Parentifizierung - wie damit umgehen?

Es hat tasächlich bis ins Erwachsenenalter gedauert, bis mir bewusst geworden ist, dass ich Opfer von Parentifizierung bin. Das heißt, ich habe in meiner Kindheit z.T. die Rolle mit meinen Eltern "getauscht".

Es ging dabei hauptsächlich um meine Mutter, da mein Vater meist abwesend war...
Ich musste für sie Behördengänge erledigen, Termine beim Arzt ausmachen, sie trösten, ihr zuhören, wenn sie unzufrieden war und / oder sich über meinen Vater geärgert hat....
Ich hatte immer (und habe bis heute) ein starkes Verantwortungsgefühl meiner Mutter gegenüber und bin immer in Sorge, ob es ihr gut geht.
Wenn ich mit Freunden unterwegs war in meiner Jugend, bin ich irgendwann früher am Abend heim gefahren, weil "Mutter sonst alleine ist". Habe ich es nicht getan, hat sie mir emotional Vorwürfe gemacht.

Wenn sie verreist ist, hatte ich keine Ruhe, bis ich wusste, dass sie gut angekommen ist.

Sie hat ihre emotionale Unzufriedenheit, ihre Probleme immer auf mich abgewälzt.

Bis heute verspüre ich eine innere Unruhe, wenn sie unzufrieden ist. Und sie teilt mir ihre Unzufriedenheit immer noch mit und erwartet dann von mir eine Lösung, gut zureden, emotionalen Beistand.
Langsam kann ich nicht mehr.

Wie löst man sich von so etwas?
Ich möchte den Kontakt nicht abbrechen, aber ich möchte aus diesem toxischen Verantwortungsgefühl raus.
Ich bin nicht für ihr Glück verantwortlich, auch wenn sie mir das mein Leben lang hat glauben lassen.

Wie komme ich da raus?

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Hast du ihr das schon mal gesagt? Also dass du nicht für ihr Glück verantwortlich bist.
Aber ich nehme an, dann kommt sie mit emotionaler Erpressung, "sie habe ja nur dich" und so Zeug.
Wenn du es schaffst, klar Kante zeigen, du hast dein eigenes Leben, sie ist für ihres selbst verantwortlich.
Ansonsten würde wohl eine Therapie helfen, dass du lernst, dich abzugrenzen und dich nicht mehr für sie verantwortlich fühlst.
Ich wünsche dir alles Gute ❤

Liebe Grüße, jukimaus

2

Danke für deine netten Worte.

"Aber ich nehme an, dann kommt sie mit emotionaler Erpressung,"
So ist es leider.

Dann kommt nur, dass sie mir ja egal wäre, und ihr ginge es ja so schlecht....

Ja, das mit der Therpie habe ich mir auch schon überlegt, nur weiß ich gar nicht, wo ich da anfangen soll...

3

...TherapeutIn mit traumatherapeutischem Schwerpunkt. Muss sich ja nicht immer um sexuelle oder körperliche Gewalt handeln, auch emotionaler Missbrauch und/oder Vernachlässigung und eben auch solche dysfunktionalen belastenden Beziehungserfahrungen werden idR bei Therapeuten die traumatherap. weitergebildet sind, gut verstanden in ihrer Dynamik und ihren Auswirkungen.

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Parentifizierung ist tatsächlich der Fachbegriff für das Phänomen, dass sich Kinder für ihre Eltern und deren Wohlergehen verantwortlich fühlen und mehr um sie kümmern, als das altersentsprechend wäre. Kindern wird damit die wichtige Sicherheit genommen, die Eltern eigentlich für sie sein sollen. Es ist eine schlimme Form der psychischen Abhängigkeit und ein Grund, weshalb Kinder bei beginnender Parentifizierung vom Jugendamt in Obhut genommen werden.

Du solltest eine Therapie mit einem fachkundigen Therapeuten machen, um dich aus dieser vermeintlichen Verantwortung zu lösen.

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Bei mir war es ähnlich. Mein Vater ist in die USA als ich 4 war. Ich war quasi immer alleine mit meiner psychisch labilen Mutter.
Ich habe mich mehr um sie gekümmert als umgekehrt und es war mir lange nicht bewusst.
Erst mit Anfang/Mitte 30 fing ich langsam an zu verstehen, was das eigentlich bedeutet und was es mir mir gemacht hat.
Mithilfe von einigen Therapiesitzungen, sehr viel eigener Aufarbeitung mittels Bücher und entsprechendem Podcast konnte ich zunächst erkennen was los ist und mich lösen.
Ich sag es direkt: Es ging leider nur mit einem großen Knall und längerem Kontaktabbruch.
Jetzt, mit 40, halte ich mir meine Mutter soweit auf Abstand, dass sie mir nicht mehr „gefährlich“ werden kann.
Es war ein harter und stellenweise schmerzhafter Prozess. Aber es war wichtig!

Hol Dir professionelle Unterstützung und beginne DEIN Leben.

Alles Gute 🍀