Wenn professionelle Hilfe nötig wird

Kinderwunschzeit – eine Herausforderung für die Seele

Immer mehr Paare versuchen sich ihren Kinderwunsch mit Hilfe der modernen Medizin doch noch zu erfüllen. In vielen Fällen klappt es früher oder später. Doch die Zeit bis dahin ist geprägt von Hoffen und Bangen. Rund die Hälfte aller Frauen erlebt während der Behandlung depressive Phasen. Die Unterstützung durch einen Therapeuten kann in dieser sensiblen Zeit helfen.

Autor: Janine Flocke

Stimmt etwas nicht mit mir?

Kinderwunsch belastet
Foto: © Fotolia / Photographee.eu

Im Leben von Daniela Klare* hat eigentlich immer alles geklappt. Die Kfz-Mechanikerin lebt mit ihrem Mann Christoph in Unna. Nach der Hochzeit 2007 baut das Paar ein Haus und Daniela Klare besucht die Abendschule, um ihren Technikerabschluss zu machen. „Zu der Zeit begann in unserem Freundeskreis der Babyboom“, erinnert sich die heute 33-Jährige, die ihren Kinderwunsch aufschob, bis sie den Abschluss hatte. Als es so weit ist, setzt sie die  Antibabypille ab, doch es passiert nichts, Monate lang, schließlich vergeht ein Jahr. „Da habe ich mich schon gefragt, ob irgendwas bei mir nicht stimmt“, sagt Daniela Klare. Mehrere Untersuchungen ergeben zwar, dass bei ihr organisch alles in Ordnung ist, die Spermienanzahl ihres Mannes aber zu gering ist. „Dass Sie auf natürlichem Weg ein Kind bekommen, ist beinahe ausgeschlossen“, lautet die Diagnose.

Schwangere und Mütter sind nur schwer zu ertragen

Die Klares informieren sich deshalb im Kinderwunschzentrum Dortmund über mögliche Behandlungsformen und entscheiden sich für die ICSI (intrazytoplasmatische Spermieninjektion). „Ich war absolut zuversichtlich, dass es auf diesem Weg funktionieren wird“, erinnert sich Daniela Klare. Nach dem ersten gescheiterten Versuch ist sie nicht besonders enttäuscht. „Zu dem Zeitpunkt habe ich mir einfach gedacht, dass ja die wenigsten Frauen beim ersten Versuch schwanger werden – auch bei der natürlichen Zeugung braucht es manchmal mehrere Anläufe. Mit diesem ersten Scheitern konnte ich noch recht gut umgehen, obwohl ich beim Thema Kinder schon etwas sensibel war und Schwangere oder frisch gebackene Mütter im Freundeskreis nur schwer ertragen konnte.“

Kurz darauf starten die Klares eine weitere ICSI und das erste Testergebnis ist positiv. Daniela Klare aber hat von Anfang an Zweifel, dass die Schwangerschaft bestehen bleibt. Ihr Bauchgefühl erweist sich als richtig. Kaum eine Woche nach dem positiven Testergebnis zeigen die Untersuchungen, dass es zu einem so genannten  Frühabort gekommen ist.

Ein tiefes Loch nach der ersten Fehlgeburt

Das ist der Moment, in dem Daniela Klare in ein tiefes Loch fällt, sich immer mehr von Freunden und ihrer Familie zurückzieht und viele Stunden grübelt, warum sie nicht schwanger wird. Die zunächst positive Nachricht, auf die dann doch ein negatives Testergebnis folgt, und das Wissen, dass aus medizinischen und finanziellen Gründen nur noch ein Versuch möglich ist, setzen sie unter Druck.

Selbstzweifel überkommen sie. „Ich konnte nicht, was jeder kann, vielleicht lag es doch an mir“, fasst sie ihre bitteren Gedanken zusammen. Sie stürzt sich in die Arbeit und die Gartengestaltung, doch sobald sie allein ist, wird sie von heftigen Weinattacken gepackt, die sie kaum allein stoppen kann. „Es war so schlimm, dass ich mich selbst nicht mehr erkannt habe. Mir war sehr schnell klar, dass ich aus dieser depressiven Phase allein nicht mehr herausfinde und habe mir dann ganz gezielt Hilfe gesucht“, berichtet sie. Der einzige Ansprechpartner ist in dieser Zeit ihr Mann Christoph und eine Freundin, die in der gleichen Situation ist. Beide sind gegen die tiefe Verzweiflung machtlos.

Hilfe durch eine Therapeutin

Daniela Klare wendet sich an Bärbel Nellissen (s. Interview), die mit dem Kinderwunschzentrum Dortmund eng zusammenarbeitet. Kinderwunschzentren ermutigen ihre Patientinnen in der Regel, sich beraten zu lassen und kooperieren häufig mit Wohlfahrtsverbänden und Familienberatungsstellen.  Diese bieten ihre Unterstützung kostenlos an. Wird in Einzelfällen, eine schwere Depression diagnostiziert, übernimmt die Krankenkasse die Langzeittherapie. Die Psychotherapeutin Bärbel Nellissen von der AWO-Beratungsstelle in Dortmund ist in der Betreuung ungewollt kinderloser Frauen und Paare sehr erfahren, so dass sie gezielt ansetzen kann.

Zum ersten Mal hat Daniela Klare das Gefühl, verstanden zu werden. Anfangs geht sie wöchentlich zu den Beratungsterminen, um herauszufinden, welcher Aspekt der ungewollten Kinderlosigkeit ihr so zu schaffen macht.

„Es geht nicht nur um die relativ kurze Spanne der Behandlungszeit. Alte Konflikte brechen wieder auf. So habe ich mich sehr intensiv mit der komplizierten Beziehung zu meiner Mutter auseinandergesetzt. Außerdem habe ich Strategien entwickelt, die mich vor weiteren Abstürzen schützen. Autogenes Training hat mir zusätzlich geholfen“, berichtet Daniela Klare, „diese Gespräche haben mich persönlich ein großes Stück weitergebracht und langsam ging es mir besser.“ 

Ordnung im Gefühlschaos

Schließlich geht es Daniela Klare aber nicht nur darum, wieder neuen Lebensmut zu fassen. Es geht auch um ganz konkrete Fragen. Denn noch ist ein weiterer Versuch möglich: Die Krankenkasse würde noch eine Behandlung bezuschussen, und es sind noch genügend Eizellen eingefroren. Aber kann sie einen weiteren Versuch verkraften? Und was passiert mit ihr und ihrer Beziehung, wenn es nicht klappt?

Gemeinsam mit Bärbel Nellissen gelingt es ihr Schritt für Schritt, Ordnung ins Gefühlschaos zu bringen und eine Haltung zu diesen Fragen zu gewinnen. „Rückblickend möchte ich diese wichtige Zeit nicht missen. Aber die psychosoziale Betreuung war wichtig, ohne sie hätte ich  die vergangenen zwei Jahre nicht so gut überstanden“, sagt Daniela Klare über ihre Kinderwunschzeit, die für sie noch einmal die wichtigen Fragen und Konflikte des eigenen Lebens auf den Punkt gebracht hat.

Inzwischen sind Daniela und Christoph Klare Eltern einer sieben Monate alten Tochter Stella. „Damit beginnt wieder eine ganz neue Zeitrechnung“, lächelt Diana Klare. 

*Pseudonym, Name ist der Redaktion bekannt.

Interview mit Psychologin Bärbel Nelissen

In Kinderwunschpraxen finden viele ungewollt kinderlose Paare medizinische Hilfe und schließlich die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches: ein eigenes Kind. Doch der Weg bis zu diesem Ziel ist kein leichter. Die Behandlungen und die damit verbundenen Auseinandersetzungen sindmanchmal nicht nur für den Körper belastend, sondern sind auch eine psychische Herausforderung.

Die Psychologin Bärbel Nelissen berät Frauen und Paare, die ungewollt kinderlos sind. Sowohl vor Ort im Kinderwunschzentrum Dortmund als auch in der AWO Beratungsstelle in der Dortmunder Innenstadt bietet sie kostenlose Termine an. Aus ihrer langjährigen Erfahrung berichtet sie, warum eine Kinderwunsch-Behandlung auch die Seele belastet und wie eine Therapie helfen kann.

Wann suchen Frauen und Paare bei Ihnen Rat?
Bärbel Nelissen: Die meisten Patienten nehmen Kontakt zu mir auf, wenn sie an einem Knotenpunkt angelangt sind. Das kann die anstehende Entscheidung für oder gegen einen weiteren Behandlungsschritt sein oder auch die gefühlte Perspektivlosigkeit, nachdem die Behandlung in der Kinderwunschklinik nicht zum Erfolg geführt hat. In diesen Situationen entstehen häufig Paarkonflikte oder es brechen alte Wunden wieder auf. Wenn beispielsweise einer der beiden Partner gerne noch eine weitere Behandlung in Anspruch nehmen möchte, der andere dies aber ablehnt und sich gedanklich schon eher auf eine Alternative, wie beispielsweise eine  Adoption, einstellt. Hier gilt es, einen gemeinsam gangbaren Weg zu erarbeiten, was durch professionelle Begleitung oft besser gelingt. 

Nicht jede Frau, die sich im Kinderwunschzentrum behandeln lässt, kommt zu Ihnen. Für wen ist eine Beratung sinnvoll?
Meistens haben die Patientinnen schon eine Behandlung hinter sich. Nach oftmals Jahren des Hoffen und Bangens und der damit verbundenen Gefühlsachterbahn suchen die Frauen und Männer eine Möglichkeit, sich wieder zu sammeln und Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Dabei geht es oft um entscheidende Lebensfragen, den Sinn des eigenen Daseins, die Identität als Mann und Frau – Fragen, die durch die Krise drängender werden. Solche intensiven Gespräche führen auch zu Tränen und lösen schmerzhafte Prozesse aus, mit denen nicht jeder allein weiterkommt.

Stellen Sie bei der Verarbeitung dieser Situation auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen fest?
Ja, durchaus und daran hat sich auch in den vergangenen zehn Jahren, in denen das Thema gesellschaftlich nun deutlich präsenter geworden ist, nichts verändert. Frauen kommen auch allein, Männer kommen meist nur mit ihrer Frau und sind oft auch in erster Linie wegen ihr bei mir – zumindest vordergründig. Während Frauen oft tief traurig und verzweifelt sind, weil sich ihre Hoffnung auf ein eigenes Kind nicht erfüllt, haben die Männer oft eher Angst vor der Trauer ihrer Partnerin, obwohl sie natürlich auch selbst enttäuscht und traurig sind. Wenn Männer spüren, dass sie ihrer Frau nicht helfen können, kommen sie mit in die Beratungsstunde. Denn oft ist es diese Hilflosigkeit, die den Männern richtig zusetzt.

Wie viele Patientinnen nehmen Ihre Beratung in Anspruch?
Das lässt sich nicht so einfach sagen. Aber es sind über die Jahre mehr Frauen und Paare geworden, da die Hemmschwelle, sich beraten zu lassen, gesunken ist. Der Bedarf ist sicher noch etwas höher. Eine Phase der Depression kann zwar schnell wieder vorüber sein, professionelle Unterstützung tut aber gut und kann die Genesung deutlich beschleunigen.

Was kann die Beratung leisten?
Bei vielen Paaren in meiner Kinderwunsch-Beratung erlebe ich, dass sie sehr behutsam miteinander umgehen und in der Krise oft noch enger zusammenwachsen. Durch eine psychologische Begleitung kann diese Entwicklung gefördert werden. Selbst wenn sich der Kinderwunsch mit medizinischer Hilfe doch nicht erfüllen lässt, gehen diese Männer und Frauen gestärkt aus ihrer Krise hervor und haben es damit auch leichter, ihren vielleicht doch nicht zu erfüllenden Wunsch zu verarbeiten.“