Nur ein zweifelhaftes Glück

Wenn Mütter von zu Hause aus arbeiten (müssen)

Die Vorstellung, Kinder und Job durch einen Heim-Arbeitsplatz miteinander zu verbinden klingt verlockend. Hier ein vergnüglicher Einblick in das vermeintliche Glück, zu Hause sein Geld zu verdienen.

Autor: Gabriele Möller

Nur kein Neid – Oder von der Herausforderung, als Mutter zu Hause sein Geld zu verdienen

Mutter Kind arbeiten Handy Laptop
Foto: © Panthermedia.net, Yuri Arcurs

Ich bin zu beneiden. Das finden jedenfalls die meisten anderen Mütter in meinem Freundeskreis. Ich kann nämlich Mutter und gleichzeitig berufstätig sein, ohne das Haus verlassen zu müssen. Als Journalistin setzt man sich einfach an den heimischen Schreibtisch. PC, Fax und Telefon stehen bereit, und schon legt man los. Natürlich gibt es da einige kleine und unwesentliche Dinge, die vorher erledigt sein wollen: Die Tochter muss allmorgendlich erst zur Katzenwäsche und dann zu einem gesunden Frühstück gezwungen und in der Schule untergebracht werden. Und der kleine, 13 Monate alte Bruder will erst ein wenig unterhalten, bespielt, gefüttert, gewickelt und dann ermattet in den Vormittagsschlaf gewiegt werden. Schon nach zwei Stunden kann frau sich dann entspannt an die Arbeit machen. Wenigstens meistens. Falls die Schule bis dahin nicht schon wieder zu Ende ist wegen chronischer Unterrichtsausfälle. Auch besagter Sohn hat gelegentlich nicht den Wunsch, genau dann zu schlafen, wenn’s Mama gut passen würde. Eile darf ich mir aber keinesfalls anmerken lassen, sonst wittert der Kleine, dass er etwas verpassen soll, und schläft erst recht nicht ein. Mit betont gelangweiltem Gesicht verabreiche ich ihm also beiläufig ein einlullendes Milchfläschchen. Im Fläschchen steckt gemeinerweise eine extra reichhaltige Folgemilch, ich gebe es zu, denn die macht Babys angeblich besonders satt und schlapp.

Vergessen sind undichte Windeln und breiverschmierte Babymünder

Ist der schlappe Sohn planmäßig eingeschlafen, schleicht sich die erfolgreiche Journalistenmama auf Socken die Treppe hinauf ins kleine Arbeitszimmer. Und flüstert unterwegs unaufhörlich Beschwörungs-Mantras, dass der Kleine bittebitte nicht durch die knarzenden Stufen wieder aufwachen möge. Glücklich oben angekommen, kann's endlich losgehen mit den intellektuellen Höhenflügen. Schluss ist's mit entwürdigender Babysprache ("Willstdujamjam haben? Ja? Leckeres Bananen-Jamjam?"), vergessen sind undichte Windeln und breiverschmierte Babymünder. So ungefähr für zehn Minuten (wieder mal!). Denn gerade, als ich eine besonders geniale Formulierung auf dem erwartungsfrohen Weiß des Bildschirms platzieren möchte, schrillt unsere Türklingel. Ich springe erschreckt auf, der Sohn schreit erschreckt auf, der Arbeitsvormittag ist geplatzt. Draußen steht lächelnd der Briefträger und weicht beim Anblick meiner Augen, in denen der dringende Wunsch nach sofortigem Meuchelmord an einem bestimmten Postbediensteten geschrieben steht, erschrocken ein paar Zentimeter zurück.

Dienstliches Telefonat im Beisein des 13 Monate alten Sohnes

Wenigstens habe ich da gerade niemanden an der Strippe, der Bildschirm ist geduldig und kann bis morgen ausharren – bis zu meinem nächsten Anlauf auf den Pulitzer-Preis. Nicht immer geht es aber so glimpflich ab. Erst letzte Woche kam die wahre Herausforderung für mich karrierebesessene Mutter, die unbedingt morgens anderthalb Stunden arbeiten möchte, und deren Sohn bisher leider noch keinen Babysitter akzeptiert. Ich hatte für einen Artikel ein Telefon-Interview mit einer Kinderpsychiaterin vereinbart, die nur in ihrer Mittagspause und nur an einem bestimmten Tag Zeit hatte. Da war mein Sohn aber leider längst fertig mit seiner Pause. Ich stürzte mich dennoch todesmutig in das Wagnis, ein wichtiges Telefonat samt der Notwendigkeit gleichzeitiger Notizen im Beisein eines Kleinkindes zu führen. Frisch gewagt war halb verloren: Dieses denkwürdige Interview hinterließ tiefe Altersfurchen in meinem Gesicht und kostete mich etwa zwei Liter Schweiß. Mein Sohn, der sich zunächst wie vorgesehen seinem Spielzeug gewidmet hatte, interessierte sich nämlich plötzlich für nichts dringender als für mich, den Tisch und den Telefonhörer. Er krallte sich an meiner Hose fest und giekste, keuchte und sabberte unbeeindruckt mitten ins Gespräch. Ich hielt den Hörer unbequem hoch und außerhalb der Reichweite seiner kraken-artigen Ärmchen und schrieb gleichzeitig mit. Mein Sohn packte nun energisch die Schreibunterlage und riss sie herunter, samt einem Kerzenhalter und einer halbvollen Kaffeetasse, die gut hörbar auf den Boden knallten. Etwas langsamer segelten sanft meine beschriebenen Notizblätter hinterher, um bei der Landung sofort in die soeben entstandene Kaffeepfütze getunkt und anschließend mit eiserner Babyfaust zerrissen zu werden.

Verständnis am anderen Ende der Leitung? Fehlanzeige!

Während ich leicht erbost versuchte, mit einer Hand dem Übeltäter die Blätter zu entwinden, führte ich gleichzeitig das Gespräch, bemüht um eine möglichst normal klingende Stimme, weiter. Da Frauen bekanntlich drei Dinge gleichzeitig tun können, gelang mir das auch souverän. Ungefähr für die nächsten zwanzig Sekunden. Bis mein Sohn sich am Tisch den Kopf stieß und in ein ohrenbetäubendes Schmerzgeheul ausbrach. Nun musste ich meiner Gesprächspartnerin denn doch kurz zubrüllen, dass, ich, äh, normalerweise nur arbeite, wenn mein Sohn schläft. Dies aber heute leider nicht geklappt habe und so. Wenn ich danach auf ein paar kurze, verständnisvolle Worte gehofft hatte, wurde ich von Frau Dr. Kinderpsychiaterin enttäuscht: Sie schwieg missbilligend in die Leitung und wartete stumm auf die nächste Sachfrage. Mein entschlossener Versuch, mir auf der Stelle zwei zusätzliche Arme wachsen zu lassen, misslang kurzfristig. Die Fachfrau antwortete inzwischen weiterhin höflich, wobei es sie offenbar leicht irritierte, dass ich meine Fragen ob der Anstrengung mittlerweile nur noch leicht hechelnd hervorstieß. Ich konnte förmlich hören, was sie dachte ("Arme Irre! Die sollte lieber erstmal ihr verkorkstes Leben ordnen, statt schlaue Artikel über Kindererziehung zu schreiben!"). Dieser Eindruck hat sich bei ihr vermutlich noch verfestigt, als ich am Ende meines Fragenkatalogs nach einem gehetzten Blick auf die Uhr auf jeden Smalltalk zum Ausklang des Interviews verzichtete. Und ihr - schon halb in der Tür und während ich meinem Sohn einhändig die Mütze anzog - nur kurz zurief, dass ich mich für das Gespräch bedanke, jetzt aber leider gar keine Zeit mehr hätte, weil ich meine Tochter abholen müsse. Um schließlich keuchend den Hörer auf die Gabel zu werfen.

Paradiesische Arbeitsbedingungen?

Der Anteil der Angestellten, die im Home Office arbeiten, lag 2012 laut Statistischem Bundesamt bei nur 7,7 Prozent. Das ist nicht einmal einer von 10. Einsamkeitsgefühle sind also vorprogrammiert. Umso beglückter bin ich, dass ich noch eine weitere Mutter mit ähnlichem Schicksal kenne: meine Freundin Angela (39, zwei Kinder). Sie hat als erste Frau in der Verwaltung ihrer Heimatstadt Home Office durchgesetzt. Sie ist also zu Hause online verbunden mit dem Zentralrechner der Stadtverwaltung. Ihre Kinder sind schon älter und morgens beide in der Schule. Paradiesische Arbeitsbedingungen also. Zunächst beglückwünschten wir uns kürzlich bei einem Treffen gegenseitig zu der tollen Möglichkeit, Kinder und Job so wunderbar unter einen Hut zu kriegen. Erst so ein oder zwei Gläser Sekt später pfiffen wir auf unseren Stolz und gestanden einander, dass unser "Home Office" doch kein Ort der puren Lebensfreude ist. Angela berichtete schamhaft, dass der Rechner der Stadt total überlastet ist und auswärtige Anschlüsse benachteiligt. So dass die Bildschirmseiten bei ihr zu Hause ewig brauchen, um sich aufzubauen. Dies macht ein Arbeiten während der morgendlichen Bürozeiten, wenn besonders viele Mitarbeiter im Verwaltungsgebäude eingeloggt sind, leider unmöglich. Zum Glück hat der Tag einer Mutter bekanntlich 24 Stunden, so dass sie getrost auf die Nacht ausweichen kann. Schlafen ist eigentlich ja eh recht langweilig, findet sie, da kann frau genauso gut auch am PC sitzen. Übrigens wird sie von manchen ihrer Kollegen, die im Büro arbeiten, aus heimlichem Neid auf ihren entspannten und vergnüglichen Home Office, bei dem sie sich die Zeit so wunderbar selbst einteilen kann, arg angefeindet.

Seufzend prosten wir uns zu und beschließen, dem restlichen Freundeskreis lieber nichts von solchen Widrigkeiten zu erzählen. Schließlich wollen wir nicht allein bleiben mit unseren Home-Jobs. Wir warten sehnlichst auf US-amerikanische Zustände, wo sich bereits ein Viertel aller Büro-Arbeitsplätze in den eigenen vier Wänden befindet. Angeblich entwickelt sich in Deutschland ein ähnlicher Trend, bereits 17 Prozent der Angestellten könnten sich einen Arbeitsplatz zu Hause zumindest vorstellen. Das finden wir gut. Unser "Heimarbeits"-Stammtisch würde sich vergrößern, und vielleicht würden dann auch Mitarbeiterinnen wie Angela technisch besser versorgt. Zumindest hätten wir dann mehr Ansprechpartnerinnen zum Jammern. Was ja auch nicht zu verachten ist.