Komplikationen und ungeplante Kaiserschnitte

Eine schwierige Geburt verarbeiten

Die Gedanken kreisen um die Geburt, immer wieder, Tag und Nacht, obwohl diese schon Wochen zurückliegt. Das Gefühl versagt zu haben, wird zum quälenden Alltagsbegleiter und trübt das Mutterglück. Dieses Problem kennen viele Frauen, deren Entbindung anders abgelaufen ist, als erhofft.

Autor: Ulrike Hahnlein

„Ich habe versagt“

Mutter traurig mit Baby
Foto: © panthermedia.net/ Monkeybusiness Images

„Nach außen spielte ich allen die glückliche Mutter vor, doch in mir sah es ganz anders aus. Ich machte mir Vorwürfe, hatte das Gefühl versagt zu haben, weil ich es nicht geschafft hatte, mein Baby auf natürlichem Weg zu gebären.", erzählt Helene, bei der ein sekundärer Kaiserschnitt durchgeführt werden musste (Entscheidung zur Sectio fiel erst unter der Geburt). „Niemand konnte das verstehen, nicht einmal mein Mann. Er war einfach nur froh, dass unsere kleine Tochter und ich die Entbindung gesund überstanden haben. Egal auf welchem Weg. Er konnte nicht begreifen, warum ich den Kaiserschnitt nicht einfach abhaken konnte. Ich fühlte mich unendlich allein mit meinen Gedanken."

Dass Helene mit diesem Gefühlschaos kein Einzelfall ist, weiß Diplom-Psychologin Tanja Sahib. In der Berliner Beratungsstelle „Familienzelt" des Vereins „Selbstbestimmte Geburt und Familie e.V.", begleitet sie betroffene Mütter in Einzelgesprächen oder Gruppenangeboten. „Viele Frauen sind sehr verzweifelt, verstehen sich selbst nicht und ernten Unverständnis von ihrer Umwelt. Die Angst- und Bedrohungsgefühle halten an, auch wenn das Geschehene vorbei ist."

Helene kennt das: Im Alltag ist sie kaum belastbar, nachts wird sie von Albträumen geplagt, ständig ist sie gereizt, reagiert unangemessen und streitet sich immer öfter mit ihrem Mann. Gegenseitiges Unverständnis führt dann zu immer größeren Kommunikationsproblemen in der Partnerschaft. Dabei sind doch gerade die ersten Monate des Babys eine Zeit, die viel Kraft von jungen Eltern abverlangt. Zugleich sind diese Wochen so intensiv und voll mit neuen Gefühlen und kostbaren zärtlichen Gedanken, dass der graue Schleier einer traumatischen Geburt völlig fehl am Platz ist und das junge Familienglück empfindlich trügt.

Ausnahmesituation ungeplanter Kaiserschnitt

„Geplante Kaiserschnitte lösen größtenteils keine Traumatisierung bei den betroffenen Frauen aus. Die zukünftigen Mütter haben sich vorher mit dem Ablauf der Operation vertraut machen können. Sie sind psychisch darauf eingestellt und können positive Aspekte gedanklich vorwegnehmen", erklärt Tanja Sahib. „Die Frauen jedoch, die ihr Kind aus eigener Kraft gebären wollen, hadern noch lange mit dem Umstand, dass sie einen ungeplanten Kaiserschnitt erleben müssen. Sie glaubten an ihre natürliche Fähigkeit des Gebärens und wurden von den Geschehnissen überwältigt."

Hebamme Regine Gresens weiß, dass viele Schwangere mit gewissen Erwartungen auf den Entbindungstermin zugehen: „Wenn der Verlauf der Geburt nicht den eigenen Wünschen und Vorstellungen entspricht, sie jedoch einen hohen Leistungs- und Perfektionsanspruch an sich haben, kann es später zu quälenden Selbstvorwürfen, Schuld- und Versagensgefühlen kommen." Einen weiteren Grund sieht sie darin, dass vielen Gebärenden die Kontrolle über den Ablauf der Entbindung fehlt: „Sie erleben bei der Geburt, insbesondere bei einem Kaiserschnitt, einen massiven Kontrollverlust. Sich den  Wehen und dem Geburtsprozess und/oder dem geburtshilflichen Personal hingeben zu müssen und nicht selbst steuern zu können, fällt heute vielen Frauen schwer. Dies kann auch bei einer ganz unkomplizierten, jedoch von der Gebärenden als zu schnell oder zu früh erlebten Geburt der Fall sein." Doch gerade ein ungeplanter Kaiserschnitt in Vollnarkose oder eine notwendige Überwachung des Neugeborenen auf der Säuglingsstation sind etwas, woran viele Betroffene lange „zu knabbern" haben.

Folgt nun eine Wochenbettdepression?

Bei Helene hat sich in Folge der traumatischen Geburt eine langwierige, quälende Wochenbettdepression eingeschlichen. Das müsse aber nicht so sein, erklärt Regine Gresens, Hebamme und Heilpraktikerin für Psychotherapie: „Es kann zunächst auch eine normale Schock- oder Trauerreaktion auftreten, aus der sich aber eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine  Wochenbettdepression entwickeln kann. Die Probleme können sofort auftauchen oder auch erst nach einigen Wochen bzw. Monaten oder aber, wenn die Frau wieder schwanger ist oder ein weiteres Kind geplant wird.“

Diplom-Psychologin Tanja Sahib verdeutlicht: „Eine postpartale Depression ist etwas anderes als eine postpartale posttraumatische Belastungsstörung. Während die traumatisierte Person es nicht wagt, sich ihren Gefühlen zu stellen, weil diese zu übermächtig sein könnten, fühlt sie während einer Depression nichts als dumpfe Schwere. Allerdings kann es vorkommen, dass eine Frau mit beiden zu kämpfen hat. Sie hat vielleicht eine Traumatisierung während der Geburt erlebt und nun noch dazu depressive Anzeichen, wie Schlaflosigkeit, Leere und widersprüchliche Gefühle dem Kind gegenüber entwickelt.“

Was können Betroffene tun?

Helene fiel es besonders schwer, andere Mütter von ihren Geburten erzählen zu hören: „Dann musste ich mich immer sehr zusammenreißen, um nicht zu heulen. Ich fühlte mich um dieses Erlebnis beraubt, was ja gerade durch die Vollnarkose noch verstärkt wurde. Als wäre ich bei diesem Ereignis gar nicht dabei gewesen…“ Die junge Frau vermeidet es seitdem, sich Erzählungen von Entbindungen anzuhören und berichtet auch kaum jemandem von der eigenen.

„Die Betroffene sollte selbst entscheiden, wie viel sie von sich preisgibt.“, empfiehlt Therapeutin Tanja Sahib. „Ich rate dazu, sich einen Satz zurechtzulegen, mit dem sie sich abgrenzt, ohne andere Menschen zu kränken (z.B. „Ach, über die Geburt meines Kindes erzähle ich mal, wenn wir mehr Zeit haben…“). Manchmal kann Schweigen schützender sein als Reden.“

Dem Partner und der Familie einer betroffenen Frau rät die Diplom-Psychologin, dass sie die Niedergeschlagenheit der Mutter ernst nehmen sollten, statt so zu tun, als sei nichts geschehen. Aufmunterungssprüche, wie: „…das wird schon wieder!“, „…Du und Dein Kind - Ihr habt doch überlebt!“, „…Du hast doch noch mal Glück gehabt!“ sind kränkend, weil sich die Mutter unverstanden fühlt.

Der Geburtsbericht kann hilfreich sein

Hebamme Regine Gresens berät in ihrer Hamburger Praxis viele Schwangere und traumatisierte Mütter. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass es in einigen Fällen hilfreich sein kann, eine Kopie des Geburtsberichtes anzufordern: „Vor allem, wenn eine Mutter sich ständig fragt, ob der Kaiserschnitt wirklich erforderlich war, wenn sie nicht versteht, wie es dazu gekommen ist oder auch wenn sie sich nicht mehr ausreichend erinnern kann, was bei oder nach der Geburt mit ihr geschehen ist und dies sie sehr belastet. Oder auch wenn sie Angst hat, dass bei einer neuen Schwangerschaft wieder ein Kaiserschnitt notwendig sein könnte.“ Gleichzeitig rät sie, den Bericht nur gemeinsam mit einer Fachfrau zu lesen, um die medizinischen Ausdrücke und Zusammenhänge zu verstehen.

Tanja Sahib erklärt: „Nur wenn die Betroffene ihre Gedanken, Gefühle und körperlichen Beschwerden als Folgeerscheinungen traumatischer Erlebnisse sieht, gelingt es, ihnen nicht mehr ohnmächtig gegenüber zu stehen. Je mehr die Mutter ihre Reaktionen und ihr Verhalten versteht, desto weniger ist sie dem ausgeliefert. Sie gewinnt mehr Sicherheit im Umgang mit starken Gefühlen und leidvollen Erinnerungen.“

Helene hat es nach zwei Jahren gewagt, den Geburtsbericht vom Krankenhaus anzufordern: „Ich habe mich immer wieder gefragt: Warum habe ich es nicht geschafft, mein Baby auf natürlichem Weg zu entbinden? Hätte ich mehr tun müssen, um den Kaiserschnitt zu verhindern? Waren die Ärzte vielleicht übervorsichtig und haben vorschnell die Entscheidung gefällt? Hätte ich widersprechen sollen?“ Beim Lesen des Berichtes fühlte sich die junge Mutter zurückversetzt in die Stunden auf der Entbindungsstation. Dies war für sie eine große emotionale Herausforderung. Dennoch fühlte sie sich danach befreit: „Es schlossen sich nun endlich alle Lücken, die in meiner Erinnerung noch vorhanden waren. Außerdem standen da ganz klar die Gründe, die eine Sectio notwendig machten. Das erste Mal kam in mir das Gefühl auf: Es war besser so! Zum ersten Mal konnte ich das alles richtig begreifen und meine Selbstvorwürfe und Selbstzweifel fingen an, sich in Luft aufzulösen. Ein sehr befreiendes Gefühl!“

Wann ist professionelle Hilfe gefragt?

Nicht immer ist eine Frau, die Probleme mit der Geburtsbewältigung hat, gleich ein Fall für den Psychologen. Tanja Sahib weiß: „Nur ein Drittel aller traumatisierten Menschen brauchen eine richtige professionelle Unterstützung. Ist eine Mutter gut eingebunden in ein soziales Netzwerk, gelingt es ihr allmählich, das Geburtsgeschehen in ihre Biographie zu integrieren. Wünscht die Frau eine Psychotherapie, sollte sie nach Therapeutinnen suchen, die ihr Baby in die Behandlung einbeziehen und vor allem die Mutter-Kind-Bindung stärken.“ Gerade wenn sich Probleme in der Nähe zum Kind andeuten, sollten Betroffene nicht zögern, sich helfen zu lassen!

Welcher Ansprechpartner einer frischgebackenen Mama in diesem Konflikt helfen kann, ist individuell verschieden. Regine Gresens legt den Schwerpunkt auf die Probleme, die im Vordergrund stehen: „Sind es hauptsächlich körperliche Symptome, kann eine  Hebamme, der Gynäkologe, ein praktischer Arzt, ein Osteopath oder ein Heilpraktiker weiterhelfen. Bei Stillproblemen sollte man sich an eine Stillberaterin wenden, die möglichst auch eine psychotherapeutische Ausbildung hat. Denkbar ist auch eine Beratung in einem Mütterzentrum, zum Beispiel bei Pro Familia oder in einem Frauengesundheitszentrum.“ Sind die Symptome überwiegend psychisch und sehr akut, rät die erfahrene Hebamme sich an einen Psychiater oder Psychotherapeuten mit traumatherapeutischer Ausbildung zu wenden. Diese könnten dann, falls nötig, für einige Zeit zur Stabilisierung Medikamente, z.B. Antidepressiva verordnen.