Hallo,
ich mache mir zur Zeit immer wieder Gedanken wegen meinem 12-jährigen.
Irgendwie ist er sehr auf sich und seine Vorteile bedacht. Meistens zumindest.
Wenn ich zurück denke, war das schon im Kindergartenalter so. Jetzt geht er in die 6. Klasse und eckt auch in der Schule (bei den Mitschülern) häufiger an. Er hat schon ein gutes Allgemeinwissen für sein Alter, lässt dies aber auch auf eine überhebliche und arrogante Art raushängen. Zumindest wirkt es so. Ob er es wirklich so meint, weiß ich nicht. Will ich ihm nicht mal unbedingt unterstellen.
Die Klassenlehrerin bestätigt das ebenfalls, indem sie erzählt, er wisse häufig alles besser, sei Vielen in der Klasse kognitiv überlegen, würde jedoch auf so eine herablassende Art sein Wissen vorbringen, dass sich das andere Kind - welches jetzt vielleicht keine so gute Antwort wusste - blöd vorkommt. „Dabei könnte er so eine Bereicherung für die Klasse sein“.
Dadurch hat er inzwischen - verständlicherweise - nur noch wenige Freunde und macht sich in der Klasse nicht gerade beliebt. (Er ist aber zum Glück kein totaler Außenseiter).
Zuhause ist es ähnlich. Es geht meistens nur um ihn. Auf die Idee freiwillig etwas für andere zu tun kommt er äußerst selten, was sicher derzeit auch mit der Pubertät geschuldet ist.
Geht es aber um seine Bedürfnisse und Belange, möchte er bitte unbedingt gesehen und wichtig genommen werden.
Wenn ich mit ihm abends manche Situationen reflektiere und ihm erkläre, warum sich der oder diejenige damit jetzt vielleicht schlecht fühlen könnte (z.B. in der Schule) versteht er das, würde aber nicht von selber darauf kommen. Denn erstmal hat doch er „nichts gemacht“.
Mein Mann und ich sind auf jeden Fall empathische Menschen, vor allem mich würde ich als sehr empathisch bezeichnen (eher zu viel als zu wenig) und leben dies auch so vor. Unser kleiner Sohn ist da viel mehr so wie wir.
Mir ist bewusst, dass Menschen verschieden sind (auch Kinder von den gleichen Eltern) und auch Empathie unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Dennoch mache ich mir Sorgen und hoffe, er entwickelt sich nicht zu einem total egoistischen Erwachsenen (Narzissten).
Was denkt ihr, kann man Empathie lernen? Kann sich das alles noch geben?
Und habt ihr evtl. Tipps, wie man es in eine positive Richtung lenken könnte?
Danke und viele Grüße!
Kann man Empathie lernen?
Hallo,
Autist (Asperger) ist er nicht, oder?
Hallo,
nein, da hat noch nie jemand davon gesprochen und das kann ich mir nicht vorstellen.
Das war mein erster Gedanke...
Der Sohn einer Freundin ist ähnlich. Er ist 8 Jahre alt, hat Freunde, aber eher wenige. Er sagt manchmal Dinge zu anderen, die beleidigend sind, merkt das aber nicht (z.b. "du siehst aus wie ein Fischkopf"). Er ist auch oft besserwisserisch oder findet es lustig andere zu ärgern.
Ich kann dir nur sagen, dass es auch da sicher nicht an der Erziehung liegt. Seine Mutter ist sehr herzlich und einfühlsam.
Reflektiere einfach weiter mit ihm und spiegle ihm sein Verhalten. Mehr könnt ihr nicht machen. Wenn du sein Selbstwertgefühl als Problem ansiehst, könnt ihr da ansetzen.
Was der Sozialarbeiter bezüglich geringem Selbstwertgefühl gesagt hat finde ich interessant und da würde ich am deiner Stelle ansetzen. Oder hast du eher das Gefühl dass das nicht zutrifft, er also sehr selbstbewusst ist? Das wird aber oft falsch gedeutet - ich war z. B früher recht schüchtern und viele hielten meine Zurückhaltung und Unsicherheit erst einmal für Arroganz.
Wenn das tatsächlich nur Gehabe ist um seine Unsicherheit zu überspielen, dann würde ich ihn in seiner Persönlichkeit stärken. Nach außen sieht er vielleicht stark aus in seinem Auftreten, aber es kommt ja nicht gut an und dass wird er auch merken. Das nagt dann sicher am Selbstbewusstsein und daraus kann sich Narzissmus manifestieren. Andere bloßstellen, erniedrigen um sich selbst besser zu fühlen...
Ich bin da Laie, aber kann mir vorstellen dass es kontraproduktiv ist wenn ihr auch noch in die Kerbe schlagt und ihm abends vorhaltet er hätte sich nicht toll verhalten. Seine Reaktion er hat nichts gemacht, was in gewisser Weise auch stimmt, zeigt das doch deutlich. Was ihm fehlt ist sicher Akzeptanz seitens seiner Mitschüler, aber im ersten Schritt dass er sich selbst ok findet - wenn dass des Pudels Kern ist.
Ich finde ja, dass viele heute gängige Erziehungsmethoden ein Verhalten, wie du es beschreibst, begünstigen.
Es ist von klein auf sehr viel auf Wettbewerb ausgelegt, den Kindern wird gezeigt, wie toll es ist, im Vergleich zu anderen besser zu sein. "Du bist jetzt schon groß, da kannst du doch schon ..., da musst du doch nicht mehr ..." höre ich Erwachsene sagen. "Du bist zu klein, du darfst da nicht mitmachen" höre ich Kinder sagen.
Im Kindergarten wird gut schlafenden Kindern ein Gummibärchen gegeben oder ein Smilie aufgestempelt. Das schlecht schlafende Kind hat diesen natürlich nicht verdient. Der Fokus liegt kein bisschen darauf, gemeinsam etwas zu erreichen und vielleicht mal als Stärkerer die Schwächen eines anderen auszugleichen, sondern es geht darum, sich selbst gut zu fühlen, da man gegenüber dem Schwächeren eine bessere Position hat.
Wenn ich mit anderen Müttern unterwegs bin, werden deren Kinder durch Wettbewerb motiviert, "am schnellsten an der nächsten Laterne" zu sein. Wenn ein Kind traurig ist, dass es nicht die gelbe Schaufel hat oder auf der Schiffsschaukel schaukeln darf, dann ist sie rote Schaufel oder die Rutsche doch "viel besser" als das, was das andere Kind gerade hat. Nicht etwa "auch schön", sondern viel besser. Ich höre dann direkt das Kind in einem halben Jahr dem anderen Kind klarmachen, dass seine Action-Figur ja "viel besser" sei als die langweilige Puppe des anderen Kindes.
Hilfsbereitschaft (und viele andere erwünschte Eigenschaften) wird versucht, den Kindern durch Lob beizubringen. Dabei wäre es viel zielführender, einfach seinen Dank auszudrücken und die eigenen Gefühle zu benennen. Anstatt also den Kindern zu zeigen, dass Helfen an sich ein gutes Gefühl bereitet (denn es ist ein Bedürfnis, sich in seiner Gemeinschaft sinnvoll einzubringen) wird der Fokus darauf gelegt, den Kindern im Austausch für gutes Verhalten etwas zu geben (und sei es nur ein Lob). Den Kindern wird also regelrecht abtrainiert, um der Sache selbst willen zu helfen, indem man ihnen antrainiert, nach der Belohnung für Hilfe Ausschau zu halten. Das hat ja bei deinem Sohn scheinbar echt gut funktioniert.
Jetzt kenne ich ja deine Erziehung nicht, will dir gar nicht unterstellen, dass du deinen Sohn so gemacht hättest. Vielleicht hat der Kindergarten da viel zu beigetragen. Vielleicht liege ich auch komplett falsch und es ist einfach sein Naturell. Das muss ja definitiv eine Rolle spielen, wenn euer kleiner Sohn da so viel anders geraten ist. Aber vielleicht ermuntert dich mein Beitrag, ein wenig an den kleinen Stellschrauben deiner Kommunikation mit deinem Sohn zu arbeiten.
Ich würde damit anfangen, mein Kind (bzw. beide Kinder) nicht mehr zu loben, sondern authentisch meine Gefühle zu spiegeln. Also wenn er etwas für eure Familie tut ihm zeigen, welchen Mehrwert das jetzt für dich hat und wie du dich darüber freust. Seine Gefühle aus dem Fokus nehmen und eure hineintun.
Zusätzlich kannst du vielleicht für eure Abendgespräche einen etwas positiveren Blickwinkel einnehmen. Jemand schrieb ja zu recht, dass es blöd sei, wenn er schon ein Selbstwertproblem hätte und du ihm nun noch abends aufzeigst, was er alles falsch gemacht hätte.
Ich kenne das bereits von meiner kleinen Tochter, dass sie gar nicht mehr zuhören möchte, wenn man ihr etwas sagt, da alle dazu neigen, sich nur dann einzumischen, wenn sie sie korrigieren wollen. Und sei es noch so 'liebevoll'. Sie spielt eine halbe Stunde unbehelligt mit ihren Figuren vor sich hin und wenn sie dann anfängt, ein Holz gegen den Tisch zu klopfen, sagt plötzlich jemand etwas. Ich bin also gerade dabei, zu versuchen, ihr mehr positive Rückmeldung zu geben. Das Wissen, dass Kinder vor allem Gutes tun wollen, auch anzuwenden und meiner Tochter auch mehr Gutes zu unterstellen. Bevor sie die Katze am Schwanz zieht schon zu sehen, dass sie die Katze liebevoll gestreichelt hat. Und dann aber nicht zu loben, sondern die Gefühle der Katze zu spiegeln ("Das gefällt der Katze. Schau, jetzt hebt sie den Schwanz, da mag sie gerade besonders gerne gestreichelt werden"). Wenn sie etwas tut, das für mich nicht akzeptabel ist, das eigentlich Sinnvolle in ihrer Handlung zu sehen und Tipps geben, wie man das umlenken kann. ("Oh, du hast gerade Gewürze in der Küche verteilt, du möchtest wohl etwas kochen? Wir müssen das jetzt wieder aufräumen, aber möchtest du danach mit mir einen Kuchen backen oder im Sandkasten Kochen spielen?").
Das könntest du bei deinem Sohn machen, indem du ihm unterstellst, dass er den anderen vermutlich helfen wollte, indem er sein Wissen mit ihnen geteilt hat. Vielleicht kannst du darüber, dass er sich selbst seiner positiven Grundmotive klar wird, erreichen, dass er diese auch etwas effizienter verfolgt.
Wow....das ist wirklich ein guter mal anderer Ansatz. Danke für deinen Beitrag😊Lg Thommy04 mit Fussel an der Hand
Toller Beitrag, danke!
Ich habe kürzlich angefangen, mich mit Alfie Kohn zu beschäftigen und wir versuchen ebenfalls auf Lob und wertende Floskeln zu verzichten. Meine Kinder sind noch sehr klein (1 und 3) und bin ich sehr gespannt, wie sich das auf ihre Entwicklung auswirkt wenn sie mal älter sind.
Der Grosse ist gerade durch die Kita in so einer "ich bin der schnellste/ich bin größer als du/ich bin als erster fertig" usw Phase. Ich versuche dem positiv entgegenzuwirken, aber es ist nicht leicht, da er sich natürlich mehr an seinen Freunden als an uns orientiert.
Gegenfrage: warum ist es so wichtig empathisch zu sein bzw.warum findest du das erstrebenswert für deinen Sohn, dass er das lernt?
Weil er in seinen Sozialkontakten immer wieder Schwierigkeiten hat.
Sicher bietet es auch Vorteile, so zu sein, wie er ist. Er macht sich um Vieles viel weniger einen Kopf als ich, er macht sich viel weniger daraus, was andere Leute denken und er kann deutlich besser Nein sagen 😉
Wo ich mir noch überlege, ob ich nun vielleicht jemanden vor den Kopf gestoßen habe, verschwendet er längst keinen Gedanken mehr daran.
Dennoch finde ich, er sollte „etwas“ mitfühlender und rücksichtsvoller werden.
Das würde ihm und seinen Mitmenschen Vieles erleichtern.
Beispiel:
Er hatte vor kurzem eine sehr gute Mathearbeit geschrieben. Er war Klassenbester.
Sein Freund hat Schwierigkeiten in Mathe und seine Arbeit ist sehr schlecht ausgefallen. Der Freund leidet darunter, hatte auch schon Nachhilfe.
Der Freund war nachmittags bei uns zu Besuch und es spielte sich folgender Dialog ab (ich nenne meinen Sohn hier mal A und den Freund B):
A: Soll ich vielleicht mal mit dir Mathe lernen?
B: Warum meinst du?
A: Naja, schau mal deine Note an... das sagt doch alles...
Daraufhin kam ein kurzer Blick vom Freund, er musste sich erstmal sammeln, schaute betreten auf den Boden und lenkte dann irgendwie ab...
Sein Grundgedanke war ja eigentlich super, er wollte helfen. Nur bringt er das dann auf so eine blöde, überhebliche Art zum Ausdruck, dass er dadurch alles wieder kaputt macht. Und er merkt das selber nicht. Oder es ist ihm egal? Ich weiß es nicht.
Es ist nicht so, dass er sich nicht anders ausdrücken könnte. Im Gegenteil. Er hat einen großen Wortschatz und ist sehr sprachgewandt. Das war schon früh so.
Der Sozialarbeiter der Schule sagt, er steht sich oft selber im Weg. Er kann gut verbal austeilen, aber nicht einstecken.
Und er provoziert gern die anderen durch seine spitzen Bemerkungen, die meist sehr treffend sind und einfach sitzen.
Er kann nichts auf sich beruhen lassen, sondern muss immer diskutieren.
Und das sei so schade, denn eigentlich sei er so ein toller, netter intelligenter Kerl.
Hallo,
Hm, klingt bei deinem Sohn nach einer klassischen Hochbegabung, ohne besondere Stärken in der sozialen Entwicklung.
Solche Kinder könnten unter Gleichgesinnten deutlich besser aufgehoben sein, da sie dort nicht auffallen und lernen müssen, sich mit Gleichbegabten zu vergleichen.
In normalen Regelklassen mutieren sie oft zum
überheblichen “Kotzbrocken“, befeuert durch ihr Überlegenheitsgefühl.
Ich würde das mal im Hinterkopf behalten, zumal die Gefahr besteht, dass er sich immer mehr ins soziale Abseits katapultiert und irgendwann ganz ohne Freunde dasteht.
Begabung ist keine Waffe, die man ausschließlich FÜR den eigenen Vorteil oder GEGEN andere einsetzen darf.
Man muß auch beweisen, dass man ihrer würdig ist und achtsam mit seinen Mitmenschen umgehen.
(Naja, MUß man natürlich nicht, aber dann ist ein Dasein als Unsympath nicht ausgeschlossen)
Mitgefühl und Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten seiner Mitmenschen kann man leichter lernen, wenn man selbst die Erfahrung machen muß, unterlegen zu sein.
Die Fähigkeit die Perspektive zu wechseln und sich in andere hineinzufühlen ist unterschiedlich ausgeprägt.
In Verbindung mit hoher Begabung kann sich das dann ungünstig auswirken
Mein schräger Vogel ist auch noch dabei, das zu lernen.
Der ist jetzt 11 und auf einem guten Weg.
Er hat aber auch eine wundervolle, hochempathische große Schwester, die ihn immer wieder zurechtstutzt.
ganz liebe Grüße
Empathie kann man tatsächlich steigern, da gibt es inzwischen einige Projekte zu (Resozialisierung bei Jugendlichen etc). Es gab in einer National Geographic aus dem letzten Jahr einen sehr guten Artikel dazu, vielleicht ist der noch irgendwo auftreibbar.
Ich gebe dir 100% darauf, dass man Emphatie üben und lernen kann. Aber so ähnlich wie bei allen anderen Dingen auch, muss man die richtigen Sachen auch genügend machen. Möchte ich besser in Mathe werden, kann ich mich nicht nur in eine Mathevorlesung setzen und ohne erwarten, dass ich einfach so besser werde, nur durch meine Anwesenheit in dieser Vorlesung. Soll heißen, dein Sohn muss einerseits wirklich den Wunsch haben, zu lernen sich in andere auch emotional hineinzuversetzen und andererseits muss er das regelmäßig üben...
Ich sehe das anders. Empathie hat sehr viel mit Gefühlen zu tun und wenn Gefühle nicht da sind, kann man sie nicht lernen. Wie soll man jemanden erklären wie er zu fühlen hat wenn er etwas trauriges sieht? Wenn derjenige selbst keine Trauer empfindet? Wie soll man erklären echte Freude zu empfinden wenn das, was da gerade passiert und den anderen glücklich macht, einem selbst völlig egal ist?
Ich gebe dir Recht, dass man das Verhalten, das andere in den Situationen von einem erwarten, lernen kann. Man kann lernen welches Verhalten wann zu zeigen ist und welches besser nicht weil man andere damit verletzt. Aber dass man das was man dann in den Situationen zeigt auch wirklich im Inneren fühlt, das kann man nicht lernen!
Du möchtest mir doch nicht erzählen, dass es Menschen gibt, die gar keine Gefühle spüren? Nicht jeder hat das gleiche Potential, aber verbessern kann man sich da definitiv. Das ist wie mit allem im Leben, manchen Menschen mag es unendlich viel schwerer fallen, aber Fortschritte können sie trotzdem machen.
Aber ich gebe dir recht. Es ist wesentlich einfacher nur die sozialverträglichen Situationen zu üben anstatt echte Emphatie zu erlernen. Die Erfolgserlebnisse kommen dementsprechend auch viel schneller.