ADHS - Bitte um Tipps und Erfahrungsberichte

Hallo, liebes Forum!

Unser 6jähriger Sohn hat nun die Diagnose ADHS erhalten und wurde medikamentös auf Ritalin LA eingestellt, das er an Schultagen nimmt (er besucht die Vorschule). Am Montag beginnt er eine Ergotherapie.
Mein Mann und ich sind insofern dankbar für die Diagnose, als nun eine Erklärung für sein Verhalten haben und ihm auch gezielter geholfen werden kann. Er leidet massiv darunter, dass er keine Freunde findet und tut uns wahnsinnig leid. Er kann sehr empathisch sein, ist sehr interessiert und aufnahmefähig. Seine kleine Schwester vergöttert er. Auch sonst hat er sehr viele positive Seiten.
Gleichzeitig leiden wir selbst auch über den Verhaltensweisen, die das ADHS mitbringt. Unser Sohn beschäftigt sich kaum alleine und spielt nicht, sondern ist voll und ganz mit seinen rotierenden Gedanken befasst. Er ist häufig sehr impulsiv und zornig, was uns insbesondere abends sehr fordert. Seine Frustrationstoleranz ist leider kaum vorhanden. Laut Testung seiner Psychologin kann er sich nur sehr, sehr kurz konzentrieren (mit Medikamenten geht es).

Wir möchten ihn so gut wie möglich unterstützen - gleichzeitig brauche ich aber auch unbedingt ein bisschen Zuspruch.
Ich wollte daher fragen, ob jemand Tipps oder auch ein paar positive Erfahrungsberichte darüber, wie sich ein Kind mit ADHS durchs Leben navigiert, für mich hätte?

Vielen Dank und liebe Grüße

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Mein Mann ist 52 und hat ADHS, diagnostiziert in den 70ern.
Er war ein recht durchschnittlicher Schüler mit Hochbegabung, der aus Faulheit einmal sitzen geblieben ist und ein 2er Abi gemacht hat. Die Medikamente hat er mit 14 selbstständig abgesetzt.
Sein Ausbildungsweg war recht unstet, was aber an vielem liegt.
Heute ist er ein sehr engagierter und beliebter Lehrer, Vater von drei Kindern und geliebter, wenn auch oft in Gedanken an die Wand getackerter Ehemann.

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Sfeine Gedanken dazu: ADHS ist keine Behinderung. Wenn man verstanden hat, dass man für einiges "blind" ist und das akzeptiert hat und erkannt hat, dass man Dinge erfassen kann, die "normale" nicht können und DAS ausbalanciert, findet man seinen Platz in der Welt und der Gesellschaft. Liebe Grüße

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Herzlichen Dank für die nette Antwort! Musste grad über die Formulierung vom gedanklich an die Wand getackerten Ehemann lachen :-D Es ist schön, dass dein Mann so einen guten Weg machen konnte

Ich hoffe einfach sehr, dass unser Sohn seinen Weg gehen und auch irgendwie einen Weg zum persönlichen Glück finden wird

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Schön, dass ihr eine Diagnose habt. Ich hoffe, diese ist auch richtig zumal adhs ja sehr oft zu hören ist u vermehrt verbreitet zu sein scheint.
Ergotherapie ist sicher gut - evtl auch Neurofeedback?
Alles Gute Euch

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Ich hoffe auch, dass die Diagnose stimmt. Darüber haben mein Mann und ich auch bereits oft gesprochen.
Über Neurofeedback lese ich mich gerade ein, darüber bin ich im Zusammenhang mit ADHS nun einige Male gestolpert. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich davon im Vorfeld noch nie gehört hatte

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Unsere Ergotherapeutin bietet es an. Wir haben täglich mit ähnlichen Verhaltensweisen zu tun aber keine Diagnose. Letztlich würden wir auch keine Medikamente geben wollen versuchen eher zu lernen, die wut umzuleiten u in der Eltern Arbeit gestärkt zu werden. Ein guter Ergotherapeut ist also Gold wert

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Ich hatte mal unter einen anderen Beitrag zu ADHS was geschrieben. Passt wahrscheinlich nicht alles auf dein Thema, aber vielleicht kannst du dir was hilfreiches daraus ableiten. Mein Beispiel zeigt eher, was man einem Kind mit ADHS besser nicht zu häufig sagen sollte und was passiert, wenn sich nicht adäquat um Therapie/Medikamente bemüht wird.

Ich habe zwar (hoffentlich) kein Kind mit ADHS, habe es aber selbst und kann dir sagen, was meinen Eltern an mir aufgefallen ist:
Starke Störung der Impulskontrolle, ich bin wegen Kleinigkeiten direkt ausgerastet, vor allem wenn ich auf etwas warten musste. Warten fällt mir auch heute noch schwer. Es muss eigentlich alles immer sofort passieren, sonst werde ich nervös und unruhig - als ich ein Kind war hatte ich deshalb regelmäßig Wutausbrüche, habe geschrien, Dinge kaputtgemacht.
Ich war immer sehr verträumt, hatte viele Tagträume (das ist erst so richtig arg in der Schule aufgefallen), wurde von den kleinsten Dingen abgelenkt - sei es nur ein Vogel, der am Fenster vorbeigeflogen ist. Konnte mich auf nichts länger als 5 Minuten konzentrieren, es sei denn es entsprach wirklich meinen Interessen, dann konnte ich mich in bestimmten Aktivitäten total reinsteigern (z.B. Mathe und Naturwissenschaften allgemein).
In der Schule bin ich überhaupt nur deshalb mitgekommen, weil ich einen recht hohen IQ habe. Habe auch studiert, auch wenn ich es mir beinah selbst wieder kaputtgemacht hätte, da ich nur selten bei den Vorlesungen war, Stoff nicht vor- oder nachbereitet habe und viele Hausarbeiten gar nicht abgegeben habe.
Ich habe Dinge immer weiter aufgeschoben und sie dann letztlich eben nicht gemacht, seien es angenehme als auch unangenehme Dinge gewesen, z.B. Hausaufgaben, Spielverabredungen, Aufräumen, mich waschen, etc.
Ich konnte nie still sitzen bleiben, musste immer aufstehen und losrennen, was ich dann später durch "kleinere" Zappeleien kompensiert habe, z.B. mit einem Stift spielen und immer wieder klicken, alle paar Sekunden die Sitzposition verändern, mit den Füßen wippen.
Während ich geredet habe bin ich dabei immer schneller und lauter geworden. Mir wurde andauernd gesagt ich solle nicht so schreien beim Reden.
Ein paar dieser Dinge konnte ich irgendwann in andere Bahnen umlenken, vieles ist geblieben.
Im Jugendalter wurde ich dann von diversen Substanzen abhängig, eine Art der Selbsttherapie, da meine Eltern mich nie auf Medikamente einstellen lassen oder zur Therapie geschickt haben. Das habe ich dann später als Erwachsene selbst in die Hand genommen. Bis aufs Rauchen habe ich zum Glück alle Süchte in den Griff bekommen.

Insgesamt habe ich durchs ADHS auf mein Umfeld immer faul gewirkt und zickig/aggressiv, gleichzeitig war ich immer auf der Jagd nach dem Risiko und extrem nervös und unruhig innerlich.
Die Sätze "du bist doch einfach nur zu faul", "du bist nicht normal", "reiß dich einfach mal mehr zusammen" habe ich in meinem Leben so oft gehört, dass ich dadurch eine Angststörung und Zwangshandlungen entwickelt habe, wie z.B. exzessives Putzen. Hier muss immer alles astrein sein und selbst unter Schmerzen und obwohl ich oft kräftemäßig am Ende bin mache ich noch weiter. Ich möchte einfach nicht, dass andere mich für faul halten. Für vieles brauche ich Listen, da ich mich sonst schnell verzettel.
Ich traue mich oft nicht überhaupt noch zu sprechen, da ich Angst habe wieder wegen der Lautstärke gemaßregelt zu werden.
Manchmal habe ich Angst das Haus zu verlassen, da ich mich von allen beobachtet und verurteilt fühle - ich kann es ja eh nie richtig machen. Tatsächlich gab es auch eine Zeit von ca. 2 Jahren in der ich das Haus gar nicht mehr verlassen habe.

ADHS geht auch oft mit anderen psychischen Erkrankungen einher. Ich z.B. habe auch noch eine bipolare Störung, aber aus dem ADHS können sich auch noch Folgeerkrankungen entwickeln, wenn kein adäquater Umgang damit erfolgt. Wie schon erwähnt beispielsweise Angststörungen, Zwänge, Depressionen, Süchte. Deshalb ist eine Therapie sowie, je nach Ausprägung der Symptome, medikamentöse Behandlung auch so wichtig.
Das sollte man evtl. im Hinterkopf haben, falls mal weitere Probleme auftreten.

In so starker Ausprägung gilt ADHS im Übrigen auch als Behinderung. Ich habe einen GdB von 40 erhalten. Vielleicht ist das für euch auch mal irgendwann relevant.

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Das tut mir sehr leid für dich, dass du bereits so viel durchmachen musstest! Ich wünsche dir von Herzen alles Gute auf deinem Weg. Mittlerweile habe ich sehr oft gelesen, wie wichtig eine adäquate und vor allem auch möglichst frühe vielschichtige Therapie ist.

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Es tut mir Leid, was du durchmachen musstest. Leider haben viele nicht behandelte/erkannte Adhsler einen ähnlichen Lebenslauf. Es macht einen großen Unterschied, ob es im Kindesalter erkannt wird.
Ich bin so froh, dass ich als Kind behandelt und gefördert wurde.
Als Kind war ich wie du. Ich hab mich aber immer von süchtig machenden Substanzen fern gehalten, weil ich um das höhere Suchtrisiko weiß und habe keine Zwangsstörungen oder Ängste entwickelt.

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Ich habe ADHS.
Ich wurde mit 7 diagnostiziert, hatte extreme Probleme mich zu konzentrieren, Hausaufgaben waren eine Qual. Mir hat Ritalin (nur an Schultagen) sehr geholfen und auch die Ergotherapie. Und Sport, zum Auspowern und für die Adrenalinkicks.
Da ich sehr intelligent bin, haben sich meine Eltern gegen den Rat von einigen Lehrern durchgesetzt und mich aufs Gymnasium geschickt. Das war eine sehr gute Entscheidung, Unterforderung ist fürs ADHS Gehirn genau so schlimm wie Überforderung. Mit der Pubertät brauchte ich keine Medikamente mehr. Ich habe ein gutes Abitur gemacht und anschließend Studiert.
Ich führe ein normales Leben mit Job, Mann und Hund.

ADHS hat nicht nur Nachteile, sondern auch viele Vorteile. Ich liebe es neues zu lernen, mich interessiert vieles. Auf Arbeit ein Problem mit Excel, den Telefonen oder Arbeitsrecht, dann lese ich mich da ein. Ich denke schnell und kann mich gut in neue Probleme einfinden. Wenn es „brennt“ ist mein Gehirn voll da, es gibt einen Grund wieso viele Adhsler Notfallsanitäter, Arzt oder bei der Feuerwehr sind.
Ich bin kreativ und einfühlsam. Und ich merke mir gerne unnütze Kleinigkeiten, die dann 3 Jahre später doch nochmal wichtig werden. Im Gegensatz zu den Kollegen kann ich mich dann an das Memo oder die Grafik erinnern.
Ich mag mich so wie ich bin. Mit ADHS Gehirn, ok kenn es ja auch nicht anders.

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Hey! Zunächst mal ein Riesen Dabk an dich, dass du das Thema so ernst nimmst und statt deinen Sohn zu verurteilen oder das aberziehen zu wollen, sein Leiden siehst. Wirklich. Ist auch in der heutigen Zeit nicht selbstverständlich, dass Eltern so reagieren. Hätte mir von meinen Eltern und Lehrern mehr offene Augen gewünscht damals.
Ich selbst bin noch nicht diagnostiziert. Als Erwachsener zieht sich die Terminfindung leider.
Was ich dir auf jeden Fall raten kann, ist, die positiven Seiten an ihm zu betonen. Die Welt da draußen wird ihn schon genug kritisieren. Lobe, Zeige dass du für ihn da bist, begleie ihn in seinen Emotionen.
Versucht mal mit spielen mit Kopfhörern. Ich für meinen Teil brauche häufig um mich überhaupt Konzentrieren zu können Musik im Ohr. Oder einen Podcast.
Abends zum Einschlafen hilft vielen ADHSlern auch ein Hörbuch, oder eine Gewichtsdecke zum Beispiel.
Ich würde auch parallel zur Medikation Ergotherapie empfehlen. Und viel Bewegung. Bewegung im Alltag hilft bei der Regulation. Es gibt auch so Stimming-Toys. Also kleine Spielzeuge, Ringe etc die bei der Regulation und Konzentration helfen können. Quetschbälle etc zum Beispiel.
Und was die Ernährung angeht auf Ausgewogenheit und genug Protein achten.
Wünsche euch viel Kraft. Vor allem dem Jungen. ADHS ist eine Scheiße....

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Herzlichen Dank für deine lange Antwort! Es tut mir sehr leid, dass du dich von deine Eltern und der Schule nicht so verstanden gefühlt hast. Das habe ich hab leider mittlerweile schon sehr oft gelesen.

Ich hoffe, wir sind mit unserem Sohn auf einem guten Weg. Ich mache mir sehr viele Gedanken und Sorgen um ihn, da er einfach in vielen Situationen zu kämpfen hat. Vor zwei Wochen hat er eine Ergotherapie begonnen, die ihm hoffentlich weiter hilft.

Ich wünsche dir von Herzen alles Gute!