Verschobene Wahrnehmung: "Schrei mich nicht an"/ "Ich hab das ganz normal gesagt"

Hallo zusammen,

ich habe ein Problem mit meiner 7-Jährigen, das bereits mit verschiedenen Personen aufgetreten ist und bei dem ich etwas ratlos bin, wie ich ihr helfen kann.

Und zwar kommt es in letzter Zeit immer wieder vor, dass sie bei Kleinigkeiten aufbrausend reagiert und sofort laut und motzig wird. Meldet man ihr zurück, dass ihr Tonfall nicht in Ordnung ist, so ist sie fest davon überzeugt: "Das stimmt nicht, ich hab das ganz normal gesagt!"

Das alleine ließe sich vielleicht noch lösen. Was hinzu kommt: Äußert man ihr gegenüber Kritik, und sei sie noch so ruhig und sachlich formuliert, dann kommt in letzter Zeit häufig: "Hör auf, mich anzuschreien!"

Beides passiert unabhängig voneinander und mit verschiedenen Personen. Sie lässt dann auch nicht mit sich reden und stellt völlig auf stur, wenn man versucht, ihr zu erklären, dass ihre Wahrnehmung nicht stimmt.

Wir sagen ihr trotzdem ganz deutlich: "Doch, dein Ton war nicht in Ordnung und so reden wir nicht miteinander" (schicken sie auch aus dem Zimmer, wenn sie eskaliert) bzw: "Ich habe nicht geschrieen/ Oma hat nicht geschrieen, das stimmt einfach nicht" etc. Mehr ist aber auch nicht drin, weil sie dann völlig beleidigt dagegen argumentiert, uns nicht zuhört und schlichtweg dicht macht.

Spricht man sie später in Ruhe darauf an, geht sie sofort wieder an die Decke und besteht auf ihrer Wahrnehmung.

Ich überlege, deshalb einen Termin bei der Familienberatungsstelle zu machen. Aber ich dachte, ich frage vorher nochmal hier nach. Vielleicht kennt ja jemand solche Situationen und hat eine gute Lösung gefunden/ einen Vorschlag, den ich ausprobieren kann.

LG haseimpfeffer

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Könnt ihr im Spiel mal erkunden, wie sich gegenseitig bestimmte Lautstärken anfühlen? Von Flüstern über Reden zu lautem Reden bis hin zum Brüllen. Dann macht der eine eine Lautstärke, der andere darf sagen, welche das war, bei korrekter Antwort gibt's nen Punkt, meiste Punkte nach elf Runden haben gewonnen. Als Vorlage Unsinnssätze, ein Ringelnatz-Gedicht oder sonstwas. :)

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Die Idee finde ich super. Das wäre auch etwas, das ihr liegt. Vielen Dank dafür! #herzlich

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Mein Kleiner ist auch sehr ähnlich. 😅
Ein Patentrezept hab ich leider auch nicht, allerdings habe ich mit ihm in einem ruhigen Moment vereinbart, dass ich in solchen Situationen ein Video machen darf, das wir uns dann später anschauen können- dann können wir gemeinsam schauen, was den anderen genau gestört hat.

Als ich schon merkte, jetzt wird er wieder an die Decke gehen, hab ich unauffällig das Handy mitlaufen lassen - und später, als sich alles beruhigt hat, haben wir es uns gemeinsam kommentarlos angeschaut. Er war komplett entsetzt, hat darauf bestanden, dass wir es sofort löschen (hab ich natürlich gemacht) und ist brüllend rausgelaufen. Er wollte dann ca 30 Min keinen sehen und war offenbar ernsthaft erschüttert. Seitdem ist zumindest seine Einsicht wesentlich besser - die Situation an sich leider noch nicht 😅🙈. Aber er glaubt uns jetzt wenigstens 🤷‍♀️.

Das ist halt ein schmaler Grat, dessen bin ich mit bewusst. Ich wollte ihn auf keinen Fall beschämen etc- darum war es mir sehr wichtig, dass wir das mit der Kamera quasi als "neutralen Faktor" gemeinsam vereinbaren. Und ich hab auch beim späteren gemeinsamen Anschaun darauf geachtet, nichts zu kommentieren (also kein "schau, das ist doch laut" etc, sondern nur das Video wirken lassen). Und ich hab es sofort gelöscht, nachdem er es gesehen hat.

Wie gesagt: er weiß jetzt, dass diese Situationen objektiv nicht "normal und ruhig" sind - und ist zumindest im Anschluss nicht mehr so bockig, man kann besser darüber reden, was passiert ist und warum. Aber das eigentliche laut werden und an die Decke gehen ist leider noch nicht wirklich besser. 😅

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Wobei ich gerade sehe- deiner ist ja schon 7, meiner ist 5... Mit 7 sollte er da langsam schon etwas mehr Kontrolle haben. Ist das schon länger so? Dann wäre evtl. wirklich mal eine Beratungsstelle was?

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Danke für deinen Beitrag. Ich bin erstmal froh, zu hören, dass ich nicht alleine dastehe.
Filmen hatte ich auch überlegt, stelle mir das aber schwierig vor, weil solche Situationen doch sehr unvorhergesehen entstehen und das heimliche Filmen schwierig würde. Aber vielleicht überlege ich, wie ich das nicht doch irgendwie möglich machen könnte.

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Also du hast den Eindruck das deine Tochter das tatsächlich selbst glaubt?
Keine Trotzreaktion mit der Flucht nach vorn in dem sie euch die Schuld gibt (anschreien) oder Fehlverhalten einfach abstreiten will?
Wenn sie wirklich eine verschobene Wahrnehmung hat wäre mein erster Weg zum Kinderarzt. Ich kann mir nicht vorstellen das eine Beratungsstelle da groß was machen kann.
Oder warst du schon beim Arzt?
Ein SPZ könnte helfen. Vielleicht auch Ergotherapeuten. Aber für alle bräuchtest du eine Überweisung vom Kinderarzt.
Der Arzt wird dir sagen was als Nächstes zu tun ist.
Fällt euch das speziell nur bei diesem Thema auf? (Dann vielleicht doch einfach bockig oder trotzig) oder auch in anderen Bereichen? Wenn etwas mit der Wahrnehmung nicht stimmen sollte, denke ich das man das auch in anderen Situationen merken würde.
Aber ich bin kein Arzt.

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*Also du hast den Eindruck das deine Tochter das tatsächlich selbst glaubt?
Keine Trotzreaktion mit der Flucht nach vorn in dem sie euch die Schuld gibt (anschreien) oder Fehlverhalten einfach abstreiten will?*

Danke, dass du so aufmerksam gelesen hast. Du hast genau den Punkt getroffen, in dem ich mir so unsicher bin.
Ich weiß nicht, inwiefern der Kinderarzt da weiterhelfen kann und auf SPZ Termine wartet man hier bis zu anderthalb Jahre. Deshalb dachte ich erstmal an die Beratungsstelle.

Wir waren dort bis vor Kurzem angebunden, weil der Kindsvater ohne Krankheitseinsicht an Schizophrenie erkrankt ist, was vor zweieinhalb Jahren zur Trennung geführt hat. Meine Tochter hat in der EB bis vor einigen Wochen an einer Therapiegruppe für Kinder psychisch kranker Eltern teilgenommen. Ich habe beim Abschlussgespräch die Rückmeldung bekommen, dass sie die Situation gut verkraftet hat, sehr resilient ist und dass ich viel richtig machen würde, was ihr wohl geholfen hat, die Krankheit ihres Vaters psychisch zu integrieren.

Ich habe das ganz bewusst nicht gleich im Ausgangspost geschrieben, weil ich nicht sicher bin, ob da ein Zusammenhang besteht. Ein willensstarker Charakter war sie nämlich von Geburt an. #schwitz Und ich find es schwierig, jetzt alles herunterzubrechen auf: "Das kommt daher, weil der Vater..."

Deshalb wollte ich hier erstmal ganz allgemein nachfragen. Wenn das nicht weiterhilft, mache ich auf jeden Fall nochmal einen Termin bei der Erziehungsberatung.

LG

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Ich kenne mich mit Schizophrenie nicht aus, aber ich weiß, dass das erblich ist und bei Kindern Fehlüberzeugungen, die mit Fehlinterpretation von Wahrnehmungen oder Erlebnissen einhergehen zu den Symptomen gehören können.

Im Zweifel vielleicht auch in diese Richtung denken.

Bearbeitet von Skorgla
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Das hilft dir jetzt leider nicht, aber mein Mann kämpft damit noch mit 47 🤪

Wenn ich seinen Ton zu aggressiv oder laut finde kann er das gar nicht nachvollziehen, andersrum wirft er mir vor ihn "anzupampen" wenn ich Kritik äußere.
Kommt zum Glück nicht (mehr?) oft vor, aber kann echt frustrierend sein...

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Ist hier auch so, ich und mein Partner geben uns da nichts.

An die TE:

Bei unserem Kind hilft in 95 Prozent etwas zu essen oder ihn für eine "große Sitzung" auf Toilette zu schicken.

Vielleicht einmal das Gehör überprüfen lassen.

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Hm, ich frage mich gerade, wie man da einen Maßstab festlegt. Wir alle nehmen doch Dinge unterschiedlich wahr, das finde ich völlig nomal. Natürlich auch Lautstärke, nicht nur im Gespräch, sondern im kompletten Alltag.

Ich selber spreche zB beim Telefonieren angeblich total laut, behauptet nicht nur mein Mann. Ich selber empfinde das überhaupt nicht so, denke natürlich darüber nach. Beim nächsten Telefonat versuche ich leiser zu sprechen und werde das Gefühl nicht los, das ich so leise spreche, das man mich gar nicht mehr verstehen kann. Echt ein Dilemma, denn es gibt da nun mal keinen Maßstab, keinen Pegel woran ich mich orientieren kann....außer die Stimmen, die behaupten ich spreche zu laut. Sind die jetzt zu empfindlich oder ich wirklich zu laut?

Deine Tochter ist doch sicherlich im Kindergarten gewesen, jetzt in der Schule. Das sind beides Orte mit einer extremen Grundlautstärke und ich habe die Feststellung gemacht, das sich die Kinder dort ausschließlich durch ihre Lautstärke Gehör verschaffen können. Das prallt hier auch öfter aufeinander, wenn das Kind noch im "Schulmodus" ist, finde ich jetzt aber nicht schlimm.

Und deine Tochter werden deine Ansagen beschäftigen, für mich ist also ihr "Schrei mich nicht an." einfach nur das Ergebnis davon. Es klingt für mich, als wenn ihr aneinander vorbeisprecht bei dem Thema.

Ich denke auch, das man automatisch seinen Ton erhebt, wenn man sauer ist. Das liegt für mich in der Natur der Sache. Von daher mache ich bei Streitigkeiten keine zweite Baustelle auf, in dem ich über die Lautstärke diskutiere. Ich kann einen Cut machen, die Diskussion beenden und auf später verschieben, wenn beide Seiten sich wieder beruhigt haben. Einfach nach dem Motto: So kommen jetzt wir hier nicht weiter. Gerade weil mir wichtig ist, das eigentliche Problem zu lösen, würde ich dann auch gar nicht immer wieder mit der Lautstärke anfangen.

Was mir jetzt wirklich einfallen würde, das wäre eine Untersuchung beim HNO Arzt, eher Pädaudiologen. Mein Gehör hat einen ziemlichen Schlag weg, wer das nicht kennt, der kann einfach nicht verstehen, wie ich höre. Bestimmte Töne kann ich nicht mehr wahrnehmen, dafür bohren sich andere Töne/Stimmen gefühlt fast bis ins Gehirn. Es kann also durchaus passieren, das ich eine laute Stimme in einer bestimmten Tonlage kaum verstehen kann, dafür aber eine leise Stimme in einer anderen Tonlage echt als penetrant empfinde. Als 7jährige würde ich es wohl als "anschreien" einordnen.

Und ganz zum Schluß komme ich eigentlich wieder auf den ersten Absatz, ich kann mir durchaus vorstellen, das sie bockig reagiert weil man ihr permanent ihre Wahrnehmung abspricht....deswegen fände ich den Besuch beim Pädaudiologen auch sinnvoll. Und ja, der Vorschlag von Selma. ist gold wert, er kann wirklich deutlich machen, wie unterschiedlich Menschen wahrnehmen. Das würde ich sogar noch vor einem Termin ausprobieren, kann für beide Seiten sehr bereichernd sein.

Bearbeitet von Ackerwinde-go
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So auf Anhieb würde ich auf ein Wahrnehmungsproblem tippen, sowohl Fremd-, als auch die Selbstwahrnehmung betreffend.
Ja, da würde ich auch jemanden fragen, der sich damit auskennt.
Familienberatungsstelle ist ein guter Ort dafür.

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Hallo,

unsere Tochter (ebenfalls 7) ist genauso. Deine Beispiel passen 1:1.
Auf die Idee, deshalb eine Beratungsstelle aufzusuchen, sind wir aber bislang nicht gekommen. Auch wenn ich da jetzt so drüber nachdenken, fände ich das nicht nötig. Wir haben aber auch keine Schizophrenie in der Familie zu berücksichtigen, da sieht das Ganze dann vielleicht noch mal anders aus.
Wieso wir uns keine Sorgen machen:
- Ich war in dem Alter selbst sehr aufbrausend und habe mich auch oft mit Klassenkameraden geschlagen deswegen. Das war dann irgendwann vorbei.
- Wird nicht jeder lauter in einer Streitsituation und merkt es nicht selbst? Wir schon, sowohl mein Mann als auch ich. Auch die Wortwahl ist dann nicht wie gewohnt.
Ein Video aufnehmen und zeigen finde ich tatsächlich eine prima Idee und werde das wohl auch selbst mal machen :-)

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Vielen Dank für deine Antwort!

Tatsächlich ist es auch nicht mehr vorgekommen, seit ich diesen Thread verfasst habe. ;-)
Ja, ich bin wahrscheinlich durch unsere Geschichte etwas sensibler. Zumal mir einfach auch der Abgleich mit einem Partner fehlt ich muss ja alles alleine verantworten.

Deshalb ist es auch ganz gut, dass es Foren wie dieses gibt. :-)

LG