Update: Beerdigung: Hingehen oder nicht

Erst einmal Danke für eure größtenteils einfühlsamen Antworten.

Heute vormittag war die Beerdigung vom Vater meiner Halbschwester.
Ich bin letztendlich gemeinsam mit meinem Mann hingegangen.

Es war befremdlich dazusein. Einer der Brüder meiner Halbschwester schien auch nicht sehr begeistert, hat aber nichts gesagt, der andere hat sich bei mir bedankt. Meine Halbschwester hat sich gefreut, dass ich da war und sich mehrfach bedankt.

Trotzdem weiß ich nicht, ob es die richtige Entscheidung war. Ich bin immer noch sehr aufgewühlt und komme mir auch verlogen vor.
Es war bitter, zu sehen, wie sie um ihren Vater weinen und zu wissen, dass er auch meiner hätte sein müssen.

Mein Mann versucht gerade, mich aufzufangen.

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Hi

In dem Moment wo du die Entscheidung getroffen hast hinzugehen hast du deine Gründe dafür gehabt - egal welche das waren. Und damit war es in diesem Augenblick auch die richtige Entscheidung!

Und verlogen bist du auch nicht. Dass dein Erzeuger nie Vater war, ist nicht deine Schuld. Und dass du dann natürlich mit sehr gemischten Gefühlen auf das Begräbnis gehst ist völlig normal. Und es ist auch dein gutes Recht diese Ambivalenz in dir zum Begräbnis mitzunehmen (du tanzt ja nicht am Grab oder führst dich sonst wie auf). Ein Begräbnis ist auch ein Abschied für die Hinterbliebenen, und dieser Abschied darf durchaus eine persönliche Note über die Beziehung oder in deinem Fall Nicht-Beziehung enthalten. Die Rolle die er für dein Leben gespielt hat - er hat dich gezeugt, der Rest ist von viel "nicht" geprägt, nicht Vater sein, nicht da sein etc - darf sich da in deinen Gefühlen wiederspiegeln!

Und egal hingehen oder nicht hingehen richtig oder falsch ist: es hat beides positive und negative Seiten. So ist die Reaktion deiner Schwester offenbar sehr positiv gewesen.

Schlaf eine Nacht oder mehrere drüber - Grade heute ist ein anstrengender Tag, du musst jetzt gar nix müssen oder verstehen oder gar rechtfertigen.

Alles Gute!

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Danke für deine Worte.

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Hallo
ich denke du hast genau das richtige getan. Für deine Schwester und leztendlich auch für dich selber.

Du darfst nämlich auch trauern um das was du niemals hattest und der allerletzte funken Hoffnung das sich noch was ändert ist nun auch erloschen.

So konntest du einen Schlußpunkt setzen und ein Kapitel abschließen und deiner Schwester auch ein klares Signal senden: Ich bin für dich da

LG
Corinna

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vielen Dank.

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Ich finde das absolut nicht verlogen, sondern toll, dass du für deine Schwester da warst. Da sie sich gleich mehrmals bedankt hat zeigt ja, dass es ihr wichtig war.

Und was dich selber und deinen Vater angeht: eine Beerdigung sehe ich als die letzte Möglichkeit etwas abzuschließen.
Ich kam mit meinem Opa nicht zurecht, aber ich bin auf die Beerdigung, nicht für ihn, sondern für mich. Damit konnte ich einen friedlichen Abschluss für mich machen.
Ich denke nicht, dass du dich später ärgern wirst, dass du hingegangen bist, eher hättest du dich geärgert wenn du nicht hin wärst. Im Moment ist das natürlich erstmal aufwühlend, aber es ist toll dass dein Mann für dich da ist. Fühl dich gedrückt!

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Danke.
Verlogen fühle ich mich, weil ich nicht um ihn getrauert habe, im Gegensatz zu den anderen Menschen. Ich habe irgendwie allgemein bedauert, nicht um einen Vater trauern zu können, aber der Mann im Sarg war mir völlig egal (falls das Sinn ergibt).
Ich war schon vorher auf Beerdigungen, wo ich die Toten nicht kannte, sondern nur die Angehörigen, aber da hatte ich das Gefühl trotzdem mit meinen Freunden zu trauern. Jetzt habe ich den Eindruck, dass ich nur für meine Halbschwester bedauer.

Ob das ein friedlicher Abschluss war, werde ich hoffentlich irgendwann wissen.

Ich fühle mich schon etwas aufgemuntert durch eure ganzen Antworten hier.

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"Verlogen fühle ich mich, weil ich nicht um ihn getrauert habe, im Gegensatz zu den anderen Menschen. Ich habe irgendwie allgemein bedauert, nicht um einen Vater trauern zu können, aber der Mann im Sarg war mir völlig egal (falls das Sinn ergibt)."

Doch, das ergibt Sinn - und zwar in deiner persönlichen Situation einen ziemlich schlüssigen.

Dieser Mann im Sarg hat für die anderen eine gewisse Rolle ausgefüllt, als Freund, Bekannter, Partner, Onkel oder Vater oder was auch immer. Da entsteht dann eine gewisse Lücke, egal ob klein oder groß, die verursacht Trauer um eine konkrete Person - eben die, die da vorne im Sarg liegt.

Dein Erzeuger hat sich da dir gegenüber aber offenbar lebenslänglich verweigert auch nur irgendwie eine Rolle in deinem Leben zu spielen.

Natürlich hast du nicht um deinen Vater trauern können, dieser Mann hat ja auch nie diese Rolle ausgefüllt, er war ja nie Vater für dich! Da gibt es einfach keine aktuelle, konkrete Lücke um die man in dem Moment trauern kann!

Da passt es auch ins Bild, dass du bedauert hast, nicht um einen "Vater" trauern zu können - du hast ja nie einen gehabt.

LG

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Also ich hab es nicht ganz mitverfolgt, aber soweit ich mitbekommen habe bist Du im Wesentlichen hin um für Deine Halbschwester da zu sein. Sie hat Sich mehrfach bedankt, also: Volltreffer Mission erfüllt. Du warst ihr heute eine super Halbschwester auch wenn es dich sehr viel Kraft gekostet hat.

Dass Du Durch den wind bist ist normal bei dieser Konstellation. Und ja, Du hast ein Recht den Vater zu beweinen, den Du nie hattest an dem Tag als Dein Erzeuger beerdigt wurde. Natürlich kocht das heute alles hoch. Und das ist gut, lass es raus, heul Dich aus, kotz Dich aus und verprügel die Kissen. Wenn nicht heute wann dann? Ab morgen kannst Du versuchen Deinen Frieden damit zu machen, denn er ist jetzt unter der Erde, Aber vernünftig ist morgen, heute hast Du all Deine Vernunft und Zusammenreißen schon bei der Beerdigung aufgebraucht.
Toll, dass Du einen Mann hast, der jetzt für Dich da ist.

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Danke. Ich denke, ich tue mich schwer, auf morgen zu verschieben. Ich habe immer das Gefühl, alles sofort richtig zu machen und zu fühlen müssen.

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Hallo du, fühl dich erstmal gedrückt.

An deiner Entscheidung ist überhaupt nichts verlogen, sondern mutig. Du hast dich ihm, deiner Vergangenheit und deiner Trauer gestellt, dass er die nie ein Vater war. Das schafft nicht jeder. Ich fände es für mich persönlich wichtig hinzugehen, um einen Schlussstrich zu ziehen. Irgendwie hätte dieser mir sonst gefehlt.
Betrachte es doch mal aus einem ganz besonderen Augenwinkel. Du kannst so deine Vergangenheit und alles negative, was du mit ihm verbindest, zusammen mit ihm begraben und einen Haufen Erde drüber schütten. Versuche die Beerdigung für dich, als Umwandlungsprozess zu sehen und mit deiner Vergangenheit ins reine zu kommen, für dich und deine Familie. Er hat dich verletzt und dir das Gefühl gegeben nicht geliebt zu werden, dass ist schmerzhaft. Ich habe mit meinem Vater Ähnliches erlebt. Aber im Grunde kann er dir nur leid tun, so wie er da lag, wird er nie mehr die Möglichkeit haben können, dich als Tochter kennenlernen zu dürfen. Er hat so viel mehr verloren, als du. Wenn es doch gar nicht los lässt, mach eine Therapie. Mit hat es geholfen, mir den ganzen Mist mal aus der Seele zu kotzen (sorry die Wortwahl, aber genau so hat es sich angefühlt) die Therapeutin hat mit mir echt tolle Rituale gemacht, die den ganzen Kummer herausspülen! Ab und an Lasten die Leichen im Keller noch, aber sie stinken nicht mehr so fürchterlich!

Außerdem, vielleicht hilft dir auch eine kleine Gehässigkeit... wenn wir uns mal vorstellen, dass tote, bzw ihre Seele, dazu verdammt werden zu Gast auf ihrer eigenen Beerdigung zu sein, hast du deinem Vater den Gefallen nicht getan, der Beerdigung fern zu bleiben. Nun konnte er dich nicht ignorieren und auch nicht abhauen. Er musste ertragen, dass du so viel mehr Charakter hast, als er jemals gehabt hat und sein eigenes Versagen ertragen. Damit wird seine Seele wohlmöglich eine ganze Zeit lang beschäftigt sein. Wärst du nicht gegangen, könnte er sich vielleicht noch einreden, du warst es nicht wert, aber so, hast du seine faulen Ausreden zerplatzen lassen und ihm ordentlich Stoff zum nachdenken dagelassen, damit es, wo auch immer er ist, nicht langweilig wird.

Zünde ein Räucherstäbchen an, mache dir einen schönen Tee und mach es dir bei dem Wetter mal So richtig auf dem Sofa gemütlich. Der Regen spült momentan sowieso alles weg. Überlass ihm doch etwas von deinem Kummer!

Kopf hoch, alles gute!!🍀🍀🍀

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Danke für deine aufmunternden Worte.
Und für deinen Perspektivenwechsel. Ich habe mir immer nur vorgestellt, dass er es als Zeichen der Schwäche von mir sehen würde, wenn ich bei der Beerdigung ist. So als ob ich trotzdem so an ihm hänge und um ihn trauer.

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Man darf auch auf Beerdigungen gehen um mit eigenen Augen zu sehen, dass der Deckel zu ist und unter die Erde kommt ;-)

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Ich finde, es zeigt Größe, dass du da warst.
Dreh es mal um und stell dir vor, du wärst nicht hingegangen. Wahrscheinlich würdest du dir das viel mehr vorwerfen und könntest es ja auch nie wieder ändern. Würdest gedanklich durchspielen: Was wäre, wenn ich hingegangen wäre? Das fällt weg. So warst du da, warst für deine Schwester da, der das offenbar sehr wichtig war. Und verlogen wäre gewesen, wenn du Trauer geheuchelt hättest. Lese ich nicht raus.
Finde, du hast dir gar nichts vorzuwerfen. Im Gegenteil.

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Danke für deine Worte.
Ich komme mir halt vor, als hätte ich die Trauer geheuchelt, nur weil ich da war. Und, weil die Pfarrerin auch von ihm als Vater und Großvater gesprochen hat. Da kam ich mir einerseits verarscht vor, aber ich hatte auch Angst, dass die anderen denken, dass ich jetzt plötzlich so tue, als ob er mein Vater und der Großvater meiner Söhne ist, obwohl er das nicht ist.

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Die Pfarrerin kann nur von dem reden, was ihr von den Angehörigen erzählt worden ist, die mit ihr das Gespräch hatten. Das weiß sie aber auch, dass das EINE Perspektive auf das Leben des Verstorbenen ist.

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Ich glaube dir, dass das eine schwierige Situation für dich war.
Auch du hast um einen Vater getrauert. Einen, den du nie hattest. Das wühlt viel auf. Da ist auch Traurigkeit und wut. Ich denke, dass es etwas aufgebrochen hat und es dich weiter bringen wird. 🤗

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Ich habe deinen ersten Thread gelesen und ich habe deine Situation verstanden - aus der Erfahrung raus, dass Kind zu sein was nicht gewollt war.

Du bist hingegangen aus welchen Gründen auch immer (sollte dir auch völlig selbst überlassen sein- nicht negativ gemeint).

Ich finde es eher schon eine Frechheit von diesen Brüdern deswegen ein befremdliches Verhalten bekommen oder auch dank zu bekommen.

Es ist dein Vater, dein Erzeuger, der auf der Geburtsurkunde steht... du bist die leibliche Tochter, ein Teil von ihm.

Du hast genauso Rechte! Recht Gefühle zu dieser Situation zu haben, zu diesem Mann und es verarbeiten zu müssen. Auch wenn er seinen Pflichten nicht nachgekommen ist.

Du darfst betrauern was war und was eben auch nicht war. Was andere bekommen haben und/oder du nicht.
Und dann darfst du auch einen Strich ziehen.

Ich wünsche dir alles Gute und die Kraft und Zeit damit nun auch etwas abschließen zu können.

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Danke.
Ich weiß eigentlich selber nicht, warum ich hingegangen bin.
Heute geht es mir schon etwas besser.
Ich komme mir schwach vor, Gefühle zu haben, die ich verarbeiten muss. Ich habe das Gefühl, dass es ihm Macht über mich gibt.

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Der einzige, der Macht über die hat bist du und deine Gedanken.

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Der Besuch der Beerdigung hat die gleiche Ambivalenz wie die Beziehung zu deinem Vater. Er ist es, hat diese Rolle aber alles andere als ausgefüllt. Es ist ok dass du jetzt so fühlst, Leben ist nicht schwarz-weiss, und Familie ist nicht immer Vater-Mutter-Kind.
Du bist hin um deine Schwester zu stärken. Das hat es. Du warst als Schwester da, nicht als Tochter - das zählt und es ist eine starke und wie ich finde die absolut richtige Familiengeste.