Pflegekinder trotz leiblichen Kindern?

Hallo,

seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit dem Thema Pflegekinder. Wir haben bereits zwei leibliche Kinder und ich frage mich, ob man dann überhaupt Pflegekinder aufnehmen darf? Oder werden Pflegekinder eher an kinderlose Paare gegeben? Hat jemand Erfahrung damit wie es ist wenn ein "fremdes" Kind in die Familie kommt wo schon größere leibliche Kinder sind? Vielleicht kann jemand berichten.
Vielen Dank!
LG
Milka

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Hallo Milka,

grundsätzlich sind leibliche Kinder kein "Ausschluss-Kriterium" für die Aufnahme eines Pflegekindes.

Man sollte allerdings mit einem eigenen, also biologischen, Kinderwunsch "abgeschlossen" haben. Meiner Erfahrung nach ist das für Paare, die bereits ein leibliches Kind oder mehrere haben, wesentlich einfacher als für ungewollt kinderlose. Was ja durchaus nachvollziehbar ist.

Entscheidend ist jedoch auch, wie die eigenen Kinder zu der Idee, Pflegefamilie zu werden, stehen. Sie werden zumindest teilweise in den Prozess (also die Vorstellung/Bewerbung/Qualifikation) mit einbezogen im Rahmen der ihrem Alter entsprechenden Möglichkeiten. Grundsätzlich sollte ein Pflegekind mindestens drei Jahre jünger sein als das jüngste leibliche Kind. Je nach Biografie/Bedürfnissen eines Pflegekindes sowie den Möglichkeiten einer Pflegefamilie KANN es Ausnahmen geben.

Viele Pflegekinder würden mit nur unwesentlich älteren oder sogar jüngeren leiblichen Kindern in einer Familie aufgrund ihrer eigenen Geschichte gar nicht zurecht kommen, da wird schon sehr genau auf das gesamte aufnehmende Familien-System geschaut. Und "umgekehrt" auch auf die leiblichen Kinder, denn die eigenen Eltern "plötzlich" mit einem Pflegebruder/einer Pflegeschwester teilen und dessen/deren oft extremes Verhalten dauerhaft verarbeiten zu müssen, stellt diese vor enorme soziale und emotionale Herausforderungen. Grundsätzlich passt nicht jede Familie zu jedem Pflegekind.

Das "Gesamt-Paket" muss also als Pflegefamilie "passen", sonst ist das Vorhaben von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ein wichtiger Punkt ist meines Erachtens, dass man als Pflegefamilie quasi "öffentliche" Familie wird mit einem oft großen Helfer-System, welches möglicher Weise über viele Jahre regelmäßig ein und ausgehen wird. Als Eltern kann man sich diese Tragweite/Dynamik oft schon nur schwer vorstellen bzw. sich nur langsam daran gewöhnen. Für leibliche Kinder ist das meist- jedoch nicht immer!- deutlich schwieriger.

Ich hoffe, das hilft Dir/Euch etwas weiter bei Euren ersten Gedanken rund um das Thema? Klingt sicherlich etwas negativ, soll jedoch auf keinen Fall "abschrecken"! Man wird in der Regel gut vorbereitet und kann sich dadurch Schritt für Schritt an das Thema annähern, sowohl fachlich als auch emotional.

Liebe Grüße,

Kathrin

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Danke für die ausführliche Antwort. Ich kann nur vermuten wie es mit einem Pflegekind bei uns wäre. Meine Tochter ist 10 Jahre alt und liebt kleine Kinder sehr und kümmert ich sehr gerne und nimmt auch viel Rücksicht. Mein Sohn ist 7 und er ist da etwas zurückhaltender, er kann sich das wohl nicht vorstellen wie es wäre wenn hier dauerhaft ein anderes Kind wohnen würde. Aber im Prinzip kann ich mir schon vorstellen, dass es klappen würde und er die Situation akzeptieren und sich daran gewöhnen würde. Ich denke je kleiner ein Pflegekind wäre, desto eher würde es akzeptiert und betüddelt werden und vor allem von meinem Sohn nicht als "konkurrenz" wahrgenommen werden. Wenn zum Beispiel ein 5 jähriger Junge hier plötzlich ein und aus gehen würde und er sein Spielzeug plötzlich teilen müsste, das stelle ich mir schwierig vor. Wenn es ein 2 oder 3 Jähriges Kleinkind wäre, dann wäre es wohl kein Problem. Aber das sind alles Vermutungen. Man weiß es nie wie es tatsächlich wäre. Deswegen würden mich tatsächlich Erfahrungsberichte interessieren von Familien die bereits größere leibliche Kinder haben. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht wie es dann tatsächlich auch für mich wäre. Ob ich da Unterschiede machen würde. Natürlich unbewusst, denn man versucht natürlich auch neutral und unvoreingenommen zu sein. Doch ob das funktionieren würde? Man macht sich vorher viele Gedanken und das finde ich auch gut so. Dass man es sich nicht zu einfach vorstellt und dann plötzlich hart von der Realität getroffen wird.

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Natürlich muss man NICHT mit einem leiblichen Kinderwunsch abgeschlossen haben. Man kann selbstverständlich auch noch leibliche Kinder bekommen.

Bei der Bewerbung für ein Adoptivkind wird erwartet das man den leiblichen kinderwunsch hinter sich gelassen hat.

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Hallo.

Natürlich sind leibliche Kinder kein Ausschlusskriterium sondern eher die Regel. Es ist "üblich" zu leiblichen Kindern ein Pflegekind aufzunehmen.

Unsere große war bereits 12 Jahre als der kleine in unsere Familie kam und natürlich hat sie alles aktiv mitbekommen, wurde vom Jugendamt befragt usw.
Ein leibliches Kind würde ich immer von anfang an mit einbinden denn es ist natürlich auch für das kind eine große umstellung. Bei einer Schwangerschaft sind einige Monate Zeit und alle erwarten sehnsüchtig das neue Familienmitglied. Ein Pflegekind kommt oft wenn man am wenigsten damit rechnet, ist meißt schon etwas älter und hat natürlich auch eine Vergangenheit.

Alles Gute

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Vielen Dank für deine Antwort. Wie hat deine Tochter reagiert, Anfangs, bzw. auch nachdem einige Zeit vergangen ist? Und wie alt war das Pflegekind? Gab es Probleme? Und ist es ein Pflegekind was dauerhaft bei euch bleiben wird? Sorry für die vielen Fragen, ich bin sehr neugierig auf Erfahrungsberichte.

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Hallo,

Ich habe ein PK seit nunmehr inzwischen acht Jahren auf Dauer angelegt. Meine leiblichen Kinder waren damals 5 und 3 Jahre alt. Das Pflegekind als es kam acht Monate war. Zunächst war das einfach, die ersten Jahre eben bis man feststellte das er sich nicht zeitgemäß entwickelt und entwickeln wird. Bei der Ursachenforschung gepaart mit unzähligen Arztbesuchen stehen die leiblichen Kinder hinten an. Auch kannst du die Art und Weise wie du mit deinen Kindern und dem Pflegekind arbeitest nicht vergleichen. Dann folgten Ergotherapie, Logopädie und pädagogische Frühförderung wieder dreimal die Woche was externes zu den eigenen Familienleben. Er ist heute neun, die mittlere elf, die große dreizehn. Er hat sich nicht in dem Tempo entwickelt wie normal sondern steht bei sechs Jahren vielleicht, braucht immer Zeit, aktuell eine Verhaltenstherapie, dann in unregelmäßigen Abständen Kontrolltermine bei Fachärzten, das Jugendamt kommt hin und wieder, die leibliche Mutter will Kontakt. Das sind alles Dinge bei denen du das Pflegekind begleitest und deine eigenen Kinder entweder mit müssen oder alleine sind oder fremd betreut werden. Alles in allem kann ich das mit der Erfahrung von den letzten Jahren nicht mehr unbedingt empfehlen. Es ist natürlich machbar aber extrem fordernd.

Eigene Kinder waren kein Problem, das Pk sollte ein Jahr jünger sein als das älteste leibliche Kind und ich habe nach dem PK nochmal eins bekommen, der ist aktuell drei Jahre alt. Entwicklungsverzögert sind nahezu alle und der Rucksack den sie mitbringen ist bei dem einen größer, bei dem anderen kleiner. Abschließend sei gesagt wenn du Unruhe in deine Familie bringen möchtest, kannst Du es wagen. Es wird anders sein als vorher und meine leiblichen Kinder sind da nicht immer erfreut.

Liebe Grüße

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Hallo Milka,

Du hast schon sehr tolle und ausführliche Antworten erhalten :-)

Viel Erfahrung kann ich nicht bieten, unsere Motte ist erst 10 Monate bei uns.
Meine Kinder waren bei Aufnahme 9, 7, 4 Jahre alt, also ähnlich wie deine beiden.
Für meine Kinder ist sie einfach Ihre kleine Schwester! Ihre Entwicklungsverzögerung fällt ihnen noch nicht großartig auf. Wir lieben sie sehr und sind froh, dass sie bei uns ist. Gleichzeitig haben mich ihre besonderen Ansprüche trotz aller Erfahrungen schon sehr gefordert und ich frage mich jetzt schon, wie es wohl funktionieren kann, wenn mein Sohn nächstes Jahr in die Schule kommt und selbst auch wieder mehr Aufmerksamkeit bedarf. Sie ist so intensiv wie meine Schreibabys es waren, nur dabei so flott wie fast 2 jährige so sind. Brisante Mischung ;-)

Erstaunt hat mich, wie traurig meine Mittlere manchmal ist - sie kann es einfach nicht greifen, wie sie die Kleine so lieben kann, ihre leiblichen Eltern bisher jedoch keinen Kontakt suchen. Auf der Sachebene (Eltern sind krank, wollen ihr Bestes, haben es nie lernen dürfen,...) lässt es sich nicht auflösen für sie. Es tut mir leid, dass sie so eine Last trägt im Moment. Diese Gedanken macht sie sich selbst,... vorsichtig wäre ich daher mit sprechenden Kindern, die Misshandlung oder Vernachlässigung erfahren haben.
Natürlich brauchen auch sie eine Familie! Vllt sollten in dem Fall bereits vorhandene Kinder älter sein?

Lass den Gedanken reifen und wachsen, du machst dir tolle Gedanken!

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Hallo ich finde es toll das du versuchst positive über die Herkunftsfamilie zu reden.

"Auf der Sachebene (Eltern sind krank, wollen ihr Bestes, haben es nie lernen dürfen,...) lässt es sich nicht auflösen für sie. "

Waren die LE wirklich krank? Wenn ja musst du unbedingt die Krankheit erklären. Auch bei einer Erkältung ist man krank, müssen da die Kinder in eine andere Familie? Deswegen bitte vorsichtig mit dem Begriff "krank"

wollten die LE wirklich das Beste? Woher weißt du das? Haben sie das dem PK so gesagt? Oder gibt es einen Brief? Fände ich toll! Sonst auch da vorsichtig, wenn du das nicht weißt! Kann schon morgen Brief mit Forderung der herrausgabe im Briefkasten sein. Mal krass gesagt...

"Haben es nie lernen dürfen" in der Regel wird erstmal alles probiert, bevor ein Kind rausgenommen wird. Familienhilfe, Mutter Vater Kind heim usw. Warum haben sie es nicht gelernt? Versuche denen Kindern so ehrlich wie möglich zu sein und nicht ein Bild aufzubauen das nicht der Realität entspricht! Irgendwann kommt es vielleicht wieder zum Treffen kommen, was wenn es dann ganz anders ist als du erzählt hast?

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Hallo und danke für deinen Beitrag!

Rein auf der Sachebene bin ich absolut bei der Wahrheit geblieben, auch wenn ich sie vereinfacht habe. Die Eltern sind selbst "im System" groß geworden = keine funktionierende Familie gehabt, sie sind suchtkrank, die Mutter hat in der Ss einen kalten Entzug versucht und das Kind, obwohl sie wusste, das es ihr weggenommen" werden wird, im KH entbunden. Statt alleine im Bad, wo es entzugig in Lebensgefahr geraten wäre. Natürlich ist sie nicht erziehungsfähig, und doch hat sie nicht alles immer nur falsch gemacht. Natürlich heißt das pauschal nicht, dass sie theoretisch nicht doch plötzlich das ein oder andere Interesse an ihr entwickeln könnte.
Der Staat hat bei ihren großen Geschwistern lange genug zugesehen und "Hilfen installiert", bis sie bei der zweiten oder dritten iO schwerst traumatisiert als nicht mehr familienfähig galten und teils in Einrichtungen, teils bei Profifamilien leben.

Ehrlichkeit ist absolut wichtig. Doch in meinen Augen nicht alles auf einmal, dafür ist u.a. das Paket zu weit entfernt von der kindlichen Realität meiner Tochter. Und ich möchte auch vermeiden, dass meine kleine Maus so harte Brocken über ihre Herkunft von meinen Kindern erfährt statt von mir. Es reicht zur Zeit, die Suchterkrankung zu benennen. Inwiefern unser Knöpfchen dann später mehr mit ihr "teilen" möchte, oder ob sie erst einmal wünscht, dass das "privat" bleibt, darf vermutlich sie entscheiden.

Meine "traurige" Tochter hat zum Beispiel ein Handicap, dass man ihr nicht ansieht. Sie hat eine ganz klare Vorstellung davon, wer es wann erfahren darf. Das finde ich absolut in Ordnung, auch wenn wir teils darüber reden müssen, wo es relevant wird.

Unsere SA meinte , dass wir etwas überspitzt jedem gleich alles erzählen sollten, immerhin müsse sie ja lernen, mit ihrer Herkunft zu leben. Mh. Ich denke, ihre Herkunft ist EIN TEIL ihrer Biographie, es sollte im Idealfall doch nicht ihr ganzes Leben bestimmen. Warum sollte ich ihr diesen Stempel aufdrücken?
Wieso soll die Welt vor ihr und sie anschließend "von außen" erfahren, dass sie ein "Junkiekind" ist, noch bevor sie Hund von Katze unterscheiden kann... Herkunft ist noch lange nicht ihr Thema, auch wenn es für alle offensichtlich ist, dass sie nicht unser leibliches Kind ist.

Wie handhabst du das denn?

Hoffentlich nicht zu wirre Grüße, unsere Nächte sind grottig und mein Hirn reinstes Apfelmus....

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