Fehl- und Totgeburten verarbeiten

Sternenkinder: Mit Ritualen Abschied nehmen

Jedes Jahr kommen in Deutschland mehr als 2.000 Kinder tot zur Welt. Doch noch immer sind Fehlgeburten und Totgeburten ein Tabuthema. Das macht es den betroffenen Eltern schwer, Abschied von ihrem Kind zu nehmen. Individuelle Rituale können ihnen helfen.

Autor: Heike Byn

Nach der Fehlgeburt: Trauern um das verlorene Kind

Sternenkinder Rituale
Foto: © www.dein-sternenkind.eu

Die meisten Frauen wissen heute dank moderner Schwangerschaftstests oft schon in der 5. Woche, dass sie schwanger sind. Kurz darauf halten sie bereits die ersten Ultraschallbilder in den Händen und bauen damit schon früh eine enge Beziehung zum Kind auf. Für sie macht es keinen Unterschied, ob sie ihr Kind in einem frühen oder in einem späteren Stadium verlieren und ob es sich per Definition um eine Fehlgeburt oder eine Totgeburt handelt – die Trauer ist riesengroß. „Wochenlang habe ich mir die Augen aus dem Kopf geweint", erzählt eine trauernde Mutter im urbia-Forum „Trauer & Trost" über die Zeit nach einer frühen Fehlgeburt. Auch Jahre später kommen ihr manchmal noch die Tränen, wenn sie sich an ihr verlorenes Baby erinnert.

Eltern reagieren mit Depression und Schuldgefühlen

„Es ist ganz normal, dass Frauen nach einer Fehlgeburt oder Totgeburt viel weinen und sehr oft an ihr Kind denken. Auch Schock, Depression, Erschöpfung und Schuldgefühle sind an der Tagesordnung", erzählt die Psychologin Annekathrin Bergner von der Berliner Charité. Gemeinsam mit Kollegen hat sie in einer Langzeitstudie untersucht, wie Frauen auf eine Fehlgeburt reagieren. Nach ihren Erkenntnissen ist es für die Trauerarbeit enorm wichtig, dass sich betroffene Eltern klar machen, keine Schuld an der Fehlgeburt zu tragen. Stattdessen sollten sie bereit sein, den Schmerz miteinander zu teilen und sich Zeit zum Trauern nehmen. Denn nicht nur die Frauen leiden, auch für die Männer ist die Situation oft unerträglich: Während Freunde und Familie der verwaisten Mutter Trost und Mitgefühl spenden, fragt das Umfeld nur selten nach den Gefühlen des Vaters.

Sternenkinder: Seit 2013 Recht auf Namen und Grab

Zum Abschied von einem sogenannten Sternenkind gehört heute selbstverständlich dazu, dass Eltern den Tod ihres Kindes beim Standesamt beurkunden lassen und es auch auf einem Friedhof bestatten können. Das war aber nicht immer so: Lange Zeit machte die Rechtsprechung nämlich einen Unterschied zwischen Fehlgeburten und Totgeburten. Wog das Kind mehr als 500 Gramm, galt es im Sinne des Gesetzes als „tot geborenes" oder „bei der Geburt verstorbenes" Kind, also als Totgeburt. Wog es weniger als 500 Gramm, handelte es sich um eine Fehlgeburt und hatte demnach kein Recht auf einen eigenen Namen, eine Sterbeurkunde und auch nicht auf eine Bestattung. Für betroffene Familien ein unerträglicher Zustand. Erst seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2013 gelten auch Kinder unter 500 Gramm Gewicht als natürliche Personen mit all ihren Rechten. Genauer: Seither können Fehlgeburten und Totgeburten ohne Nachweis ihres Gewichts standesamtlich beurkundet werden. Hat das Kind einen Namen, hat es also auch einen Anspruch auf ein eigenes Grab.

Rituale für den Abschied: Notfallkistchen und Sternenkinderhimmel

Wenn ein Baby tot zur Welt kommt, fühlen sich viele Eltern mit der Situation überfordert und brauchen Zeit, bis sie es in den Arm nehmen können. Rituale können ihnen dabei helfen. Auf Anregung der Initiative Schmetterlingskinder betten inzwischen immer mehr Kliniken tote Babys in ein sogenanntes Notfallkistchen. Es gibt den Eltern die Möglichkeit, sich ihrem Kind behutsam und langsam zu nähern. Die kleine Box enthält von Spendern selbstgenähte und gestrickte Kleidungsstücke, die meist die Hebammen den Babys anziehen. Einige Eltern scheuen vor der Berührung ihres Kindes zurück, weil es ihnen so zerbrechlich erscheint. Durch die Kleidung verlieren sie diese Scheu. Auch die in Großbritannien gegründete Aktion Cherished Gowns for Angel Babies, die mittlerweile auch in Deutschland vertreten ist, schenkt kleinen Sternenkindern eine angemessene Kleidung. Die Aktivisten nähen sie aus ehemaligen Brautkleidern. Ein besonderes Abschiedsritual hat das dreifach verwaiste Paar Barbara und Mario Martin für trauernde Eltern geschaffen. Auf der Website der Familie Martin können Eltern ihre Sternenkinder mit Namen, Geburtsdatum, einem Foto und persönlichem Abschiedsgruß in einem virtuellen Sternenhimmel verewigen.

Sternenkinder: Ideen für einen liebevollen Abschied

Während es manchen Paaren hilft, beim Abschied von ihrem Kind nicht alleine zu sein und die Trauer mit Familie und Freunden zu teilen, ziehen sich andere Paare lieber in die Zweisamkeit zurück. Schließlich läuft der Trauerprozess bei jedem unterschiedlich ab. Alles, was einem Paar guttut, ist richtig. „Wenn sich ein Paar in Ruhe und individuell von seinem Baby verabschieden kann, so hilft das ungemein, das Erlebte zu verarbeiten. Liebevolle und stimmige Abschiedsrituale geben den Eltern die Möglichkeit, sich später zu erinnern, ohne dass die alte Wunde immer wieder aufreißt", betont die Berliner Psychologin Annekathrin Bergner.

Auch diese Abschiedsrituale können Paaren helfen:

  • Hilfe und Rat holen: Wenn ihr euch überfordert fühlt, dann holt euch die Hilfe, die ihr im Krankenhaus und zu Hause braucht – eine einfühlsame Hebamme, eine begleitende Psychologin, gute Freunde und/oder verständnisvolle Familienmitglieder.
  • Ultraschallbild aufbewahren: Eine bleibende Erinnerung kann auch das letzte Ultraschallbild des Kindes sein. Denkt daran, es ggf. umzukopieren oder zu digitalisieren. Ultraschallbilder auf wärmeempfindlichem Papier verblassen nämlich schnell.
  • Dem Kind einen Namen geben: Ganz egal, wie klein es ist und zu welchem Zeitpunkt sie es verloren haben – viele Paare geben dem Baby einen Namen. So müssen sie später nicht nur von „der Fehlgeburt" reden.
  • Zeit für den Abschied lassen: Nehmt euch für den Abschied die Zeit, die ihr braucht – wie lange das ist, entscheidet nur ihr allein.
  • An Fotos oder Videos denken: Auch wenn es euch zunächst vielleicht unpassend scheint: Ein Foto mit dem Baby hilft euch, die Erinnerung zu bewahren. Über die Website der Initiative „Dein Sternenkind" finden Eltern Fotografen, die spendenfinanzierte, kostenlose Aufnahmen übernehmen.
  • Fuß- und Handabdruck machen: Ihr könnt z.B. die Hebamme bitten, Abdrücke der kleinen Hände und Füße mit einem Stempelkissen zu machen.
  • Haarlocke und Namensbändchen aufbewahren: Manche Babys haben schon früh viele Haare. Zur Erinnerung könntet ihr ihm eine Locke abschneiden und/oder euch von der Hebamme ein Namensbändchen für euer Kind schreiben lassen.
  • Geburts- oder Todeskarten gestalten: Habt ihr das Bedürfnis, den Tod eures Kindes auch anderen mitzuteilen? Dafür könnt ihr Karten oder eine Zeitungsanzeige gestalten.
  • Erinnerungsstücke schaffen: Für viele Paare ist es wichtig, alle Erinnerungstücke gut aufzubewahren. Vielleicht gestaltet ihr auch selber welche? Ihr könnt z.B. ein Seidentuch in der Mitte durchschneiden, davon eine Hälfte dem Sarg beilegen, die andere behalten.
  • Jahrestage eintragen: Manche Paaren entscheiden sich dafür, Erinnerungstage an ihr Baby – wie den errechneten Geburtstermin oder seinen Geburts-/Todestag – in den Kalender einzutragen.
  • Eine Kerze basteln: Für die Beerdigung oder als Erinnerung für daheim könnt ihr eine Trauerkerze selbst gestalten, indem ihr einen Kerzenrohling mit den passenden Materialien dekoriert.
  • Plazenta vergraben: Es ist ein uralter Brauch, die Plazenta „Mutter Erde" zurückzugeben und einen Baum darauf zu pflanzen. Warum sollten Sternenkinder nicht auch solch einen Lebensbaum bekommen?
  • Bäumchen pflanzen: Natürlich könnt ihr auch einfach so ein Bäumchen für euer Baby pflanzen: Im eigenen Garten, im großen Kübel auf dem Balkon oder irgendwo in einem Wäldchen kann es euch an das Kleine erinnern.
  • Einen Ort zum Trauern schaffen: Es ist schön und wichtig, einen Ort für die eigene Trauer zu haben. Das kann ein Grab auf dem Friedhof sein, aber auch ein besonderer Platz zu Hause, den ihr mit Fotos und Andenken gestaltet.

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