Kontaktabbruch mit meinen Eltern - ja oder nein?

Ich möchte zusammenfassen welche Gedanken und Gefühle mich quälen was meine Eltern betrifft und eine Übersicht schaffen, da mich das Thema sehr belastet und ich mal Objektive Meinungen von außen haben möchte. Ich weiß garnicht wo genau ich anfangen soll. Ich hatte eine schwere Kindheit, bin die älteste von 3 Schwestern (29, 27, 13) und komme aus einer Migrationsfamilie, mein Vater kam mit seiner Familie aus Vietnam und meine Mutter aus Polen nach Deutschland. Sie lernten sich kennen und ein paar Jahre später kam ich zur Welt. Ich erinnere mich nur wenig an meine Kindheit, sie war jedoch größtenteils geprägt von Wut, Aggression, wenig Platz für Gefühle und freier Entfaltung, Manipulation und körperlicher und seelischer Gewalt und Armut. Da ich die größte und rebellischste von uns war, war ich der Sündenbock. Als Jugendliche habe ich meine ganze Energie in Gespräche mit meiner Mutter gesteckt, dass sie immer dieselben Fehler machen und wir nicht richtig kommunizieren, dass meine Eltern anfangen müssen miteinander zu reden. Ich habe versucht ihre Beziehung zu fixen. Mein Vertrauen und meine Liebe zu meinen Eltern war so groß, ich wollte sie einfach nur stolz machen. Weil ich dieses Lob nie bekommen habe, bin ich die ganzen letzten 10 Jahre dem Lob und der Anerkennung meiner Eltern hinterhergelaufen und sie hielten mich so gefügig und manipulierbar. Ich war der Sündenbock für alles und musste mir auch die Schuld für ihr scheiss Leben geben, das ich wie mein Vater sei, dass ich schuld sei wenn sie stirbt und vieles mehr. Sie ist alkoholikerin und mein Vater Spielsüchtig, tun sich gegenseitig nicht gut und er macht sie nur fertig. Sie hingegen ist eigentlich viel zu lieb für diese Welt, hat aber auch nie viel für uns getan. Beide erlebe ich als sehr passiv. Sie ist aber krank geworden und wenn sie trinkt, bekommt sie manchmal extreme Anfälle wo ich sie das ein oder andere mal auch davon abhalten musste sich ein Messer zu schnappen oder vom Balkon zu springen. Einmal, da war mein Vater außer Haus, war ich alleine und bat meine Schwestern (die kleinste war dort 4) sich im Zimmer zu verstecken, denn sie war so betrunken und aggressiv - ich musste meine Mutter wie eine Irre auf den Boden fixieren und sie festhalten, damit sie sich oder anderen nichts tun kann. Sie schrie als ob man ihr die Haut von Körper gezogen hätte - zitierte ein Nachbar. Die halbe Wohnung demolierte sie dabei. Solche Anfälle habe ich als Kind auch schon mitbekommen, allerdings nur das Schlachtfeld, nachdem es passierte . Mein Vater ist sehr aggressiv, cholerisch - erwartet viel, aber war nie für uns da. Trotz allem war ich mein ganzes Leben lang der Meinung, trotz der Schwierigkeiten diese Liebe zu spüren die wichtig ist und zusammenhält, ich dachte, dass die Liebe das alles wieder gut macht.
Bis ich selbst wegen Depressionen in eine Klinik gegangen bin und das erste mal anfing über meine familiären Verhältnisse zu sprechen. Dass es doch alles ziemlich krass war was ich erlebt habe und mir nur eingeredet habe es sei halb so wild. Man spürt erst, was einem gefehlt hat wenn man sieht, dass es auch anders geht. Als ich gesehen habe wie wundervoll die Schwester meiner Partnerin mit ihren Kindern umgeht, die Probleme zu sehen die sie haben und sie zu unterstützen, tat es so sehr in meinem Herzen weh - dieser Schmerz war so tief und direkt. In der Klinik wurde mir bewusst dass meine Eltern mich nicht loslassen wollten, nie loslassen wollten. Sie von ihren Kindern abhängig sind und ihr Leben ohne uns so gut wie keinen Inhalt hat. Irgendwann begriff ich, dass sie nichts mehr haben außer uns und alles in uns projizieren, weil sie sich selbst aufgegeben haben. Dazu wird nur erwartet, nixht zugehört. Ich erzähle meiner Mutter jedes Mal von den selben Dingen, doch sie kennt mich nicht. Sie weiß eigentlich nicht einmal was ich so mache - was ich mag, womit man mir eine Freude bereiten könnte. Ich könnte jedes Mal dasselbe erzählen. Früher waren meine Eltern die ersten die ich angerufen habe, heute sind es leider die letzten. Ich versuche so wenig wie möglich zu erzählen um mich vor den Reaktionen schützen. Meine Mutter verhält sich wie ein kleines Kind wenn sie trinkt - ganz schlimm. Mein Vater ist chaotisch und trägt keine Verantwortung - fährt betrunken mit meiner kleinen Schwester Auto - man muss ihn dazu zwingen nicht zu fahren und sich quasi mit ihm „streiten“ dass er das nicht machen darf! Jedes Mal dasselbe. Es wird nur erwartet, dass wir sie besuchen kommen jede Woche, da sitzen, essen und danach am besten den ganzen Tag zuhause mit ihnen rumsitzen. Ich war damals die einzige die uns raus gebracht hat , habe Spaziergänge oder Ähnliches vorgeschlagen. Mittlerweile kann ich nicht mehr. Ich bin nicht verantwortlich für sie und seit dem mir das bewusst wird, merke ich auch meine inneren Muster und Abhängigkeiten, die mich ständig runterziehen, dass ich für sie da sein sollte und dort sein sollte. Wenn ich mir was gutes tun will, denke ich an meine Eltern und bekomme das Gefühl, es nicht zu verdienen. Mein Vater sagt mittlerweile auch fast bei jedem Treffen das man ja nicht wissen kann ob er nächstes jahr noch lebt. So ein ekelhaftes Verhalten und das auch noch vor meiner kleinen Schwester, an seinem Geburtstag, es war ein „wunderschöner“ Tag in Zandvoort. Solche Sätze kommen wie aus dem nichts - unberechenbar -und ich erstarre mit fast 30 Jahren immernoch. Sie waren nie für uns da, es fühlt sich eher so an wie als hätte man sich zwar um uns gesorgt, aber im Gegenzug musste ich ein Stück von mir sterben lassen. Dazu kommt das ich homosexuell bin und schon in der Grundschule lieber weitere Sachen tragen wollte, was ich natürlich nie durfte. Man hat es mir nicht verboten, aber sie hat meine Wünsche einfach ignoriert. Es ist einfach kein Gefühl der Akzeptanz und der Offenheit da, wirklich null. Meine Schwester hat es auch nicht leicht. Sie hat vor kurzem geheiratet und es besteht einfach ein so großer Konflikt weil meine Eltern sich nicht anpassen können und sich nichts zu erzählen haben, sie haben sich garnicht in die Hochzeit eingebracht, wirklich null! Mein Vater hat sich bei mir beschwert, dass meine Schwester ihm ja eigentlich gewähren sollte, 10 Freunde einladen zu dürfen, weil man das so in Vietnam macht. Er war enttäuscht das meine Schwester diese Ansicht nicht teilt. Er passt sich schon sein ganzes Leben nicht an, ist nur am meckern, wenn es sich nicht um ihn dreht wird er stinkig. Sonst ist er sehr aufopfernd. Mittlerweile kann ich einfach nicht mehr, seit 2 Jahren macht mir meine Vergangenheit sehr zu schaffen und es wird immer schlimmer für mich den Kontakt aufrecht zu erhalten. Die Treffen werden weniger und mein schlechtes Gewissen wird größer, je mehr ich zu mir stehe. Die Probleme sind nicht weniger geworden. Meine Mutter trinkt sehr viel, meine kleine Schwester lebt noch bei ihr, mein Vater lebt mittlerweile in seiner Wohnung weil es zusammen nicht geklappt hat. Getrennt haben sie sich aber noch nicht. Das Jugendamt
Ist seit einem halben Jahr involviert, weil meine kleine Schwester sich anfing selbst zu verletzen und sich ihren Freunden anvertraut hat ( ich bin so froh, solch tolle Schwestern zu haben , wirklich ein Geschenk gottes und ein Riesen Glück für mich ), dessen Mutter das mitbekommen hat und das Jugendamt anrief. Einige Wochen bevor das mit dem Jugendamt passierte, habe ich einen regelrechten Gefühlsausbruch gehabt und meine Mutter zurecht gewiesen, geheult vor Verzweiflung dass ich mir Sorgen um meine Schwester mache, weil das kein Zustand mehr ist und ob sie das auch nur einen funken wahrnimmt, was hier gerade abgeht. Ich spüre viel und weiß, dass meine Schwester jetzt die Projektionsfläche für all den scheiss meiner Mutter, auch wenn unbewusst. Sie kann garnicht anders. Dazu kommt das ich verlobt bin und ich nicht mal eine Reaktion von meiner Mutter bekommen habe. Sie meinte am essenstisch nur „ja?“. Da kam einfach garnichts. Ein paar Monate später habe ich erfahren dass nicht einmal ihre beste Freundin davon wusste, dass ich verlobt bin. Und beim vorletzten Treffen fragte meine Mutter was für ein Ring das denn ist. Das hat mich zutiefst verletzt. Ich musste mir immer sagen lassen, mir sei alles egal, Freunde sind mir wichtiger, ich kümmere mich um nichts und ich soll mir mal ne Scheibe bei meinem Cousins und Cousinen abschneiden. Das war vor ca 2 Jahren, seit dem gehe ich auf Distanz. Sie hat sich auch entschuldigt - aber das hat mein Fass dann zum Überlaufen gebracht- kurz darauf bin ich auch in die Klinik gegangen, wobei meine Mutter nicht der Auslöser war sondern einfach meine schon lange da gewesene depression und die Tatsache dass ich mich schon mein Leben lang im Kreis drehe. So, ich habe mittlerweile einen ziemlich eingeschränkten Kontakt zu meinen Eltern und habe die letzten Tage eine Verabredung mit ihnen komplett sausen lassen, bin nicht an Anrufe dran gegangen noch konnte ich sie anrufen. Es ging mir garnicht gut, aber gerade dann kann ich einfach nicht über meinen Schatten springen. Mit jedem spreche ich dann lieber als mit meinen Eltern. Ich verstehe nun einiges mehr, ich will mich davon endlich befreien und diese enge in meinem Leben endlich loswerden um mich selbst spüren zu lernen. Der Kontakt tut aber einfach nur noch weh, wir können nicht reden, sie verstehen meine Wünsche und Ansichten sowieso überhaupt nicht, noch interessieren sie sich dafür. Noch freuen sie sich für mich, machen mir Mut oder geben mir Kraft, kein gutes Wort. Nur Ängste schüren und ein schlechtes Gewissen machen. Ich war einfach immer die „rebellische“, obwohl ich die sensibelste von uns bin. Mir wurde aber immer von meiner Mutter gesagt, ich sei der größte Eisblock und hätte keine gefühle. Ich durfte meine Gefühle ja nie zeigen, habe ich geweint, wurde ich dafür geschlagen. Ich lerne gerade meine Gefühle wahrzunehmen und es ist wirklich verdammt schwer. Auch wenn ich denke ich habe es verstanden, kommt immer wieder eine neue Erkenntnis oder eine Blockade in mir, die mir bewusst wird und klar macht, wie eingeschränkt mein Inneres ist, wie viel da noch gelöst werden muss in mir. Je mehr Abstand ich nehme, desto mehr erkenne ich meinen wahren Kern und das ich ziemlich viele kontraproduktive Lösungen für meine damaligen Probleme in meiner Kindheit gefunden habe, die mir mein Leben sehr schwer machen . Was mir am meisten wehtut und weshalb ich oft abends nicht schlafen kann, ist meine kleine Schwester. Die kann sich da nicht rausnehmen, ich weiß was sie durchmacht Aber ich bin momentan nicht in der Lage zu helfen. Ich muss mich selbst erstmal heilen. Dieses Dilemma macht mir am meisten zu schaffen.
Ich wollte all das einfach mal loswerden, weil ich das bisher noch nie einfach mal rausgelassen habe und ich dazu gerne mal Eindrücke von außen lesen würde, ich glaube, das würde mir helfen die Situation etwas objektiver zu betrachten. Sorry wenn der Text unverständlich oder sehr lang geworden ist, es fällt mir schwer über mich selbst zu sprechen und dabei nicht den Faden zu verlieren
Vielen Dank fürs lesen ich bin euch für jede Antwort dankbar!

Bearbeitet von Laures
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Hallo Laures,
Die Schilderung deiner familiären Situation von Kindheit an bis jetzt ist außergewöhnlich schwierig und schon beim lesen ist es bedrückend.
Wie muss es dir erst im realen Leben damit gehen.
Du hast mein ganzes Mitgefühl und gerne würde ich dir einen Rat geben, der hilfreich ist.

Ich denke allerdings, das kann ein Forum nicht leisten.
Da müssen reale Menschen in deinem Leben dir zur Seite stehen.
Profis und enge Freunde.

Du hast alles Recht der Welt den Kontakt zu deinen Eltern komplett einzustellen.
Dadurch lösen sich deine Probleme allerdings nicht automatisch.
Das braucht Zeit zum heilen.

Du bist deinen Eltern nichts schuldig und du hast keine Verpflichtung dich um sie zu kümmern.

Du hast das Recht auf ein erfüllendes Leben, genauso dürfen deine Eltern sich kaputt machen.
Das musst du dir weder ansehen noch anhören.

Vielleicht hilft es dir dich in immer größer werdenden Abständen zu melden und sofort abzubrechen, wenn es dir nicht gut tut.
Ändern wirst du deine Eltern nicht.
Vielleicht ist es auch besser den Kontakt sofort und komplett einzustellen.
Du musst rausfinden, was für dich besser ist.

Ein anderes Dilemma ist deine Schwester, die noch bei deiner Mutter lebt.
Das Jugendamt ist ja schon involviert, kann aber das Ausmaß Vielleicht nicht im ganzen erfassen.
Ist es dir möglich dort nochmal Kontakt aufzunehmen und evtl nochmal zu schildern in welcher Not deine Schwester sich befindet?

Ich wünsche dir sehr das du einen eigenen Weg findest, der dir gut tut.

Alles Liebe

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Hallo Laures,

vielleicht kannst du es "ausprobieren". Stell den Kontakt mal auf Funkstille und schau, ob es dir damit besser geht.

Wenn das so ist, brich den Kontakt ab.

Lebst Du mit Deiner Verlobten zusammen und habt Ihr eventuell die Möglichkeit, Deine kleine Schwester zu Euch zu nehmen? Also falls Deine Schwester und Deine Partnerin sich das vorstellen können,?

Leider wird das Verhalten Deiner Eltern sich nie ändern, ehrlich gesagt wird es oft schlimmer, je älter sie werden.

Den Idealzustand, den Du Dir wünschst, werdet Ihr vermutlich nicht erreichen.

Ich wünsche Euch alles Gute.

Viele Grüße
Scabra

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Liebe Laures,

dein Text hat mich sehr berührt.
Ich darf dir in klaren und knappen Sätzen antworten.

Ja, du darfst und sollst den Kontakt zu Deinen Eltern einstellen. Nach gegebener Zeit kannst du neu entscheiden.

Such Dir eine therapeutische Unterstützung. Dir ist wirklich sehr viel Schlimmes widerfahren, das Dich heute auch noch bestimmt, was normal ist. In einem mittelfristigen Zeitpunkt lässt sich das positiv bearbeiten. Vor allem, weil du jetzt schon - trotz dem riesigen Schmerz - so reflektiert wirkst.

In Deiner Kindheit hast du Strategien entwickelt, um deine Eltern, ihr Verhalten, die furchtbare Umgebung zu überleben. Die waren damals wichtig und gut. Leider verschwinden diese nicht immer so von selbst und bleiben oftmals auch dann noch bestehen, wenn wir sie gar nicht mehr brauchen. Dann stehen sie uns im Weg.
Ich verweise nochmals überzeugt und mitfühlend auf eine Therapie.

Alles Liebe!