... mal über den Tellerrand hinaus blicken - ein Einblick in die Arztpraxis, den stetigen Buhmann

Ich habe diesen Beitrag ursprünglich in einem anderen Beitrag als Antwort gepostet, nachdem eine Userin die Aussage eines FAs bzgl. Videoaufnahmen vom Ultraschall als Bullshit betitelt hat und tatsächlich geraten hat, den FA zu wechseln.

In diesem Forum gibt es oft Beschwerden von Schwangeren, sei es über Ultraschalluntersuchungen, allgemein viel zu seltene Mutterschaftsvorsorge (Achtung: Ironie), BV, Elternzeit, Zuzahlungen etc.

Ich bin sehr sehr froh, dass ich mit meinen schwangeren Patientinnen solche Diskussionen in der Regel nicht führen muss, vllt. liegt das daran, dass ich immer alles begründe und erkläre, denn manchmal sind die Regeln bzw. Gesetze einfach vllt. unklar.

Das Allerwichtigste ist aber: Die FA-Praxis ist nicht dafür verantwortlich, dass euer Partner wegen Corona nicht mit in die Praxis darf, dass die Krankenkasse nur 3 bzw. 4 Ultraschalluntersuchungen bezahlt, dass wir Ärzte jedes Jahr weniger als mehr Geld für die Betreuung von Patienten bekommen.

Ich bin immer für Offenheit und werde hier mal kurz ein paar Sachen erklären. Wen es interessiert, der darf gerne mitlesen, wer weiterhin der Meinung sein will dass alles in Bezug auf Schwangerschaft ungerecht ist darf auch weiterhin der Meinung bleiben.

Eine FA-Praxis bekommt für die Betreuung einer Schwangeren fürs ganze Quartal (also für 3 Monate!) ca. 117€. Darin enthalten sind alle gängigen Inhalte der normalen Mutterschaftsvorsorge, d. h. Urinuntersuchung, Wiegen, Blutdruckmessung (dementsprechend eben Personalkosten), jegliche Ultraschalle außer der zwischen der 19. und 22. SSW, den kann man extra abrechnen, jede vaginale Untersuchung inkl. der Kosten für die mikroskopischen Untersuchungen eurer Vaginalflora ebenso wie Teststreifen für die Bestimmung des vaginalen pH-Werts, jedes Paar Handschuhe, dass ich brauche, jedes Liegenpapier, jedes Desinfektionsmittel, jeder Strom - wirklich alles. Das einzige, was wir noch extra abrechnen können ist das CTG, deswegen machen das die meisten Praxen früher als vorgeschrieben.

Diese 117€ kriegen wir für eine Schwangere, egal, wie oft sie kommt, und wahrscheinlich war jede Schwangere schonmal notfallmäßig zwischen den üblichen Vorsorgen beim FA, was auch völlig in Ordnung ist und kein Vorwurf sein soll.

Von diesen 117€ ist aber alles zu bezahlen, was ich als Praxisinhaberin an Kosten habe, d. h. Personalkosten, Miete, Strom, Nebenkosten, Materialien, die ich zum untersuchen brauche etc. Jetzt könnt ihr mal überlegen, wieviel Geld ich dann tatsächlich noch an euch verdiene und ob es wirklich Geldgeilheit ist, die uns immer vorgeworfen wird, weil wir für extra Ultraschalle, die nicht notwendig sind Geld verlangen (dürfen). Ob ich eigentlich als Fachpersonal dazu verpflichtet bin, alles umsonst zu machen und für nen Stundenlohn von 5€ arbeiten muss? Oder ob ich nach 70 Stunden pro Woche, die ich in der Praxis verbringe, nicht evtl. auch ein Abendessen verdient habe und mir leisten können muss/darf?

Wir verlangen nicht, dass ihr den Ultraschall bezahlt, damit wir uns den 5. Porsche leisten können, sondern weil es mittlerweile in vielen Praxen ums blanke Überleben geht. Die meisten Arztpraxen müssen wirkich kämpfen. Natürlich gibt es Ärzte/Arztgruppen, die besser dran sind, aber auch ich unterhalte mich gelegentlich mit Kollegen/Kolleginnen und das Problem ist weitreichend.

Wir sollen alles umsonst machen, aber sehts mal ungekehrt: Ihr habt nen Arbeitsvertrag für 40 Stunden und für Gehalt X, und dann kommt euer Chef und sagt, ihr müsst jetzt 2 Stunden mehr die Woche fürs gleiche Geld arbeiten. Würdet ihr das machen? Sicher nicht. Und bei uns in der Praxis gehts um weit mehr als nur 2 Stunden Arbeit pro Woche, die ich umsonst machen soll. Ich habe nämlich nicht nur 10 Schwangere, sondern eher 120, manchmal auch noch mehr.

Leute: Ihr solltet euch mal bewusst machen, wie gut ihr es in Deutschland als Schwangere habt. Ihr dürft alle vier Wochen zum FA und werdet kostenlos untersucht. Ja, man zahlt KK-Beiträge, die reichen aber bei weitem nicht aus, um ein ganzes Leben lang medizinisch versorgt zu werden. Schwangerschaft und Geburt kosten einen Haufen Geld.

Und eine Mutterschaftsvorsorge ist kein verdammtes Babywatching, es ist eine prophylaktische körperliche Untersuchung von der Schwangeren und dem Ungeborenen, und dazu ist auch nicht zwingend ein Ultraschall notwendig.

Seid doch einfach mal zufrieden, dass ihr alle vier Wochen kostenlos untersucht werdet, dass jemand schaut, dass es euch und eurem Kind gut geht und dass man bei Auffälligkeiten frühzeitig intervenieren kann anstatt sich darüber aufzuregen, dass man die Ultraschalluntersuchung, die medizinische Diagnostik, nicht filmen darf oder der Partner nicht mit in die Praxis darf, denn jeder Mensch, der eine Praxis betritt ist ein Risiko. Ein Coronafall in der Belegschaft, egal ob Arzt oder Helferinnen und die Praxis ist für zwei Wochen zu. Abgesehen davon, dass man auch andere Patientinnen anstecken kann oder im Falle einer FA-Praxis bspw. auch an Krebs erkrankte andere Patientinnen oder Patientinnen unter Chemotherapie. Wünscht ihr euch auch für euch selbst, dass ein begleitender Partner euch bspw. in der SS mit Corona ansteckt?Sagt ihr dann auch: "Oh, naja, der Partner der anderen Schwangeren hat den FA mit Corona angesteckt und der dann mich, aber egal, ob ich, sollte ich als immungeschwächte Person (denn das ist man als Schwangere) beatmungspflichtig auf der Intensivstation enden und in 50% der Fälle gemeinsam mit meinem Ungeborenen sterben, Hauptsache der andere werdende Vater war beim Ultraschall dabei"?

Das kann doch nicht euer Ernst sein.

Ja, eine Schwangerschaft ist eine tolle und aufregende Zeit, besonders wenn es die erste ist, aber vergleicht diesen Zeitraum mal mit dem Zeitraum, der nach der Geburt eures Kindes auf euch wartet. Das sind Jahrzehnte, in denen ihr voller Glück euer Kind abends ins Bett bringt und Fotos und Videos noch und nöcher machen könnt. Die allermeisten Schwangeren gucken diese Ultraschallbilder und -videos nach der Entbindung kaum noch an.

Und: Es ist und bleibt eine Diagnostik, und kein TV-Programm oder Babyshooting. Wenn der Arzt sagt, ihr dürft nicht filmen, dann hat das seine Gründe. Die allermeisten FÄ geben jedoch gerne mehrere Bilder für den werdenden Vater mit, obwohl sie das nicht müssten.

Zu diesem Thema könnte ich stundenlang schreiben, ebenso wie zu dem ständigen Gemecker, was man in anderen Foren liest bzgl. BV etc. In Deutschland gibt es ein Mutterschutzgesetz. Seid dankbar dafür, denn in vielen anderen Ländern gibt es das nicht. Eine schutzbedürftige Schwangere wird in Deutschland geschützt.

Ebenso die Elternzeit. Nicht arbeiten und trotzdem Geld kriegen? In vielen vielen anderen Ländern würden den Frauen die Augen ausm Kopf fallen, wenn man denen das erzählt. Die müssen nämlich selbst gucken, wie sie rumkommen, wenn sie nach der Geburt eine Weile daheim bleiben möchten.

Denkt da vllt. in einer ruhigen Minute drüber nach und seid einfach mal dankbar dafür, dass ihr in Deutschland leben könnt, und habt ein wenig Nachsehen mit den Arztpraxen. Unsere Intention ist es nicht, euch möglichst unglücklich zu machen, sondern dafür zu sorgen, dass ihr ein gesundes Kind bekommt und selbst in der SS gesund bleibt. Und dafür brauchen wir keinen Partner, der beim Ultraschall daneben steht.

Und zum Abschluss: Ich bin sehr froh, in Deutschland geboren und aufgewachsen zu sein, ich konnte trotz nicht vorhandenen finanziellen Mitteln meinen Traumberuf erlernen und dafür bin ich sehr dankbar. Und ich bin wie gesagt auch sehr froh um jede meiner/unserer Patientinnen, egal ob schwanger oder nicht schwanger. Trotz aller Widrigkeiten ist und bleibt es mein Traumjob. Aber das musste jetzt mal raus.

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Danke für deinen Beitrag!

Ich persönlich fühle mich während meiner Schwangerschaft super betreut! Neben den Vorsorgeuntersuchungen beim FA bekommen wir auch noch eine Hebamme bezahlt und diverse Kurse. Zusätzlich bieten einige Krankenkassen auch noch ein Schwangerschaftskonto an, worüber man eigentlich kostenpflichtige Leistungen abrechnen darf.

Auch was MuSchu und Elternzeit angeht sind wir hier absolut privilegiert! Ich lebe in Grenznähe zu Frankreich und der Schweiz und weiß, dass es auch ganz anders geht.

Hier wird so oft auf hohem Niveau gemeckert - nichts ist genug.

Danke nochmal für deinen Beitrag, der die Leute vielleicht man wieder auf den Boden der Tatsachen bringt und zeigt wie gut wir es haben, trotz der coronabedingten "Einschränkungen".

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Wird leider wahrscheinlich nicht passieren weil die Leute, die so denken, sich den Schuh nicht anziehen.
Ich glaube sogar, solche Leute machen sich nicht mal die Mühe, sich mit der Thematik auseinander zu setzen.
So oft habe ich hier gelesen : "ich erwarte bei jeder Vorsorgeuntersuchung einen US und wenns nur kurz ist". Halt nach den Motto : nur mal eben gucken.
Wie gesagt, über Sinn und Zweckmäßigkeit wird nicht nachgedacht.

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Danke, dass du das so mal schreibst.
Ich sehe es ganz genau so wie du, und dem ist wirklich nichts mehr hinzuzufügen. Unverschämt, was sich manche hier raus nehmen.

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Danke für den Einblick.
Und ja, wir leben hier absoluten Luxus was das Thema Schwangerschaft, Mutterschutz, Elternzeit angeht! Dessen sind sich viele nicht bewusst.

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True story. Danke für deine offenen Worte!

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Danke für deinen Beitrag. Ich hoffe, er erreicht die Richtigen.

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Sehr schön geschrieben und auch scheinbar mal nötig.
Viele schwangere Frauen in DE sind sehr verwöhnt - es scheint schon fast normal zu sein, zu jeder Vorsorgeuntersuchung einen US zu erwarten. Lehnt der Fa dies (zu Recht) ab, ist das Gejammer groß und nicht selten heißt es : schlechter Gynäkologe, sofort wechseln.
Über Sinn und Zweck wird nicht nachgedacht, Hauptsache Frau sieht ihr Baby.

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Genau...
Ich merke es jetzt im der 3. SS wieder.
Sobald us oder auch CTG geschrieben wird, fängt baby sofort an zu zappeln. So zappelt es die ganze Schwangerschaft über nie.

Da sieht man ja, daß es auch echt anstrengend für die Kleinen ist sowas.

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Macht meine kleine auch. Bei jedem US theater ohne Ende, das gleiche beim CTG

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Und da wundert sich manch einer, das viele Gynäkologen nur noch private Patienten nehmen.
Kein Wunder, dass ihr wie am Fließband arbeiten müsst, ihr habt die Miete für die Räume zu zahlen, die Gehälter für die Mitarbeiter, Versicherungen, etc.
Und wehe man bietet nicht das neuste Ultraschall Gerät, besser mal den Arzt wechseln....

Danke, für eure Arbeit!

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Ja genau, das mit dem Ultraschall habe ich hier auch schon oft gelesen. Unser gutes Gerät ist jetzt 5 Jahre alt und hat 45000€ gekostet. Das ist für manche aber schon alt. Ich glaube manchmal denken die Leute, dass so ein Gerät 2000€ kostet.

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Danke auch hier für das Nennen konkreter Zahlen. Dass es mit 2000€ nicht getan ist, dachte ich mir als Laie, aber eine echte Vorstellung hatte ich nicht.

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Danke für deinen Beitrag und eine Stellungnahme von der anderen Seite. 💖

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Danke Dir 😊