Eine Hebamme im Interview

Jede Geburt ist eine Wundertüte

Sie weiß Antwort auf alle Fragen, und das zu jeder Tages- und Nachtzeit: die Hebamme. Was sonst noch zu ihren Aufgaben gehört und was ihren Job so spannend macht, erfahren Sie im urbia-Interview mit Gabriele Hesse.

Autor: Carina Tillmann

Die Arbeit als Hebamme: Immer wieder spannend und überraschend

Gabriele Hesse

Gabriele Hesse, im urbia-Forum als "hebigabi" unersetzlich, ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Ihre beiden Geburten bezeichnet sie rückblickend als "anstrengend, aber sehr erlebenswert". So erlebenswert, dass sie bereits seit 23 Jahren als Hebamme tätig ist und werdenden Müttern (und natürlich auch den Vätern) mit Rat und Tat zur Seite steht. Im Interview spricht sie über den Beruf der Hebamme, über die Veränderungen in der Geburtshilfe und gibt nützliche Tipps für werdende Eltern.

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Gabriele Hesse: Ich war schon immer ein offener Mensch und wollte auch immer menschenbezogen arbeiten. Den direkten Kontakt zu Menschen stellte ich mir spannender vor als den ganzen Tag im Büro zu sitzen. Das wäre nichts für mich gewesen. Und ich fand Babys immer ganz niedlich und Schwangere ganz interessant. Vor meiner Ausbildung war ich mir noch nicht sicher, ob der Beruf wirklich das Richtige für mich ist. Aber mit der Ausbildung wusste ich "Ja! Das ist es!". Nun bin ich seit 23 Jahren dabei.

Was gehört zu den Aufgabengebieten von Hebammen?

Gabriele Hesse: Hebammenhilfe umfasst die Beratung und Betreuung während Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit. Sie ist Beratung, Begleitung und Versorgung von Mutter und Kind. Hebammenhilfe kann von jeder schwangeren, gebärenden oder entbundenen Frau in Anspruch genommen werden. Die Frau kann sich direkt an die Hebamme wenden, die Kosten übernimmt die Krankenkasse. Privat Versicherte müssen sich über ihre Leistungsansprüche bei ihrer privaten Krankenversicherung informieren.

Was mögen Sie an Ihrem Beruf?

Gabriele Hesse: Jede Geburt ist eine Wundertüte... Weil jede Geburt in sich wieder völlig anders verläuft und es daher immer wieder eine Überraschung ist, was dabei passiert und herauskommt. Ich mag vor allem, dass ich durchaus eine sehr persönliche Beziehung zu den Frauen aufbauen kann und finde es spannend, die Entwicklung einer Partnerschaft hin zur Elternschaft zu beobachten, gerade beim ersten Kind. Die Entwicklung des Kindes/der Kinder ist auch etwas, das ich genieße miterleben zu dürfen, weil meine Kinder mittlerweile schon recht groß sind und ich einfach finde, dass die Zeit dabei rasend schnell vergeht – leider.

Und was mögen Sie daran weniger?

Gabriele Hesse: Das Selbstverständnis mancher Eltern und deren Anspruch, dass die Hebamme immer da ist. Ich würde mir wünschen, dass die Eltern mehr abwägen würden, ob es sein muss, mitten in der Nacht, zum Beispiel wegen Verdauungsproblemen, anzurufen. Es wäre schön, wenn Hebammen auch ein Privatleben zugestanden werden würde.

Ohne Technik-Koffer und den werdenden Vater nicht in den Kreißsaal?

Gibt es etwas, das sich in den letzten Jahren in ihrem Beruf verändert hat?

Gabriele Hesse: Die Tendenz geht auf jeden Fall dahin, dass sehr, sehr viel technisiert wird. Überspitzt ausgedrückt, teilweise wird die Schwangerschaft unter absolut pathologischen Gesichtspunkten gesehen. Es gibt immer ein Risiko, daher gehen viele Frauen sehr oft zum Arzt und lassen sich ständig von ihm untersuchen. Irgendwo ist immer ein Risikofaktor zu finden. Ich habe den Eindruck, dass, je mehr Ultraschall gemacht wird, desto ängstlicher werden auch die Frauen. Früher wurden Ultraschall-Untersuchungen nicht so häufig durchgeführt wie heute. Dabei ist es bewiesen, dass es dadurch nicht mehr gesunde Kinder in Deutschland gibt, nur weil mittlerweile deutlich mehr Ultraschall gemacht wird. Die Frauen sorgen sich ständig, ziehen das Internet zu Rate und diskutieren jede kleinste Sorge in verschiedenen Foren, was denn nun dieses oder jenes bedeuten könnte, anstatt sich einfach mal zurückzulehnen. Ich bewundere die Frauen, die sich einfach mal auf sich und ihr Kind im Bauch verlassen. Auch das Anspruchsdenken der Frauen hat sich damit verändert. Als guter Arzt gilt heute der Arzt, der die meisten Ultraschalls macht.

Welche Rolle spielen die Väter heute vor und bei der Geburt?

Gabriele Hesse: Die Väter werden heute von Anfang an mit einbezogen und die meisten von ihnen möchten auch mit dabei sein. Sie spielen heute eine größere Rolle, da sie ja auch nach der Geburt ganz anders mit einbezogen werden, als es früher der Fall war. Sie tragen eine andere Verantwortung und werden mehr in die Erziehungsproblematik mit einbezogen. Wenn man sie von Anfang an mit einbezieht, sind sie um so glücklicher, im Kreißsaal etwas tun zu können. Viele Frauen sagen auch: "Ohne meinen Mann hätte ich es nicht geschafft!" Das ist natürlich nicht so, zeigt aber gleichzeitig, wie viel Gutes ein Mann seiner Frau tun kann, wenn er weiß, wie er sie im Kreißsaal unterstützen kann. Viele Männer, die es anfangs noch für eine "Modeerscheinung" hielten, dass sie dabei sein sollten, bedanken sich nach der Geburt bei mir, dass sie "so etwas" miterleben durften.

Kaiserschnitt auf Bestellung - mit der richtigen Vorsorge kein Thema

Was halten Sie von der steigenden Kaiserschnittrate?

Gabriele Hesse: Ich finde es, offen gesagt, ganz schlimm. Keine Frau kann beurteilen, wie stark die Schmerzen bei einer Geburt sind, wenn sie vorher nicht schon einmal entbunden haben. Von Vornherein einen Kaiserschnitt zu verlangen, finde ich absolut nicht gut. Das ist einfach nur schade für alle Parteien. Aber leider geht die Tendenz dahin. Bei schlechten Erfahrungen oder körperlichen Gründen wie beispielsweise einem Bandscheibenvorfall verstehe ich es voll und ganz. Aber wenn man nicht beurteilen kann, wie schmerzhaft eine Geburt ist, dann muss es doch wirklich nicht sein.

Stichwort Schwangerschaftsvorsorge: Was spricht dafür, sie von einer Hebamme machen zu lassen?

Gabriele Hesse: Hebammen bieten im Prinzip das, was Ärzte auch bieten. Aber statt per Ultraschall zeigen wir den Frauen, wie sie durch Tasten genauso gut feststellen können, wie das Baby liegt und wie groß es ist. Teilweise geht das sogar viel besser als per Ultraschall, meist liege ich mit meinen Angaben genauer als der Arzt. Ein wesentlicher Vorteil ist vor allem auch der Zeitfaktor. Pro Termin nehmen wir uns locker eine Stunde Zeit, das kann kein Arzt leisten. Auf eine Hebamme können viele Frauen außerdem ganz anders zugehen als auf einen Arzt, da das Verhältnis meist ein persönlicheres ist. Wir stehen den Frauen in allen Lebenslagen und zu jeder noch so intimen Frage mit Rat und Tat zur Seite, ob es nun um optische Veränderungen des Geschlechtsorgans oder um Praktiken beim Geschlechtsverkehr geht. Peinlichkeitsgefühle brauchen im Gespräch mit einer Hebamme gar nicht erst aufzukommen!

Gold wert: Gute Geburtsvorbereitung mit der Hebamme, die zu mir passt

Was verstehen Sie unter einer guten Geburtsvorbereitung?

Gabriele Hesse: In meiner Geburtsvorbereitung habe ich die Frauen an die richtige Wehenatmung herangeführt und ihnen Positionen an die Hand gegeben, die sie auch zu Hause üben konnten. Ich habe die Männer mit einbezogen und beiden das Vertrauen auf ihr Bauchgefühl ans Herz gelegt. Ich mache nicht stundenlang Gymnastik mit den Frauen, schließlich sollen sie nicht durchtrainiert in den Kreißsaal gehen, sondern mit ihren Wehen umgehen können. Da aber jede Frau Wert auf eine andere Art von Geburtsvorbereitung legt, sollte sie sich bei all den Angeboten von Seiten der Hebammen das für sie Passende herausfiltern.

Worauf sollte ich bei der Suche nach (m)einer Hebamme achten?

Gabriele Hesse: Sie sollte zum eigenen Anspruch passen. Meist merkt man schon am Telefon, ob die Chemie untereinander stimmt. Was ich sehr unschön finde, ist das “Hebammen-Hopping”, das zurzeit aufkommt. Frauen bestellen sich z. T. stündlich eine Hebamme nach der anderen zum “Vorstellungsgespräch” nach Hause. Natürlich sollte man die Hebamme seiner Wahl finden, aber ob man dafür wirklich einen Nachmittag lang testen muss, wage ich zu bezweifeln. Auch hier schlage ich vor: Einfach mal aufs Bauchgefühl hören!

Wie wird es eine gute Geburt?

Was ist eine tolle Voraussetzung für die Geburt?

Gabriele Hesse: Ganz klar: Entspanntes Denken! Die meisten Frauen verbeißen sich in feste Vorstellungen, wie es abzulaufen hat. Den größten Einfluss hat aber das Kind im Bauch. Es sitzt von Anfang an am längeren Hebel. Wenn etwas nicht so läuft wie geplant, dann macht die Frau Abstriche, nicht das Baby. Das Kind geht immer vor. Je mehr die Frau also für alles offen bleibt, ob nun für Schmerzmittel oder für andere Positionen, desto besser flutscht auch die Geburt. Dann geht's meistens ganz zügig.

Hausgeburt oder Krankenhaus: Für wen eignet sich welche Geburt?

Gabriele Hesse: Eine Hausgeburt ist nur etwas für Frauen, die sich gut von ihrem Bauchgefühl leiten lassen können. Also nicht für Frauen, die jedesmal einen Ultraschall möchten. Wem Technik ein gutes Gefühl gibt, der sollte auf jeden Fall im Krankenhaus gebären. Natürlich muss auch der Schwangerschaftsverlauf berücksichtigt werden bei der Entscheidung, wo das Kind zur Welt gebracht werden soll. Was aber nicht bedeutet, dass eine Risikoschwangerschaft automatisch eine Risikogeburt bedeutet. Die Anzahl der Hausgeburten ist immer noch relativ gering, da sich die meisten Frauen eben nach Technik sehnen.

Und was halten Sie vom Geburtshaus?

Gabriele Hesse: Das Geburtshaus ist ein gutes Mittelmaß zwischen Klinik- und Hausgeburt. Es gibt einen gewissen Anteil an Technik in dennoch entspannter Atmosphäre, ein Arzt ist nur dabei, wenn die Hebammen der Meinung sind, dass es wirklich notwendig ist. Und wenn es hart auf hart kommt, geht es eben doch ins Krankenhaus.

Das Baby ist da. Und jetzt?

Was raten Sie Eltern nach der Geburt?

Gabriele Hesse: Nach der Geburt sollten sich die Eltern erst einmal zurückziehen. Dann heißt es am besten “Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe!”. Sie sollten auf ihre innere Stimme hören im Umgang mit dem Neugeborenen und sich nur auf eine Meinung, die der Nachsorgehebamme, einlassen. Bei ambulanten Geburten, nach denen die Frauen recht schnell wieder nach Hause kommen, beobachte ich, dass sie meist besser klarkommen als die Frauen, die noch sechs Tage im Krankenhaus verbracht haben. Dort gibt es nämlich ganz viele verschiedenen Meinungen, denen man Glauben schenken könnte und passt sich vor allem dem Tagesablauf des Krankenhauses an. In den eigenen vier Wänden kann man seinem gewohnten Tagesablauf nachgehen und fühlt sich in der vertrauten Atmosphäre einfach gleich viel wohler.

Was hat sich beim Thema Stillen in den letzten Jahren getan?

Gabriele Hesse: Meiner Meinung nach ist es konstant geblieben. Es gibt nach wie vor den gleichen Anteil an Frauen, die selbst stillen und den gleichen Anteil, der lieber die Flasche gibt. Was sich verändert hat, sind allerdings die verhärteten Fronten. Ich bezeichne es gerne als die "Stillfront" und die "Flaschenfront". Jede Partei meint, die bessere Mutter sein zu können. Ob nun Flasche oder Busen ist meiner Auffassung nach egal, die Hauptsache ist doch, das Beste für sein Kind zu wollen und zu tun. Jede Frau sollte für sich selber entscheiden können, wie sie damit umgeht. Ich selber habe beide Kinder gestillt und bin froh darüber. Ich würde aber niemals eine Frau verurteilen, die die Flasche bevorzugt. Das sollte jede für sich selbst entscheiden dürfen!

Gibt es so etwas wie Ihr schönstes oder erstaunlichstes Geburts-"erlebnis"?

Gabriele Hesse: Ja, mein Ruhigstes! Man hätte eine Nadel im Kreißsaal fallen hören können, so ruhig war es. Es war die zweite Geburt der Frau und schon bei der zweiten Wehe, ganz ohne Pressen, kam der Kopf des Babys von ganz alleine. Die Frau hatte überhaupt nichts gesagt oder gemacht, der Kreißsaal war mucksmäuschenstill und der Mann hat einfach nur in Ruhe zugeguckt. Das war wirklich eine wunderschöne, entspannte Geburt!

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