"Karriere" für Introvertierte

Ich bin schon lange im Berufsleben, allerdings habe ich noch nie das Gefühl gehabt, "angekommen" zu sein. Ich habe nie wirklich zu irgendeinem Unternehmen gepasst, war immer "die Komische" in jedem Team.

Ich bin einfach introvertiert - mit allem, was dazu gehört. Ich rede nicht gerne vor Publikum, bin sehr zurückhaltend, melde mich nicht bei größeren Diskussionen, meide größere Meetings, weil ich nicht weiß, mit wem ich was reden soll. Dementsprechend ist das Interesse an meine Person weniger als Null, mich mag keiner. Ich bin nicht wirklich teamfähig. Team-Initiativen belasten mich. Ich will einfach zur Arbeit gehen und dann wieder nach Hause. Nicht falsch verstehen - ich bin kein Soziopath, bin sehr gerne unter Menschen und brauche diese im Alltag, ich kann schlecht alleine sein. Aber die Anforderungen in der Wirtschaft sind sehr sehr hoch für mich - ich kann da nicht mithalten.

Ich schätze mich auch nicht so schlecht in meinem Job, ich bin aber in diesem klassischen Rahmen, wo jeder sich behaupten und durchsetzen soll, einfach nicht funktionsfähig.

Nun stehe ich da mit zwei Kindern und will meinen jetzigen Job endlich kündigen, weiß aber nicht wohin mit meinem "weltfremden" Gerüst.

Habt ihr Rat für mich?

PS: Ich bin derzeit im der Finanzdienstleistung tätig, wo ich natürlich das meiste Wissen habe, will aber nicht wirklich da bleiben, da wie gesagt, nicht lebensfähig. Ich will auch keine großartige "Karriere" machen, es reicht mir, wenn ich Freude an der Arbeit habe und von netten, akzeptierenden Kollegen umgeben bin, die mich dafür schätzen, was ich mache und nicht dafür, wie viel ich am Tag rede, oder wie frech und aufgeschlossen ich bin.

So. Danke fürs lesen.

1

hallo
was machst du denn gern, wenn du gerne die richtung wechseln möchtest und mal vom kollegium absiehst? (weil das ist ja vor dir schon da und du musst es erst mal nehmen wie es dann ist).
was würde dich vermutlich als job glücklich machen wenn du die frei wahl hättest?
lg 😊

2

das ist die Frage.
Ich frage mich oft, welchen Job ich wählen würde, wenn ich plötzlich 5 Millionen hätte und nicht mehr vom Gehalt abhängig wäre. Und dann kommen ganz komische Dinge raus - Medizinerin, Wissenschaftlerin, Künstlerin... Das Problem ist, ich weiß es selber nicht.

3

Vielleicht ist Finanzcontrolling oder Buchhaltung was für dich? In allen Firmen in denen ich tätig war, waren die Mitarbeiter in diesem Bereich eher zurückhaltend, in die Zahlen vertieft, an den Fakten interessiert und haben nicht so viel Wert auf diese Team-Dinge gelegt. Und die sehr gewissenhafte Arbeit wurde sehr geschätzt. Es gibt doch Bereiche, da ist genau diese Charaktereigenschaft erwünscht.

4

Ich bin aber keine Controllerin. Das ist ein eigener Bereich, ich habe weder die Ausbildung, noch das Talent dafür.

5

Welche Ausbildung und welches Talent hast du denn? Ohne diese Info ist es schwer Rat zu geben.

Ganz grob kann man sagen: Viele Berufe mit Nerd Faktor haben irgendwie mit Zahlen zu tun. Das ist nicht negativ gemeint, bin ja selbst in so einem Nerd Bereich unterwegs :-)

weitere Kommentare laden
10

Es gibt doch sicherlich in verschiedenen Berufen Nischen für Menschen wie Dich! Ich bin Ärztin, und da gibe es welche, die pausenlos mit Menschen reden müssen, und andere, die lieber in einem Labor oder vor dem Ultraschall Gerät sitzen... Schreib doch mal auf Zettel auf, was deine Stärken und Schwächen sind und was du willst und was nicht. Mir hat das geholfen, meinen jetzigen Traumjob zu finden.

17

Ha, na das könnte so ähnlich von mir kommen.

Die soziale Komponente im Job ist auch nicht wirklich meins. Ich hab meinen Job gerade gewechselt, weil ich den Beratungsaspekt gegenüber Kunden und das Spannungsfeld Kunde, Chef, Gesetz nicht gut verknusen konnte.

Im Vorstellungsgespräch habe ich so tatsächlich gesagt, dass ich mehr mit Zahlen und weniger mit Menschen zu tun haben wollte. An sich stimmt das auch. Und das Team ist viel zugänglicher. Trotzdem fühle ich mich seltsam. Anders.

Der Job ist nicht so schwer, aber die soziale Kompetenz, die da im Team und im Zwischenspiel der Abteilungen gefragt ist, stresst mich. Das Begrüßungsritual, dass erwartet wird, regelmäßige Kaffeepausen mit Pläuschchen, oh, und Mittags bitte mit in den Speiseraum und nicht immer mit den direkten Kollegen einen Spaziergang machen zum Kopf entlüften. Und nicht zu vergessen ... immer fragen, fragen, fragen ... auch wenn die Fragen häufig zu tiefgehend sind und keiner richtig Antwort weiß, und ich mich frage: Jetzt habe ich gestört und jemanen in eine peinliche Lage gebracht. Ist das arrogant ... darf ich das, soll ich Rücksicht nehmen? Was ich tue, weshalb ich viele Dinge selbst erarbeite und nur Frage, wenn ich absolut nicht weiterkomme und wirklich Input brauche.

So steht man sich selbst im Weg. Stressig. Ich wäre gern normal und weniger ... ich.

18

Achja, mein Bereich ist Buchhhaltung und Steuern. Ich würde aber vermutlich perspektivisch gern mehr in Richtigung Controlling und Bilanzen gehen. Oder Schnittstelle zwischen IT und Fibu/Controlling. Ich hab ein Händchen für Zusammenhänge, Muster und bin IT-affin. Ein richtiger Nerd eigentlich.

Vermutlich muss ich nur lernen ein dickeres Fell zu haben und einfach all den Kram, den ich mit mir ausmache, raus lassen. Aufhören unbedingt gemocht werden zu wollen.

19

Tippen kann ich btw. nicht. Sorry. ;-)

21

Hallo!

Hmmm….schon mal überlegt vielleicht etwas daran zu arbeiten?
Ich bin eigentlich auch introvertiert, habe aber im Laufe der Zeit entdeckt, das es Spaß machen kann, mit Kollegen zu interagieren. Das man da ein wenig reinwächst, wenn man merkt das positives Feedback kommt. Man bekommt dann ein gewisse Vertrautheit mit den Kollegen. Da ist es schon fast egal was man für Arbeit macht, wenn man sich mit den Kollegen versteht. Ich bin schon fast überzeugt, das du dich dann wohler fühlen würdest.
Ich glaube auch nicht, das du nicht gemocht wirst, aber wenn man halt nichts macht, nur seine Arbeit, dann bleibt man als Person fremd. Alles wird einfacher, wenn die Leute einen etwas kennen.
Früher dachte ich immer, das ich das wollte, weil ich einfach meine Ruhe haben wollte.....aber mal ehrlich: Arbeit macht mehr Spaß, wenn man Kontakt hat. Normalen Kontakt.
Knackpunkt war bei mir der Tot meines Mannes: Ich musste in den letzten Jahren sehr kämpfen und habe da einiges gelernt. Habe praktisch lernen müssen Kommunikativ zu sein und war selber überrascht zu was ich fähig bin. Immer wieder musste ich mich überwinden mit Leuten zu Telefonieren, Sachen zu Regeln usw. Es war für mich sehr anstrengend, aber ich wurde immer positiv 'belohnt'.

Vom Gefühl her wollte ich so bleiben wie ich bin, aber musste mich ändern, wenn ich nicht später in der 'Gosse' landen wollte. Introvertiertheit konnte ich mir nicht erlauben. Jetzt sehe ich in der Veränderung sehr viele Vorteile. Damals war das für mich wirklich sehr schwer.
Zurückhaltend bin ich immer noch etwas, aber nicht mehr Introvertiert.
Meine Kollegen kennen mich und nehmen mich so wie ich bin. Allerdings kann ich im Team gut arbeiten ( aber auch nur, weil ich die Kollegen kennengelernt habe) und wir sind alle auf gleicher Wellenlänge. Selberverständlich war das damals nicht.


Ich sehe das so: Egal was du machen möchtest. Es wird immer Kollegen geben, es wird immer Kommunikation von dir erwartet. Ich kenne wirklich keinen Beruf, wo man das nicht haben sollte...
Wenn du den Job an sich nicht gerne machst, würde ich einfach mal schauen welchen Job du gerne machen möchtest und den dann auch machen, mit allem drum und dran. Versuche etwas aus deinem Schneckenhaus heraus zu kommen. Glaube mir, es bringt verdammt viel und das Leben wird definitiv mehr Spaß machen und einfacher sein. Es macht es nicht nur für dich einfacher, sondern auch für deine Kollegen.


LG Sonja

22

Du hast Recht - bei allem, was du schreibst. Auch ich - ungeschickt wie ich bin - brauche Menschen um mich herum. Und ja, es macht sehr viel mehr Spaß, in einer Gruppe (meinetwegen Team) zu sein, Kaffeepause in Gesellschaft zu genießen, gemeinsam Mittagessen zu gehen, wenn es gut läuft einmal auf ein Bier zu gehen.

Leider bin ich mit den Jahren ziemlich skeptisch geworden, dass sich je was ändern kann. Ich habe mich wirklich bemüht. Ich habe an so vielen Meetings, Workshops, Events, whatever teilgenommen, Artikel darüber gelesen...und es ist kein bißchen besser geworden. Ich wurde nie dafür belohnt, gerade im Gegenteil. Ich bin JEDES MAL total frustriert und unglücklich nach Hause gekommen, und mir immer wieder aufs Neue überlegt, wie kann es sein, dass ALLE das irgendwie hinbekommen, nur ich nicht? Bin ich so ein Idiot? Bin ich dumm? Was ist los mit mir? Ich bin einfach ICH. Unverbesserlich.

Da mich das Ganze sehr viel Kraft und Frustration kostet, und mich letztendlich sehr unglücklich macht, habe ich mich entschieden, es sein zu lassen. Es ist eine schöne Welt, aber ich gehöre nicht hinein. Es muss andere Wege geben.

23

Hallo!

Also erstmal solltest du dir abgewöhnen zu glauben, das du nicht in diese Welt gehörst. Das ist einfach Schwachsinn und auch die falsche Einstellung.

Die Frage ist dann wohl, wie du auf andere wirkst.
Das können dir nur die 'Anderen' sagen.
Was für negative Erfahrung hast du denn gemacht, das du das Gefühl hast es würde nichts bringen Kommunikativer zu sein? Im Grunde kann man doch gar nichts falsch machen, wenn du neutral nett bleibst.

Es geht nicht darum mit allen gut Freund zu sein, sondern den normalen Umgang leichter zu machen. Privat unternehme ich mit meinen Kollegen auch nichts. Mein Chef lädt mich zwar immer ein, aber ich mag nicht so. Das ist einfach nicht mein Ding und das wird auch so akzeptiert.

Was ich gemerkt habe ist, das man das auch lernen kann. Am Anfang habe ich mich - glaube ich - auch ziemlich blöd angestellt. Man ist unbeholfen im sozialem Kontakt, wenn man da vorher wenig mit zutun hatte. Aber im laufe der Zeit bekommt man Übung darin und dann geht das von alleine.
Was ich mir - gerade was Kollegen angeht - angewöhnt habe, ist ehrlich und offen zu sein, was meine Lebensumstände angeht. Auch das ich eigentlich recht introvertiert bin und es mir da schwer fällt usw. Das kam recht gut an, obwohl das zu dem Zeitpunkt keiner mehr glauben wollte.

Weißt du, du sollst nicht jemand anders sein, sondern einfach nur offener der Welt gegenüber.

Ich hoffe sehr, das du einen Job findest, der zu dir passt und wo du glücklich sein kannst. Das du nette Kollegen bekommst, bei denen es dir leichter fällt Kontakt zu knüpfen.
Ich weiß nicht wie die Leute in deinem Bereich drauf sind. Ich bin im handwerklichen Betrieb tätig und da geht's locker zu. Da legt man nicht jedes Wort auf die Goldwaage, macht Witze und neckt sich gegenseitig. Das steckt auch an, wenn man etwas offen dafür ist.
Wenn die Leute anders wären.....wäre für mich kein Umfeld in dem ich mich wohlfühlen würde. Ich brauche das lockere Umfeld um selber locker zu sein. Meine Kollegen sind auch offen und freundlich auf mich zu gekommen als ich angefangen habe dort zu arbeiten. Ebenfalls hat mir das geholfen mich schneller einzugewöhnen.

LG Sonja

weitere Kommentare laden
28

Du schreibst, dass du gerne recherchierst und Dinge zusammen trägst und Vorbereitungen machst wenn ich es richtig verstanden habe. Bei uns wird sowas öfter bei Assistenten gesucht, also GF, VKL und so weiter. Vielleicht wäre das etwas für dich?

31

Ich fürchte, ich bin dafür überqualifiziert...

32

Würde ich nicht so sagen. Vorstandsassistenz oder wie man es nennen mag ist bei großen Unternehmen ein ziemliches Karrieresprungbrett, die machen fachliche Arbeit. Dann gibt's noch normale Assistenten was aber eher Sekretäre oder neudeutsch Management Assistants sind.

weitere Kommentare laden
38

In meinem vorletzten Job ging es mir ein Stück weit so wie Dir, ich fühlte mich wie das 5. Rad, war zwischen den Fronten... Der nächste Job war befristet und der oberste Chef war nicht bereit, meine Qualifikation anzuerkennen und gruppierte mich in die unterste Lohngruppe (ohne Absprache, ich erfuhr das durch die Verwaltung). Da war ich dann so sauer und gefrustet, dass ich mich hin setzte und Listen schrieb. Mit meinen Stärken und Schwächen, mit Träumen und Abneigungen. Dann formulierte ich genauer meine Traumstelle. Damit sah ich dann die Stellenanzeigen im Internet durch und fand eine, die so ziemlich meiner Liste entsprach. Als ob ich sie geschrieben hätte.
Und tatsächlich: ich bin jetzt 5 Monate da und fühle mich sehr wohl. Meine Chefin ist super, baut mich immer wieder auf und macht mir Mut (ich habe schnell große Selbstzweifel), lobt mich...
Nur Mut, es gibt diese Stellen, die wirklich passen!

39

Danke für deine netten Worte!
Unglaublich, wie kräfteraubend ein einfacher Jobwechsel sein kann...zumindest für uns Intros...