An die erwachsenen Autisten

Liebe Autisten,

mich würde interessieren, wie ihr so lebt.. Ist eure Diagnose „offiziell“? Beim Arbeitgeber zum Beispiel?

Was unterscheidet euch im Alltag von „normalen“ Menschen?

Was bereitet euch Schwierigkeiten? Was fällt euch leicht?

Seht ihr Autismus als Krankheit oder ist es für euch ein Wesenszug?

Ich hoffe ganz stark, dass sich niemand angegriffen fühlt. Mich interessiert es einfach sehr. Bisher habe ich nur Erfahrungen mit Kindern - da scheint es ja „schlimm(er)“ zu sein. Ich würde also gerne wissen, wie es als Erwachsener ist. Ein kleiner Einblick in eurer Leben sozusagen.

Herzlichen Dank schonmal

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Bei meinem Mann und mir ist es so, dass Familie und teilweise Freunde von der Diagnose wissen.
Arbeitgeber und Arbeitskollegen nicht.

Familienalltag ist bei uns der ganz normale Grossfamilienwahnsinn, einfach mit dem Unterschied, dass nun nur noch Autisten und meine demente Schwiegermutter zusammenleben, somit sehr entspannt alles.

Ich gönne mir zuhause gerne meine autistischen Gewohnheiten/Abläufe, ansonsten interagiere ich völlig gesellschaftskonform.
Bei meinem Mann verhält es sich ähnlich.

Wir arbeiten beide in sozialen Berufen, beide mit sehr guten Zeugnissen/Qualifikationen, Empathie immer doppelt positiv bewertet ;-)

Es liegt ja eigentlich im menschlichem Spektrum, die eigene Wahrnehmung als Massstab zu nehmen, genau den Aspekt finde ich bei Nicht-Autisten so enervierend und enttäuschend: der oft fehlende Perspektivenwechsel. Im Gegensatz zu Nicht-Autisten müssen sich Autisten den erst aneignen. Am Ende sind es aber genau die Nicht-Autisten, die in der Lebenspraxis souverän den Perspektivenwechsel nicht zum Einsatz bringen...
Womit ich extrem Mühe habe, bis zu Angst davor: hinterfotziges Verhalten und Diskrepanz zwischen Gesagtem und Gedachtem.
Dies ist ein Grund warum ich meine Freizeit wenn möglich lieber mit Autisten verbringe.

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Vielen Dank für deine ausführliche Antwort.

Ist es zu privat zu fragen, was genau du mit „Ich gönne mir zuhause gerne meine autistischen Gewohnheiten/Abläufe“ meinst? Was sind das für Gewohnheiten?

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Tja, was sind das so für Gewohnheiten: ich esse sehr gerne mit den Fingern, habe generell eigenwillige Essensvorlieben, ich mag absolut kein Wasser trinken, stürze mich aber zum Schwimmen in jedes Gewässer, bei jeder Witterung, ich liebe meine fixen Abläufe/Rituale, habe ich die freie Wahl, dann habe ich lieber einen Hund neben mir im Bett als einen Menschen (mein Mann bleibt da aber stur, er möchte wohl nicht im Hundekörbchen schlafen ;-)) ich mag keinen spontanen Besuch oder sonstige unvorhergesehenen Ereignisse, ich mag keine Geschenke, schon gar nicht wenn ich nicht weiss, was im Paket drin ist, ich lese bei jedem Buch den Schluss, bevor ich mich entscheide, das Buch zu lesen (saublöd, dass ich eigentlich Krimis liebe). Bei Serien lese ich zuerst den Episodenguide auf Serienjunkies.
Also zusammengefasst: ich mag keine Überraschungen.
Im Beruf, oder zusammen mit Nicht-Autisten, kann ich mich jedoch 100 Prozent regelkonform verhalten, null Problem. Ich muss mich dafür nicht einmal anstrengen oder so. Ich kann sehr bewusst switchen zwischen beiden Welten.

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Hallöchen,

ich gehe sehr offen mit meiner Diagnose um. Für mich ist es kein Makel und wenn ich von Anfang an anspreche, dass ich vielleicht mal "komisch" reagieren könnte entstresst es soziale Situationen für mich enorm.

Auch beruflich spiele ich auf Grund von sehr schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit mit offenen Karten. Das hat mir mit Sicherheit schon viele Jobchancen versaut, aber lieber bin ich arbeitslos als in einer Arbeitsumgebung, die mich fertig macht für Dinge, für die ich nichts kann...

Im Gegensatz zur anderen Userin fällt mir das Kompensieren nämlich nicht ganz so leicht. Ich kann es, ich falle in guten Zeiten auch nicht auf. Aber es strengt mich an. Ich sage immer: "Was andere intuitiv machen, mache ich kognitiv." Und das verbraucht ziemlich viele Ressourcen.
Das hat zur Folge, dass ich in meinem holprigen Berufsleben sehr, sehr viel krank und arbeitslos war (bzw. bin). Und das obwohl ich einem eigentlich sehr autismusfreundlichen Umfeld arbeite.

Ich bin seit fast 14 Jahren immer mal wieder in depressiven Phasen. Aber das ist ok, ich kenn das und weiß damit umzugehen.

Zuhause ist es so, dass ich seit meiner Diagnose nichts mehr tue, was mir nicht gut tut, nur "weil man das eben so macht". Wenn ich nicht kuschelnd auf der Couch liegen will, dann sag ich das und mach das auch nicht. Das war früher anders.

Mein Mann ist mir da eine sehr große Stütze. Und er tut mir im Moment ein bisschen Leid, weil unsere 1-jährige Tochter den Großteil meiner sozialen Ressourcen aufbraucht. Da hat er ein bisschen das Nachsehen. Aber nach einer gewissen Zeit Körperkontakt schmerzt jede weitere Berührung schon fast.

Abschließend kann ich für mich sagen:
Ich find's gut, ich bin wie ich bin. Mir fällt vielleicht vieles schwerer als anderen aber dafür kann ich andere Dinge sehr viel besser. Ich konzentriere mich auf meine Stärken und fahre gut damit.

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Vielen Dank für deine Antwort.

Darf ich bei dir ebenfalls nach diesen Gewohnheiten/Macken fragen?

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Hallo,

ich antworte mal als Nicht-Autist - wobei ich das gar nicht mit Sicherheit sagen kann, getestet wurde ich ja nie :-p

Ich persönlich sehe Autismus nicht als Krankheit, sondern tatsächlich als Wesenszug. Ich habe gelernt: In jedem Menschen steckt ein bisschen Autist. Für die Diagnose muss eben genug zusammenkommen. Man muss den "anderen Menschen" anders erscheinen oder sich selbst einfach anders vorkommen. Eine Diagnose kann hilfreich sein, ist aber nicht in jedem Fall ein Muss.

Im Zuge eines interessanten Seminars, dass das Thema aber nur am Rande mitbehandelt hat, habe ich mal bewusst auf typische Wesenszüge von Autisten geachtet. Ich habe tatsächlich ein paar davon. Für eine Diagnose wahrscheinlich zu wenig und da ich im Alltag gut zurecht komme und meine Macken nicht permanent ausleben muss, sehe ich auch keinen Bedarf da etwas testen zu lassen. Es gab aber Zeiten, da ist es mir gar nicht so leicht gefallen, meine Macken zu kontrollieren und ich brauche auch heute mein gewohntes Umfeld, in dem ich sie ausleben kann.

LG

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Äähhm - was genau zeichnet denn hier alle als Autisten aus, die geantwortet haben?!
Ist das ein komischer neuer Trend?!

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Was meinst du damit?

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http://www.autismus-online.de/was-ist-autismus

Vielleicht hilft es Dir, etwas besser zu verstehen, was einen Autisten ausmacht.

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