Mit dem Baby gleich nach Hause

Die ambulante Geburt

Ist bei der Entbindung alles gut gelaufen, kann eine Mutter auf Wunsch direkt danach aus dem Geburts- oder Krankenhaus wieder nach Hause gehen und das Wochenbett, umsorgt von der Familie, gleich in den eigenen vier Wänden beginnen. Dort kümmert sich dann täglich die Hebamme um Mutter und Kind.

Autor: Kathrin Wittwer

Ambulante Geburt - was versteht man darunter?

Familie Geburt daheim
Foto: © iStockphoto.com/ hannamonika

Während viele Frauen es angenehm finden, nach der Entbindung im Krankenhaus rundum versorgt zu werden, fühlen andere sich in der Atmosphäre einer Klinik nicht besonders wohl. Herzogin Kate hat es im Mai 2015 vorgemacht und ist 10 Stunden nach der Geburt ihres zweiten Kindes von Prinz Wiliam wieder nach Hause gefahren worden.

„Ich mag Krankenhäuser nicht“, sagt beispielsweise auch Mandy. „Mit anderen Leuten im Zimmer liegen, die Toiletten teilen, diese ganzen Routinen, die Unruhe durch die vielen Personalwechsel, das ist alles nicht mein Ding.“ Nach der Geburt ihrer Tochter ging sie deshalb nach wenigen Stunden wieder nach Hause, wo sie in den nächsten zwei Wochen jeden Tag von ihrer Hebamme besucht wurde.

Was gehört unbedingt in den Klinikkoffer?

Im Fachjargon nennt sich das „ambulante Geburt“. Konkret heißt ambulant in der Medizin: Ein Patient geht noch am Tag eines Eingriffs wieder heim. „Bei Geburten zählen dazu ganz klar Klinikentbindungen, wenn die Mutter das Krankenhaus nach wenigen Stunden wieder verlässt, aber auch Entbindungen in Geburtshäusern und sogar Hausgeburten, weilman nach der Geburt eben zu Hause ist“, erklärt Denize Krauspenhaar. Sie ist seit 1999 Hebamme, war zunächst kurz in einem Krankenhaus tätig, dann freiberuflich für Haus- und Beleggeburten, seit 2005 in einem Geburtshaus im hessischen Idstein. Immer wieder stellt sie fest: „Viele Frauen wissen gar nicht, dass es ambulante Geburten gibt. Die klassische Klinikgeburt mit Stationsaufenthalt ist eine solche Selbstverständlichkeit geworden, dass sich oft gar nicht weiter informiert wird.“ Eine Erhebung des AQUA-Instituts zur Verweildauer nach der Geburt zeigt, dass 2009 nur 3,2% aller Gebärenden (20.282 von 638.826 Frauen) das Krankenhaus innerhalb von 24 Stunden verlassen haben. Im Geburtshaus oder daheim kommen pro Jahr rund 10.000 Kinder zur Welt, gibt die „Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V.“ (QUAG) an.

Für den Beginn des Wochenbetts in den eigenen vier Wänden spricht einiges: „Sowohl Mütter als auch Babys sind daheim meist deutlich entspannter, zufriedener und kommen besser an“, haben Denize Krauspenhaar und viele ihre Kolleginnen beobachtet. „Zu Hause ist alles natürlicher und ruhiger, es gibt zum Beispiel nur sehr selten Schwierigkeiten beim Stillen, auch weil nicht so viele verschiedene Ratschläge auf die Familie einprasseln.“ Zudem eröffnen die verschiedenen Varianten ambulanter Entbindungen Frauen ganz individuelle Möglichkeiten des Gebärens, je nach Persönlichkeit, Vorgeschichte und Verlauf der Schwangerschaft.

Ambulante Geburt in der Klinik

Trotz Abneigung gegen Krankenhäuser war Mandy klar: Für die Geburt ist ihr die Sicherheit einer umfassenden medizinischen Versorgung wichtig. Bereits ihre erste Entbindung hatte sehr lange gedauert und einige Schwierigkeiten gemacht. „Da wollte ich beim zweiten Kind nichts auf Spiel setzen.“ Die Entscheidung hat sich für Mandy als richtig erwiesen: Die Wehen, eingeleitet zwei Wochen nach Termin, dauerten gut 24 Stunden. Mandy wurde immer erschöpfter, bei ihrer Tochter stimmte zwischenzeitlich die Sauerstoffversorgung nicht, es wurden Wehenhemmer eingesetzt. „Dann ging es plötzlich sehr schnell, und als die Kleine da war, war auch alles total ruhig und entspannt.“ Vom Klinikteam hat sie sich gut betreut gefühlt: „Fast die ganze Zeit über waren zwei Hebammenschülerinnen bei mir, das Klima im Kreißsaal war prima, nach der Geburt hat die Ärztin die U1 ganz in Ruhe beim Baden gemacht.“

Frauen, die auch bei einer Klinikgeburt die vertraute Hebamme an ihrer Seite wissen wollen, müssen dafür jemanden finden, der Beleggeburten im gewünschten Krankenhaus durchführen kann. Auch wenn das nicht überall möglich ist, „haben viele Kliniken Verträge mit Beleghebammen, weil das gut für Image und für die Geburtenzahlen ist“, weiß Denize Krauspenhaar. Ansonsten sind auch kurzfristige Entscheidungen für eine ambulante Entbindung gar kein Problem: „Es gibt keine Vorschrift, dass man die Absicht einer ambulanten Geburt schon bei Ankunft in der Klinik angeben und sich dann zwingend daran halten muss“, sagt Denize Krauspenhaar. „Viele Frauen, vor allem Zweitgebärende, entscheiden sich erst nach der Geburt spontan zum Gehen, weil sie sich fit genug fühlen und gern nach Hause wollen.“ Das dürfen sie gegen Unterschrift jederzeit, betont die Hebamme, auch wenn Krankenhäuser wünschen, dass die jungen Mütter mindestens vier Stunden nach der Geburt bleiben. Weder ein noch fehlender Name fürs Kind noch ein Dammriss oder eine PDA sind zwingende Gründe zum Verweilen: „Den Namen kann man später nachreichen, das andere hat die Hebamme bei der Nachsorge im Blick.“ Im Gegenzug kann eine Frau, die ursprünglich ambulant entbinden wollte, sich dann aber nicht kräftig genug fühlt, natürlich in der Klinik bleiben. Gab es ernsthafte Komplikationen wie starke Blutungen oder einen Kaiserschnitt oder treten Anpassungsstörungen beim Kind auf, ist eine weitere Überwachung im Krankenhaus selbstverständlich. Freiwillig verweilen am liebsten Mütter, die bereits zwei oder mehr Kinder haben und ein paar Tage auf den Haushaltstrubel verzichten möchten.

Mandy ist mit ihrer Ankündigung, nicht auf Station zu bleiben, auf keine Schwierigkeiten gestoßen. Ein paar Stunden nach der Entbindung wurden Mutter, Baby und Vater daheim vom großen Bruder empfangen und sofort von der Hebamme besucht. „Ich würde es jederzeit wieder so machen“, bilanziert Mandy. Einen Aspekt hält sie dabei für ganz entscheidend: „Ich habe, unterstützt von meinem Mann, von Anfang ganz klar angesagt, was ich will und was nicht, deshalb kam nie eine Diskussion auf. Man muss sehr resolut sein.“

 

Ambulante Geburt im Geburtshaus und Zuhause

Das gilt erst recht für die Entbindung im Geburtshaus und daheim, meint Sonja*: „Wenn man sich für diese Form der Geburt entscheidet, muss man ganz sicher sein, was man will. Von Ärzten wird man da sehr schnell verunsichert.“ Für die mittlerweile zweifache Mutter war schon lange vor einer Schwangerschaft klar: „In ein Krankenhaus gehe ich nur, wenn ich wirklich krank bin.“ Nach einigen schlechten Erfahrungen beim Frauenarzt – „Da ging es immer nur darum, was nicht in der Norm sein könnte und welche Schwierigkeiten auftreten könnten.“ – ließ Sonja die Vorsorge ihrer ersten Schwangerschaft im Geburtshaus machen, wo sie auch entband. Beim zweiten Kind war sie lediglich fürs Organscreening beim Arzt und hat sich ansonsten nur von ihrer Hebamme betreuen lassen, bis hin zur Hausgeburt. Bei beiden Geburten fühlte sich sie selbstbestimmt, sicher und geborgen. „Das muss auch so sein. Wenn man ängstlich und unentspannt in eine Geburt geht, kann es nur schiefgehen.“

Unsicherheiten und Ängste sind die Hauptgründe, die Frauen von Geburten außerhalb der Klinik abhalten: Was, wenn etwas passiert? „Frauen, die ein ausgesprochen hohes Sicherheitsbedürfnis haben, würde ich nicht um jeden Preis zu einer Geburtshausgeburt überreden“, sagt Denize Krauspenhaar. „Aber ich gebe zu bedenken, dass die außerklinische Entbindung im Grunde gerade für unsichere Frauen das Richtige ist. Mit einer Hebamme im Geburtshaus baut man über die Schwangerschaft eine enge persönliche Beziehung auf. Die Betreuung und Beratung können ganz individuell gemacht werden, die Hebamme kann auf alle Sorgen und Zweifel eingehen und die werdenden Eltern in Ruhe auf die Geburt vorbereiten. Durch die 1:1-Betreuung ist man flexibler und ausgeglichener, und das vermittelt der Mutter ein beruhigendes Gefühl.“ Das Vertrauen in die Hebamme ist auch für Sonja essentiell: „Man muss sich voll auf sie einlassen können. Und auf keinen Fall sollte man ihre Methoden mit denen des Arztes vergleichen. Das geht nach hinten los.“

Grundsätzlich gilt: Gibt es in der Schwangerschaft keine Probleme und spricht alles für eine komplikationslose Geburt, kann sich jede werdende Mutter für eine außerklinische Entbindung entscheiden. Doch selbst Kriterien, die man allgemein als Stolperstein empfindet, müssen dem nicht unbedingt im Wege stehen: Weder die Kaiserschnittnarbe einer früheren Niederkunft noch eine chronische Krankheit wie Asthma sind zwingende Kontraindikationen.

Was passiert, wenn doch etwas passiert?

Eine Studie der TU Berlin zeigte: Die außerklinische Geburt ist nicht riskanter als die im Krankenhaus. In den seltenen wirklichen Notfällen haben die Hebammen die Risiken in der Regel richtig eingeschätzt und schnell Maßnahmen eingeleitet, sagt die QUAG. Seit 1997 erhebt die Gesellschaft Daten rund um Geburten in Geburtshäusern und daheim, für 2009 zum Beispiel diese:

  • in 15,5 Prozent der Fälle musste die Frau zur Geburt doch ins Krankenhaus überwiesen werden
  • 91,9 Prozent dieser Verlegungen liefen in Ruhe, meist im Privatauto ab; die Hebamme begleitet dabei ihre Schwangere bis in die Klinik
  • nach der Geburt mussten 2,3 Prozent der Babys und 3,2 Prozent der Mütter verlegt werden
  • 91,3 Prozent aller außerklinisch begonnen Geburten waren Spontangeburten
  • Kaiserschnitte kamen bei 6 Prozent der Verlegungen vor
  • die Sterblichkeit bei Neugeborenen betrug (inklusive geplanter Geburten nicht lebensfähiger Kinder) 0,2 Prozent
  • 93,1 Prozent der Babys ging es nach der Geburt bestens
  • 95 Prozent aller Gebärenden konnten das Wochenbett ohne Probleme beginnen

Um kleinere Probleme kümmert sich die Hebamme selbst vor Ort: „Ich hatte bei beiden Geburten einen minimalen Dammriss, das erste Kind eine leichte Gelbsucht, aber das konnte die Hebamme versorgen“, erinnert sich Sonja. Von vielen Freundinnen, die in Kliniken entbanden, hat sie hingegen von ganz anderen Komplikationen und Kaiserschnitten gehört. „Mir wird großes Glück zugesprochen. Ich sehe das ein wenig anders. Ich habe als Krankenschwester 15 Jahre in einer Klinik gearbeitet, und ich weiß, viele Probleme dort sind hausgemacht, weil man nicht mehr individuell arbeitet bzw. arbeiten darf und außerdem Zeit und Geld knapp sind.“

Was ist mit U-Untersuchungen und was gibt es noch zu bedenken?

Neben Ängsten sind es nicht selten auch Gründe vermeintlicher Unbequemlichkeiten, die Frauen gegen ambulante Geburten anbringen. Zum Beispiel: Wer macht die U-Untersuchungen fürs Baby? „Das ist kein Problem“, beruhigt Denize Krauspenhaar. „Die U1 macht der, der die Geburt geleitet hat, also die Hebamme. Sie kann auch die Blutabnahme für das Neugeborenenscreening vornehmen, entweder, wenn sie eine entsprechende Weiterbildung hat, völlig eigenständig, oder, wenn man das besprochen hat, auf Anordnung des Arztes, der vorher die Beratung dazu gemacht hat.“ Für die U2 zwischen dem 3. und 10. Lebenstag kann man den Kinderarzt um einen Hausbesuch bitten, wie es sowohl bei Mandy als auch Sonja problemlos ging. Bei geplanten ambulanten Geburten lassen sich solche Dinge bereits im Vorfeld regeln. Doch auch spontane ambulante Geburten sollten keine unlösbaren Probleme aufwerfen. „Es gibt eigentlich für alles Mittel und Wege. Manche Kliniken packen zum Beispiel eine Art Care-Paket, auch mit Binden und Netzhöschen fürs Wochenbett. Wer nicht stillt, kann sich Fläschchen und Nahrung in der Notapotheke besorgen. Die Hebamme steht da immer mit Rat und Tat zur Seite“, meint Denize Krauspenhaar. Standardempfehlungen für die Vorbereitung einer Geburt mag sie nicht geben. „Schön an einer 1:1-Betreuung ist ja, dass man eben individuell auf die Frau eingehen kann, sowohl im Vorfeld als auch bei der Nachsorge.“ Nur eines sei in jedem Falle wirklich wichtig: „Es muss mindestens für die ersten beiden Wochen jemand daheim sein, der Mutter und Kind umsorgt, kocht, Einkäufe macht, sich um ältere Geschwister kümmert.“

Was kosten ambulante Geburten?

Die Kosten für Geburt und Nachsorge durch die Hebamme übernehmen die Krankenkassen, egal, wo entbunden wird. Für die 1:1-Betreuung bei einer Beleggeburt und bei außerklinischen Entbindungen kommt eine Rufbereitschaftspauschale der Hebamme dazu. Diese fällt regional sehr unterschiedlich aus und ist in der Regel privat zu zahlen. „Inzwischen übernehmen aber manche Krankenkassen die Kosten für die Rufbereitschaft, weil ambulante Geburten für sie kostengünstiger sind“, weiß Denize Krauspenhaar. Das bestätigt Sonja: „Bei der Geburt im Geburtshaus haben wir damals um die 450 Euro für die Rufbereitschaft und die Nutzung des Geburtshauses bezahlt. Das hat uns die Kasse alles zurückgezahlt. Bei der Hausgeburt allerdings nichts.“ Bei Bedarf kann auch eine Haushaltshilfe beantragt werden – entweder schon im Vorfeld durch den Frauenarzt, wenn die Lebensumstände (z.B. erwartete Mehrlingsgeburten) klar sind, oder bei Komplikationen (z.B. Kaiserschnitt) nach der Entbindung. Auch in diesen Fragen ist die Hebamme immer ein hilfreicher Ansprechpartner.

Zum Weiterlesen

Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V. (QUAG): „Zu Hause und im Geburtshaus. Informationen zum Geburtsort“. Informationsbroschüre. Zu bestellen hier bzw. per Mail: geschaeftsstelle@quag.de