Wenn Frauen in der Mutterrolle nicht glücklich sind

Regretting Motherhood - darf man es bereuen, Mutter zu sein?

Hätte ich doch bloß kein Kind bekommen! Dieser Satz ist ein Tabubruch - den viele Frauen jetzt dennoch erstmals wagen. Doch warum sind manche Mütter in ihrer Rolle so unglücklich?

Autor: Gabriele Möller

Regretting Motherhood - das Bekenntnis der Frauen

Frau achtsam
Foto: © fotolia.com/ monkey business

Alles fing an mit einer kleinen Studie aus Israel. Die junge Soziologin Orna Donath stellt darin Mütter vor, die es offen bereuen, Kinder bekommen zu haben. "Wenn ich heute zurückgehen könnte, hätte ich natürlich keine Kinder. Das ist absolut selbstverständlich für mich", sagt da zum Beispiel Atalya, drei Kinder. Und die zweifache Mutter Charlotte erklärt, Muttersein sei für sie "die Auseinandersetzung mit dem nunmehr Unvermeidbaren", sie ziehe aus ihrer Mutterrolle keinerlei emotionalen Gewinn.

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Darf man seine Kinder bereuen?

Wer anfangs glaubte, hier handele es sich um ein israelisches Problem, irrte: Die Studie schlug auch hierzulande riesige Wellen in den sozialen Netzwerken, schaffte es kurz darauf in die deutschen Hauptnachrichten und wird seither in allen Medien heftig diskutiert. Und das, obwohl die israelische Untersuchung mit 23 Befragten eigentlich zu klein ist, um wissenschaftliche Bedeutung zu haben. Vor allem bei Twitter erhob sich im Hashtag #regretting motherhood (engl.: bereuen, Mutter zu sein), eine tausendstimmige Debatte. Manche Frauen twitterten, dass auch sie es bereuen, Mutter geworden zu sein. Andere, dass sie diese Mütter zumindest verstehen könnten. Wieder andere (und auch viele Männer) reagierten empört darüber, wie man quasi seine Kinder bereuen könne. Sie werfen diesen Müttern Wehleidigkeit oder Egoismus vor.

Sein Kind lieben - aber nicht das Muttersein?

Die starke Resonanz auf die Studie bedeutet aber nicht, dass wirklich ein Großteil der Frauen es bereuen würde, Kinder bekommen zu haben. Es sind sogar eher weniger. Die große Mehrheit der Mütter hat zur Mutterschaft eher zwiespältige Gefühle und ist erleichtert, diese endlich aussprechen zu dürfen: "Manchmal habe ich das Muttersein schon als Belastung empfunden. Als meine Tochter als Baby ihre abendlichen Schreiphasen hatte, hätte ich mich am liebsten ins nächste Flugzeug gesetzt. Aber in der Rückschau würde ich die Frage, ob ich wieder Mutter werden würde, mit Ja beantworten", sagt eine urbia-Userin. Und eine andere beschreibt ihre widersprüchlichen Gefühle so: "Ich bereue mein Kind nicht und ich liebe es. Aber es gibt Dinge, die das Muttersein betreffen, die ich nicht so toll finde, als dass ich sie im nächsten Leben mit Sicherheit wiederholen würde."

Mutterschaft und Muttertätigkeit - zwei Paar Schuhe!

Der Widerspruch zwischen dem Ja zum Kind und der Distanz zur eigenen Mutterrolle durchzieht die Diskussion wie ein roter Faden. Doch wie entsteht dieses ambivalente Gefühl? "Die meisten der betroffenen Frauen lehnen nicht ihre Mutterschaft ab, sondern ihre Fürsorgetätigkeit. Wir verwechseln oft die Mutterschaft mit der Muttertätigkeit. Das muss man begrifflich unbedingt trennen", erklärt dazu Dr. Helga Krüger-Kirn, Diplom-Psychologin aus Marburg, die u. a. zum Thema weibliche Identität und Mutterschaft forscht. Und tatsächlich kann nur eine solche Unterscheidung auch den scheinbaren Widerspruch lösen, wenn etwa Doreen aus Israel zu erklären versucht: "Ich bereue es, Mutter geworden zu sein, aber ich bereue nicht meine Kinder. Ich liebe sie. Ich wünsche mir nicht, dass sie nicht hier wären, ich möchte einfach keine Mutter sein."

 "Ich bin nur Mutter…"

 Warum aber haben manche Frauen negative Gefühle zu ihrer Mutterrolle? "Ursache ist, dass es keine gesellschaftliche Anerkennung für diese intensive Muttertätigkeit, diese intensive Beziehungsarbeit der Mütter an ihren Kindern gibt", vermutet Dr. Krüger-Kirn, die auch Lehrbeauftragte an der Universität Marburg ist. "Die reproduktive Tätigkeit der Mütter hat nicht den gesellschaftlichen Wert wie eine Erwerbstätigkeit. Denn reproduktive Tätigkeiten erzeugen keinen Mehrwert." Das bedeutet: Mutterschaft wird auch deshalb zu wenig anerkannt, weil frau mit dem Kinderversorgen kein Geld verdient.

 "Die Wertschätzung der Aufgaben von Müttern muss viel höher werden", fordert Krüger-Kirn daher. Es sei hier ähnlich wie mit der geringen gesellschaftlichen Wertschätzung für Pflegetätigkeiten überhaupt. "Zu mir kommen Frauen in die Praxis, die im Erstgespräch sagen: 'Ich bin nur Mutter.' Frauen brauchen Unterstützung, um sich freizuschwimmen von solchen gesellschaftlichen Zuweisungen."

Frauen in der Leistungsfalle

Doch im Moment scheint noch zu gelten: Eine Frau sollte keineswegs "nur" Mutter sein. Wer Anerkennung will, sollte außerdem einen Beruf ausüben, sich in der kargen Freizeit freudig in Kiga oder Schule engagieren und trotz aller Übermüdung natürlich auch sexy sein. "I'm a bitch, I'm a lover, I'm a child, I'm a mother, I'm a sinner, I'm a saint", bringt Meredith Brooks in einem ihrer Hits das Unvereinbare auf den Punkt. Und selbst wenn eine Mutter eine Zeitlang nichts Anderes macht, als "nur" Mutter zu sein: "Sofort, wenn sie ein Baby bekommen, stehen Mütter auch in der Mutter-Kind-Beziehung wieder unter gesellschaftlichem Leistungsdruck. Frau kommt also aus der Leistungsfalle nicht raus", erläutert Krüger-Kirn.

Das Schweigen der Väter

Dieser neuerliche Leistungsdruck entsteht, weil Frauen als Mutter alles richtig machen wollen. Sie wissen viel über kindliche Psychologie und fürchten, dass ihr Kind seelischen Schaden nimmt, wenn sie Fehler machen. Doch wo sind eigentlich die Väter? "Müttern wird unterstellt, für das Glück und Wohlbefinden ihrer Kinder verantwortlich zu sein. Auf jeden Fall lastet dahingehend mehr Verantwortung auf der Mutter als auf dem Vater", empfindet es eine urbia-Userin. "Alle Fehler werden auf die Mütter zurückgeführt", so der Eindruck einer anderen Userin. Dieses Gefühl kommt nicht von ungefähr: Die von Sigmund Freud mitbegründete Psychoanalyse machte lange Zeit die Frau zur Hauptverantwortlichen für das Glück ihres Kindes. Solche Überzeugungen prägen Frauen bis heute: Wenn Mütter in Online-Foren Rat in Sachen Erziehung suchen, wird der Vater in diesen Postings fast nie erwähnt. Auch bei der Debatte #regretting motherhood auf Twitter schweigen die meisten Männer sich aus - sofern sie die Frauen nicht gar attackieren. Kaum ein Mann fühlt sich selbst in die Pflicht genommen. Eine der wenigen Ausnahmen ist jener Vater, der kritisch twittert: "Umso stärker dröhnt die beklemmende Stille der Männer!"

Von Natur aus gerne Mutter?

Viele Männer, aber auch Frauen glauben offenbar, die Mutter sei schlicht am wichtigsten für ein Kind. Ist es ihr nicht sogar angeboren, dass sie gern für den Nachwuchs sorgt? Doch die französische Philosophin Prof. Elisabeth Badinter stellte bereits 1981 die These auf, dass es keinen angeborenen Mutterinstinkt gebe. Frauen seien keineswegs ab dem Moment der Geburt automatisch die liebenden, hingebungsvollen Mütter, die gern auf ihr eigenes Leben verzichten. Es habe in der Geschichte Phasen gegeben, wo sich Mütter ziemlich wenig um ihre Nachkommen kümmerten und vor allem ihrer eigenen Arbeit oder auch ihrem Vergnügen nachgingen.

"Mutterschaft ist ein Identitätskonzept", sagt auch Dr. Krüger-Kirn. "Es legt eine Frau auf bestimmte Identitätsformen und Seinsweisen fest, die mit sozialer Anerkennung einhergehen." Wenn sie davon abweiche, müsse sie gesellschaftliche Sanktionen fürchten. Dieses Mutterbild aber ist recht jung. "Die uns heute vertraute Verknüpfung von Mutterschaft und Weiblichkeit entstand mit der Industrialisierung." Während der Mann in der Fabrik den Lebensunterhalt verdiente, "erhielten Frauen ihre Existenzberechtigung über die Fortpflanzung", so die Psychologin. "Natürlich hat ein Kind das Recht und den Anspruch auf empathisch-liebevolle Zuwendung. Aber diese ist nicht per se an die Frau gebunden, auch der Papa oder die Oma können sie geben."

Glückserwartung mündet oft in Ernüchterung

Dass viele Frauen zwar zunächst ein Kind wollten, dann aber enttäuscht sind, kann auch einer überhöhten Glückserwartung geschuldet sein. Während Mädchen in der früher üblichen Großfamilie die jüngeren Geschwister mit aufzogen, haben viele Frauen heute noch nie ein Baby versorgt, bevor sie Mutter werden. Die Werbung von Babyprodukte-Herstellern verstärkt die unrealistischen Erwartungen noch, wenn sie allzeit sonnig gestimmte Mütter zeigt. "Ich finde das ganz gruselig, da wird den Menschen so eine perfekte Welt voller positiver Gefühle vorgespielt", schreibt auch eine Forums-Userin zur Diskussion über "Regretting Motherhood".

Auch, dass viele Frauen erst relativ spät Mutter werden, kann hohe Erwartungen schüren. "Wenn Frauen länger im Beruf sind, haben sie oft irgendwann das Gefühl, dass sie in ihrem Leben, auch auf ihren Körper bezogen, etwas versäumen", erklärt Dr. Krüger-Kirn zum späten Kinderwunsch. "Wenn man dieses Bedürfnis aber lange Zeit aufgeschoben hat, kann die Erwartung natürlich sehr hoch werden." Wer dann seinen Job und die damit verbundene Anerkennung aufgibt, wird durch Babystress, Überlastung und fehlende Wertschätzung oft schnell ernüchtert.