Habt ihr mit älteren Menschen mal darüber gesprochen ob sie etwas bereuen?

Ich bin da immer sehr interessiert dran und spreche viel mit älteren Menschen 70 oder 80 plus ob sie etwas bedauern oder gerne aus heutiger Sicht anders machen würden.
Was mir grundsätzlich auffällt ist, dass die meisten dankbar sind und grundsätzlich zufrieden mit ihrem Leben.
Die meisten haben ihren Frieden gemacht mit Schicksalsschlägen, Niederlagen oder Fehlentscheidungen.
Besonders meine Mutter hat mich allerdings überrascht, sie sagte, sie würde rückblickend kein Kind mehr bekommen, sie sagt, es hat ihr zu viel genommen und zu wenig gegeben.
Sie habe zu wenig nachgedacht und durch gesetzt was ihre Vorstellungen sind, das bereut sie.
Ich habe immer gedacht, sie wäre gerne freiwillig Hausfrau und Mutter gewesen, offensichtlich war das nicht so.
In dem Zuge sagte sie mir auch , dass mein Vater gerne noch ein zweites Kind gehabt hätte und die Ehe auch deswegen letzten Endes gescheitert ist.
Dass sie sich getrennt hat, bedauert sie nicht, nur dass sie es nicht schon früher getan hat.
Diese Aussage hab ich aber von einigen Menschen gehört, die eine Trennung hinter sich haben.
Dafür hat sie nach der Trennung sehr selbst bestimmt gelebt und viel nachgeholt.
Mein Vater hadert bis heute mit der Trennung obwohl er seit fast 10 Jahren eine neue Frau an seiner Seite hat.
Meine 20 Jahre ältere langjährige Kollegin bereut es, nicht früher in die alte Heimat, wo sie 10 Jahre von 20 bis 30 gelebt hat, zurück gegangen zu sein, obwohl das auch trotz Kind, Job etc möglich gewesen wäre, sie sich aber wegen ihrer Eltern nicht getraut hat.
Was habt ihr da schon gehört?

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Generell kommt es mir so vor, dass die Menschen meist eher das bereuen, was sie NICHT getan haben im Leben als das, was sie getan haben. Also nicht die Ehe, die in einer Scheidung endete, bereuen, sondern eher, der heimlichen Liebe nicht seine Liebe gestanden zu haben. Das habe ich schon mal gehört.

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Direkt gefragt hab ich nicht, aber ich weiß, dass meine Eltern und Großeltern in vielen Dingen wenig Entscheidungsmöglichkeiten hatten. Denn sie haben nicht in einer Überflussgesellschaft gelebt so wie wir das heute machen.

Einen Punkt hab ich aber: Die Oma meines Mannes (89) hat nun ihr erstes Urenkel von uns bekommen und als sie gesehen hat wie wir den Kleinen so selbstverständlich im Arm halten wurde sie ganz traurig und meinte. Als sie ihre Kinder bekommen hat, durfte sie ihn nicht so im Arm halten. Damals durfte man die Kinder nur zum Stillen und Wickeln aus dem Nestchen nehmen. Den Rest der Zeit wurde es da ganz fest eingebunden und rein gelegt, damit es 'einen geraden Rücken' bekommt. Durchsetzen war nicht, Momshaming vom feinsten. Da wäre sie von der Gesellschaft ausgeschlossen worden. Und damals war man nicht so gut vernetzt wie heute. Wo man sich auch an anderen orientieren konnte und nicht an dem kleinen Kreis, den man so kannte, gebunden war.

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Das ist ja traurig, aber war anscheinend nicht überall so. Meine Großeltern Jahrgang 1910/1908 haben sowohl ihre Töchter. geboren 1931 und 1944 viel getragen, geknuddelt und mich als Enkelin auch. Besonders mein Opa war der totale Kuschler. Klar musste meine Oma schon wieder früh auf dem Bauernhof damals arbeiten und meine Mama, die als Kleinkind recht wild war, wurde manchmal an einem Band unter einem Baum festgebunden, damit sie nicht abhaut und ihr was passiert, aber das waren damals einfach die Zeiten. Aber genauso hatte sie meine Oma oft bei der Feldarbeit auf den Rücken in einer Art Tragetuch.

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Ich hatte während meines Studiums viele gute Gespräche mit alten und/oder sterbenden Menschen. Auch hier wurde immer wieder deutlich dass wie bereits geschrieben die meisten eher das bereuen was sie nicht getan/erlebt/gesagt/.. haben als das was eben gewesen ist. Einer meiner Patienten fasste es in etwa so zusammen: leben Sie im heute, machen Sie das was Ihnen in den Kopf kommt, auch wenn es schief geht, probieren Sie sich aus und fürchten Sie nicht das, was sein könnte.

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Ich habe darüber neulich mit meiner Mutter und meiner Schwiegermutter gesprochen. Die sind zwar nicht ganz alt, aber eben auch schon ein paar Jährchen Großeltern. Auch mit meinem Opa habe ich schon darüber gesprochen (etwa 80). Ich hatte aber eher das Gefühl, dass auf der anderen Seite das Gras immer grüner ist.

Meine Schwiegermutter hat bereut, Hausfrau zu sein. Sie hat den Anschluss verloren nach 20 Jahre zuhause, schafft keinen Berufseinstieg mehr und sitzt einsam im zu großen Haus, während alle anderen ihr Leben leben und sie überhaupt nicht gewöhnt ist, sich irgendwie nach anderen zu richten.
Meine Mutter bereut, keine Hausfrau gewesen zu sein. Ihre Kinder seien so schnell groß geworden und mit dem Geld hätte sie sich letztlich auch nur Zeit kaufen können. Sie hat beruflich Karriere gemacht, meint aber das hätte sie jetzt wo die Kinder aus dem Haus sind auch machen können und dafür die Kinderzeit mehr genießen.
Mein Opa bereut, damals (1960/70er) eine konservative Rollenverteilung gewählt zu haben. Er sagt, er hat erst mit den Enkeln verstanden wie viel er bei seinen Kindern verpasst hat und das er das nicht nachholen kann, während seine Frau über immer belanglosere Themen redete und von einer Frauenrunde zur nächsten ging, obwohl ihr die Arbeit vor der Ehe riesen Spaß gemacht hatte und sehr gerne arbeiten gegangen wäre, es aber nicht ist, "weil die Frau muss ja bei den Kindern bleiben."


Ich denke, im Nachhinein betreut man immer das, was man nicht ausprobiert hat. Ich schätze wenn meine Schwiegermutter einen Winter mit kranken Kindern und Arbeit verbracht hätte, wäre sie wieder ganz gerne Hausfrau gewesen. Und wenn meine Mutter nicht direkt 3 Tage nach der Geburt wieder Vollzeut gearbeitet hätte sondern nach einem Jahr wieder eingestiegen wäre, hätte sie auch gemerkt dass Hausfrauen sein nicht nur in Ruhe Essen kochen und Kinder kuscheln ist.

Insofern - das einzige was ich daraus aus meinem Leben mitnehme, ist dass ich alles mache, was ich machen will. Mag egoistisch sein, aber ich will es mir eben nicht vorwerfen am Ende nicht einmal ausprobiert zu haben.

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Meine Oma (1936-2014) war die Königin der Reue. Sie war sehr unglücklich und froh, als sie sterben durfte.

Sie hat es bereut, nie in ihre Heimat zurückgekehrt zu sein.
Sie hat es bereut, “den falschen Mann” geheiratet zu haben. Sie hat das oft gesagt, nachdem sie bankrott waren. Hätte sie sich doch nur für den Fabrikbesitzer entschieden, der sie in ihren Zwanzigern heiraten wollte, dann hätte sie all die finanziellen Probleme nicht … Dass sie dafür jahrzehntelang einen sehr liebevollen Mann an ihrer Seite hatte, drei Kinder und sechs Enkelkinder hatte, hat sie leider nicht gesehen.
Sie hat bereut, nach der Geburt ihrer ältesten Tochter ihren Laden aufgegeben zu haben. Ab dann war sie Hausfrau und Mutter, obwohl es sie nicht erfüllt hat.

Meine andere Oma (*1940) ist viel pragmatischer. Wenn ich sie nach negativen Erfahrungen gefragt habe, hat sie immer nur gesagt: “Ändern kann man es nicht.” Und sich geweigert, überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden. Ihre Reaktion auf alles ist “Et kütt, wie et kütt.” (“Es kommt, wie es kommt.”). Und obwohl sie immer weiter abbaut, ist sie nie wehleidig.

Mein Opa (1930-2011) war sehr dankbar. Er hat nur mal gesagt, dass er es bereut hat, so viel gearbeitet zu haben, als seine Kinder jung waren. Als meine Mutter Kind und Jugendliche war, hat er sie unter der Woche morgens gar nicht gesehen und abends meistens nur kurz. Er hat das dann etwas ausgeglichen, als ich ein Kind war und war ein super toller engagierter Opa. Ich vermisse ihn immer noch schmerzlich.

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Ich bin 67 Jahre alt und ja, es ist einiges schiefgelaufen vor ca. 40 Jahren - aber um es bereuen zu müssen, würde ja voraussetzen, dass ich damals absichtlich falsch reagiert habe - und dem ist nicht so. Ich habe zwar oft unter äußeren Zwängen und damaligem Behördenirrsinn (Jugendamt😡) Fehler begangen, aber wollte für meine Familie immer nur das Beste und bin auch immer verlässlich hinter jedem in der Familie gestanden, unter allen Bedingungen. Ich habe mich bei den Betroffenen auch entschuldigt.
Also - ich bereue nichts. Hatte ein verrücktes Leben, habe jung alles mitgenommen, was sich Anfang der 70er an Verrücktem bot - und lebe auch heute noch recht gerne. Es ist nicht alles so, wie ich es mir wünschte, aber man kann wohl leider nicht alles haben im Leben, leider. Somit genieße ich das, was ich habe, eine tolle Tochterfamilie mit einer super Enkelin, die gaaanz viel von mir hat 😎 habe weitere tolle Familienmitglieder und ausreichend Freunde aller Altersgruppen, die mich nehmen, wie ich bin. Wenn dieses Sch**ß Corona endlich vorbei ist, möchte ich auch endlich noch ein paar Reisen machen. Nö, bereut wird nichts. Man kann die Vergangenheit ohnehin nicht nochmal leben, was hilft denn den Menschen das Bereuen? 😉
LG Moni

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Aloha,

ich habe eine wundervolle Großmutter (*1933), die Mutter meiner Mutter, die mir unglaublich viel gegeben hat und gibt, einfach durch ihre Geschichten und ihre Lebensweisheit.
Sie freut sich zum Beispiel für ihre Enkel und Urenkel, dass wir die Pille haben bzw. verhüten können - sie wurde beim ersten mal Sex mit meinem Großvater, kaum verstehend, was das eigentlich genau ist, schwanger mit meiner Mutter und sie haben sofort geheiratet, als sie schwanger war. 13 Monate nach meiner Mutter wurde meine Tante geboren. Es folgten noch drei weitere Kinder.
Sie liebt alle ihre Kinder, aber sie sagt, sie wäre natürlich nicht mit 17 ungewollt schwanger geworden, wenn sie aufgeklärt gewesen wäre und hätte verhüten können. Sie war immer froh, dass sie und mein Großvater sich geliebt haben und das sie eine glückliche Ehe geführt haben (mein Großvater ist leider vor knapp 14 Jahren gestorben).

Sie freut sich auch für uns, dass wir ganz einfach und selbstverständlich ein hohes Bildungsniveau haben, zur Schule gehen und studieren bzw eine Ausbildung machen konnten. Das konnte sie auch nicht. Nach dem Krieg war das für sie nicht möglich, dabei ist sie unglaublich gern zur Schule gegangen.

Dann freut sie sich für uns, dass wir nicht im Krieg aufwachsen mussten. Sie hat die Zeit des Nationalsozialismus und der Verfolgung erlebt und den Tod ihres Vaters kurz vor Kriegsende, danach das Leid ihrer Mutter.. es gibt noch unendlich viel mehr Dinge, die sie erzählt.

Ich bin unglaublich dankbar, dies aus erster Hand zu hören und zu wissen, wie ein Leben auch sein kann.. und auch sie bereut nichts, sie ist einfach traurig, dass die Umstände vieles nicht zugelassen haben.

Viele Grüße,

Ae

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So wie meine Mutter (60) sich immer oft äußert, hat sie es bereut, einen Landwirt geheiratet zu haben.

Sie kommt selbst aus einer landwirtschaftlichen Familie und fand es schlimm, dass ihre Eltern immer nur arbeiten mussten, nie in den Urlaub konnten.
Sie ist dann Kinderkrankenschwester geworden. Hat dann mit 29 Jahren meinen Vater geheiratet. (Sie fand ihn schon als Jugendliche toll).
Ist dann zu ihm auf den Hof gezogen, wo seine Eltern und zu Anfang noch 2 seiner Geschwister in einem Haus gewohnt haben. Sie hat sich unwohl gefühlt und das sehr lange! Hat nach dem 2. Kind ihren geliebten Job gekündigt und war sehr lange Hausfrau, Mutter und hat meinen Vater auf dem Hof unterstützt.
Dann der Geruch... das war das Schlimmste für sie. Sie hatte immer Angst, sie könnte nach Schwein riechen, konnte nur bei bestimmten Windrichtungen das Haus lüften oder die Wäsche aufhängen.
Naja...
Sie hätte meinen Vater immer genommen. Aber lieber als Arzt in einer Stadtvilla! 😄

Jetzt ist sie zufriedener. Die Schweine sind verkauft (lohnt sich finanziell nicht mehr) und es gab eine Aussprache mit den Schwiegereltern.