Gefühl des Verzichts bleibt

Hallo.

Ich würde es mir gern von der Seele schreiben und ich hoffe, ich finde die richtigen Worte.

Ich bin von Natur aus ein sehr ehrgeiziger Mensch, ich bin sehr gut ausgebildet, mein Beruf ist mir wirklich wichtig und macht mich glücklich. Aber ich habe auch 2 tolle kleine Kinder, 3 und 5 Jahre, und genieße die Zeit mit ihnen sehr, ich arbeite bewusst nur 30 Wochenstunden, weil ich Zeit mit ihnen genießen will und plane das so zu halten bis beide so in der 2.-3. Klasse sind. Zum Glück habe ich eine anspruchsvolle Position, die mich beruflich gläubig macht und trotzdem in flexiblen 30 Stunden machbar ist.

Soweit so gut.

Nun hab ich vor 3 Monaten eine Stellenanzeige für eine absolute Traumstelle gesehen, sie würde inhaltlich extrem gut zu mir passen und wäre auch ein großer Karriereschritt, doppeltes Gehalt, echte Führungsposition, die mir sicher Spaß machen würde.

Ich habe mich beworben und bin nun tatsächlich in der engeren Auswahl, glaube aber, dass ich von mir aus zurückziehen sollte.
Ich habe einfach realisiert, dass das noch nicht mal eine Vollzeitstelle ist, sondern bestimmt mit 50 Wochenstunden zu veranschlagen ist wenn man es ernst nehmen will - es ist sehr viel Lektüre der neuesten Fachdiskussionen nötig in dieser Position. Der jetzige in der Position hat auch gekündigt, weil er es nicht mit einem Familienleben für vereinbar hält und nicht die Kindheit seiner Kinder verpassen will …

Das sagt ja schon alles.

Meine Familie inklusive meiner Eltern und Schwiegereltern ermutigt mich und will mich unterstützen, aber ganz ehrlich, dafür sind die Kinder zu klein und ich will auch etwas aus ihrem Leben mitbekommen. Auf 35-40 Stunden kann ich mir vorstellen zu gehen, aber 50?
Und wenn einer der Großeltern krank wird, bricht alles zusammen?
So kann und will ich die nächsten Jahre nicht erleben, meine Vernunft sagt mir, dass es einfach 5-7 Jahre zu früh ist für so eine Position.

Ich habe mich also voll entschlossen, die Bewerbung zurückzuziehen, das finde ich auch fairer der Firma gegenüber, dass ich gleich Bescheid gebe.

Ich finde die Entscheidung richtig, aber es bleibt irgendwie ein schales Gefühl zurück, ein Gefühl des Verzichts und das will ich loswerden.
Habt ihr Tipps?

Ich weiß, ich bin in 5-7 Jahren immer noch jung genug, um mich auf eine ähnliche Stelle zu bewerben und dann sogar noch erfahrener. Und ja, ich hinterlasse bestimmt einen guten Eindruck wenn ich so vernünftig im Vorfeld Bescheid sage. Und ich genieße die Zeit mit meiner Familie sehr.

Aber wie werde ich das schale Gefühl los?

Danke!

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Gar nicht. Das Gefühl ist ja sachgerecht, du verzichtest zu Gunsten deiner Zeit mit deinen Kindern auf beruflichen Aufstieg. Irgendeinen Tod muss man fast immer sterben.

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Ich kenne das Gefühl ebenso und ja, das Gefühl verschwindet gar nicht.

Ich habe ziemlich genau die gleichen Voraussetzungen wie du, arbeite ebenfalls 30
Std. Und ich hadere immer wieder mit mir, werde ich intern gefragt ob ich nicht diese und jene Führungsrolme übernehmen will. Sie wollen mich fragen und mir die Chance geben, bevor sie ausschreiben. Es juckt mich jedesmal und ärgert mich, weil ich mich frage „Wie oft werden die mich noch fragen und wann lassen sie es, weil sie eh vermuten ich will nicht?“

Und es ist genau so: 40 Std. könnte ich mit vorstellen, wenn es denn dabei bliebe. Aber das wird es nicht, das weiß ich genau. Und dann geht die Aufreiberei zwischen Job und Kind erst richtig los.

Also versuche ich jetzt die Nachmittage zu genießen und beruhige mich damit, dass mein Gehalt auch bei 30 Std. super ist.

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Die Kindheit holst die nie wieder. dein leben geht noch lange in einem tollen job weiter, wenn die Kinder gross sind. Alles zu seiner zeit. Mir geht's ähnlich.
Warte erstmal bis die schule losgeht. Du wirst noch zeitlich mehr gebraucht, als jetzt. gib dir die zeit.

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Ich habe nach meinem Studium häufig 50-60h/Woche gearbeitet.
Mit Kindern würde ich das eher nicht machen wollen. Denn zu der Stundenanzahl kommt noch die Pause und der Fahrtweg.
Mittlerweile habe ich einen Job mit einer 38h Woche und das auch als Führungsperson. Klar, kommen da auch mal Überstunden dazu, aber die würden bei dir ja vermutlich auch noch dazu kommen. Die Überstunden kann ich jederzeit abfeiern. Das ist wesentlich angenehmer.

Wenn ein Mann den Job schon kündigt, weil er keine Zeit mehr für seine Familie hat, dann wird das ganze nicht ohne sein.

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Mir geht es auch ähnlich... Meine Kinder sind noch jünger, fast 1 und fast 3. Ich habe bereits einen sehr gut bezahlten, flexiblen Kaderjob und arbeite auch 30h. Ich fühle mich aber unterfordert und möchte mich beruflich weiterentwickeln. Aber realistischerweise werde ich noch einige Jahre warten... Die Zeit mit den Kindern ist mir auch sehr wichtig. Ihre Kindheit vergeht so schnell und kommt nicht zurück.

Das Gefühl des Verzichts ist normal, den du verzichtest ja wirklich. Der Spruch "man kann nicht alles haben " stimmt meiner Meinung nach, meistens muss man sich entscheiden, was einem wichtiger ist. Und manchmal wird man mit dieser Entscheidung auch hadern.

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Grundsätzlich würde ich das nicht so unterschreiben. Ich hatte die letzten Jahre immer Vorgesetzte in Teilzeit (24-30h, große Abteilung mit über 50 Mitarbeitern, hohe Verantwortung). Anfangs waren alle skeptisch, aber es hat wunderbar geklappt.

Was es brauche sind Selbstbewusstsein, Durchsetzungsfähigkeit, Abgrenzung und klare verbindliche Regeln. Es hat etwas gedauert bis alle sich daran gewöhnt haben, dass Besprechung nicht mehr nachmittags angesetzt werden, aber die Leistung hat letztlich überzeugt.

Und ich arbeite in einen Unternehmen, dass sich Vereinbarkeit von Familie und Beruf definitiv nicht auf die Fahnen geschrieben hat.

Letztlich musst du entscheiden, was für euch das richtige ich. Grundsätzlich müssen sich Teilzeitarbeit und eine Führungsposition jedoch nicht ausschließen.

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Das sehe ich ganz genauso. Aber die wenigsten Unternehmen lassen sich darauf ein. Ich arbeite was das angeht schon in einem fortschrittlichen Konzern. Aber ab einer Hirarchie, die Personalverantwortung für mehr als 5 Mitarbeiter bedeutet, wird Vollzeit verlangt.

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Ich kenne das Gefühl und finde den Spruch passend:"Du kannst alles haben, nur nicht alles zur selben Zeit". Du setzt die für dich richtigen Prioritäten im jetzt, eine tolle Traumstelle darf dann in der Zukunft irgendwann mal Priorität werden. Also stell dich voll hinter deine Entscheidung, alles geht nicht, du musstest entscheiden und hast kompetent entschieden. Das Gefühl geht mit der Zeit weg.

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Mir ging es ähnlich. Größtenteils bin ich mittlerweile im Reinen damit, weil ich auch keine 50 Stunden oder mehr arbeiten möchte, aber ab und zu wenn ich dran denke, wurmt es mich ein bisschen. Das Gehalt und die Arbeit wären echt top gewesen. Naja, vielleicht später noch mal. In meinem jetzigen Unternehmen haben wir ein Programm um neue Führungskräfte zu gewinnen. Vielleicht bringe ich mich in den kommenden Jahren dafür ins Gespräch oder bewerbe mich doch noch woanders. Die entsprechenden Angebote kommen ab und zu bei Xing oder LinkedIn. Mein Kompromiss sind aktuell Vollzeit (37h) mit sehr gutem Gehalt und sehr flexiblen Arbeitszeiten, aber eben keine Führungsposition.

Bei uns im Unternehmen haben wir vor Kurzem Jobsharing für Führungspositionen eingeführt. Wenn die dich unbedingt haben wollen, könntest du fragen, ob das möglich ist. Vielleicht geht es ja sogar einer anderen Kandidatin oder einem anderen Kandidaten ähnlich wie dir und du hättest mit ihr/ihm schon den passenden Tandempartner gefunden.
Bevor du komplett absagst, würde ich zumindest nachfragen. Zu verlieren hast du in dem Fall ja nichts.
Eine andere hohe Führungskraft bei uns im Unternehmen arbeitet 80%. Sie sagt von sich selbst, es seien keine 80% von unseren 37h Vollzeit, aber 80% einer entsprechenden Stelle. Denkbar ist das daher auch. Bevor du absagst, frage daher nach ob so etwas möglich ist.

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Es kommt etwas drauf an, wieviel du die Kinder sehen möchtest. Ich arbeite 50-60 Stunden in der Woche, aber mache eine Pause von 4-7:30 um Zeit mit meinem Kind zu verbringen. In der Früh habe ich sie nochmal von 6-8 Uhr. Das funktioniert für uns gut.

Das bedeutet gleichzeitig, dass mein Job mein Hobby ist. Viel Zeit für privates habe ich nicht. Zu Beispiel heute habe ich bis gerade eben (um Mitternacht) noch gearbeitet.

Dafür mag ich meinen Job richtig gern und kann mich von dort weiterentwickeln, wenn mein Kind größer ist.

Ganz realistischerweise müsste ich etwas reduzieren, wenn mein Kind älter ist. Das ist leichter, je besser die Position ist.

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Welches Kind steht um 6 Uhr auf? Und ist dann bis 19.30 wach?

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Meins.

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Ganz lieben Dank euch für die ehrlichen Worte!

Ich finde auch, dass sich grundsätzlich Teilzeit und eine Führungsposition nicht ausschließen müssen, ich lebe es ja gerade selbst mit meinen 30 Stunden und einer kleineren Führung - es ist eine kleinere Firma, aber ich bin alleinige Geschäftsführerin.

Das Problem ist bei der anderen Stelle, dass es sich zu einem großen Teil um einen fremdbestimmten Kalender handelt, ich müsste viel mehr reisen und vor anderen Menschen Bericht erstatten (Aufsichtsrat, zum Teil Ausschüsse, Fachtagungen). Teamintern kann ich es sicher hinbekommen, ich kenne auch einen Teil der Mitarbeiter durch bisherige Zusammenarbeit, aber die externen Termine sind für mich nicht beherrschbar, es sind zu viele andere Menschen involviert und es macht den größten Teil der Arbeit aus. Und wenn würde ich da ja bestens informiert und vorbereitet hinfahren wollen, ich würde mich also nur selbst um Gehalt betrügen wenn ich Teilzeit mache, die ganzen Texte würde ich ja trotzdem lesen müssen/wollen.

Na ja, ich schau mal, ob es vielleicht eine Weiterbildung oder so gibt, die ich in den nächsten Jahren machen kann, um eben das Gefühl zu haben, trotzdem voranzukommen.

Liebe Grüße

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Unternehmen können es sich nicht mehr leisten, Frauen dauerhaft von Führungspositionen auszuschließen. Jobsharing klingt neumodisch für viele Leute, die noch nach alten Denkmustern leben, aber die Unternehmen werden sich umstellen müssen. Bei den beiden Frauen, die bei uns zum Thema eingeladen haben, scheint es sehr gut zu funktionieren und auch wir setzen es gerade bei einer Führungsposition um.

Kennst du Fränzi Kühne? Ich habe mich nicht darüber informiert, wie sie es macht und welche Hilfen sie im Hintergrund hat, aber das, was dir gerade angeboten wird, scheint sie trotz Kind zu schaffen. Vielleicht holst du dir Inspiration bei ihr, bevor du ablehnst :-)

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Ich denke, ich würde an deiner Stelle eher den Weg wählen zu kommunizieren, was für dich die Grenzen bzw. Bedingungen sind, damit du die Arbeit machen kannst, anstatt proaktiv die Bewerbung zurückzuziehen.

Du hast dir Zeit genommen die Bewerbung abzusenden, da steckt sicher viel Herzblut drin und die Stellenbeschreibung hatte bestimmt etwas, was dich sehr gereizt hat.

Wenn man auf was neues blickt, finde ich es sehr verständlich, dass man sich fragt, ob alles zu schaffen ist.

Im Arbeitsalltag hast du als Führungskraft Hoheit über deinen Terminplan. Wegen den anderen Terminen, zB Aufsichtsratsitzungen, wie oft kommt das vor, vielleicht 1x im Quartal? Der Termin steht bereits ein halbes Jahr vorher fest, da kann man planen. Ob es so viele Fachtagungen sein müssen, ist jetzt eigentlich gar nicht klar.

Ich würde kommunizieren, dass du nur wenig Reisetätigkeiten auf dich nehmen kannst, zB 2-3 Tage im Monat. Darüberhinaus müsstest du nachmittags offline gehen und bist abends wieder erreichbar. (Und andere Punkte, die für dich nicht verhandelbar sind.) So bin ich auch an meine Stelle herangegangen und alle respektieren meine gesetzte Grenzen.

Ich glaube dieses Gefühl des Verzichts kommt auch daher, dass du dich selbst disqualifiziert. Wenn der neue Arbeitgeber sagt, du dein Lebensplan passt nicht auf unsere Stelle, dann ist doch alles fein. Dann verzichtest du nicht.

Aber vielleicht sucht der neue Arbeitgeber genau jemanden wie dich und stört sich nicht gar nicht an deinen Bedingungen.

Bearbeitet von Cassie88