Abenteuer Geburtsvorbereitung

Ein Abend im 'Hechelkurs'

Was macht man eigentlich genau in einem Kurs für Geburtsvorbereitung? urbia-Autorin Eva Neisius hat einen besucht und für urbia einen Erfahrungsbericht über einen Abend verfasst.

Autor: Eva Neisius

"Ein Mensch geht durch den Körper eines anderen hindurch"

drei Schwangere Yoga

Der kleine Stehventilator versucht verzweifelt, ein wenig Sauerstoff durch den 20 Quadratmeter großen Raum zu wirbeln. Vergeblich - an einem so heißen Sommertag wie heute. Wir sind zehn Frauen zwischen 25 und 35 Jahren und haben uns mit unseren mitgebrachten Handtüchern und grünen Gymnastikbällen auf dunkelblauen Gummimatten ausgebreitet. Es ist unser drittes Geburtsvorbereitungstreffen und wir lassen uns nicht mehr ganz so verunsichert wie noch am ersten Abend auf dem wackligen Ball nieder. Besonders sicher bewegt sich die Frau, die sich auch dieses Mal wieder als Erste genau vor dem Spiegel platziert. Sie lässt ihr Becken professionell kreisen und wirkt dabei ganz in ihrem Element. Statt mein Becken kreisen zu lassen, nutze ich die verbleibenden Minuten bis zum Beginn des Kurses lieber zum Plaudern: Sätze wie "Wann hast Du denn Termin?", "Also ich muss nur noch diese Woche arbeiten" und "Mensch, musst Du jetzt auch diese doofen Kompressionsstrümpfe tragen?" sind aus unserer Ecke zu hören, bis uns pünktlich um 19.15 Uhr die Hebamme Erna Enhuber zum Geburtsvorbereitungskurs begrüßt.

Insgesamt neun Mal kommen wir in den Räumen des Arbeitersamariterbundes in der Adi-Maislinger-Straße in München für eineinhalb Stunden zusammen und hoffen, uns damit auf das große Ereignis der Geburt vorbereiten zu können. Geburtsvorbereitungskurse, manchmal auch augenzwinkernd als Hechelkurse bezeichnet, werden von Hebammen angeboten: Die Kosten tragen die gesetzlichen Krankenkassen. Dabei können sich die Inhalte durchaus unterscheiden: Während in einigen Kursen die "technische" Erklärung des Geburtsvorganges Priorität hat, geht es der 54-jährigen Erna Enhuber vor allem um die ganzheitliche Geburtsvorbereitung - danach sollen wir Frauen aktiv gebären und nicht passiv entbunden werden. "Bei einer Geburt geht ein Mensch durch den Körper eines anderen Menschen hindurch", erklärte sie am ersten Kursabend. Es sei verständlich, dass ein solches Geschehen mit Urkräften und Schmerzen verbunden sei, die sicherlich auch an die Grenzen des Tragbaren führen könnten. Das Geburtsgeschehen trotzdem hinzunehmen und den Prozess geschehen zu lassen, sei eine Kunst. Diese Kunst versuche sie mit dem Kurs zu vermitteln.

"Damenliegestütze" und richtig heben lernen

Am heutigen Abend beginnt sie dazu mit einer kleinen Gymnastikübung. Wegen der Hitze muss die so genannte Damen-Liegestütze erfreulicherweise nur zehn mal wiederholt werden. "Puh - Glück gehabt!" Erleichtert begebe ich mich mit meinem "31.-Woche-Bauch" in den Vierfüßlerstand. Dann hebe ich die Füße vom Boden und kreuze sie - wie Erna es vormacht - übereinander. In dieser Stellung geht es dann mit dem Oberkörper Richtung Boden. Es ist erfreulicherweise wirklich nicht so anstrengend. Ich fühle mich heute nämlich schon sehr schwanger. Als Nächstes müssen wir alle nacheinander ein kleines viereckiges Dinkelsäckchen aus einem Beutel, der auf einem Gebärhocker liegt, herausnehmen. Je größer der Bauchumfang, desto behäbiger begeben wir uns zu dem Hocker. Gespannt warten alle darauf, was denn nun mit diesem Säckchen zu tun sei, um schließlich zu erfahren, dass das Aufheben schon Teil der Übung war.

Erna wollte sehen, wie wir die Säckchen herausheben. Aus rückenschonender Sicht haben wir es alle falsch gemacht, erklärt sie. Na prima! Bald würden wir schließlich keine leichten Säckchen, sondern schwere Kinder umhertragen. Aus diesem Grund müssten wir schon jetzt das richtige Heben im Alltag umsetzen, um einen Hexenschuss oder andere Haltungsprobleme in der Zukunft zu verhindern. Dann zeigt sie uns, wie man es richtig macht und lässt es uns einige Male üben. Eifrig strecken wir erst den Po nach hinten, um dann in die Knie zu gehen und uns rückenschonend hinunterzubeugen. Ja, so ist es schon besser.

Lieber mehr üben als erklären

Etwas körperlich üben und als "Körperwissen" speichern - Ernas Methode gründet sich auf der Idee, dass "eigene Wahrheit nur das sein kann, was auch durch den eigenen Bauch gegangen ist, was verdaut und erlebt ist". Deshalb sieht sie die Geburtsvorbereitung nicht darin, den werdenden Müttern den Geburtsverlauf zu erklären, Geburtserlebnisse anderer Frauen zu schildern oder bestimmte Atemtechniken – das berühmte Hecheln - einzustudieren. Ihrer Ansicht nach würde dieses lediglich "gehörte" Wissen ohnehin nur im Kopf landen. Damit sei das Wissen für die Geburt aber meist unbrauchbar, da der Schmerz Frauen an Grenzen führe, bei denen sie nicht mehr nachdenken. Auch die nächste Übung, die zu zweit ausgeführt wird, sollen wir mit in den Alltag retten, wenn wir sie auch nicht zu Hause nachmachen sollen. Ich tue mich mit Steffi zusammen, sie schlüpft zuerst in die Rolle der Patientin. Ich bin die Therapeutin und massiere Steffi die linke Nackenhälfte. Während der ganzen Zeit der Massage spricht Erna auf fast hypnotisierende Weise, damit alle Beteiligten sich wirklich auf diese eine Stelle des Körpers konzentrieren und sich "dort hin denken". Dabei haben alle Patientinnen die Augen geschlossen und wirken wie in Trance. Anschließend soll ich Steffi an genau dieser Stelle mit einem bestimmten Griff Schmerz zufügen. Wir schauen alle ziemlich besorgt drein. Steffi spricht die Angst mit leicht verzogenem Mund aus: "Ganz schön beunruhigend, dass wir für die Geburt einen Kurs machen müssen, bei dem wir uns gegenseitig Schmerzen zufügen." Zustimmendes Nicken der anderen Schwangeren. Immerhin wissen acht von uns nicht, was auf uns zukommen wird, denn wir bringen zum ersten Mal ein Kind zur Welt.

Vom Umgang mit dem Schmerz

Da sich letztlich keiner von uns so recht traut, macht Erna den Schmerzgriff an Steffi einmal für alle vor. Dem lauten "Autsch" nach zu urteilen, ist dieser besondere Griff tatsächlich schmerzhaft. Er steht für den Wehenschmerz, der in Wellen auftaucht, die entspannte Massage steht für die Zeit dazwischen – die Wehenpause. Erna erklärt, dass die Wehe schmerzhaft sein wird, dass es umso wichtiger ist, den Schmerz nicht mit Verkrampfung abzulehnen. Erna fragt die Runde, ob jemand eine Idee hat, wie man das machen könnte? "Vielleicht sich einfach denken, dass der Schmerz ja gut ist, weil es das Kind heraus bringt?" Dieser zaghafte Vorschlag eine der Erstgebärenden wird sogleich von Erna abgeschmettert: "Denken funktioniert bei der Geburt leider überhaupt nicht." Eine andere Schwangere meldet sich zu Wort. "Den Schmerz bejahen und ihm mit einem Stöhnen Ausdruck verleihen." Es ist bereits der zweite Kurs, den sie bei Erna macht. Sie hat schon ein Kind zur Welt gebracht, daher wundert es niemanden, dass die Antwort richtig ist. Erna ergänzt, dass es wichtig ist, die Wehenpause zur Entspannung zu nutzen und nicht verspannt darauf zu warten, wann denn nun die nächste schmerzhafte Wehe zuschlägt. Das klingt einleuchtend und so versucht Steffi bei der Wiederholung die Massage der rechten Nackenhälfte zu genießen, obwohl sie weiß, dass am Ende der böse Griff folgt. Wie empfohlen versucht sie außerdem, diesem Schmerz mit einem Laut zu begegnen, obwohl sie mir sagt, dass ihr "das mit dem lauten Seufzen und Rauslassen immer ein bisschen peinlich ist." Auch bei den anderen sind geöffnete oder lachende Münder zu sehen und laute Geräusche zu hören.

"Wir beide schaffen das"

Erna ist sehr zufrieden mit den Reaktionen der Gruppe. Seit 27 Jahren arbeitet die kleine Frau mit der sportlich-drahtigen Figur als Hebamme. Wenn sie gefragt wird, warum sie ihren Beruf gewählt hat, erinnert sie sich lächelnd an ein Schlüsselerlebnis im Alter von 14 Jahren. Damals arbeitete sie während der Sommerferien auf einer Säuglingsstation und erlebte eine Geburt mit. Schockierend, aber prägend. Inzwischen kann sie eine Geburt natürlich nicht mehr schocken. Aber ihr ist aufgefallen, dass sie mit ihren Kursen vor der Geburt viel mehr für die Frauen tun kann als mit ihrer Arbeit während der Geburt.

Mittlerweile zeigen die Zeiger der runden weißen Uhr an der Wand zwanzig vor acht. Wer möchte, kann jetzt noch eine Entspannungsübung mitmachen. Wer pünktlich los muss, sollte besser schon vor der Übung gehen. Alle bleiben, nehmen sich ein paar Kissen aus dem großen Eisenschrank und legen sich auf die Matten. Entweder auf den Rücken oder auf die Seite - bei weiter fortgeschrittener Schwangerschaft kann es wegen des Gewichtes des Kindes, das auf die Organe drückt, in Rückenlage schon mal ungemütlich werden. Nun schließen wir alle die Augen und konzentrieren uns auf unsere Atmung. Wieder ist dabei Ernas beruhigende Stimme zu hören, die dazu aufruft, aus dem Bauch heraus zu atmen – ganz so wie es kleine Kinder im Schlaf noch automatisch machen. Während sie spricht, wird meine Atmung tatsächlich ganz ruhig und tief, vergessen sind Geburtstermin, Kompressionsstrümpfe und der Mutterschutz. Meine Gedanken wandern, wie Erna es sich wünscht, zu dem ungeborenen Leben in meinem Bauch. Ich weiß gar nicht so genau warum, aber irgendwie habe ich nach den 90 Minuten wieder ein bisschen weniger Angst vor der Geburt und denke still in meinen Bauch hinein: "Wir beide schaffen das!"