Haltungsschäden bei Kindern

Kindern den Rücken stärken

Bereits Kinder verbringen viele Stunden ihrer Tage im Sitzen, und oft fehlt es ihnen an ausgleichender Bewegung. Die Folge sind Haltungsschwächen, die sich spätestens im Erwachsenenalter zu echten Schäden und langwierigen Problemen auswirken können. Unser Artikel zeigt, was Kinderrücken stark macht.

Autor: Kathrin Wittwer
Kinder Rücken stärken Teaser
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Was drückt Kindern aufs Kreuz?

Gut die Hälfte aller Kinder zeigt bereits zur Einschulung Haltungsschwächen, hat Schwierigkeiten, die Wirbelsäule aufzurichten oder längere Zeit aufrecht zu sitzen – nicht gezwungen stocksteif, sondern im Einklang mit der natürlichen Schwingung unserer doppelt S-förmigen Wirbelsäule. Die Ursachen können vielfältig sein und bereits im Babyalter einsetzen: Wenn Eltern ihr Kind zu früh hinsetzen, ohne dass der kleine Rücken schon stabil genug ist. Dafür müssen Babys zunächst lange die Muskeln von Wirbelsäule und Bauch trainieren, und das tun sie im Liegen, mit fleißigen Beinbeugen. Erst wenn sich die kleinen Sportler von allein aufsetzen, ist die Zeit dafür wirklich gekommen. Aus diesem Grund sehen manche Experten das (lange) Sitzen nicht nur in Babyschalen & Co., sondern selbst in Tragetüchern kritisch, da hiervon eine zu frühe Belastung auf den Steiß ausgehe. Die gesunde Entwicklung der Füße und passendes Schuhwerk im Laufalter sind für den Rücken ebenfalls wichtig, denn auch Fußfehlstellungen können sich ungünstig auf die Haltung auswirken. Der Hauptgrund für schwache Kinderrücken ist für die meisten Fachleute allerdings die von klein auf mangelnde Bewegung. Dadurch wird es für Kinder schwer, eine gesunde Körper- und Selbstwahrnehmung zu entwickeln. Gleichzeitig schwinden die Kraft der Muskeln und die Beweglichkeit der Gelenke – der Rücken macht schlapp.

Welche Rückenprobleme können bei Kindern auftreten?

Die wohl bekannteste Haltungsschwäche ist das Hohlkreuz, bei dem der Oberkörper nach hinten abkippt, wodurch am unteren Rücken eine deutlichere Wölbung nach vorn entsteht. Bis etwa zum 6. Lebensjahr, zum Beginn des Zahnwechsels und dem alterstypischen Wachstumsschub, sei ein Hohlkreuz bei Kindern allerdings normal, gibt der Schweizer Arzt Dr. Christian Larsen in seinem Buch „Starker Rücken – starkes Kind“ an, erst danach müsse man sich Sorgen machen. Bei einer anderen Auffälligkeit, dem Rundrücken, ist die Brustwirbelsäule verstärkt gekrümmt. Kommen Hohlkreuz und Rundrücken zusammen, spricht man vom Hohlrundrücken. Ein sogenannter Flachrücken wirkt zunächst in Ordnung, zeigt er doch eine gerade Haltung an. Allerdings fehlt hier die natürliche S-Krümmung, alles ist steif. Aus der fehlenden „Federung“ können sich auch Skoliosen entwickeln, seitliche Wirbelsäulenverkrümmungen, die einen regelrechten Schiefstand des Kindes nach sich ziehen. Darüber hinaus treten bei Schulkindern, bedingt durch die ständig vorgebeugte Haltung und den abgeknickten Kopf, häufig Schulter- und Nackenverspannungen auf, die Kopfschmerzen zur Folge haben können, hat der Physiotherapeut, Rückenschullehrer und Ratgeberautor Günter Lehmann in seiner Praxis im hessischen Edertal beobachtet.

Bewegung ist das A&O

Vorbeugen lässt sich dem – ganz logisch – vor allem mit Bewegung. „Dabei“, sagt Lehmann, „ist es zunächst nicht so wichtig, dass man gezielt auf rückenfreundliche Bewegung achtet, sondern wirklich vor allem darauf, wie viel sich ein Kind im Laufe eines Tages bewegt.“ Mindestens eine Stunde ausgelassene Aktivität sollte es schon sein. Mittel und Wege stehen dafür schon ab Kleinkindalter ausreichend zur Auswahl, seien es Hüpfpferde oder Laufräder, Ballspiele oder Springseil, Balanceboards, Laufdollis oder Stelzen, Gummitwist oder Federball, Schaukeln oder Klettern auf dem normalen oder dem Abenteuerspielplatz oder gar im Kletterwald, ob Rad fahren, Rollerblades, Skateboard, Schwimmen, Sport und Spiel mit Freunden oder einfach nach Herzenslust zur Lieblingsmusik tanzen. Egal, was man macht, entscheidend ist, „dass Kinder merken, dass der Körper eine tolle Sache ist und Bewegung Spaß macht, dass sie Lust auf mehr bekommen“, so Lehmann.

Ein Gerät kann hier besonders helfen: ein Trampolin. Ob eine Miniausgabe (alternativ Hüpfpolster) für die Wohnung oder ein großes mit Sicherheitsnetz im Garten – eine bessere Möglichkeit zum gesunden Toben können Eltern ihren Kindern kaum bieten, denn Trampolinhüpfen ist für so ziemlich alles gut: Es baut Stress ab, regt den Kreislauf an, schult Kondition und Gleichgewichtssinn und trainiert die Muskeln. „Eltern sollten aber nicht erwarten, dass Kinder von sich aus stundenlang allein Trampolinspringen“, warnt Lehmann. „Auch hier wollen sie Abwechslung und Anregungen, zum Beispiel indem man sich Bälle oder Luftballons zuwirft.“ Kommen auch Mama und Papa dabei in Schwung, schlagen sie drei Fliegen mit einer Klappe, denn sie verbringen Zeit mit ihrem Kind, tun etwas für sich selbst und sind vor allem gute Vorbilder: „Es geht nicht, dass Eltern zum Kind sagen ‚mach du mal’ und selber auf der Couch sitzen. Sie müssen schon selber vorleben, dass Bewegung Spaß macht“, betont der Physiotherapeut.

Und was ist mit Ranzen und Schreibtisch(stuhl)?

Ein weiterer Faktor, der bei Rückenproblemen immer wieder als Verursacher angeprangert wird, ist der schwere Schulranzen, mit dem Kinder sich abzurackern haben. Grundsätzlich, meint Lehmann dazu, ist das Tragen von Ranzen zwar nicht unwichtig, aber angesichts der Tatsache, dass kaum ein Kind tagtäglich eine schwere Mappe über viele Kilometer zu Fuß tragen muss, meist nicht zu dramatisch. Allerdings, schränkt der Experte ein, sind die Ranzen oft unnötig voll. „Es schadet nicht, wenn Eltern überprüfen, ob da nicht doch auch Sachen mitgetragen werden, die zu Hause bleiben könnten.“ Bedeutender als das Gewicht ist, dass der Ranzen sinnvoll gepackt und richtig getragen wird.

Für Hausaufgabenzeiten rät der Therapeut nicht nur auf geeignete Möbel zu achten – einen schräg zu stellenden Schreibtisch oder eine Schrägpultauflage sowie einen zum Kind passenden Stuhl (es lassen sich auch Hilfsmittel wie Fußstützen oder Sitzkeile einsetzen) – sondern ebenfalls auf eine gewisse „Arbeitsdynamik“: „Kinder sollten nicht nur am Schreibtisch arbeiten. Bewegung und Veränderung sind auch hier wichtig, indem Aufgaben mal im Stehen oder in der Bauchlage erledigt werden. Ein Sitzball anstatt eines Stuhls trägt zur Haltungsförderung bei. Entscheidend ist, dass der Sitzkreislauf immer wieder durchbrochen wird.“ Zum Beispiel, in dem man sich, wenn man viel gebeugt sitzt, gezielt streckt, sowohl im Sitzen, im Stehen wie in Rücken- und Bauchlage.

Was passiert, wenn Kinder sich verbiegen?

Dass ein gerader Rücken in Lernsituationen wichtig ist, lässt sich auch daraus ableiten, dass bei stark gekrümmter Halswirbelsäule die Durchblutung und die Sauerstoffversorgung des Gehirns leiden – und müde lernt es sich nun mal nicht gut. Einen weiteren Grund für eine gute Haltung (nicht nur) bei den Hausaufgaben führt die Psychoanalytikerin Dr. Maja Storch im Buch „Embodiment. Die Wechselwirkungen von Körper und Psyche verstehen und nutzen“ an: Schon vor 30 Jahren habe ein Experiment gezeigt, dass Menschen, die kurz vor dem Lösen einer Denksportaufgabe mit krummem Rücken sitzen sollten, dann von dieser Aufgabe viel schneller frustriert waren als Menschen, die vorher aufrecht saßen. „Durch die gekrümmte Körperhaltung wurden im psychischen System Themen wie Depression, Aufgeben, Mutlosigkeit aktiviert“, erklärt die Wissenschaftlerin. Solche Wechselwirkungen zwischen Psyche und Körper lassen sich gerade am Rücken, dem „Austragungsort für viele Stimmungen“ besonders gut beobachten, meint auch Günter Lehmann, und zwar genauso in umgekehrter Richtung. Dass sein Ratgeber „Die Rückenschule für Kinder“ mit „Aufrecht durchs Leben“ untertitelt ist, zielt durchaus nicht nur auf Äußerlichkeiten: „Haltung kommt auch von innen. Glückliche Kinder haben eine ganz andere Haltung als Kinder, die Sorgen haben. Diese laufen oft gedrückt und gebeugt, eben mit Sorgenbuckel.“ Nicht umsonst heißt es „eine Last auf den Schultern tragen“ oder „die Schultern hängen lassen“. Solche möglichen Gründe für einen „traurigen“ Rücken sollten Eltern also vorsichtshalber ebenfalls hinterfragen und ihren Kindern, wenn notwendig, in diesem Bereich „den Rücken stärken“.

Wann ist notwendig, Probleme gezielt anzugehen?

Zeigt ein Kind Anzeichen von Fehlhaltungen, ist es ratsam, diesen so früh wie möglich entgegen zu wirken, ehe sie sich verfestigen und zu dauerhaften Fehlstellungen auswachsen – zumal es für Kinder viel einfacher ist, ihre Verhaltensmuster zu ändern als später für den Erwachsenen. „Kann man sich selbst und das Kind zum regelmäßigen Üben motivieren, ist es gut, die Sache zu Hause anzugehen“, meint Experte Lehmann und hat für Gleichgewichts- und Koordinationstraining, zur Muskelkräftigung sowie für Dehnung und Entspannung viele Übungen in seinem Buch gelistet. Luftballon, Gummiball und Reissäckchen kommen zusätzlich als „Fitnessgeräte“ ins Spiel, denn: „Ein spielerisches Rangehen ist auch beim Üben Grundprinzip. Man steht ja immer in Konkurrenz mit den ganzen Medien, da muss man Kontrastreize bieten und die Phantasie anspornen, um Kinder zu überzeugen und zu motivieren.“ Allerhöchste Zeit, zum Arzt oder Physiotherapeuten zu gehen, ist es spätestens dann, „wenn man schon deutliche Veränderungen an der Rückenform bemerkt, zum Beispiel weil die Schulterblätter auffällig weit abstehen, oder wenn das Kind wiederholt über Schmerzen klagt, zum Beispiel regelmäßig beim Ranzentragen oder über Kopfschmerzen, vielleicht auch über Kribbeln in den Händen und Beinen“, führt Günter Lehmann aus.

Was bietet ein guter Rückenschulkurs für Kinder?

Schaffen Eltern es nicht, daheim als „Fitnesstrainer“ mit ihren Kindern zu üben, kann ein Rückenschulkurs helfen. Hat das Kind ohnehin schon einen vollen Terminkalender, plädiert der Physiotherapeut fürs temporäre Prioritätensetzen: „Ein Rückenschulkurs läuft nur über einen begrenzten Zeitraum, in der Regel 8 bis 10 Mal, einmal in der Woche. Das ist keine dauerhafte Terminbelastung, sondern gut investierte Zeit.“ Bei der Auswahl des Kurses sollte man darauf achten, dass es hier nicht nur darum geht, wie man korrekt sitzt, aufsteht oder etwas anhebt, sagt Günter Lehmann: „Wichtiger ist, dass bei den Kinder die Bewegungsfreude geweckt und gestärkt wird. Außerdem sollten Kräftigungselemente dabei sein.“ Welches Konzept man wählt, ob eine Kinderrückenschule, einen Spiraldynamik-Kurs oder vielleicht Yoga, ist zweitrangig, meint der Fachmann: „Man sollte sich nicht von einer bestimmten Präventionsform abhängig machen. Die Hauptsache ist, das Kind hat Spaß, dann bringt es auch etwas.“ Mindestens anteilig von den Krankenkassen bezahlt werden Kurse bei lizenzierten Rückenschullehrern für Kinder ab 6 Jahren. In der Regel finden diese Kurse in Physiotherapiepraxen oder Sport- und Gesundheitszentren, manchmal sogar in Schulen, statt. Oft kann man sie über die Kasse finden – eine Nachfrage lohnt sich also.

Zum Weiterlesen

  • Günter Lehmann: Die Rückenschule für Kinder. Aufrecht durchs Leben. Trias. 2004. ISBN-13: 978-3830432166. (derzeit nur gebraucht erhältlich)
  • Christian Larsen, Bea Miescher, Dagmar Dommitzsch: Starker Rücken – starkes Kind. 32 spielerische Übungen auch für kleine Bewegungsmuffel. Trias. 2009. ISBN-13: 978-3830434450. 14,95 Euro.
  • Karin Schaffner: Auf deinem Rücken tut sich was...: Rückenwahrnehmungsspiele für Kinder im Alter von zwei bis acht Jahren. Pohl. 2009. ISBN-13: 978-3791102375. 8,80 Euro.
  • Nicole Gebhardt: Hier bewegt sich was. Das bewegte Kinderzimmer. Kinderturnen in Kindergarten, Schule und Verein. Meyer & Meyer Sport. 2011. ISBN-13: 978-3898994897. 13,95 Euro.
  • Wolfgang Hering, Hartmut E. Höfele, Ummada M. Kindel: Kinder kommen in Bewegung. Die schönsten Lieder zum Toben, Tanzen und Bewegen. Für das nächste Kinderfest, die Gartenparty oder das Kinderzimmer. CD. Ökotopia. 2007. ISBN-13: 978-3867020091. 9,90 Euro.
  • Gisela Dürr, Martin Stiefenhofer: Schöne alte Kinderspiele. Bassermann 2010. ISBN-13: 978-3809427520. 6,99 Euro.