Beeindruckende Erlebnisse

Hebammen erzählen: Meine schönste Geburt

Hebammen fallen Superlative zu ihren Geburtserlebnissen schwer. „Jede Geburt ist ein Wunder. Jede Geburt ist einzigartig und immer wieder aufs Neue ergreifend!“, sind sich alle einig. urbia bat drei Geburtshelferinnen um ihre besten Erlebnisse.

Autor: Christiane Prang

Angela Schaub (43), Lohmar

Angela Schaub

Seit über 22 Jahren Hebamme. Hat als Klinik- und freiberufliche Hebamme gearbeitet und die vielen Geburten gar nicht mitgezählt. Seit drei Jahren arbeitet sie freiberuflich ohne Geburtshilfe.

Zu mir oder zu Dir? Ein Kreißsaal im Büro

Wir Hebammen betreuen ja einen Lebensabschnitt von Frauen, bei dem unglaublich viele Emotionen im Spiel sind. Ein Lebensabschnitt, in dem gravierende Veränderungen passieren. Hebammen kommen werdenden Müttern sehr nahe und umgekehrt. Schwangere Frauen vertrauen uns. Letztlich helfen wir Hebammen den Frauen (und Männern) bei ganz bedeutsamen Erfahrungen während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Und manchmal entstehen bei unserer Arbeit auch ziemlich verrückte Situationen: Ich hatte mal ein wirklich außergewöhnliches Erlebnis mit einer sehr sympathischen und entspannten Frau, nennen wir sie Petra.

Petra hatte ich durch Freunde kennengelernt und sollte sie nun in der Schwangerschaft und nach der Geburt betreuen. Sie rief mich an – vier Wochen vor dem errechneten Geburtstermin, weil sie sich nicht gut fühlte und bat mich, doch vorbei zu kommen und sie zu untersuchen. Ich hatte gerade meine anderthalbjährige Tochter Maja bei mir und war beim Kochen. Bei der Hochschwangeren war bereits Fruchtwasser ausgetreten. Obwohl ich ihr riet, bei diesen Beschwerden besser sofort ins Krankenhaus zu fahren, bat Petra mich darum, dass ich zu ihr kommen solle. Ich willigte ein, musste aber meine kleine Tochter mitbringen. Stark atmend öffnete mir Petra die Tür. Sie hatte bereits Wehen. Ich untersuchte ihren Muttermund und stellte fest: sieben Zentimeter. Mir war klar: Die Geburt war im Gange. Ich überlegte mit der werdenden Mutter, wie wir weiter verfahren. Umgehend ins Krankenhaus fahren und den Mann bitten, auch dorthin zu kommen? „Oder sollen wir mein Kind hier bekommen?“ schlug Petra vor. Außerdem brauchte ich jemanden, der sich um die kleine Maja kümmert. „Am besten fahre ich dich ins Krankenhaus," schlug ich vor. „Pack das Nötigste und dann geht es los,“ empfahl ich ihr.

Petra war verständlicherweise etwas durch den Wind und verlor viel Zeit beim Zusammensuchen von unwichtigen Dingen. Ein weiterer Toilettengang und schon war wieder eine halbe Stunde vergangen. Die nächste Wehe kam. Der Muttermund war mittlerweile acht Zentimeter auf. „Wenn die Wehentätigkeit im Auto zu heftig werden sollte, kehren wir um und dann bekommst du das Kind zu Hause“ schlug ich ihr vor. Ich wollte ehrlich gesagt ungern eine Autogeburt. Wir waren ein gutes Stück gefahren, da setzten Presswehen ein. „Lass uns zu Dir fahren“, bat mich Petra. „Bis zur Klinik schaffe ich es nicht mehr.“ Das taten wir dann auch. Ich hatte gerade die Handwerker im Haus. Die staunten nicht schlecht, als sie mich mit der hochschwangeren Frau mit Wehen ankommen sahen. Unser Wohnzimmerteppich war zusammengerollt. Wir bekamen neue Fenster. Wohin also mit der Gebärenden? In meinem Büro stand noch ein Bett, also gingen wir dorthin. Meine Teenager-Töchter waren auch zu Hause. Petras Mann war mittlerweile in der Klinik angekommen und suchte uns dort. Meine beiden großen Töchter einigten sich schnell, wer auf Maja aufpasst und wer mir bei der Geburt hilft. Es dauerte dann auch nicht mehr lange und das Kind kam auf die Welt. Das Kind, ein kleines Mädchen, kam zwar vier Wochen früher als errechnet auf die Welt, dafür hatte die Kleine ein stattliches Gewicht von 3.400 Gramm und war wohlauf.

Ganze zweieinhalb Stunden hatte die Geburt gedauert. Für meine Tochter war es ein absolut beeindruckendes Erlebnis. Ich war mir sicher: Diese schöne Geburt würde bestimmt dazu beitragen, dass sie zuversichtlicher und angstfreier ist, falls sie später einmal eigene Kinder bekommt. Am nächsten Tag traf ich in unserem Dorf-Supermarkt eine Freundin von Petra - unsere „Bürogeburt“ hatte sich mittlerweile in Petras Freundeskreis herumgesprochen. Diese rief mir quer durch den Laden zu: „Hey, habt ihr jetzt einen Kreißsaal zu Hause?“

 

Karin Streu, (51), Troisdorf

Karin Streu

Arbeitet seit 26 Jahren als Hebamme. Vor acht Jahren rief Karin Streu gemeinsam mit einer Kollegin „Menschenskinder“ ins Leben, eine Hebammenpraxis, die Frauen von Beginn der Schwangerschaft an begleitet. Ihre Geburtserfahrung beruht auf über 2000 Entbindungen.

Ein Gefühl wie Weihnachten

In den vielen Jahren, die ich als Kreißsaalleiterin gearbeitet habe, erlebte ich viele wunderbare, aber auch langwierige Geburten, bei denen man das Gefühl hatte, eher unfreiwillig Teil eines Films geworden zu sein. Vielleicht lag es an den unterschiedlichen Auffassungen von Geburt oder Geburtsmedizin. Seitdem ich ausschließlich freiberuflich in unserer Praxis arbeite, erlebe ich das anders. Wir haben die Klinik nebenan, so dass wir die Frauen anfangs hier in der Praxis betreuen können und sie anschließend mit in den Kreissaal begleiten. Durch den frühen Kontakt mit den Schwangeren entsteht eine große Vertrautheit, so dass wir sehr individuell betreuen können. Wir kennen ihre Geschichte, ihre Ängste, erfahren, was sie auf keinen Fall möchten oder was sie sich sehr wünschen. Geburten sind ja immer Extremsituationen, hinterlassen lebenslänglich ihre Eindrücke – egal ob positiv oder negativ - und können deshalb nie zur Routine werden. Jede Situation ist immer anders.

Mir fallen besonders zwei Geschichten ein: Einmal wurde ich in den Kreissaal gerufen, weil eine Gebärende, die ich schon bei ihrem ersten Kind begleitete, voller Panik war, weil es nicht mehr weiterging. Die Frau wollte plötzlich einen Kaiserschnitt. Ursprünglich hatte sie sich gegen eine erneute Belegbetreuung entschieden und bereute nun diese Entscheidung. Ich hatte zwar andere Termine, organisierte aber schnell alles um. Als ich sie sah, merkte ich schon, wie erschöpft und ängstlich sie war. Die Geschichte war eigentlich schon verloren. In der Nacht war die Fruchtblase gesprungen, heftige Wehen kamen hinzu, aber die Geburt schritt nicht voran. Ich versuchte, sie zu beruhigen, redete ihr gut zu, stand ihr tröstend zur Seite. Es kam plötzlich eine Nähe, Wärme und Vertrautheit auf. Die Frau wurde ruhiger und hat ihr Kind schließlich auf eine völlig normale Weise, entspannter und ohne Kaiserschnitt auf die Welt bringen können. Das hat mich persönlich sehr berührt!

Manchmal erlebt man auch rasante Geburtsverläufe. Eine andere Frau erwartete ihr drittes Kind und konnte sich eine Hausgeburt vorstellen. Der Ehemann war anfangs eher etwas skeptisch, bemerkte aber sehr schnell, dass die heftigen Wehen seiner Frau gar keine Alternative zuließen. Durch die Einbindung in das Geschehen („Wir bräuchten noch ... Wo ist denn bitte...“) blieb keine weitere Zeit zum Nachdenken. Die zu Besuch anwesende Großmutter hatte die sonnige Mittagszeit genutzt und war, besser hätte es nicht sein können, mit ihren beiden kleinen Enkeln auf den Spielplatz gegangen. Kurze Zeit später kam Malin auf die Welt, ganz unkompliziert und schnell. Mittlerweile kam die Oma mit den Jungs vom Spielen zurück und die beiden hatten auf einmal ein Schwesterchen. Als sie gegangen waren, gab es noch überhaupt kein Anzeichen für die bevorstehende Geburt. Ich habe nach der Geburt die Position des stillen Betrachters sehr genossen! Ich weiß noch, dass plötzlich eine ganz zauberhafte Atmosphäre im Raum war. Eine Stimmung wie an Weihnachten. Die Jungs - einer noch ganz klein, der andere im Kindergarten - kamen ganz andächtig und still an ihre neugeborene Schwester heran, die für sie so ganz unverhofft Teil der Familie geworden war. Sie betrachteten, bestaunten und streichelten sie. Es war ein wunderbares Bild, wie alle im großen Schlafzimmer im Familienbett zusammen kuschelten. Zwischen dieser Frau, ihrer Familie und mir besteht seitdem eine ganz besondere Verbundenheit. Wie mit allen Frauen, die sich angenommen, ernstgenommen und in entscheidenden Lebenssituationen getragen fühlen konnten.

 

Edith Boos (48) Meckenheim

Edith Boos

Seit 25 Jahren Hebamme. Lernte und praktizierte im ländlichen Bereich des Paderborner Umlands. Arbeitet nun in einer Mutter-Kind-Einrichtung in Meckenheim mit jungen Schwangeren in Konfliktsituationen. Sie durfte 800 Kinder mit auf die Welt bringen!

Alles wird gut!

Das schönste Geburtserlebnis zu beschreiben ist schwierig, denn jede Geburt ist ein Erlebnis für mich. Ich bin von ganzem Herzen Hebamme und sehe mich in meiner jetzigen Tätigkeit als Fürsprecherin für die Babys und Kleinkinder. Wenn das Kind gut auf die Welt gekommen ist, regelmäßig atmet und auch die Mutter wohlauf ist, dann bin ich glücklich. Auch wenn ich mich ungern auf mein schönstes Geburtserlebnis beschränken möchte, so ist mir doch eine Begebenheit aus meinem vierten Berufsjahr besonders im Gedächtnis geblieben:

Während der verlängerten Austreibungsperiode einer Erstgebärenden stellten sich Komplikationen ein. Das Köpfchen war schon geboren, aber das Kind wurde im Geburtskanal „festgehalten“.  Die Aufgabe einer Hebamme besteht ja immer darin, zu beobachten, zu begleiten und auch Ruhe auszustrahlen. Man muss also in einer solchen Situation schauen: Wo genau liegt das Problem? Hat das Kind die richtige Stellung? Wenn nicht, wie liegt es? Mit mir war noch eine zweite sehr erfahrene Hebamme im Dienst, die aber einen anderen Kreißsaal betreute. Der diensthabende  Arzt und ich mussten nun handeln und trotzdem die Ruhe bewahren. Es folgte eine großzügige Erweiterung des Dammschnitts, abwechselndes Strecken und Beugen der Beine und so weiter. Ich probierte ziemlich viel aus. Dann endlich tat sich etwas: Das Köpfchen war schon geboren, aber das Kind hatte eine Schulterdystokie. Es hing fest. Ich befand mich wirklich in einem Dilemma. Das Kind musste schnell geboren werden, das stand fest.  In dem Moment kam meine Kollegin in den Kreißsaal und sah meinen fragenden Blick in den Augen. Dann ging plötzlich alles wie von selbst. Das Kind arbeitete wie selbstverständlich mit, es bewegte sich in die richtige Richtung und kam dann ganz problemlos auf die Welt. Keine Schulter war gebrochen, alles ging gut. Zum richtigen Zeitpunkt hatte sich alles zum Guten gewendet. Als ich die Nachgeburt wegbrachte, kamen bei mir die Emotionen hoch. Ich weinte nicht nur innerlich vor Glück und Erleichterung. Für mich war dies ein besonders eindrückliches Erlebnis, weil ich weiß, wie problematisch eine Geburt auch sein kann. Zum Glück konnte ich bei der Dokumentationsarbeit im Anschluss wieder runterfahren. Normalerweise schwebe ich erstmal ein paar Stunden, wenn ich ein Kind mit auf die Welt gebracht habe.