Schüchternheit bei Autismus?

Hallo
Mein 10 jähriger Sohn meinte gestern dass er vor dem Vortrag den er demnächst halten muss extrem Angst hat und er bestimmt wieder rot anläuft. Er fragt auch wohl andere Mitschüler nicht ob er mitspielen darf weil er Angst davor hat das sie nein sagen. Mit seiner Schulbegleitung redet er auch nur wenn sie ihn was fragt und das wohl auch nur ziemlich einsilbig. Melden tut er sich auch nie. Andere Mitschüler bringen häufig auch so Sprüche wie:
,,Er ist mal wieder in seiner eigenen Welt", ,,naja er halt wie alle Autisten so einen bisschen einen an der Waffel", ,,der wippt das ganze Wochenende bestimmt wieder in der Ecke".
Auf mich wirkt er ehrlich gesagt so als ob er ziemlich schüchtern wäre. Ich hab jetzt aber mal gelesen das Autisten es nicht interessiert was andere über sie denken.
Geht das überhaupt das man als Autist schüchtern ist? Was kann man dagegen machen?

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Fünf meiner sechs Kinder sind Autisten. Alle hatten (haben) soziale Ängste/soziale Blockaden welche sich gerade auch im mündlichen Unterricht nachteilig auswirken.
Einige hatten Nachtteilsausgleich, einer war zwischen Grundschule und Abitur ein paar Jahre auf einer Förderschule deswegen, einige schafften es nicht ohne Medikamente mündliche Prüfungen zu absolvieren, also Abi nur mit therapeutischer und pharmazeutischer Unterstützung.
Autisten sind oft schon sehr jung sehr reflektiert, sehr selbstkritisch, gerade daraus kann extreme Schüchternheit resultieren. Wenn es Autisten "egal ist was andere denken", dann bezieht sich das meistens auf Kleidungsstil, Frisur, Schminke. Denn diese Dinge sind für sie so irrelevant, beziehungsweise ihr eigener Stil ist ihnen so wichtig, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, darüber nachzudenken, was andere davon halten.
Wenn Mitschüler solche Sprüche bringen wie du sie aufzählst, dann ist etwas übelst schiefgelaufen. Ich bin ein Gegner von Schulbegleitung, des zementiert den Sonderstatus. Hier in der Schweiz gibt es sowas so gut wie gar nicht, und ich bin froh darüber. Die Schule/die Lehrer machen auch irgendwas falsch, wenn die Schüler so ein verqueres Bild von Autismus haben, obschon sie einen betroffenen Mitschüler haben. Da wurde etwas verpasst.
Die Schüchternheit deines Sohnes würde ich primär respektieren und lediglich versuchen Wege zu finden, dass er dadurch keine Nachtteile hat. Im Rahmen seiner Entwicklung und allfälliger Sozialverhaltenstherapie wird er Instrumente in die Hand bekommen um mit seiner Schüchternheit umzugehen beziehungsweise sozial sicherer zu werden. Derzeit ist er aber noch in einem Alter und in einem Setting, welches ihn relativ fremdbestimmt sein lässt, gerade in der Schule.

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Hallo,
was macht denn die Schulbegleitung effektiv bei deinem Sohn? Hilft sie überhaupt oder empfindet dein Sohn sie nur als störend. Eine Schulbegleitung muss schon verdammt gut sein, damit sie das Kind nicht noch weiter exkludiert. Es hat ja durch die Behinderung ohnehin schon einen Sonderstatus und ein schweres Leben.
Normalerweise würde ich sagen, es gibt schüchterne Menschen und dann gibt es Autisten...das kann durchaus nochmal ein ganzes Stückchen heftiger als nur „sehr schüchtern“ sein. Nicht umsonst haben Autisten Anspruch auf Nachteilsausgleiche. Habt ihr die denn beantrag?
Die Sprüche, die bei euch kommen, finde ich schlimm. Offenbar gab es bei euch gar keine Aufklärungsgespräche gegenüber der Klasse. Habt ihr denn nicht die Lehrer informiert und von der Schweigepflicht befreit, dass sie die Klasse kindgerecht informieren können? Bei uns haben die Schulen das immer mit Hilfe des Autismuszentrums ganz toll hinbekommen.
Autisten sind nicht alle gleich. Aber ein eher leicht Betroffener Autist mit mindestens normalen IQ bekommt durchaus mit, was andere denken. Und spätestens ab der Pubertät bekommen solche Autisten dann arge Probleme, da noch Depressionen dazukommen. Ein Autist WILL auchmFreunde haben, er weiß nur nicht, wie er das anstellen soll.

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Danke für die Antwort.
Wirklich helfen tut sie ihm nicht. Während des Unterrichts sitzt sie wohl im selben Raum und liest irgendein Buch. In der Pause ist sie laut ihm immer im Lehrerzimmer. Unfreundlich ist sie jetzt aber nicht. Es gibt aber wesentlich schlimmere Schulbegleiter. Vorher hatte er so eine Schulbegleitung die ihn gekniffen hat wenn er vergessen hat die Hausaufgaben,das Buch oder sowas mitzubringen. Er würde es schon besser finden wenn er keine Schulbegleitung brauchen würde.

Ja er bekommt Nachteilsausgleich. Er darf die Klassenarbeiten außerhalb vom Klassenraum schreiben. wenn Gruppenarbeiten anstehen läuft es ungefähr so ab:
Manche Lehrer entscheiden selber wie sich die Gruppen zusammensetzen und seine Mitschüler finden es sch*ße wenn sie mit ihm in einer Gruppe sind. Wenn sich die Schüler die Gruppen selber organisieren sollen läuft er so ab das sie nein sagen noch bevor er überhaupt. Meistens muss er dann alleine machen. Manche Lehrer machen es aber auch so das sie dann eine Gruppe dazu zwingen mit ihm zusammenzuarbeiten. Das passt den anderen natürlich gar nicht.

Seine Klassenlehrerin hat vor fast 4 Jahren mal in der Klasse eine Art vortrag darüber gehalten was Autismus ist. Wirklich was gebracht hat es wohl nicht. Soweit ich weiß wissen es alle anderen Lehrer an der Schule.
Offiziell wurde das Thema danach von keinem Lehrer mehr so angesprochen.

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In dem Fall plädiere ich für einen Neuanfang. Da ist wohl nix mehr zu retten.

Vorträge über Autismus...na das ist ja mal sinnbefreit. Hat die Dame vergessen, wie alt ihre Zuhörerschaft war? Bei uns in der Grundschule wurde das so erklärt, das jedes Kind sein eigenes Tempo, seine eigenen Stärken und Schwächen hat.

Die I-Kraft...mmh, vielleicht mal darüber nachdenken, ob man die nicht weglassen kann. Ggf. behindert sie dein Kind mehr als sie nutzt. Alternativ konkret mit dem Kind besprechen, WO und WIE er sich die Hilfe von ihr im Unterricht und in der Pause vorstellt. Was wäre das Optimum? Vielleicht auch nochmal mit dem Autismuszentrum über Ziele sprechen und diese klar definieren. Das dann unbedingt im nächsten HPG mit aufnehmen. Das ist wichtig, denn so wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben.

Ein üblicher Nachteilsausgleich bei Autismus ist auch die verstärkte Benotung von schriftlichen Arbeiten und keine Benotung der mündlichen Mitarbeit. Ebenso könnte darunter fallen, dass ein (normalerweise bewertetes Theaterstück) von ihm zwar aufzuführen ist, aber es wird nicht benotet. Man könnte ihm auch die Rolle des Sprechers geben, der nur an der Seite sitzt und seinen Text abliest.

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Nicht interessiert, was andere über sie denken? Das hast du aber missverstanden. Meist sind sie sogar extra ängstlich da. Aber sie verstehen es ja manchmal nicht, kann passieren, dass sie es nicht mitkriegen. Natürlich hat man noch mehr Grund nervös zu sein, wenn man nicht richtig die "sozialen Regeln" versteht. Ausser man versteht mal gar nichts, dann hat man halt nix gemerkt.

WIE man da etwas verbessern kann, weiss ich auch nicht. Das kann schwierig sein. Es ist halt immer schwierig, wenn man nur solche Gleichaltrigen hat, die einem weit überlegen sind. Er sollte eher Jugendliche treffen, die ähnlich sind wie er.

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Die Reaktion der anderen Kinder macht mich traurig. In unserer kleinen Schule wissen die Schüler gar nicht, wer "anders" ist. Hier gibt's ständig Autisten, Down-Syndrom etc. Die Kinder werden akzeptiert. Unsere Schulbegleitung passt super zu unserer Tochter (9 Jahre). Sie unterstützt auch viel im sozialen Bereich. Die Schulbegleitung wird von den anderen gar nicht so sehr wahr genommen. Montessori Schule, es steht also kein Lehrer vorne. Es sind ständig 2-4 Erwachsene im Klassenraum.
Als meine Tochter zum ersten Mal vor der Klasse stand habe ich ihr ein "Mutarmband" geflochten. Das hat sehr gut geholfen. Auch meinem 6 jährigem habe ich es gegeben und es hat ihm Mut gemacht.
Dein Sohn ist mit 10 wahrscheinlich noch in der 4. Klasse. Hoffentlich kommt er dann in eine Schule mit mehr Akzeptanz.

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Ich habe zwar keine Ahnung von Autismus, aber mit Schüchternheit und Angst vor Vorträgen.
Ich habe meine Angst davor mithilfe von Psychotherapie verloren, da war ich etwa 13. Im Prinzip habe ich nur mit der Therapeutin meinen kompletten Vortrag erarbeitet und ihn ihr vorgetragen und sie hat mich dabei gefilmt und hinterher haben wir es zusammen angeschaut und sie hat mir Tipps gegeben.
Durch das intensive Üben dieses einen Vortrages lief dieser dann sehr gut. Ich habe dadurch erkannt, dass ich es schaffen kann, wenn ich mich anstrenge, das hat mir auf jeden Fall viel Selbstvertrauen gegeben.
Heute hasse ich Vorträge und im Mittelpunkt stehen immer noch, aber ich weiß, dass ich es kann, wenn ich will und dadurch konnte ich zitternde Hände, zitternde Stimme und rot anlaufen zumindest reduzieren.