Erzieherin: Kein Beruf, sondern Berufung

Ein Tag im Kindergarten

Die Journalistin und Mutter Andrea Grüten hospitierte einen Vormittag im Kindergarten und berichtet hier, was sie erlebte. Denn das war alles andere als erholsam...

Autor: Andrea Grüten

Ganz schön geschafft

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Ich bin fix und fertig, muss mich erst einmal eine halbe Stunde ausruhen. Mein dreijähriger Sohn schaut mich erstaunt an. Was für ihn jeden Morgen Alltag ist, war für mich eine ganz neue Erfahrung: Ich habe einen Vormittag im Kindergarten hospitiert, wollte einmal wissen, was mein Knirps da macht, wie die Arbeit der Erzieherinnen aussieht. Jetzt weiß ich es: anstrengend.

Erzieherin, eine Berufung

Ein ohrenbetäubender Lärm schlägt mir von der ersten Begrüßung der Kleinen entgegen. Was ich bislang nur gerade mal beim Hinbringen und Abholen meines Sprößlings mitbekommen habe, begleitet mich an diesem Tag ein paar Stunden. Wie die Wiesel flitzen die Kleinen in ihren Raum, sobald sie Straßenschuhe mit Hausschuhen getauscht haben. Suchen sich die Spielkameraden, erobern Bau- und Verkleidungsecken oder stürmen in die Puppenküche. Nur einige sind noch nicht ganz ausgeschlafen und gehen den Tag je nach Temperament erstmal langsam an - mit einem kleinen Gesellschaftsspiel, Basteln oder Malen. Wohlgemerkt - das ist nicht die Norm. Ich stelle sofort fest, Erzieherin ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Man braucht viel Geduld, starke Nerven und viel Fingerspitzengefühl, um dieser geballten Ladung Lebensfreude zu begegnen.

Kinder bringen von Natur aus viel mit. Nur eines fehlt den meisten völlig: Geduld. "Machst du mir den Schuh mal zu. Ich muss dir was erzählen - sofort. Spielst du mit mir das Rauswerfspiel? Ich muss mal Pippi." Hier und da müssen Tränen getrocknet, ein Streit geschlichtet werden. So geht es in einem fort. Ich weiß gar nicht so recht, wo ich anfangen soll. Die Erzieherin beobachtet mich schmunzelnd aus den Augenwinkeln. Sie genießt es offenbar, dass ich sehr schnell merke, wie schwer es ist, diesen Sack Flöhe zu hüten. Eine ebenso schöne wie nervenaufreibende Sache. Die Frage, die mich am meisten beschäftigt: Wie wird man hier jedem Kind gerecht? Dabei ist diese Kindergartengruppe mit rund 20 Kinder noch gut bedient. In den meisten anderen sind mindestens 25 Kids und zwei Erzieherinnen. Ich halte es dennoch für wichtig, dass man auf jedes Kind eingeht und seine Neigungen fördert - sich die Zeit einfach nimmt.

Die große Altersspanne - ein Problem

Schnell wird mir auch klar, dass ein Problem im Kindergarten die große Altersspanne ist. Hier sind seit dem Rechtsanspruch Knirpse von gerade mal drei Jahren bis hin zu teilweise fast sieben Jahren auf einem Fleck. Während die einen noch sehr viel Hilfe brauchen, wollen die anderen Vorschul-gerecht behandelt werden. Letzteren ist es im Stuhlkreis schlichtweg langweilig. Sie stören, werden teilweise richtig aggressiv. Sie interessieren sich nicht mehr für die Spielchen der Kleinen - "Baby-Kram" - oder Themen wie "ich entdecke meinen Körper." Es ist wichtig, die Neigungen zu unterscheiden. Es ist aber genauso wichtig, gerade jetzt das soziale Verhalten zu schulen. Die Großen sollten lernen, den Kleinen zu helfen und Rücksicht zu nehmen. Ein schweres Unterfangen, zumal auch in vielen Kindergärten Personal eingespart wird.

Natürlich habe ich den Tag im Kindergarten nicht nur dazu genutzt, um mich nützlich zu machen. Ich konnte auch viel beobachten, zum Beispiel andere Eltern. Und mir ist klar geworden: Eines kann und sollte der Kindergarten ihnen nur eingeschränkt abnehmen - die Erziehung der Kinder.
Angesichts wachsender Aufgaben ist der Dialog zwischen Eltern und Erzieherinnen aber umso wichtiger geworden. Nur so kann ich Problemen begegnen und mein Kind richtig einschätzen und fördern. Ich bin darauf angewiesen, dass die Erzieherinnen umgekehrt mich auch auf Schwächen oder Stärken aufmerksam machen, denn schließlich verbringt mein Sprößling sehr viel Zeit in einer Einrichtung, der ich vertrauen muss. Mein Filius hat den Tag genossen und mich mit den Kindern "geteilt". Tränen gab es nur im Stuhlkreis, als partout auch andere Kinder neben mir sitzen wollten. Das ließ er nicht zu.