Unterschiedliche Diskussionskultur - wie kommen wir da zusammen?

Ich bräuchte mal eine äußere Sicht und vielleicht auch Tips von jemandem, dem es ähnlich geht/ging;
Mein Partner und ich sind seit 11 Jahren zusammen und haben in der Zeit auch eine Familie gegründet. Wir hatten von Beginn an eine unterschiedliche Art zu diskutieren, die ich im Folgenden versuche darzustellen.
Er wird schneller mal laut und emotional, ich bleibe ruhig und sachlich, auch wenn wir emotionale Themen diskutieren. Ich wirke dann aus seiner Sicht zu distanziert, er aus meiner Sicht unsachlich und tatsächlich wirken emotionale Ausbrüche, wo er auch laut wird und seine Gefühle an Dingen auslässt, angsteinflößend auf mich. Besonders schlimm ist es, wenn wir dann mit dem Auto unterwegs sind: wenn er in so einem Fall am Steuer sitzt, kann er durchaus zu gefährdendem Fahrverhalten für uns und andere neigen.
Er nimmt Dinge sehr schnell persönlich, die von mir definitiv nicht so gemeint waren. Das äußert sich dann so, dass er plötzlich beleidigt ist und nicht mehr mit mir redet, während ich überhaupt nicht verstehe, was jetzt gerade los ist, weil er etwas vollkomen anderes in meine Worte interpretiert hat, als ich gesagt und gemeint habe.
Wenn wir eine Meinunsgverschiedenheit haben, dann läuft er oft wütend aus dem Raum und ignoriert mich für ein bis zwei Tage komplett anstatt mit mir zu diskutiere und zu einem Kompromiss zu kommen Gerade letzteres ist für mich so absolut kontraproduktiv und unverständlich. Insbesondere auch wegen unserer Kinder würde ich gerne zu einer anderen Diskussionskultur kommen, in der wir gemeinsam Kompromisse finden können anstatt zu diesen sehr unbefriedigenden Abschlüssen zu kommen.
Für Tips/Ideen/Vorschläge wäre ich sehr dankbar :)

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Es gibt gewisse Verhaltensmuster, die ich mittlerweile mit einer gewissen Lebenserfahrung nicht mehr akzeptieren würde.

"läuft er oft wütend aus dem Raum und ignoriert mich für ein bis zwei Tage komplett" ist so ein Muster.

Und bei "wenn er in so einem Fall am Steuer sitzt, kann er durchaus zu gefährdendem Fahrverhalten für uns und andere neigen" wäre für mich der Ofen komplett aus. Ist ihm überhaupt bewusst, dass er damit jemanden umbringen kann?

Aber die schlechte Nachricht dürfte sein, dass du nach 11 Jahren so ein Muster nicht einfach ändern kannst. Wobei natürlich die Frage ist, weshalb man mit jemanden eine Familie gründet, der zu emotionalen Extremen neigt.

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da ich in ähnlicher situation bin frage ich mich gerade wie man das 11 jahre aushält? ich komme nach einem jahr schon an meine grenzen. das ist seit anfang an so? Ich glaube nicht dass man da nach 11 jahren noch was ändern kann, es sei denn beide wollen es. Will er denn? oder rastet er gleich aus wenn du dieses Thema nur ansprichst?

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Gute Frage. In den ersten Jahren war es mir nicht so sehr aufgefallen, zudem ist er dann später oft bereit, sich zu entschuldigen. Allerdings ist das halt kein tolles Vorbild für die Kinder, die das ja so langsam bewusster mitbekommen und sich ihre Meinung bilden. Seiner Meinung nach bin in erster Linie ich schuld, wenn etwas nicht so funktioniert, und Emotionalität gehört für ihn zu Diskussionen dazu. Wir versuchen da gerade mit einem Familien-Mediator etwas voranzukommen, aber die Person geht da eben auch sehr vorsichtig vor und setzt eher auf Erkenntnis, als etwas zu bewerten. Entsprechend müsste er eben selber erkennen, dass diese Art des Verhaltens nicht gerade förderlich ist. ER meint allerdings, er kann nicht anders, und irgendwo müssen seine Gefühle auch hin.

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Hast du denn nicht einfach mal mit gesprochen: "Stefan, gestern Abend bei unserem Streit haben wir keine Lösung gefunden. Nun ignorierst du mich. Das macht... mit mir. Kannst du bitte mit mir reden und sagen, was dir durch den Kopf geht?"

Wenn er dir dann nicht antwortet, würde ich mich fragen, wie ihr so eine Beziehung führen wollt. Ihr seid null auf Augenhöhe. Er demonstriert Macht. Und da wäre für mich die Beziehung vorbei. Und nicht erst nach 11 Jahren und Kindern.
Was lebt ihr euren Kindern auch schlimmes vor?!

Bearbeitet von Diddl97
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In dem Moment, wo ich bei einem Mann im Auto Angst um mein Leben haben müsste, wäre bei mir Schluss. Das geht garnicht, so wenig wie tagelang schmollen. Die Marotte hatte mein Mann ganz zu Anfang unserer Beziehung, da habe ich sehr schnell klargemacht, dass das nicht in Frage kommt, ich HASSE das.
11 Jahre machst Du das schon mit....na prima, wie Du das wieder wegbekommen willst, weiß ich leider auch nicht.
Nicht DU brauchst eine andere Diskussionskultur sondern er, aber wie beibringen, was für ihn ja schon so lange funktioniert?
Vielleicht solltest Du ihm auch mal ziemlich emotional klarmachen, wie er auf Dir rumtrampelt, nicht nur ruhig und pädqgogisch wertvoll.
LG Moni

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Das hätte ich nicht lange ausgehalten. Das sind nicht nur unterschiedliche Diskussionskulturen, er kann einfach nicht wirklich sachlich diskutieren, wenn ich deine Beschreibung richtig interpretiere. Ich hatte auch mit meinem Ex-Mann das Problem, dass er falsch verstanden hat und dann eingeschnappt war. Zum Glück kam das doch relativ selten vor. Aber das ist nicht okay. Er muss ja zuhören. Meist wird falsch interpretiert, weil man nicht zuhört. Und wenn er nicht sicher ist, dann soll er nicht einfach auf einer Interpretation bestehen, sondern wieder ZUHÖREN. Manchmal hilft es, wenn man überdeutlich ist. Ehe ich mich von meinem Ex scheiden liess, hab ich es noch versucht, diese Dinge richtig deutlich zu machen. Z.B. fragen "wer weiss besser, was ich meine - du oder ich?"

Was du hier so diplomatisch ausdrückst - angsteinflössend - was heisst das konkret? Beleidigt er dich, schreit er, baut er sich vor dir auf und kommt bedrohlich nahe? Und was heisst, er lässt seine Gefühle an Dingen aus? Mein Ex-Mann hat nur einmal mit Dingen geworfen, und da lagen wir schon in Scheidung. Er wusste nämlich, dass ich das nicht akzeptieren würde. Du entschuldigst sein Verhalten schon zu viel. Gefühle sind keine Entschuldigung um sich daneben zu benehmen.

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Danke für deinen sehr guten Hinweise. Manchmal habe ich den Eindruck, dass er eine andere Art hat, zuzuhören; letztendlich kommt es mir dann so vor, als würden zwei Autisten versuchen, miteinander zu kommunizieren, wobei wir auf unterschiedlichen Ebenen kommunizieren :-D Er ist halt leider auch oft überzeugt, es besser zu wissen - also auch besser zu wissen, was ich denke, als ich selber. Man kann jemandem halt leider schwer beweisen, was man gerade gedacht hat, dazu gibt es keine Aufzeichnungen.

Tatsächlich ist das mit dem Sachen kaputt l, machen/Türen knallen in den letzten Jahren besser geworden (war auch nicht oft, mal ein Stuhl, mal ein Kinderhocker), und auch beim Autofahren reißt er sich mehr zusammen. Früher bin ich bei solchen Ausfällen aber auch eher in Tränen ausgebrochen, mittlerweile zucke ich innerlich die Schultern und denke nur: Idiot.
Beleidigt hat er mich tatsächlich nie, ebensowenig wie ich ihn. Bedrohlich aufgebaut hat er sich einmal, und danach entschuldigt. Trotzdem ist Kommunikation mit ihm für mich manchmal so, als würde ich durch ein Minenfeld laufen: ich kann nie sicher sein, nicht doch irgendwas falsch zu machen, und dann gehen plötzlich die Gefühle bei ihm hoch.

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Da könnte eine Paartherapie oder ein Kommunikationstraining helfen 😊 das würde ich definitiv noch versuchen. Damit dein Mann vielleicht nicht mehr ganz so emotional reagiert und du verstehst, dass er scheinbar mit einem „anderen Ohr“ hört, als du (Vier-Ohren-Modell) und du kannst dich dann auch etwas anpassen!

Viel Erfolg wünsche ich euch!

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Ich kenne das sehr gut, aber ich war der andere Teil. (Ausser weglaufen und ignorieren und vielleicht dem Unterschied, dass ich es ändern wolllte) Uns haben Mediationen geholfen, gegenseitig unsere Sprache zu verstehen. Es passiert mir noch, dass ich beleidigt bin und dann wütend werde, oder vor der Mens eine kurze Zündschnur habe und dann schneller laut bzw heftiger reagiere, aber durch die ganze Vorarbeit kann ich es besser und schneller wieder auf die richtige Spur bringen. Ich habe mich mit GFK, gewaltfreier Kommunikation, auseinandergesetz und die beiden Mediationen beruhten auf dem. Es hat mir und uns sehr geholfen.

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Hallo Diskussionskultur,

Du sagst, du würdest mit deinem Mann gerne zu einer anderen Diskussionskultur kommen, die zu Kompromissen anstatt zu diesen unbefriedigenden Abschlüssen führt.

Das klingt für mich wie das Ringen um den Geschäftsbericht in meiner Firma.

Du beschreibst dich selbst als "ruhig und sachlich", auf deinen Mann wirkst du zu distanziert. Seine emotionalen, teils wutbetonten Ausbrüche verbunden mit Rückzug ("Ignorieren") beschreibst du nüchtern als "kontraproduktiv".

Mir scheint das als Mann so, als wäre da eine Frau als Lehrerin zugange, die versucht, ihren ungezogenen und dummen "Kindmann" auf die richtige Bahn zu bringen oder nach ihren Erwartungen zu formen.
Fühlt du dich deinem Mann überlegen und kommunizierst du ihm diese Botschaft indirekt bzw. als "Botschaft ohne Worte"?
Aber deine Erziehungsversuche gehen voll in die Hose, du scheinst eher das Gegenteil mit deinen Bemühungen zu erreichen.

Was an deiner Einstellung und deinem Verhalten könnte deinen Mann denn besonders triggern quasi automatisch und zwanghaft mit seinen emotionalen Ausbrüchen auf dich zu antworten. Ihr beide seid ja ein eingespieltes Team und spielt gewissermaßen emotionales Pingpong.

Sein Verhalten ist natürlich völlig inakzeptabel und langfristig zerstörerisch für eure Beziehung.
Hoffnung würde ich dann sehen, wenn dein Mann einen gewissen Leidensdruck wegen seiner Verhaltensmuster verspüren würde.
Fühlt er sich schlecht und schuldig dir gegenüber nach seinen Ausbrüchen? Hat er schon mal Reue gezeigt und sich bei dir entschuldigt?
Das wären für mich gute Ansatzpunkte, um mit ihm zusammen daran zu arbeiten.

Ich denke, die Verhaltensauffälligkeiten deines Mannes wären insbesondere durch eine kognitive Verhaltenstherapie (KVT) zu verändern, das setzt aber Bereitschaft bei deinem Mann voraus.
Und es setzt auch deine Bereitschaft voraus, deinen Anteil an eurer entgleisten "Diskussionskultur" zu sehen und zusammen mit deinem Mann daran zu arbeiten.

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Vielen Dank für deinen sehr guten Beitrag. Ja, wir haben leider auch ein gewisses "Machtgefälle" in der Beziehung: ich bin etwas älter als er und bin mehr oder weniger alleine für das Hausltseinkommen in der Familie zuständig, da er erst lange studiert und dann verschiedenes ausprobiert hat, was aber alles nicht funktionierte. Seit 1,5 Jahren ist arbeitet er selbständig, aber die Umsätze sind noch sehr übersichtlich. Entsprechend schief ist bei uns die Einkommens- und Vermögenslage. Zudem bin ich fast alleine für Haushalt und Kinder zuständig, so dass wenig Zeit für die Partnerschaft bleibt.

Ja, letztendlich ist es schon ein wenig so, als wäre er ein weiteres, großes Kind in der Familie, und manchmal sind auch seine Ansprüche so. Ich versuche aber, da dagegen zu steuern, aber letztendlich kann ich nun mal alleine schon das ökonomische Ungleichgewicht bei uns nicht ändern, da müsste er selber mehr aktiv werden. Ich bin ja froh, dass mein Einkommen für uns alle reicht, so dass wir uns finanziell keine Sorgen machen müssen. Langfristig würde ich mir aber natürlich eine etws ausgeglichenere Aufteilung zwischen uns wünschen, sowohl finanziell als auch von den sonstigen Aufgaben her.

Tatsächlich entschuldigt er sich öfters, wenn er beleidigt oder laut reagiert hat. Langfristig leidet die Beziehung aber trotzdem darunter, ganz klar. Ich denke auch, dass eine Therapie mit Sicherheit sehr sinnvoll wäre, da er in seiner Kindheit und Jugend wohl leider auch viel Ablehnung durch seine Eltern und Stiefeltern erfahren hat. Entsprechend habe ich den Eindruck, dass er sich schwer damit tut, in seiner Rolle als verantwortungsbesusstes Elternteil anzukommen.

Grundsätzlich ist er bereit, an sich zu arbeiten, sieht aber in fast allen Bereichen eher bei mir den Bedarf, dass ich mehr auf ihn eingehe und mehr auf seine Interessen und Bedürfnisse eingehe. Letztendlich hänge ich dann aber immer da, dass ich versuche, sowohl auf seine Bedürfnisse als auch auf die der Kinder Rücksicht zu nehmen (was letztendlich für mich Vorrang hat) und irgendwie die Gratwanderung für alle hinzubekommen. Das stresst mich zunehmend, und wenn ich ehrlich bin, plane ich insbesondere Freizeitaktivitäten mit den Kindern lieber ohne ihn.

Er ist grundsätzlich ein toller Mensch, kann sehr liebevoll und kreativ sein. Ich zweifle aber zunehmend, ob ich mit den genannten Eigenschaften weiter klarkomme und ob wir da langfristige Änderungen hinbekommen, solange er sich nicht mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt.

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Mein Mann hatte anfangs auch sehr große Probleme damit, sachlich und rational zu diskutieren.
Er hat es tatsächlich einfach nicht gelernt, weil bei ihm zuhause muddi das sagen hat und alles mit Lautstärke und Dominanz niederregelt.
Ich habe ihm direkt zu Beginn deutlich gesagt, dass ich diese Art nicht mitmachen kann und werde. Insbesondere, weil ich mit dem absoluten Gegenteil aufgewachsen bin. Bei uns wurde schon immer extrem (!) Rational an alles herangegangen, was ich aus heutiger Sicht auch nicht optimal finde (Papa ist Anwalt... hust 😅)
Ich finde es ok, wenn Emotionen eine Rolle spielen, aber ich lasse mich nicht anpampen und schon gar nicht anschreien. Damit kann ich nicht umgehen und es verletzt mich. Das habe ich ihm (mal außerhalb von streit) gesagt und ihm auch gesagt, dass ich zukünftig in solchen Momenten den Raum verlassen werde, weil ich mich nicht von ihm verletzen lassen will. Ich bin aber JEDERZEIT bereit für ein ruhiges Gespräch.
Tatsächlich hat er extreme Fortschritte gemacht und sagt das auch selbst und empfindet es als positiv.

Nach 11 Jahren finde ich es aber zugegebenermaßen auch extrem schwierig, denn vieles wird sich auch schlichtweg "eingefahren" haben. Ich würde aber, wie hier auch schon vorgeschlagen wurde, viel mit ich-botschaften arbeiten. Ihm deutlich sagen, dass er dich verletzt und dir sogar Angst macht.
Und ich kann ehrlich gesagt jede verstehen, die sagt, die Autosituation ist die absolute Grenze...