Vater alkohol- und krebskrank

Hallo!

Gerne möchte ich mal eure Meinung hören, wie ihr in meiner Situation denken würdet.

Meine Eltern haben mich (Ende 30) in einer netten Neubausiedlung mit Reihenhausgarten großgezogen. Mama lange Hausfrau, Papa einen gutbezahlten Job. Es war keine besonders tolle Kindheit, da meine Eltern recht lieblos waren und selbst miteinander auch nicht glücklich. Aber ich hatte immer meine Oma und kann insgesamt nicht klagen. Ich habe heute einen Job, den ich sehr mag, und ebenfalls ein nettes Häuschen in meiner Heimatstadt, einen tollen Mann und drei Kinder. Kurzum: Ich habe meinen Eltern viel zu verdanken und bin sehr glücklich in meinem heutigen Leben.

Meine Eltern trennten sich bald nach meinem Auszug. Das war Mitte der 2000er. Grund: mangelnde Liebe und vor allem wohl der Alkoholkonsum meines Vaters. Von dem habe ich in meiner Jugend allenfalls in den letzten 1-2 Jahren etwas gemerkt. Es gab immer häufiger mal ein "Schnäpschen zum Nachtisch" und er ging immer häufiger in den Keller zum "Wäsche machen und so" (heimlich trinken) und kam danach so komisch mit glänzenden Augen wieder hoch. Da zog sich immer mein Herz zusammen.

Die folgenden Jahre "feierte" mein Vater. Er ging weiter seinem Job nach, schick im Anzug. Und bei seinem Hobby, was er seit seiner eigenen Jugend betreibt, konnte er sich mit seinen "Freunden" ausleben. Dort wird seit jeher gerne gefeiert, auch wenn es eigentlich alles Sportler sind. Schon da distanzierten sich aber einige von meinem Vater, denn mal feiern ist das Eine, sich regelmäßig total abzuschießen das Andere. 2008 zogen mein Mann und ich nach dem Studium zurück in die Heimat und unser erstes Kind wurde geboren. Wann immer mein Vater zu uns kam, roch er nach Alkohol.

2010 wurde bei meinem nun allein im Haus lebenden Vater Krebs festgestellt. Laut ihm weit fortgeschritten mit Metastasen, alles zielt seitdem auf Lebensverlängerung und bislang lebt er zwar mit kleinen Einschränkungen, aber weiter in unserem Kindheitshaus. Dort war ich in den letzten 10 Jahren vielleicht 2-3mal. Er lässt das Haus völlig verkommen und ich ertrage es nicht. Einmal, als wir noch mit 2 Kindern zum Grillen bei ihm eingeladen waren, torkelte er betrunken gegen den Grill und lallte uns voll. Er selbst erzählt aber immer, wie toll alles läuft. Schlimm war gerade wieder die jetzige Weihnachtszeit - wie jedes Jahr. Fast täglich fährt er mit dem Bus zum Weihnachtsmarkt und lässt sich dort hemmungslos vollsaufen, kommt dann kaum heile heim. Er klagt über seine geringe Rente von über 2000€, die gar nicht mal so gering ist dank toller Betriebsrente, aber fast alles geht fürs Saufen auswärts drauf. Nicht mal ein neues Sofa, was er sich so wünscht, kann er sich angeblich leisten. Sparen Fehlanzeige

Wir haben den Kontakt auf das Nötigste beschränkt. Das bedeutet, wir laden ihn zu den Geburtstagen ein, feiern Heiligabend mit ihm und meinem Schwiegervater, der (glücklich) auch alleinstehend ist. Wenn unser jüngstes Kind (4) krank ist und niemand sonst Zeit hat, darf er vormittags auch mal eine Stunde oder zwei aufpassen. Da ist er dann auch völlig klar. Mehr niemals und niemals nachmittags.

Also kurzum: Es gibt Kontakt, aber wenig und meistens stresst es mich so, dass ich dann wieder Fingernägel kaue, innerlich total gereizt bin. Abbrechen mag und kann ich für mich den Kontakt aber auch nicht, denn er ist ja doppelt krank: Krebs und Alkohol.

Nun ist es so, dass sehr viele Bekannte von früher, Freunde und Bekannte ihn in betrunkenem Zustand erleben, z.B. zuletzt auf dem Weihnachtsmarkt. Wir wohnen zwar in einer großen Stadt, aber sie ist doch überschaubar groß (250.000 Einwohner) und so viele Leute kennen ihn und mich. Gestern wurde ich von einer älteren Bekannten in einem netten Gespräch darauf angesprochen und ich erkläre dann, dass er halt alkohol- und krebskrank ist und wir wenig Kontakt haben. Ich versuche also, mich zu distanzieren. Dennoch frage ich mich nach solchen Abenden wie gestern, wer ihn alles wohl so sieht und es ist mir sehr unangenehm.

Als Lehrerin bilde ich seit einiger Zeit auch Referendare aus. Ein Referendar aus meiner Gruppe hat nun zufällig dasselbe Hobby wie er, war nun häufiger bei diesen Treffen dabei (ist natürlich rund 40 Jahre jünger als er) und hat ihn wohl mittlerweile auch so erlebt. Mein Vater erzählte ihm wohl auch, wie toll alles mit seiner Tochter, also mir, läuft. Ich möchte nicht, dass die ganzen Referendare mitbekommen, was ich für einen Vater habe und dann reden, am Ende das sogar die Leitung hört und ich diesen tollen Zusatzjob verliere. Eigentlich kann mir sein Verhalten egal sein. Ich trinke nicht und bin nicht er. Aber es ist mir einfach peinlich.

Ist das normal? Was würdet ihr mir raten?

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Ich finde es schlimm. Anscheinend wurde der Mensch ewig lang im Stich gelassen. Oder wieso hat er bis heute keine Alkoholtherapie bekommen? Wo war die Mutter all die Zeit? Ja, der Mensch ist krank. Seit Jahrzehnten. Ich würde mich nicht für seine Sucht schämen. Die Familie hat es versäumt ihm zu helfen. Das ist für mich das tragische.

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Mh, mein Vater ist auch alkoholkrank. Uns haben sie bei der Beratung gesagt, er muss selbst einsehen, dass er eine Therapie braucht. Viele merken erst, dass sie krank sind, wenn sie niemanden mehr haben. Wir haben den Kontakt abgebrochen.

An die TE: Ist das bei euch ähnlich gewesen? Wie geht es deiner Mutter heute und hast du das Gefühl, sie hat ihn im Stich gelassen? Oder du?

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Nunja, ob er je eine Therapie begonnen hätte/wollte kann ich nicht heraus lesen. Ich habe keine Erfahrung mit alkoholkranken Leuten, aber mir tun diese Menschen leid. Bei der TE weiß ich ja nun nicht wie es überhaupt dazu kommen konnte. Vielleicht war er mit der Familiensituation überfordert, oder oder oder. Zumindest scheint er niemals gewalttätig gewesen zu sein im Rausch. Zu meinem Vater, der krank ist, aber das Herz sonst am rechten Fleck hat würde ich den Kontakt auf jeden Fall aufrecht halten.

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Du solltest zu einer Beratung gehen für suchtkranke Angehörige.

Ich weiß nicht, ob mir das peinlich wäre, weil ich niemanden habe, der alkoholkrank ist. Helfen kannst du ihm ja nicht, wenn er selbst nicht einsieht, dass er Hilfe braucht.

Aber bei Krebs wird er ja regelmäßig untersucht und behandelt. Wie macht er das da? Die Ärzte werden das doch sicher auch wissen?

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Ja, aber tatsächlich nimmt er uns nicht mit zu den Ärzten. Wir haben es ihm schon angeboten, ihn auch nach Untersuchungen oder Behandlungen zu fahren. Da er nicht einsieht, dass er alkoholkrank ist, wird er es auch vor den Ärzten leugnen, denke ich mal. Ich weiß nicht, ob die Ärzte ihn darauf ansprechen. Ich bin aber überzeugt, die wissen davon. Man riecht es halt immer und seine Blutwerte werden es sicherlich auch zeigen. Er ist regelmäßig beim Urologen, muss alle Jahr zur Darmspiegelung und dann werden die Metastasen untersucht (CT?).
Ich finde es so traurig. Wäre es der Papa, den ich aus meiner Kindheit kenne oder einer, wie ich Väter von Freunden erlebe, könnte man mit ihm zusammen bangen, ihn unterstützen. Er wäre immer noch mein Papa. So ist er aber unberechenbar, so allein, aber er will keine Hilfe. Der Alkohol macht alles kaputt.

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Vielleicht echt eine blöde Frage, aber aus deinem Text nicht ersichtlich: hast du schon mal ein richtiges Gespräch darüber mit ihm geführt? Also richtig auf die Tränendrüse etc und in zu einem Entzug überreden versucht? Ich kann jz nur für mich sprechen, ich würde ALLES versuchen um meinen Vater (der mir aber Wahrscheinlich auch ein viel besserer Vater war als deiner) davon wegzubringen. Warum du in 10 Jahren 2-3 mal dort warst verstehe ich auch nicht. Er ist krank, bekommt er denn keine Hilfe wenn er das Haus so verkommen lässt?

Es fällt mir schwer die Sache neutral zu sehen, aber ich lese aus deinem Text nur deine Scham ggüber anderen Menschen heraus. Was ihr als Familie aktiv tut/getan habt um ihm zu helfen, fehlt in deiner Ausführung komplett. Es ist dein Vater! Er wird nicht mehr lange da sein.

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Hallo
Ich kann voll und ganz nachvollziehen, wie es dir geht. Nur, dass es bei mir meine Mutter ist, die trinkt. Sie versucht es zu verheimlichen, aber ruft betrunken immer Gott und die Welt an und heult denen das Telefon voll.
Alle, die hier sagen, sie müsste ihm helfen und nach einer Therapie betteln, waren meiner Meinung nach noch nie in der Situation. Ich habe es selber im guten und im schlechten versucht. Mit Verständnis oder mit Druck. Meine Mutter trinkt seit über 20! Jahren. Ändern kann es nur sie selbst. Durch Druck hat sie zumindest bei der Caritas Therapiestunden für den ambulanten Entzug. Bisher gibt es aber keinerlei Besserung. Sie geht arbeiten und hält ihre Bude halbwegs ordentlich. Aber alles nur für den Schein. Sie ist vor 6 Monaten Oma geworden. Auch das war kein wirklicher Ansporn ihr Leben zu ändern.
Kontakt reduzieren kann ich leider auch nicht. Da bin ich wohl deiner Schwester ähnlich. Meine Schwester hat zu meiner Mutter nur aller nötigsten Kontakt zu Geburtstagen oder Weihnachten. Traurig alles, aber man kann solchen Leuten nicht wirklich helfen wenn sie nicht wollen ....

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Wie alt ist denn Dein Vater? Denn die Kombi ist ja nicht so schrecklich perspektivverlängernd... der krebsgeschwächte Körper kann den Alkoholenzug nicht und der alkoholgeschwächte Körper kann auch nicht mit Chemo und Bestrahlung umgehen.

Wegen der Referendare: Das sollten ja alles studierte und mehr oder wenige kluge Menschen sein, da würde ich an Deiner Stelle klar sagen, dass Du das Problem kennst, aber leider nur sehr begrenzt auf Deinen Vater einwirken kannst und das daher auch der Kontakt Grenzen hat. Vielleicht wird Dir dann auch der ein oder andere Referendar sagen, dass er das Problem aus der eigenen Familie kennt.

Ansonsten ist es eine Situation, für die es leider keine schöne Lösung gibt. Man kann keinen retten, der sich nicht retten lassen will. Du musst eine gangbare Lösung für Dich und Deine Familie finden, denn wie schon oben geschrieben, ich denke nicht, dass die Situation noch jahrzehntelang bestehn bleiben wird.