Endlich bist du da

Mutterinstinkt

Die Geschichte einer Mutter über Stillprobleme und die Zeit, die es manchmal dauert, bis auch die Mutter "geboren" wird. "Endlich bist du da - junge Eltern erzählen von der ersten Zeit" war das Motto eines Kurzgeschichten-Wettbewerbs aus dem dieser Bericht stammt.

Autor: Wiebke Sikau
Kurzgeschichte Mutterinstinkt
Foto: © colourbox

Aus einem Wirbel aus Schmerzen, Angst, Liebe und schließlicher Erschöpfung wird ein Kind geboren. Und die Mutter, die ich plötzlich bin, guckt ungläubig und ängstlich auf verklebtes Haar, eine winzige Nase, dünne, zappelnde Glieder und den weit geöffneten Mund, dem seltsame Töne entstammen.

Da bist Du, meine Tochter. Und ich fühle mich nicht wie eine Mutter. In der Schwangerschaft, dieser Zeit voller Sorge um Dein Wohlbefinden, voller Vorfreude auf unser Kind, war ich mir einer Sache sicher: In dem Augenblick, in dem ich mein Kind im Arm halten würde, würde alle Angst von mir abfallen.

Ich würde eine Mutter sein mit Instinkten, die mir alles sagen würden, was Du brauchst. Ich würde erwachsen, gelassen sein (ich weiß doch, wie wichtig Ruhe und Gelassenheit im Umgang mit Babys sind). Ich würde Dich an meine Brust legen, Du würdest mir in die Augen sehen, und wir würden in einen Kokon der Liebe und Wärme gehüllt unsere Beziehung beginnen.

Nur, dass Du nicht trinken willst. Und ich nicht weiß, was ich tun soll.

Und obwohl ich Ruhe und Gelassenheit markiere, mit sanfter Stimme Deinen Namen sage, schreist und schreist Du, drehst den Kopf von meiner Brust weg, dann versuchst Du doch zu nuckeln und wendest Dich wieder schreiend ab.

Und ich schwitze in Panik, Schlaflosigkeit und Überforderung. Ich bin keine Mutter, ich bin immer noch ich und weiß nicht, was ich tun soll. Aber das kann ich nicht sagen, dann wüsste jeder, dass ich eine schlechte Mutter bin. Dass ich geradezu unmenschlich unmütterlich bin, denn obwohl ich Dich liebe, kann ich Dich nicht trösten.

Und noch schlimmer, ich kann Dich nicht ernähren. Du bist dünn, viel zu dünn. Deswegen wirst Du vor und nach jedem Stillversuch gewogen. Und danach füttert Dich die Schwester mit Kunstmilch.

„Jetzt bekommst Du etwas Richtiges zu essen“, sagt sie und wiegt Dich in ihren Armen. Und ich lächele, bis es wehtut, denn was für eine Mutter würde Schmerz und Verzweiflung zeigen, wenn ihr Kind das Notwendige bekommt. Innerlich weine ich, weine ich mit Dir, aber nach außen hat sich eine Maske über mein Gesicht gelegt, die ständig grinst, eine falsche Stimme, die aus meinem Mund kommt, spricht vernünftig mit den Schwestern, den Ärzten, der Familie. Ich bin doch jetzt erwachsen, ich habe ein Kind. Nie war ich bedürftiger und konnte es weniger zeigen.

Als frisch gebackene Mutter darf man doch nur glücklich, glücklich, glücklich sein. Alles andere ist unnatürlich, krankhaft. Und ich fürchte mich vor der Leere in mir und der Erschöpfung. Fast vermute ich eine Strafe des Himmels, denn ich habe ein Geheimnis: Als Du entstanden bist, traute ich mich nicht, mich auf Dich zu freuen. Nach dem Verlust, den man Fehlgeburt nennt, konnte ich es mir einfach nicht erlauben, mich wieder Herz über Verstand in einen Freudentaumel wie in der ersten Schwangerschaft zu werfen. Vielleicht war die Fehlgeburt die Strafe dafür, sich zu sehr gefreut zu haben, sich zu sicher zu sein, bald ein Kind im Arm halten zu dürfen?

Dann ist die Zeit nach der Geburt die Strafe für meine Gefühlskontrolle, vielleicht werde ich bestraft, weil ich nicht von Anfang an ein Schwangerschaftstagebuch führte, weil ich mich innerlich immer wieder ermahnte, mich in meiner Liebe nicht zu verlieren, solange ein Risiko besteht, auch dieses Kind zu verlieren.

Meine Buße ist tätig, ich gehe ins Stillzimmer und versuche, mit der elektrischen Milchpumpe Muttermilch für Dich hervorzulocken. Keine Schwester ist dabei, wenn mühsam Tropfen für Tropfen aus meinen schmerzenden Brustwarzen hervorquillt. 20 Milliliter beim ersten Versuch, die Brustwarzen sind wund und blutig, aber ich halte das Gefäß stolz hoch, ein Heiliger Gral von Mutterliebeersatz, aber schon die ersten Worte der Schwester zerstören dieses kleine Gefühl von Glück. „Das ist nicht genug! Ihre Tochter braucht mindestens 50 ml. So wird das nie etwas.“

Und niedergeschmettert, bis auf die Seele verletzt und schweigend, schleppe ich mich wieder ins Bett, das ich immer noch nicht dauerhaft verlassen darf. Das hohe Fieber und der Bluthochdruck als Überbleibsel der Schwangerschaftsgestose ketten mich weiter an dieses Krankenhausbett, und langsam habe ich Angst, es nie verlassen zu dürfen. In den kostbaren Minuten, die Dein Vater uns besuchen kommt, gebe ich Dich in seine Arme. Er sieht so sicher aus und Du schläfst bei ihm ein.

Er wickelt Dich und sieht aus, wie ich mir immer einen Vater vorgestellt habe. Neben ihm fühle ich mich noch minderwertiger. Doch wenn er da ist, komme ich auch mal zum Essen und versuche, stark zu sein und nicht zu betteln, dass er bitte, bitte bleiben soll. Er will ja extra viel arbeiten, damit er sich bei unserer Heimkehr viel Urlaub nehmen kann. Obwohl ich langsam an der Heimkehr zweifle. Nicht, solange Du nicht zunimmst. Und Du bist so dünn und zart. In mir steigen die Tränen hoch, wenn die fast busenlose Zimmernachbarin ihr Kind an der Brust hat, das trinkt und trinkt und die Milch versiegt gar nicht mehr. Meine Brust quillt aus meinem Still-BH und ich fühle mich wüst, leer und wie unfruchtbar.

Wie eine Besessene hänge ich an der elektrischen Pumpe. Ich komme auf 30 ml, aber leider läuft am Ende Blut in die Milch und die Schwester schüttet sie weg. Dann nimmt sie mein Kind und sagt „Du dünne Maus, jetzt gibt Dir die Tante etwas Richtiges, damit Du groß und stark wirst.“ Ich wünsche mir, ich könnte Dich mit meinem Blut ernähren. Ich würde mit Freuden meine Adern öffnen und Dich auf diese Art stillen, ich könnte es kontrollieren, ich würde jeden Tag literweise Blut für Dich haben. Ich würde dafür sterben. Aber die Quelle der Muttermilch scheint versiegt. Schüchtern frage ich nach der Stillberaterin, aber die ist noch drei Tage nicht anwesend.

Uns wurden verschärfte Bedingungen auferlegt. Auf Anweisung der Schwestern muss ich Dich alle zwei Stunden wecken, darf Dich dann 30 Minuten anlegen, bevor sie Dich mit Kunstmilch füttern. Leider verstehst Du das nicht. Du willst schlafen. Manchmal bekomme ich Dich nur mit Mühe wach und von den 30 Minuten habe ich dann schon mehr als die Hälfte verbraucht. Inzwischen willst Du nicht mal mehr an der Brust nuckeln, Du windest Dich und schreist wie am Spieß, wenn Du die Brustwarze siehst. Ich schlafe nicht mehr, ich fühle nichts mehr als Schmerz, mein Herz bricht und ich kann es nicht sagen. Ich möchte Dich nehmen und weglaufen, ich will Ruhe, ich will mein Zuhause. Ich hasse es, dass alle naselang Menschen ins Zimmer stürmen, Besuch, Schwestern, Reinigungskräfte. Als ich der Schwester sage, dass Du nicht wach wirst, sagt sie, ich müsste gröber zu Dir sein. Ich würde Dich ja nur streicheln. Ich solle „fest zugreifen, die Füße kräftig drücken, dann wird sie schon wach“. In meiner Verzweiflung versuche ich es tatsächlich. Ich habe mich noch nie so schlecht gefühlt. Jeder Tag ist schlimmer als der vorherige, ich schlafe nicht mehr, ich esse nicht mehr, ich pumpe Blut und schlucke Tränen.

Alle Träume, die ich vor Deiner Geburt hatte, zerbrechen in kleine Stücke. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie ich mir das Leben mit einem Baby vorgestellt habe. Du bist unglaublich hübsch, Du bist perfekt. Aber du hast eine Mutter, die Dich nicht mal ernähren kann. Nichts kann mich darüber hinweg trösten. Dass ich bei der natürlichen Geburt versagt habe, dass nach Einleitung und Wehenmitteln und mißglückter Rückenmarksnarkose ein Kaiserschnitt unter Vollnarkose stattgefunden hat, ließe sich noch verschmerzen, wenn ich es wieder gut machen könnte. Aber stattdessen hat sich nur gezeigt, dass ich Dich nicht einmal ernähren kann. Was bin ich für eine Mutter?

Mit Gewalt versuche ich, mich zu entspannen. Ich massiere meine Brust. Als ich eines Abends tatsächlich Milch ausstreichen kann, bin ich fassungslos. Ich versuche, Dich zum Trinken zu bewegen. Mit und ohne Stillhütchen, mit C-Griff, mit Stillen im Liegen. Endlich passiert es. Du bewegst den Mund, Du schluckst. Sogar Deine kleinen, perfekten Ohren bewegen sich beim Schlucken. Mir ist schwindelig vor Glück. Als ich Dich einer jungen, netten Schwester zum Wiegen mitgebe, bebe ich vor Erwartung. Du wiegst bestimmt 100 ml mehr. Na gut, 80. Aber auf jeden Fall 50, ich bin ganz sicher.

Die Schwester kehrt zurück und sieht ernst aus. “Nichts“, sagt sie. “Sie hat nichts zugenommen, ich mache jetzt das Fläschchen.“ Und da passiert es, meine Fassade bröckelt, ich fühle, wie alles um mich herum einstürzt. Ich weine und weine und kann nichts dagegen machen. Stundenlang kann ich nicht aufhören, ich fühle mich wie ein Monster. Nichts kann ich, nichts an Muttergefühlen habe ich; ich bin ein Nichts. Selbst wenn ich denke, Du und ich bilden eine Einheit, ist es bloßes Wunschdenken. Ich kann mich auf nichts mehr verlassen, ich habe keine Instinkte. Ich bin keine Mutter.

Da weiß ich noch nicht, dass auch eine Krankenschwester beim Wiegen Fehler machen kann. Dass ich besser meinem Gefühl trauen sollte als anderen Menschen. Ich habe so viele Bücher vor Deiner Geburt gelesen, aber nicht gelesen, dass manche Mütter an der Milchpumpe nicht einen Tropfen herausbekommen, obwohl sie genug Milch haben.

Ich weiss noch nicht, dass ich Dich bis zum 8. Monat voll stillen werde. Ich weiss noch nicht, dass Du mich angucken wirst und Deine Augen sich voll Behagen und Sattheit schließen werden, bis Du friedlich an meiner Brust schlummerst, in den Armen der Frau, die Dich liebt. Deiner Mutter.

Das werde ich alles erst erfahren, wenn wir zu Hause sind. Wenn es keinen Zeitplan mehr gibt. Wenn Du trinken und schlafen kannst, wie Du willst. Wenn es für mich keine Milchpumpe und keine Waage für Dich gibt, sondern nur sanfte Brustmassagen für mich und Windelkontrolle für Dich. Erst dann weiß ich, dass die Zeit im Krankenhaus ein Alptraum gewesen sein mag, dass aber die wirklichen Weichen für Mutterschaft in der Zeit danach noch gestellt werden können. Und dass auch eine Mutter Zeit braucht, um geboren zu werden. Wenn man ihr Zeit lässt und Geduld mit ihr hat. Was habe ich für ein Glück, dass Du mir all diese Zeit gegeben hast.