Mein Abschiedsbrief

Hi ihr.

Ich habe Anfang Mai einen Abschiedsbrief für mein Sternenkind geschrieben. Das hat mir so unglaublich gut getan und eine sehr tiefsitzende Blockade in mir gelöst.

Mein Mann hat den Brief gelesen und er hat schlimmer geweint als bei unsrer Hochzeit (er ist so eine "Harte Schale, weicher Kern" Type)

Als er damit fertig war, war es, wie wenn mir jemand einen Zementsack von den Schultern genommen hätte. Ich habe einfach das Gefühl, es in die ganze Welt raustragen zu müssen.

ACHTUNG: Wenn jemand nicht auf ehrliche (!!!!!) Worte gefasst ist, möge er bitte aufhören zu lesen.

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Liebe[r] Robin,

zuerst wollte ich dir eine Geschichte erzählen. Von mir. Doch ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Es gibt einfach so viel, wovon ich dir gerne berichten würde.

Ich würde dir gerne zuerst von meinem Mann erzählen, dem wundervollsten Menschen den ich jemals kennen gelernt habe. Er ist so wahnsinnig verständnisvoll, so einfühlsam und manchmal auch so aufbrausend ;) Wir sind seit fast sieben Jahren zusammen, davon fast ein Jahr verheiratet. Ich hätte nie gedacht, das ich mal den absolut perfekten Deckel finden werde. Doch das hab ich. Es passt sogar so gut, das man uns als Dampfdrucktopf verwenden könnte!

Wir wohnen in einer 4 Zimmer Wohnung die mit Holz beheizt wird, so haben wir nicht so hohe Heizkosten. Unsre Nachbarschaft ist sehr – wie drücke ich das nett aus – multikulturell und geräuschintensiv. Und unerzogen. Aber man kann hier für kleines Geld recht gut wohnen, der Main ist etwa 500 Meter Luftlinie entfernt und die Verkehrsanbindung auch ganz gut. Wenn wir es uns aussuchen könnten, hätten wir gerne ein kleines Häuschen mit kleinem Garten. Aber das führt hier zu weit....

Unsre zwei Hunde würden dir bestimmt auch gefallen! Der kleine ist zwar etwas zickig, aber er ist auch schon alt. Die Große ist etwas jünger, aber sie hat Krebs. Wie lange sie noch bei uns sein darf wissen wir nicht. Aber wir sind dankbar für jeden Tag, an denen es den beiden gut geht. Denn sie hätten beide schon vor Jahren sterben sollen. Der Kleine wurde ausgesetzt – mitten im Winter – mitten im Wald. Die Große saß sogar schon in einer rumänischen Tötungsstation. Sie sollte also auch schon seit mindestens sechs Jahren tot sein. Doch wir haben sie aufgenommen. Ihnen noch eine zweite Chance gegeben. Es geht beiden gut hier. Und sie mögen Kinder. Robin, sie würden dich lieben!

Eigentlich trübt nichts unser Glück – bis auf eine Sache...
Ich dachte, „damals“ hätte ich überstanden. Doch ich habe das gleiche gemacht, wie ich es immer tat, wenn etwas passierte, womit ich nicht fertig wurde.

Ich habe das Kapitel meines Lebens gedanklich niedergeschrieben, habe eiserne Ketten darum gepackt, es in eine Kiste gelegt, diese wiederum fest verschnürt und in eine Schublade gelegt. Um diese Schublade kam eine meterdicke Mauer. Wie immer. Darin verstaubt das Kapitel. Auch wenn ich mit Familienmitglieder darüber rede bekommt lediglich die mauer ein paar Risse. Sonst nichts. Sie hält ja, denn sie ist meterdick.

Nun wird es Zeit, die Mauer einzureißen!

Ich muss mich endlich damit auseinander setzen, liebe[r] Robin!

Ich stelle mir gerade vor, wie du wohl aussiehst. Ich glaube, du hast dunkelblondes Wuschelhaar, blaue Augen und – du bist frech! Ich sehe in Gedanken, wie du über eine Wiese hoppst, zusammen mit deinen Freunden. All denen, die das Gleiche Schicksal ereilt hat, wie dich. Aber ich spüre nun, das du glücklich bist! Weil ich mich endlich mit dir beschäftige. Mich endlich um dich kümmere. Du bist ein Teil von mir!

Liebe[r] Robin, ich habe dir etwas noch nicht erzählt. Mein Mann und ich verhüten seit sechs Jahren nicht mehr. Wir wünschen und also Kinder. Doch es klappt nicht. Der Urologe sagt zwar, dass die kleinen Schwimmer zwar etwas langsam unterwegs sind, doch sollten sie allemal ausreichen. Mein Gynäkologe sagt auch, das alles in Ordnung ist. Doch ich habe trotzdem zu einem anderen gewechselt, weil ich Angst davor hatte, das er damals etwas verpfuscht hatte. Doch hat er nicht.

Die Erklärung für meinen unerfüllten Kinderwunsch ist ganz einfach. Ich bin seelisch noch nicht bereit dazu – auch wenn ich jahrelang dachte es sei anders. Ich bin noch nicht eins mit mir. Eines steht dazwischen – DU, liebe[r] Robin!

Ich möchte dir nun offen und ehrlich erklären, was du schon so lange wissen solltest. Ich war damals gerade 18 Jahre alt, als meine damalige Frauenärztin zu mir sagte (wortwörtlich): „Sie sind zu fett, sie können keine Kinder bekommen, deshalb werde ich ihnen die Pille nicht verschreiben“. Ja klar, dünn bin ich nicht – aber auch nicht fett. Vielleicht dick, aber das hindert mich doch nicht daran ganz tollen Nachwuchs zu bekommen!

Naja, ich habe also keine Pille bekommen. Und scheinbar hat mein Körper in dem Moment als ich als „unfruchtbar“ abgestempelt wurde gerade nicht hingehört.

Ich habe mich in der Zeit gerade ziemlich hässlich von meinem damaligen Freund getrennt – ein unangenehmer Zeitgenosse... Aber ich möchte deinen Vater nicht schlechtreden. Er ist eben, wie er ist.

Um diese alte Zeit hinter mir zu lassen, war ich mit meiner (damals) besten Freundin unterwegs. Wir hatten Spaß, wir hatten sogar sehr viel Spaß. Wir haben gefeiert, getrunken und was man halt sonst noch so als Single macht.

Ich fühlte mich so wohl in dieser Zeit, doch irgendwie vermisste ich meine Periode. Naja, ich habe ja noch geglaubt, dass ich gar keine Kinder bekommen könnte, und durch die fehlende Pille dachte ich, dass sich mein Körper eben normal verhält.
Als meine Freundin und ich dann einen Autounfall hatten und ich im Krankenhaus vor dem Röntgen nach einer Schwangerschaft gefragt wurde, sagte ich wie aus der Pistole geschossen „Schon möglich, ich weiß nicht“. Warum ich das gesagt habe weiß ich bis heute nicht. Weißt du es?

Ewigkeiten später kam dann die Krankenschwester und sagte: „Sie können wir nicht röntgen, herzlichen Glückwunsch!“, und strahlte mich an.

Ich habe mich wahnsinnig gefreut über dich, aber dein Vater nicht. Ich habe ihm während eines Treffens (ich wollte noch einige Sachen abholen) von dir erzählt. Als ich wieder zu mir kam, war ich grün und blau, am ganzen Körper. Ich blutete aus dem Mund, aus der Nase...

Einen Tag später blutete ich auch „unten“.

Ich bin zu einem Gynäkologe nach A. gegangen – zur Untersuchung. Doch da passte irgendwas nicht. Es ging alles so schnell...

Und ich kann mich an fast nichts mehr erinnern.....

Liebe[r] Robin, dein Herz hat aufgehört zu schlagen.

Du bist heuer sieben Jahre alt!

Ich glaube, du könntest schon zur Schule gehen, wenn du wolltest. Da wo du bist, gibt es kein „Muss“. Da wo du bist, macht man das, was man gerne machen möchte.
Da kann man den ganzen Tag Eis essen, man bekommt so viele Pommes wie man möchte und man wird nie geärgert! Ich bin mir sicher, die – da wo du bist – haben sich gut um dich gekümmert.

Du wirst immer mein erstes Kind sein. Mein erstes Sternenkind. Dich hab ich immer im Herzen. Doch ich bin glücklich, das du da bist, wo du jetzt bist. Ich bin froh zu wissen, dass es dir gut geht – und das tut es, das fühle ich.

Es tut mir wirklich leid, das ich nicht erfahren durfte wie du dein erstes Wort sagst. Das ich deine ersten Schritte nicht gesehen habe. Es tut mir leid, dass ich dich nicht in den Schlaf wiegen und dir Lieder vorsingen konnte. Robin, es tut mir auch leid, das ich nicht mitbekommen werde, wie du erwachsen wirst.

Aber ich weiß eines ganz sicher. Du wirst zufrieden erwachsen – und das ohne Ängste. Diese Angst, die du damals hattest war irdisch.

Das Gefühl gibt es da oben nicht.

Du fragst dich sicher, warum ich immer dieses [r] in deiner Anrede einklammere? Und woher dein Name kommt? Robin ist ein Name, der nicht sofort aussagt ob du ein Junge oder ein Mädchen bist. Denn das Geheimnis hast du mit in deinen Sternenhimmel genommen.

Robin, bitte verzeih mir. Ich habe noch immer Schuldgefühle, das ich dich damals nicht beschützen konnte. Ich hätte niemals deinem Vater von dir erzählen dürfen. Deshalb bist du tot. Aber ich wollte ihm die Chance geben, das kleine Wunder kennenzulernen.

Ich werde dich loslassen, dich jedoch nicht vergessen. Ich werde nach sieben Jahren voller Selbsthass, voller Verzweiflung und voller Schuldgefühle wieder eins mit mir. Ich behalte dich in Erinnerung, aber ich bin nun bereit für neues.

Ich bin jetzt, nachdem ich dir diese Zeilen geschrieben habe, bereit mich von dir zu lösen. Jetzt werde ich ohne Reue zurückblicken können, denn ich konnte dir die Umstände meiner Entscheidung erklären. Und dir auch sagen, dass du kein vergessenes Kind bist, sondern immer einen festen Platz bei mir hast. In meinem Herzen. Ohne Ketten und ohne Mauern.

Ich habe meiner Mutter erzählt, dass ich dir einen Brief schreibe. Ich habe mich dabei geschämt, denn hier auf der Erde ist das so eine Sache, wenn man offen über seine Gefühle redet. Da ist man schnell ein Spinner. Aber sie fand die Idee toll, hatte Verständnis dafür und hat mir angeboten dich mit diesem Brief in unserem Familiengrab zu beerdigen. Ich glaube, das werde ich auch machen. Vielleicht mit einer schönen Blume darüber...

Ich habe heute morgen den ersten Maikäfer gesehen. Und es ist fast genau sieben Jahre her, das ich mich gegen dich entschieden habe. Irgendwie scheint jetzt alles richtig.

Robin, ich habe dich nun verarbeitet. Und ich freue mich, wenn wir uns wiedersehen. In sechzig Jahren vielleicht? Ich werde dir dann erzählen, was deine Geschwister für ein Leben hier auf der Erde hatten. Und ich werde dir erzählen, wie lange es gebraucht hat, bis ich über dich hinweg kam. Doch das ist vorbei, denn ich bin bereit für das neue Kapitel.

Das neue Kapitel meines Lebens.

Auf Wiedersehen!

In Liebe, deine Mama

1

Mir fehlen die Worte...

Fühl dich gedrückt!#klee#liebdrueck#klee

2

#heul
oh man....
ich wünsche dir alles liebe für die Zukunft.....#liebdrueck

3

#heul #kerze #liebdrueck

Alles Liebe und #klee für die Zukunft!

#winke

4

wow, ich bin zu Tränen gerührt!
Sei ganz lieb gedrückt. #liebdrueck

5

Vielen Dank für die Rückmeldungen. die tun mir richtig gut. ich denke jeder verarbeitet seine trauer anders, aber seit ich diesen brief geschrieben und in einer kleinen box beerdigt habe, geht es mir so viel besser.

manchmal kommt auch dieses unbeschwerte Gefühl, das man als kind so oft hatte.

und was sich vielleicht ganz eklig anhört - ich hatte lange mit einem abzess in der leiste zu schaffen -eine Woche nach dem Brief ist er von selbst aufgegangen. einfach so und völlig schmerzfrei.

man glaubt nicht wie sehr doch das körperliche und seelische Wohlbefinden zusammenhängen.

Vielen Dank euch fürs lesen, und danke für die so lieben worte *bussi*

(vom Handy gesendet, daher etwas knapp)

6

So traurig. Ich muss so weinen :-(
#kerze

7

Oh gott mir kullern auch die tränen...leide wie du an unerklärbaren unfruchtbarkeit...alles liebe und viel kraft...du bist eine starke frau!!!l.g

8

:((
Oh Gott, fühl Dich umarmt.
Ich wünsch Dir von Herzen alles Gute

9

Du kannst sehr stolz auf dich sein......das hat miich sehr tief berührt

Ich drücke dich (unbekannterweise) und wünsche dir vie Glück das du bald ein neues kleines Wunder hast....

llg vanessa

10

#heul

Schön geschrieben!!!

Habe voll die Tränen in den Augen!!!

Alles gut dir!!

Ganz viel #klee#klee