinerlei Schwierigkeiten.
Ich muss auch gestehen, dass wir schon bessere Zeiten hatten und es derzeit wieder schlimmer ist. Vielleicht liegt das auch einfach am Home Schooling und den besonderen Herausforderungen derzeit. Ich hoffe ja, dass es wieder besser wird wenn sie wieder ihren geregelten Alltag hat.

Lg, Lilli #winke

2

Meine Tochter (15) ist in vielerlei Hinsicht eurer Tochter sehr ähnlich. Sie ist auch sehr perfektionistisch, ist eine gute Schülerin. Macht von alleine ihre Hausaufgaben und lernt für Klassenarbeiten. Klassenbeste ist sie mittlerweile nicht mehr, aber hat auf dem Gymnasium einen guten 1,8er Schnitt, mit dem sie auch gut leben kann.

Gesellschaftsspiele verweigert sie seit früher Kindheit, weil sie nicht verlieren will. Sie hat auch auf Kindergeburtstagen solche Spiele verweigert, weil sie es hasst, zu verlieren, dann spielt sie lieber gar nicht.

In der 5. Klasse hat mich mal ihre Englischlehrerin angerufen. Meine Tochter hat geweint, weil sie "nur" eine 2 in der Klassenarbeit hatte. Die Lehrerin hat sich Sorgen gemacht, dass sie zu Hause Ärger deswegen bekommt. Das ist aber ganz und gar nicht der Fall. Es ist eher so wie bei euch. Mi´ßerfolge sind ihr peinlich, um das zu vermeiden, lernt sie für die Schule, sie will auf keinen Fall schlechte Noten schreiben, das wäre ihr unangenehm.

Mein Kind möchte niemals im Mittelpunkt stehen, würde niemals bei Theater- oder Gesangsausführungen mitmachen, verweigert auch jeder Art von Mannschaftssportarten.

Sie ist auch sehr hilfsbereit, intelligent, höflich und sehr reif. Sie hatte auch keine Trotzphase als Kleinkind und zeigt auch jetzt kein typisch pubertäres Verhalten, wir haben keinerlei Schwierigkeiten mit ihr.

Sie isst leider auch sehr schlecht, Essen muss "optisch" perfekt aussehen, sie "seziert" Essen geradezu, nichts darf sich vermischen auf dem Teller, sie isst generell nur ausgesuchte Lebensmittel.

Ich nenne sie gerne meinen kleinen Monk. Ich denke trotzdem nicht, dass es autistische Züge sind oder dass wir deswegen Beratung benötigen. Sie ist so, wie sie ist. Ich würde mir wünschen, dass sie etwas extrovertierter ist (so wie ich), sie ist aber nun einmal ein introvertierter Mensch.

Ich nehme sie wie sie ist. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass sie später im Leben Probleme bekommen wird. Ich würde mir natürlich auch das eine oder andere Mal wünschen, sie würde es sich selbst etwas leichter machen, aber sie bekommt die "Barriere" nicht aus ihrem Kopf. Ich wüsste auch nicht, wie dort Erziehungsberatung oder Therapie helfen sollte. Mein Kind war schon immer so, es ist einfach so! Ich will sie nicht auf Teufel komm raus ändern

Ich bin ja auch sehr stolz auf sie, die Probleme die andere Eltern zu Hause mit ihren Pubertieren haben, die kennen wir nicht. Sie hilft auch gerne im Haushalt, liest sehr viel, hat Freunde und macht Kickboxen.

Ich glaube, du solltest dir weniger Gedanken machen und ein Kind einfach so annehmen wie es ist.

LG H. #klee

4

Liebe H.,

auch dir vielen Dank für deine Antwort!

Ja, da sind sich deine und meine Tochter wohl sehr ähnlich. Meine Tochter macht ihre Aufgaben auch selbständig und muss eher gebremst werden wenn es ums Lernen geht. Aber sie benötigt einfach unglaublich viel Sicherheit, dass sie den Lernstoff wirklich beherrscht. Absonsten fühlt sie sich sehr unsicher.

Meine Tochter hat tatsächlich auch noch nie gerne gespielt. Sie macht Dinge auch wirklich erst, wenn sie weiß, dass sie es kann. Das ging mit Laufen los, ging übers Fahrrad fahren weiter und auch heute noch fällt es ihr schwer neue Dinge auszuprobieren. Da zieht sie sich dann lieber zurück....

Tatsächlich hatte auch ich schon Anrufe der Lehrer weil meine Tochter im Unterricht geweint hat. Dabei würde sie nie und nimmer Ärger für eine schlechte Note bekommen.

Dein letzter Satz, dass ich sie nehmen soll wie sie ist, hat mir sehr gut getan. Ja, vielleicht ist das das Problem. Denn abgesehen von ihrem hohen Anspruch an sich selbst und der niedrigen Frustrationstoleranz ist sie ein ganz wundervolles und bezauberndes Mädchen. Sie ist unglaublich hilfsbereit und reflektiert. Sie denkt auf emotionaler Ebene teilweise wie eine Erwachsene und verblüfft mich immer wieder mit ihrer "Weisheit". Sie ist auch ein sehr aufmerksames Kind, welches seine Mitmenschen und die Umwelt ganz genau beobachtet. Sie macht anderen unglaublich gerne eine Freude, ist an sich sehr fröhlich und ist dankbar für viele kleine Dinge #verliebt

LG, Lilli #winke

5

Das hört sich doch perfekt an!

Das mit Laufen, Laufrad, Fahrradfahren etc. war bei uns auch übrigens so. Sie war spät mit allem und macht es erst, wenn sie sich sicher ist, dass es funktioniert. Alle Kinder brausten schon mit dem Fahrrad... mein Kind lief hinterher. Mit 14 Monaten ist sie das erste Mal gelaufen... vorher hat sie monatelang nur gestanden! :-p

Ich glaube, wir können sehr stolz auf unsere tollen Mädels sein, auch wenn sie in mancher Hinsicht etwas anders als andere sind...

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Hallo,

Unsere Tochter war/ist genau so. Sehr perfektionistisch, geringe Frustrationstoleranz. Sie flippt dann richtig aus, wenn was nicht klappt, sie verliert oder in ihren Augen nicht perfekt ist - manchmal (immer seltener) auch in der Schule.
Bei ihr ist die Ursache, dass sie sich extrem langweilt im Unterricht und sie sich förmlich auf die perfekte Ausführung stürzt. Was zum Teil zu sehr langsamem Arbeiten geführt hat. Außerdem hat sie das Gefühl, das das im Unterricht vermittelte Wissen doch nicht alles sein kann und in der Probe bestimmt noch was anderes, was sie dann nicht weiß, dran kommt. Richtig gelernt hat sie allerdings nie, höchstens in den Lernfächern noch mal durchgelesen oder sich noch andere Infos aus ihren unzähligen Sachbüchern rausgesucht. Im Laufe der 3. Klasse, als der Stoff endlich etwas anspruchsvoller wurde, wurde das dann langsam besser. Jetzt in der 4. ist es zwar immer noch langweilig, aber sie hat akzeptiert, dass eben die nicht so schnellen Kinder es auch verstehen sollen. Sie hat sich inzwischen mit den ausserschulischen Angeboten arrangiert, die wir ihr ermöglichen.
Ihr Perfektionismus ist allerdings ausgeprägt wie seit der Geburt. Schon immer hat sie nur das gemacht, wovon sie sicher war, dass sie es beherrscht. Sprechen und Laufen klappte (trotz Behandlung eine Hüftluxation) trotzdem sehr früh. Ihr Wortschatz war sehr früh bereits sehr umfangreich und -lt. KiGa-Pädagogin- sehr "blumig". Dreirad und Laufrad waren ihr suspekt, Fahrrad fahren lernte sie erst mit 7 oder 8, Skifahren und schwimmen dafür schon mit 4. Alles was sie tut muss wirklich akkurat sein, selbst Mandalas o.ä. müssen exakt ausgemalt sein.
Der Perfektionismus liegt bei uns in der Familie (sowohl beim Papa, als auch bei mir) und auch die geringe Frustrationstoleranz ist vererbt - das wird also auch in Zukunft so bleiben und wir sehen ehrlich gesagt auch keinen Grund, daran "zu arbeiten" - wie es einmal ein Lehrern verlangt hat.
Jetzt im "Homeschooling" kann sie endlich in ihrem Tempo arbeiten (und ist immer seeeehr schnell mit den Aufgaben fertig) und beschäftigt sich viel mit zusätzlichen Themen. Den lernbereit ist sie immer und ständig. Sie saugt das Wissen förmlich auf.

Also warte ab und hilf ihr, mit ihrer Wut umzugehen (vielleicht auch mit zusätzlichen Angeboten, die ihr Sicherheit bei ihrem Wissen geben). Ansonsten einfach so nehmen wie sie ist.

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Liebe Sanblu,

auch dir ganz herzlichen Dank für deine Antwort.
Darf ich fragen welche außerschulischen Angebote ihr deiner Tochter ermöglicht?

Herzliche Grüße,
Lilli

9

Neben 2x pro Woche Sport im Verein + gelegentlich schwimmen, geht sie, seit sie 5 ist, jede Woche 1x in ein Englisch-Lerncenter bei einer nativ Speakerin, sie lernt (akustische) Gitarre und Musiktheorie in der Musikschule und übt natürlich auch zu Hause, bringt sich gerade selbst Hieroglyphen mit Hilfe eines Buches bei (und schreibt mir damit kleine Briefe). Sie möchte eigentlich noch Spanisch lernen, da gibts aber gerade keinen passenden Kurs. Ausserdem nutzen wir die Spezialkurse für Kinder zu den Themen, die sie interessieren (z.B. "junge VHS" oder "ScienceKids"). Hier in unserer Nähe gibt es auch, leider sehr selten, Angebote von den Unis für interessierte Kinder. Wir gehen in Konzerte (vorwiegend Gitarre), Museen/Ausstellungen und plündern im Moment die Mediatheken (besonders TerraX und andere Dokumentationen). Wir gehen Wandern und bestimmen dabei Pflanzen und Tiere. Außerdem verbringt sie viel Zeit mit ihren Büchern und der Musik auf dem MP3Player, sowohl Sachbücher als auch Belletristik, Musik aller Art.
Natürlich könnte sie auch einfach draußen oder drinnen spielen, es wären genug Nachbarskinder und Spielzeug vorhanden, das langweilt sie aber eher. Sie ist auch eher Einzelgängerin - wie wir -, schon in der Klasse und im Umfeld integriert und auch sehr sozial und emphatisch, aber sie braucht zum Glücklichsein nicht unbedingt viele Menschen um sich. Wäre nicht gerade Corona-Pause, wäre unsere Woche - neben Schule und 3x Hort - so ziemlich ausgebucht.

VG

10

Vermeintlich negative Gefühke gehören zum Leben dazu. Wichtig ist dabei aber zu gucken, wie man diese Gefühle auch kompensieren- also damit umgehen kann. Mein Sohn (9) hat auch immer mal wieder Wutphasen. Ich frage ihn dann genau, warum er sich ärgert und was er braucht oder was hätte anders laufen können. Ich frage ihn auch, ob er Trost braucht oder wir ihn lassen sollen. Wird es aber zu extrem, bremsen wir ihn und setzen Grenzen. Deine Tochter muss spüren, dass Wut und Frust erlaubt sind. Sie soll aber überlegen, was sie vorher an Lösungen finden kann, dass diese negativen Gefühle gar nicht erst in dem Maße auftreten.