Eltern sind nicht nur Entertainer

So lernt dein Kind, alleine zu spielen

Manche Kinder spielen gerne mal alleine, anderen dagegen fällt das schwer. Kaum wenden die Eltern ihnen den Rücken zu, quengeln sie und fordern Unterhaltung. Warum das Alleinspiel für euer Kind so wichtig ist und was ihr dafür tun könnt, damit es ihm auf Dauer gelingt.

Autor: Heike Byn

Schon Babys können sich konzentrieren

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Foto: © Colourbox

„Mama, spielst du mit mir?" Gerade erst hat Elena ihre dreijährige Tochter Tara aus der Kita abgeholt und steht umringt von Einkaufstüten in der Küche. Einen Kaffee hätte sie jetzt gerne und eine halbe Stunde Ruhe. Stattdessen muss sie wohl wieder den Entertainer für Tara spielen, die sich keine fünf Minuten alleine beschäftigen kann. Stopp! Kann sie nicht, oder will sie nicht? Immerhin können sich schon Babys von ganz alleine auf etwas konzentrieren, ihre Umgebung mit allen Sinnen entdecken – wenn auch nur für Minuten. Diese Fähigkeit können sie aber wieder verlieren, wenn es die Eltern zu gut mit ihnen meinen und glauben, die Kleinen brauchten pausenlos Beschäftigung. Tatsächlich haben viele Eltern ein schlechtes Gewissen, wenn ihr Einjähriges auf dem Boden sitzt und nichts weiter macht, als am Teppich zu rupfen. „Tara ist ein Einzelkind und langweilt sich schnell. Wenn wir nachmittags beide zu Hause sind, denke ich immer dass es mein Job ist, mich um sie zu kümmern", gesteht Elena. Dabei vergisst sie wie viele andere Eltern auch, dass sie Tara manchmal sogar regelrecht aufstört, wenn die scheinbar gelangweilt und sinnfrei nur einen Käfer auf Krabbeltour am Fenster mit den Augen verfolgt. Für Elena mag das ja so aussehen, doch Tara beobachtet dabei keineswegs nur ein Insekt: Sie stärkt ihr Selbstwertgefühl, weil sie sich unabhängig von ihrer Mutter amüsiert und zudem ganz nebenbei auch ihre Konzentrationsfähigkeit trainiert.

Alleine spielen fördern mit Alltagsdingen

Schon im Alter von drei bis vier Monaten können Mütter und Väter eine Menge dafür tun, das selbstständige Spielen zu fördern. Dazu gehört vor allem, dass sich euer Kind mit (fast) allem beschäftigen darf, was der Haushalt so hergibt. Kinder brauchen zwar auch Spielzeug, aber besonders im Kleinkinderalter regelrechtes Zeug zum Spielen: Tücher, Töpfe und Deckel, Wäscheklammern, Schlüssel, kleine Dosen, Papiere, Rollen, Kataloge und, und, und. Lasst eure Kinder dabei die Welt erkunden, lobt und unterstützt ihre Neugier und Lust am Ausprobieren. „Manche Eltern verleiden ihrem Kind beim Spielen durch ständiges Einschreiten, Schimpfen, Wegnehmen oder gar Bestrafen irgendwann sein Interesse an der Welt und die Lust, Sachen alleine zu entdecken und erziehen damit das Kind auf Dauer zur Unselbstständigkeit", sagt der Kinder- und Jugendpsychologe Josef Zimmermann, Leiter einer Kölner Familienberatungsstelle.

Kind spielt alleine: Bloß nicht unterbrechen!

Wenn sich dein Kind dann tatsächlich alleine beschäftigt, dann unterbrich es möglichst nicht. Das gilt für ältere Kinder genauso wie für Babys. Die meisten Säuglinge liegen z.B. nach dem Aufwachen erst einmal ruhig in ihrem Bettchen, spielen mit Händen und Füßen oder brabbeln vor sich hin. Diese Momente, in denen sich das Kind selbst genug ist, sind der Beginn des selbstständigen Spiels. Du kannst diese Phasen des Versunkenseins sogar noch aktiv verlängern, indem du kurz vor dem Aufwachen eine Rassel oder Kuscheltiere ins Bettchen legst oder ein Mobile am Himmel oder Gitter befestigst.

Kinder können lernen, alleine zu spielen

Kennst du das? Die Regale und Schränke im Kinderzimmer sind voll mit Spielzeug und trotzdem scheint nicht das Richtige dabei zu sein, denn dein Kind jammert immerzu: „Ich weiß nicht, was ich spielen soll!" Weniger ist da oft mehr: Vor allem für Kinder bis zu vier oder fünf Jahren sind z.B. Holzbauklötze, Bausteine, Spielzeugautos, Puppen, Kuscheltiere und Bälle eine gute Grundausstattung, die in den ersten Jahre überschaubar bleibt und später erweitert werden kann. Viele Kinder tun sich aber erst einmal schwer damit, alleine zu spielen. Bei ihnen kommen Fantasie und Ideen erst im Austausch mit einem Spielkameraden in Schwung. Dann könnt ihr eurem Kind helfen, indem ihr es Schritt für Schritt zum Alleinspielen anleitet: Findet erst einmal Spiele, bei denen ihr gerne mitmacht, so dass euer Kind spürt, dass ihr mit dem Herzen dabei seid. Mit Autos spielen ist nicht euer Ding? Dann malt zusammen ein Bild oder baut aus Holzklötzen Häuser und Türme. „Eltern können sich zuerst mit dem Kind dabei abwechseln und es später auffordern, selbst etwas zu malen oder zu bauen. Auch wenn sie die ersten Male noch mithelfen müssen, so können sie sich doch nach und nach auf einen Zuschauerposten verlegen und nur noch bei Bedarf in der Nähe sein", empfiehlt Kinderpsychologe Josef Zimmermann. Wichtig: Lobt das fertige Werk eures Kindes und verkneift euch Verbesserungsvorschläge oder Kritik.

Feste Spielzeiten fürs Alleinspiel einführen

Am besten finden Kinder in ihren eigenen Spielrhythmus, wenn sie die Chance haben, sich regelmäßig alleine zu beschäftigen. Ein bis zwei feste Spielzeiten pro Tag sind dafür ideal. Erkläre deinem Kind, dass es in dieser Zeit alleine spielen soll, während du anderen Aufgaben nachgehst. Beginne mit zehn Minuten und steigere die Zeit langsam bis zu einer halben Stunde. Sorge dabei für eine ruhige Atmosphäre ohne Ablenkungen im Hintergrund. Spielt dein Kind trotzdem nicht allein? Dann spiele parallel, aber nicht mit ihm und wende dich einer anderen Aufgabe zu, sobald es ins eigene Spiel abtaucht.

Kind alleine spielen lassen

Zum Alleinspielen gehört auch, dass dein Kind auch dann weiterspielt, auch wenn du es kurz allein im Raum lässt. Das kannst du mit ihm schon ab etwa dem vierten Lebensmonat üben: Achte dabei auf einen guten Moment, in dem es z.B. konzentriert etwas beobachtet oder sich mit etwas beschäftigt. Dann verlässt du das Zimmer für ein paar Minuten und dehnst deine Abwesenheit schrittweise aus. Manche Kinder wollen jedoch auf keinen Fall allein bleiben. In so einem Fall kannst du ihm ankündigen, dass du z.B. kurz ins Nebenzimmer gehst, und auch von dort aus mit ihm sprichst, so dass es sich nicht wirklich alleine fühlt.

Alleinspiel: Nicht immer gleich zu Hilfe eilen

Viele Kinder sind anfangs erst einmal hilflos, wenn beim Spielen etwas nicht so klappt, wie sie es gerne hätten. Das Kuscheltier fliegt außer Reichweite, der Turm aus Bausteinen stürzt ein. Der erste Impuls ist dann, nach den Eltern zu rufen und Hilfe einzufordern. Doch besser ist es, erst noch einen Augenblick zu warten, bevor du ihm deine Hilfe anbietest, denn oft kann es sein Problem doch alleine lösen.

Alleine beschäftigen: Aller Anfang ist schwer

Ab welchem Alter und wie lange Kinder alleine spielen können, hängt auch vom Typ ab. Manche Kinder machen ihren Eltern schon als Babys klar, dass sie alleine spielen wollen. Andere verlangen pausenlos nach Unterhaltung und Beschäftigung. Viele Erstgeborgene oder Einzelkinder tun sich damit schwerer, weil ihnen das anregende Vorbild von Geschwisterkindern fehlt und sie deshalb die Eltern als Spielkameraden einbeziehen wollen. Manchmal spielt aber auch das Engagement der Eltern beim Spielen eine Rolle: Kinder merken schnell, ob die Eltern abgelenkt sind oder keine rechte Lust haben. Doch auch wenn Mama oder Papa beim Zusammenspielen immer alles vormachen und das Kind wenig zu eigenen Erfahrungen ermuntern, erschweren sie es ihm damit, sich selbstständig und alleine mit etwas zu beschäftigen. Grundsätzlich können sich Kinder im ersten Lebensjahr fünf bis zehn Minuten selbst beschäftigen. Zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr sind es dann schon 15 bis 30 Minuten. „Für Eltern ist das wichtig und eine große Erleichterung, um sich wieder anderen Aufgaben zu widmen oder einfach mal die Beine hochzulegen", berichtet Kinderpsychologe Josef Zimmermann aus seiner Beratungspraxis.