Süßigkeiten-Depots und Web-Ausflüge

Privatsphäre – Wie viel braucht ein Kind?

Wir Eltern möchten unser Kind schützen - vor zu vielen Süßigkeiten, falschen Freunden oder auch schädlichen Seiten im Internet. Doch wie viel Kontrolle ist nötig, und wo beginnt die Privatsphäre des Kindes? Unser Artikel geht dieser Frage auf den Grund.

Autor: Gabriele Möller

Sind Geheimnisse normal?

Teenager Zimmer Musik hören
Foto: © panthermedia.net/ Sean Prior

Wir Eltern möchten wissen, ob es unserem Kind gut geht

Ich sauge geistesabwesend das Zimmer meiner Tochter. Während ich die üblichen Slaloms um unzählige Playmobil-Kleinteile herum mache und gerade überlege, wie schön es wäre, eine Putzfrau zu haben, stoße ich mit dem Staubsauger plötzlich auf Widerstand. Unter einer kleinen Kommode geht es nicht weiter. Was ist jetzt das schon wieder? Ich bücke mich und krame eine große Pappschachtel hervor, randvoll gefüllt mit Süßigkeiten. Es ist ein Mix aus dem so verdächtig schnell verschwundenen Süßkram vom letzten Martinssingen und Leckereien, die die Oma (leider) regelmäßig mitbringt. Schlagartig verstehe ich, warum meine Neunjährige in letzter Zeit so wenig Appetit zu den Hauptmahlzeiten hat. Was tun? Sie zur Rede stellen und schimpfen? So tun, als ob ich nichts gefunden hätte?

Wir Eltern möchten wissen, ob es unserem Kind gut geht. Dazu gehört, dass wir uns für seine Gefühle und Gedanken interessieren. Wir möchten unser Kind aber auch schützen. Zum Beispiel vor zuviel Süßigkeiten, falschen Freunden oder auch schädlichen Seiten im Internet. Doch wie viel Wissen und Kontrolle sind nötig, und wo beginnt die Privatsphäre des Kindes? Müssen Mütter und Väter alle kleinen Geheimnisse ihres Nachwuchses kennen? Darf man beim Aufräumen auch mal einen Blick in Schubladen, ins Freunde- oder gar ins Tagebuch werfen? Das Kind über seine Freunde ausquetschen? Ihm beim Surfen oder Chatten im Internet über die Schulter sehen? Was tun, wenn man – wie bei besagtem Süßigkeitenlager – etwas „Kompromittierendes“ findet?

Geheimagentin Mama – Spionage im Kinderzimmer?

Je kleiner ein Kind ist, desto weniger Wert legt es auf Privatsphäre. Es findet es meist noch in Ordnung, wenn Eltern regelmäßig helfen, das Chaos zu beseitigen, das in seinem Zimmer beim Spielen entstanden ist. Empfindlich sind aber auch schon die ganz Kleinen, wenn Spielsachen ausgemustert werden sollen, und Mama diese einfach heimlich verschwinden lässt. Mit untrüglichem Gespür stellen sie oft schon am nächsten Tage die Frage, wo eigentlich das betreffende Teil ist – auch wenn sie es vorher monatelang nicht beachtet haben. Soll Spielzeug also entsorgt werden, ist es fair, sein Kind zu fragen, ob das in Ordnung ist. Als Kompromiss kann man das Spielzeug zunächst im Keller lagern. Gerät es dort wirklich in Vergessenheit, kann man es immer noch weg tun.

Für Vorschul- und Schulkinder ist ihr eigener Bereich schon etwas ganz Wichtiges. Ihr Zimmer ist für sie Ausdruck ihrer Persönlichkeit, und es markiert auch eine Abgrenzung zur Erwachsenenwelt. Anzuklopfen, bevor man herein kommt, sollte selbstverständlich sein. Möchte man bei einem älteren Kind mal generalstabsmäßig Staub wischen und aufräumen, kann man dies vorher ankündigen. So hat der Nachwuchs Gelegenheit, lieb gewonnene Schätze in Sicherheit zu bringen oder sein Tagebuch wegzuräumen. In Abwesenheit des Kindes seine Sachen zu durchwühlen, Freunde- oder Tagebücher durchzublättern oder den halb fertigen Brief an die Oma oder die beste Freundin zu lesen, ist tabu. Muss ausgemistet werden, kann man dies auch gemeinsam mit dem Kind tun, das gilt auch für den Schulranzen oder Unterrichts-Ordner.

Kniffliger ist die Gewissensfrage, wenn man das eingangs erwähnte Süßigkeiten-Versteck entdeckt. Ignorieren geht nicht, denn die Rettung der Zähne des Nachwuchses hat oberste Priorität. Eine Standpauke aber würde den Übeltäter beschämen, und in Zukunft würde das Lager vielleicht einfach nur noch besser versteckt. Ich habe die Missetäterin damals einfach augenzwinkernd auf den Fund angesprochen: „Da hast du dir aber einen ganz schönen Vorrat angelegt, ich hab’ nicht schlecht gestaunt, als ich ihn vorhin beim Saugen fand.“ Danach habe ich aber auf meinem Standpunkt beharrt: „Ich kann dich gut verstehen. Ich möchte aber, dass du ab jetzt keine Süßigkeiten mehr hortest. Es ist mir nämlich wichtig, dass deine Zähne ganz bleiben. Du weißt, du darfst jeden Tag einmal etwas Süßes haben. Wir finden bestimmt eine Menge, mit der auch du einverstanden bist.“

Hauptkommissarin Mama – Gespräch oder Verhör?

Manche Eltern (und auch hier betrifft es meist die Mütter) wären am liebsten immer bei ihrem Kind, um es ständig höchstpersönlich unterstützen und bewachen zu können. Die gute Seite dieser Eltern ist, dass sie sich sehr für ihr Kind interessieren, es optimal fördern möchten und sich darum sorgen, dass es ihm gut geht und niemand ihm etwas Böses tut. Die Schattenseite ist, dass sie es damit manchmal übertreiben. So quetschen Mütter ihr Kind beim Mittagessen gern nicht nur darüber aus, wie es heute in der Kita oder der Schule war, sondern auch, welche Noten die anderen Kinder bei einem Test hatten, wer sich wann und mit wem trifft, was die Erzieherin oder Lehrerin genau getan und gesagt hat, oder wer sich wieder daneben benommen hat. Viele Kinder reagieren hierauf mit Wortkargheit („Wie war es denn heute?“ „Okay.“ „Was habt ihr denn gemacht?“ „Weiß nicht.“).

Natürlich möchte man wissen, wie es dem Kind am Vormittag im Kindergarten oder der Schule ergangen ist. Besser (und erfolgreicher) als inquisitiv nachzubohren ist es aber, einfach zu warten, bis vom Kind selbst etwas kommt, und das dann aufzugreifen (und es kommt immer etwas, früher oder später). Daraus ein Gespräch zu spinnen, ist dann nicht mehr schwer. Und ganz nebenbei erfährt man doch noch (fast) alles, was man wissen möchte. Wer einschätzen möchte, wie die Atmosphäre in Gruppe oder Klasse ist oder wie das Kind dort zurechtkommt, kann auch einfach mal hospitieren. Die meisten Kindergärten und viele Grundschulen ermöglichen Eltern das Zuschauen (nach Vereinbarung). Man muss aber trotzdem damit leben, dass man niemals absolut alles vom Kind wissen wird. Von manch peinlicher, seltsamer oder auch lustiger Situation werden wir Eltern schlicht nie erfahren.

Die Durchleuchtung der Freunde

Bei vielen Eltern steigt der Puls auch schnell an beim Thema Freundschaften: Ist dieser Junge nicht ein bissel arg grob? Gab es bei diesem Mädchen nicht irgendwelche Probleme zu Hause? Ist das nicht das Kind, das eine Zeitlang so auffällig war? Statt solche Kontakte direkt oder auch durch Ausweichmanöver zu boykottieren, können Eltern die Freunde erst mal zum Spielen einladen und dabei näher kennen lernen. Wenn jemand dann wirklich ungeeignet scheint, kann man das Kind zunächst fragen, was es an diesem Jungen oder diesem Mädchen besonders mag. Dann kann man sagen: „Ah, von dieser Seite habe ich ihn oder sie noch gar nicht kennen gelernt. Mir ist aber aufgefallen, dass... Und das fand ich nicht so gut. Was meinst du?“

Durch solche Gespräche und durch die Erfahrung lernen Kinder allmählich selbst einzuschätzen, wer zu ihnen passt und wer nicht. Dabei kann „passen“ auch heißen, dass ein Kind eine Zeitlang von kleinen Persönlichkeiten fasziniert ist, die sehr gegensätzlich zu ihm selbst sind. Ein besonders sanfter Junge kann von einem Rabauken zum Beispiel tatsächlich profitieren, weil der ihm zeigt, dass man auch etwas mutiger und energischer an die Welt herangehen kann. Ein schüchternes Mädchen lernt von einer „Göre“, dass es gar nicht gefährlich ist, einfach mal frischweg seine Meinung zu sagen.

Wirklich ungünstige Freundschaften erledigen sich meist mit der Zeit von selbst. Indirekt ein wenig nachhelfen darf man aber schon: Ein ungehobelter, aggressiver oder zu dominanter Freund wird unwichtiger, wenn ein Kind mehr Gelegenheit bekommt, andere Freunde zu finden. Das geht am besten im Kinderchor oder -orchester, im Turnverein, bei Mannschaftssportarten oder auch bei Vereinigungen wie den Pfadfindern oder kirchlichen Kindergruppen, die alle auch Schnupperstunden anbieten.

Papa als Web-Administrator – Wie viel Kontrolle ist nötig?

Das unübersichtliche Gewühl eines orientalischen Basars ist nichts gegen den Tummelplatz Internet. So wenig, wie man ein Kind auf ersterem allein herumlaufen lassen würde, sollte man dies im World Wide Web tun. Beim Surfen oder Chatten gilt: Die Sicherheit des Kindes ist wichtiger, als der Respekt seiner Privatsphäre um jeden Preis. „Ein Kind kann sehr schnell auf üble Seiten kommen. Vor allem ausländische Sites sind gefährlich, denn hier greift das deutsche Internetrecht nicht“, warnt Medienpädagogin Stefanie Rack. Dass man jüngere Kinder nicht allein surfen lässt und besser auch keinen PC im Kinderzimmer installiert, ist für die Kleinen meist noch kein Problem. Etwas Schützenhilfe beim Suchen (z.B. mit speziellen Kindersuchmaschinen, s. Serviceteil) wird meist gern angenommen. Auch die technischen Filtermöglichkeiten, die viele Provider anbieten, können Eltern nutzen: Hier gibt es enge Einstellungen, bei denen das Kind nur von den Eltern freigegebene Seiten öffnen kann. Und etwas weiter gefasste, bei denen nur bestimmte Seiten und Suchwörter mit pornografischen oder Gewalt verherrlichenden Inhalten gesperrt sind. „Dem Kind regelmäßig über die Schulter zu schauen, ist dennoch nötig, denn auch diese Systeme bieten keine absolute Sicherheit“ betont Medienpädagogin Rack.

Für ältere Kinder eignen sich diese Filter aber nicht mehr, denn sie müssen oft schon für die Schule „googeln“ und werden durch solche Sperren behindert. Bei ihrem Schutz ist besonders viel Diplomatie gefragt, weil sie schnell genervt sind, wenn sie sich kontrolliert fühlen. „Eltern müssen mit ihrem Kind natürlich zuerst darüber sprechen, welche Gefahren es im Internet gibt. Sie können auch Verständnis äußern dafür, dass die Neugier auf ‚gefährliche’ Seiten sicher groß ist. Und dass auch sie selbst als Kind vielleicht nur schwer der Versuchung widerstanden hätten, dort auch mal draufzuklicken. Dass es aber doch wichtig ist, dies nicht zu tun, weil es verstörende und schädliche Bilder gibt, die man nicht mehr vergessen kann“, so Rack, die für klicksafe.de Deutschland tätig ist. Diese Site des „Safer Internet Programms“ der Europäischen Kommission will Kinder, Eltern und Pädagogen über den richtigen Umgang mit dem Medium Internet aufklären, schulen und für seine Nutzung fit machen.

Ein gelegentlicher Schulterblick ist nötig

Ist ein Kind in Chatrooms für Schüler aktiv, müssen Eltern sich natürlich nicht die ganze Zeit neben das Kind stellen. Tochter oder Sohn sollten aber lernen, ihre Identität gut zu verbergen: „Das Kind sollte gar keine Spuren im Netz hinterlassen, denn das Web vergisst nie etwas“, rät Rack. „Man kann das als Spiel betrachten und dem Kind sagen, dass es sich hier eine ganz neue Person erfinden darf: ‚Stell dir vor, du bist jemand völlig anderes.’“ So darf der Nick nicht eindeutig einem Mädchen oder Jungen zuzuordnen sein. Es sollten auch keine Zahlen an den Nick angehängt werden, die Hinweis auf das Alter geben. Eltern können ab und zu Wissen auffrischen und fragen: „Weißt Du noch, worauf man beim Chatten achten muss?“ (Dass man nie Persönliches verraten darf, weil hinter einem scheinbaren Jungen oder Mädchen auch ein Erwachsener stecken kann, der schlechte Absichten hat. Und dass man sich niemals mit einem fremden Kind treffen darf, ohne dies den Eltern zu erzählen und einen vertrauten Erwachsenen mitzunehmen. Dass man generell Dialoge, die seltsam oder peinlich werden, sofort kommentarlos abbricht).

Doch Aufklärung allein reicht auch bei älteren Kindern nicht aus, das betont Stefanie Rack ausdrücklich: „Es wäre grob fahrlässig, beispielsweise einen Zwölfjährigen ohne jede Kontrolle in seinem Zimmer allein surfen zu lassen“. Die nötige Kontrolle komme jedoch beim Nachwuchs weniger einengend rüber, wenn sie sich als Interesse äußere: „Man kann ruhig mal zwischendurch ins Zimmer kommen und sagen: ‚Zeig doch mal, was Du so Neues im Netz gefunden hast.’ Oder auch eine Bitte äußern: ‚Sag mal, könntest Du vielleicht etwas für mich nachschauen?’“ Auf diese Weise, so die Medienpädagogin, sehen Eltern gleichzeitig auch, auf welche Weise sich das Kind im Internet bewegt. Wichtig sei es hier, dass ein Kind zum Aufrufen von Seiten immer eine Suchmaschine benutzt und nicht das normale Browserfenster. „Es gibt Seiten, die Schreibfehler im Browserfenster ausnutzen, um sich – trotz Sicherheitssperren – zu öffnen. Dies können pornografische Seiten sein oder solche, wo Bilder von Unfallopfern oder Kriegstoten voyeuristisch ausgestellt werden,“ warnt die Medienpädagogin. Solche Anbieter nutzten es beispielsweise aus, wenn der Name eines beliebten Stars in falscher Schreibweise ins Browserfenster eingegeben werde.

Briefgeheimnis gilt auch für E-Mails

Für E-Mails gilt dasselbe wie für Briefe des Kindes: Das Briefgeheimnis sollten auch Eltern wahren. In Mails an Freunde, die Lieblingstante oder die Großeltern kann ein Kind über Gedanken schreiben, die es den Eltern nicht mitteilen würde, und natürlich kann es sein, dass eine Mail hier und da auch eine genervte Beschwerde über die Altvorderen enthält. Doch auch für Kinder gilt: Die Gedanken sind frei. Beim Mailen mit Kindern, die der eigene Nachwuchs im Chat kennen gelernt hat, gelten natürlich die gleichen Sicherheits-Regeln, wie beim Chatten.

Interessieren sollten Mütter und Väter sich dafür, was das Kind mit seinem Handy macht, wenn es eines besitzt. Auf manchen Schulhöfen werden „schmutzige“ oder gewalttätige Fotos oder Kurzfilme übers Handy an Mitschüler oder Bekannte verbreitet. Am besten ist es natürlich, wenn ein Kind gar kein Bild-Display an seinem Handy hat und dieses nur für den Notfall benutzt wird, wenn es also zum Beispiel früher Schulschluss hat. „Simst“ das Kind auch oder hat ein Foto-Display, braucht es ähnliche Sicherheitstipps wie beim Chatten: Fremden keine persönlichen Infos oder Daten geben, keine Treffen allein besuchen. Bei unangenehmen Dialogen und vor allem unerwünschten Bildern sofort aussteigen. Sich bei schlimmen Bildern nicht scheuen, diese Eltern und Lehrern zu zeigen. Wenn man mit seinem Kind über seine Kontakte und auch über Gefahren im Gespräch bleibt, ist es aber nicht nötig, auf seinem Handy heimlich Anruflisten abzurufen oder Telefonnummern zu kontrollieren.

Service: Weitere Informationen

Seiten für Kinder und Eltern zum Thema Internet-Sicherheit:

  • www.paedboutique.de/sukids1.htm:
    Übersicht über die besten Kindersuchmaschinen
  • www.klick-tipps.net:
    Sammlung sicherer Seiten, die informieren und Spaß machen (zu den Themen Spiele, Sport, Freizeit, Politik). Kinder können hier auch Seiten bewerten und empfehlen. Sie lernen überdies, „ihr“ Internet sicher zu beherrschen. Eine Seite von jugendschutz.net und der Stiftung MKFS (Medienkompetenzforum Südwest), das u. a. unterstützt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
  • www.chatten-ohne-risiko.net:
    Tipps für Eltern, um Kinder beim Chatten zu schützen. Auf derselben Site gibt es einen eigenen Kinderbereich, wo Kinder ihr Wissen zum Chat selbst überprüfen können.
  • www.klicksafe.de:
    Deutscher Knotenpunkt des „Safer Internet Programms“ der Europäischen Kommission. Tipps zum „Schutz vor Schmutz“ (Pornografie, Pädophilie, Gewaltdarstellungen, Rechtsextremismus etc.), Links zu Info-Plattformen für Eltern, Infos zu technischen Sicherheitsfiltern, zur Nutzung von Chats und Suchmaschinen etc.