Elterngefühle

Darf ich ein Kind lieber haben?

Ist es normal, wenn Eltern Lieblingskinder haben? Was steckt dahinter und wie sollten sie damit umgehen? Ein urbia Interview mit einem Psychotherapeuten.

Autor: Petra Fleckenstein

Ein Kind lieber haben? Darf ich das?

Mutter Sohn gluecklich
Foto: © iStockphoto.com/ Mlenny

Ist es normal, wenn Eltern Lieblingskinder haben und sich einem anderen eigenen Kind gegenüber eher fremd fühlen? Was steckt dahinter und wie sollten sie damit umgehen? Ein urbia-Interview mit dem Kölner Kinder- und Jugendpsychotherapeuten und Kinderarzt Hans-Helmut Brill.

Welche Faktoren beeinflussen Elternliebe?

Brill: Jedes Kind bringt gewisse Eigenarten mit, die es den anderen mehr oder weniger leicht machen, es zu lieben. In der Regel werden diese Eigenarten von der genetisch bedingten Elternliebe tolerant gesehen bzw. übersehen.

Der elterliche Anteil wird stark durch die eigenen Wertvorstellungen, die Projektion eigener (nicht verwirklichter) Wünsche und Persönlichkeitsmerkmale bedingt. Bei negativen Emotionen, durch das Wahrnehmen von Wesenszügen beim Kind, die man bei sich selbst ablehnt (die aber vorhanden sind).

Ist es normal, dass Elternliebe sich (zumindest phasenweise) unterschiedlich verteilt?

Brill: Temporäre unterschiedliche Verteilung ist vollkommen normal!

Ist es überhaupt möglich, zwei Kinder gleichermaßen zu lieben?

Brill: Ich glaube, dass es unmöglich ist, Kinder "gleichermaßen" zu lieben. Mann/Frau liebt jedes einzelne Kind auf eine ganz eigene Art und Weise, die nur schlecht vergleichbar ist und sich sicher nicht so einfach quantifizieren lässt.

Wie sollten sich Eltern verhalten, wenn sie eins ihrer Kinder lieber mögen, sympathischer finden, einen spontaneren Draht zu ihm haben?

Brill: Den Blick hinwenden zu den immer vorhandenen positiven Merkmalen eines Kindes und sich bewusst machen, wie "toll" diese sind.

Es lohnt sich aber auch für Eltern, mal darüber nachzudenken, welche Wesenszüge es sind, die man im Kind sieht und ablehnt, ob diese Werte und Vorstellungen nicht der Korrektur bedürfen (der Musiker-Vater will, dass sein Kind ein Instrument spielt), oder ob es "negative" Eigenschaften sind, die man bei sich selbst ablehnt (der vergessliche Vater, der sich darüber ärgert, dass sein Sohn auch immer alles vergisst).

Was bedeutet es für ein Kind, Lieblingskind oder weniger favorisiertes Kind zu sein?

Brill: Für Kinder ist Liebe immer rückbezüglich, das heißt, sie lieben die Eltern, also lieben die Eltern sie auch. Sie können nicht verstehen, dass sie eventuell nicht geliebt werden. Dieses Bedürfnis ist angeboren und nur schwer rationalisierbar. Ein Kind kann auch nur schwer die Kränkung verarbeiten, weniger geliebt zu werden als das Geschwisterkind. Daher sollten die Eltern den Kindern (und sich selbst) klar machen und daran arbeiten, dass sie beide Kinder lieben, jedes einzelne anders, auf seine/ihre Weise besonders. Nicht mehr, nicht weniger, sondern einzigartig.

Lies hierzu auch: Haben Eltern Lieblingskinder?