Zum Muttertag

Mütter im Mittelpunkt

Zum Muttertag macht sich unsere Autorin Gedanken darüber, was Mutterschaft heute ganz besonders kennzeichnet: Es ist das Ideal der "perfekten Mutter" damit verbunden ein chronisch schlechtes Gewissen.

Autor: Andrea Lützenkirchen

Mütter heute - woher kommt das schlechte Gewissen?

Tochter kuesst Mutter
Foto: © iStockphoto.com/ Maica

Die einen seufzen heimlich darüber, die anderen plagen peinliche Gefühle und wieder andere freuen sich, an diesem zweiten Sonntag im Mai im Mittelpunkt zu stehen. Viele Mütter machen den Kindern zuliebe mit und zeigen Begeisterung über Rosen, Seife in Herzform und Vaters Kochversuche. Muttertag – etwas Verstaubtes hängt diesem Fest an und dennoch - es gibt ihn immer noch.

Warum feiern wir heute noch Muttertag?

Äußerlich gesehen haben die Mütter es längst nicht mehr so schwer wie die Frauen früherer Jahrhunderte. War das Leben für sie doch eine einzige Plackerei mit der Versorgung vieler Kinder, ohne Urlaub und ohne Waschmaschine. Doch schaut man genauer hin, unterscheidet sich das heutige Mutterleben in einem wichtigen Punkt von dem unserer Ahninnen: Noch nie wog die Last der Verantwortung der Mütter so schwer, noch nie wurden sie so von schlechtem Gewissen und Ängsten gequält.

Ein Blick in frühere Jahrhunderte

Woran liegt es, dass Mütter sich schuldig fühlen und ihr Verhalten in Frage stellen, wenn ihr Baby schreit, die Zweijährige den Spielkameraden boxt, der Zehnjährige im Kaufhaus klaut? Warum drückt sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie mal ungeduldig ist oder streng? Sie zerbricht sich den Kopf über die richtige Ernährung, das richtige Spielzeug, die richtige Erziehung. Sie ängstigt sich, dass sie ihr Kind schädigt, wenn sie es bei einer Tagesmutter abgibt. Und sie quält sich mit der Frage, ob sie ihrem Ungeborenen nicht doch hätte Mozart vorspielen sollen.

Um Kinder wurde nicht viel Aufhebens gemacht

Es lohnt sich ein Blick zurück. In früheren Jahrhunderten liefen Kinder, ihre Pflege, Betreuung und Erziehung, eher nebenher. Mutter sein bedeutete in erster Linie, neues Leben hervorzubringen. Sicher kümmerte sich die Bäuerin, die Kaufmanns- und Handwerkerfrau und später die Heimarbeiterin um ihre Kinder. Doch bei ihren vielen anderen Pflichten und Tätigkeiten blieb nicht viel Zeit für sie. Kinder gehörten zur weiblichen Normalbiografie dazu und man machte sich nicht allzu viel Gedanken über ihr Gedeihen. Angehörige der Oberschicht übergaben ihren Nachwuchs getrost den Ammen, Kinderfrauen und Erziehern und widmeten sich der Haushaltsführung und Repräsentation.

Das Ideal der guten Mutter

Die gesellschaftlichen Erwartungen an die Mutter veränderten sich im neunzehnten Jahrhundert grundlegend mit der Schaffung der Arbeitsteilung. Von nun an war der Mann für das Einkommen und die äußere Situation der Familie zuständig, während Kinder zum höchsten Ziel der Frau und ihrem eigentlichen Beruf bestimmt wurden. Fortan galt in der bürgerlichen Mittelschicht das Ideal der selbstlosen Mutter und ihrer aufopfernden Liebe. Diese Idealisierung der Mutter wirkt noch bis in unsere Zeit hinein. Doch die entscheidende Rolle für die Geburt des schlechten Gewissens übernahmen die Psychologie und die Psychoanalyse.

Von Verantwortung zur Schuld

Im zwanzigsten Jahrhundert setzte sich bei Nachfolgern Sigmund Freuds die Ansicht durch, dass die Mutter-Kind-Beziehung gewaltigen Einfluss auf die seelische Entwicklung des Kindes habe. Sie entdeckten, dass sich das Verhalten der Mutter ihrem Kind gegenüber wesentlich auf die Reifung seiner Persönlichkeit auswirkt. Mit so wichtiger Bedeutung für das Kind ausgestattet, wurde die Mutter allzu schnell zur "Hauptverantwortlichen" erhoben, was den Lebenserfolg und das Lebensglück ihres Kindes anging. Und "von der Verantwortung zur Schuld war es nur noch ein kleiner Schritt", schreibt Elisabeth Badinter in ihrem Buch "Die Mutterliebe". Eine Folge davon war das Aufkommen massiver Schuldgefühle und eines erdrückend schlechten Gewissens, das die Mütter früherer Zeiten nicht kannten.

Lieber etwas weniger perfekt

Wie wohl täte es, könnte man sich von diesen negativen Gefühlen verabschieden. Nicht mehr gute, perfekte oder schlechte, sondern einfach nur noch Mutter sein. Und Frau, die ein Recht auf ein eigenständiges Leben besitzt und auch gewillt ist, es zu leben. Vielleicht werden Wissenschaftler eines Tages herausfinden, dass Mütter doch nicht so ungeheuer wichtig sind wie heute angenommen. Damit wäre der Mutter-Mythos zerstört und die Frauen könnten sich entspannen.

Heute könnte der Muttertag ein Anlass sein, sich mit seinem Mutterideal auseinander zu setzen und es gegebenenfalls zu zerschlagen. Denn auch ohne dem Ideal der "guten Mutter" zu entsprechen können Sie gewiss sein: Sie sind die beste Mutter für Ihr Kind. Lassen Sie sich feiern.