Mütterliche Türsteher

Maternal Gatekeeping: Papa darf nicht mitmachen?

Väter helfen zu wenig mit Kindern und Erziehung? Ein Eltern-Phänomen ist aber auch, dass die Mütter die Väter gar nicht lassen – oder nur so, wie die Mütter es wollen und vorgeben. Mütter sind die Türsteher und Papa bleibt außen vor. Wie kommt es zu diesem „Maternal Gatekeeping“?

Autor: Kathrin Wittwer

Was Maternal Gatekeeping ist

Maternal Gatekeeping
Foto: © Fotolia / Boggy

Ein Türsteher hält fern, wen er für ungeeignet hält, und lässt durch, wer in Ordnung ist. So ähnlich läuft das auch bei Müttern, die allein darüber entscheiden wollen, welche Beziehung der Vater zu ihren Kindern haben soll. „Maternal Gatekeeping" nennen Wissenschaftler das, wenn Papa nicht an Mama vorbeikommt, und im Extremfall führt das zu den tragischen Fällen, in denen Väter ihre Kinder nach einer Trennung nicht mehr sehen dürfen.

Wo Maternal Gatekeeping anfängt

Für viele fängt Maternal Gatekeeping allerdings schon deutlich früher an: wenn sich mütterliche Türsteheraktivitäten direkt im ganz jungen, frischen Familienalltag einschleichen, typischerweise beim ersten Kind. Zum Beispiel, wenn Mama Papa diktiert, welche Sachen er dem Baby anzuziehen hat, ihm die Wickeltasche für den Nachmittagsspaziergang packt oder das von ihm bereitete Fläschchen noch mal auf die richtige Temperatur prüft, bevor er füttern darf. Kurzum: wenn sie alles, was das Kind betrifft, besser weiß, Papa ständig kritisiert und ihm Vorschriften macht, wie er mit dem Baby umzugehen hat.

„Wehret den Anfängen, man ist da schneller, als man denkt", meint deshalb Nikolai Geils-Lindemann, Psychologe, Elterncoach und systemischer Berater aus Berlin, in dessen „Praxisgemeinschaft AmSel" immer wieder Paare kommen, bei denen es genau so gekommen ist. „Da fällt auf, dass das fast alles Paare sind, wo das Kind noch klein ist, manchmal erst drei Monate." Was passiert in dieser Zeit mit den Müttern?

Warum werden Mütter zum Türsteher?

In der Regel was ganz typisches: Sie sind in diesen ersten Monaten eben meist fast vollständig für das Baby verantwortlich und oft auf sich allein gestellt, wenn der Mann arbeitet und die Herkunftsfamilie weit weg wohnt. Da kommt schnell ein „Ich muss das alles alleine können und schaffen"-Gefühl auf. „Das passt auch in unsere Zeit von Perfektion und Kontrolle. Alles muss perfekt sein, Hauptsache, es wird nichts falsch gemacht", sieht es der Psychologe im gesellschaftlichen Kontext. Vieles weiß Mama halt dann konsequenterweise wirklich erst einmal besser, bzw. früher: warum das Kleine weint, wie es gern ins Bettchen gelegt werden möchte, wann es Zeit zum Windeln ist. Für die einen ist das auch ganz selbstverständlich ihr ureigenes Recht und ihre Pflicht als Mutter. Andere entwickeln den Ehrgeiz, konkurrenzlos die Beste für ihre Kinder sein zu wollen, weil es der einzige Bereich ist, in dem sie das Sagen haben und der ihr Selbstbewusstsein stärkt. All das sind mögliche Gründe, aus denen laut Studien Mütter – etwa 20 Prozent sollen es sein – zum Türsteher mutieren und ihr Hoheitsgebiet Kind verteidigen.

Und mit den Papas hat das alles gar nichts zu tun? Ist es ganz ein Problem der Mütter, wie der Begriff „Maternal Gatekeeping" suggeriert?

Perfektionistische Mütter oder faule Väter?

Nein, findet Nikolai Geils-Lindemann: „Ich mag diesen Begriff nicht, mit dem der Schwarze Peter direkt der Mutter zugeschoben wird. Ich denke schon, dass Väter da auch ihren Anteil haben, gerade in dieser vulnerablen Phase der ersten Monate, wenn sie sich zurückhalten, sei es aus Unsicherheit oder in bester Absicht, rücksichtsvoll zu sein. Damit geraten sie schnell auf ein Abstellgleis." Weil ihnen schließlich Übung und Erfahrung fehlen, mit ihrem Kind umzugehen, stellen sie sich dann vielleicht auch etwas ungeschickt an – und Mama, die nur das Beste für ihr Kind will, springt schnell in die Bresche. Spätestens jetzt manövrieren sich beide in eine Sackgasse: Sie traut ihm nicht zu, ein guter Vater zu sein und wird das Zepter über die Kindererziehung vollends an sich reißen. Er ist darüber vielleicht sogar ein bisschen erleichtert und lehnt sich zurück – und katapultiert sich damit ins Aus.

„Vielleicht lässt es sich gar nicht auflösen, wo oder mit wem genau es anfängt, weil da eine sich gegenseitig bedingende Dynamik dahintersteht", wiegt der Psychologe die große Schuldfrage ab. Aus seinen Therapien kennt er jedenfalls beides: Väter, die wollen, aber nicht dürfen, und Mütter, die um Hilfe bitten, aber allein gelassen werden.

Egal wer nun angefangen hat: Am Ende ist es eine verfahrene Situation, in der sich die eine nicht traut, dem anderen was abzugeben, und der andere sich nicht traut, sich einzumischen. Wie kommt man da nur wieder raus?

Mütter: einfach mal machen lassen!

„Ich würde beiden Eltern zu mehr Mut raten", sagt Elterncoach Geils-Lindemann. „Der Mutter zu mehr Mut, loszulassen und den Vater machen zu lassen, auszuhalten, selbst wenn er vielleicht mal komische Ideen hat." Selbst wenn Mama es oft besser kann – muss es wirklich immer nur der machen (dürfen), der es am besten kann? Papa ist deshalb schließlich nicht gleich schlecht. Und ist es nicht toll, dadurch Entlastung zu bekommen, mehr Zeit für sich?

Väter: einfach mal machen!

Doch auch Väter müssen ihren Teil dazu beitragen, etwas zu verändern: „Ich brauche im Prozess immer einen, der bereit ist abzugeben und einen, der nimmt und einfordert", so der Elterncoach. Vor allem wenn Mütter es schon zu oft erlebt haben, dass der Partner eben nicht da war. „Es ist schon so, dass Väter sich nicht immer so engagieren, wie sie könnten. Auf der anderen Seite sind sie auch oft nur unsicher, zum Beispiel, weil sie sich an nur eine Bemerkung der Mutter erinnern, die mal im Vorbeigehen gemacht wurde, das wird so oder so gemacht, und die Väter haben das sehr empfindlich aufgenommen und sich zurückgezogen."

Während Mama also Mut braucht, einfach machen zu lassen, braucht Papa Mut, einfach zu machen. „Allein wenn der Mann das Wochenbett ernster nehmen würde, gleich länger Urlaub oder Elternzeit nimmt, dann hat er auch eine große Chance. Es ist schade, wenn Männer sich gerade am Anfang so rausnehmen und den Anschluss verlieren. Das hat doch auch was, über sich hinauszuwachsen für dieses kleine Wesen", bekräftigt der Berater.

Übung macht nun mal den Papa. Und je mehr er beweist, dass er engagiert ist, umso mehr wird ihm seine Frau auch zutrauen und loslassen können. Das kriegt dann wiederum eine Eigendynamik, bei der alle nur gewinnen können, Väter vor allem ein tolles Verhältnis zu ihrem Kind.

Die große Grundsatzfrage: Was wollen wir eigentlich?

„Ich denke, es ist wichtig, sich vor Augen zu führen: Wenn wir nichts ändern und diese Dynamik sich verschärft, was heißt das dann?", ermutigt Nikolai Geils-Lindemann, sich zur Motivation die Grundsatzfrage zu stellen. „Es heißt erstens, die Mutter bleibt auch für die nächsten Jahre allein verantwortlich, immer der Dreh- und Angelpunkt, immer die mit der engeren Beziehung zum Kind. Und zweitens kann man sich auch für sich als Paar ja ungefähr abzählen, was es bedeutet, wenn man keine Veränderung schafft. Entweder ist es dann die (selbst gewählte) superklassische Aufteilung zwischen Arbeit und Haushalt oder beide Partner werden immer unzufriedener, was möglicherweise in ein paar Jahren auf eine Trennung hinausläuft."

Am besten erst gar nicht in die Falle gehen

Wichtig ist die Paarbeziehung. Ist hier der Wurm drin, hilft das natürlich nicht, als Eltern Vertrauen zueinander zu haben. „Wer in einer Krise steckt, ist gar nicht mehr offen für die gemeinsame Erfahrung, dass nie immer nur der eine oder der andere Recht hat", so Nikolai Geils-Lindemann. Die beste Vorbeugung gegen Maternal Gatekeeping ist deshalb aus seiner Sicht, sich umeinander als Paar zu kümmern, gerade in der Schwangerschaft, die viele Beziehungen beutelt. „Miteinander reden über das, wie man sich das vorstellt, wenn das Kind da ist, ganz konkret, ist wichtig. Dafür braucht man vor allem Zeit miteinander, denn auf Knopfdruck gibt es keine tollen Paargespräche. Nicht nur den Geburtsvorbereitungskurs zusammen machen, nicht nur denken, ok, ich nehm dann mal ne Woche Urlaub, wenn das Kind kommt." Sondern schon vor seiner Ankunft zusammen Eltern sein.