Fruchtwasseruntersuchung bald überflüssig?

Neuer Bluttest auf Down-Syndrom

Kein Nadelstich ins Fruchtwasser, sondern nur ein Piekser in den Arm der werdenden Mutter: Ein einfacher Bluttest kann neuerdings die Amniozentese zur Feststellung einer Trisomie 21 bei Föten ersetzen. Seit 20. August 2012 ist der Test in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und in der Schweiz verfüg­bar.

Autor: Kathrin Wittwer

Schwangerschaft: Bluttest weist Down-Syndrom nach

Schwanger Blutuntersuchung
Foto: © iStockphoto.com/ Astroid

Blutuntersuchungen, Nackentransparenzmessung, gegebenenfalls Punktion der Plazenta beziehungsweise des Fruchtwassers: Diesen Diagnose-Weg musste eine Schwangere bisher gehen, wenn sie eine möglichst sichere Information darüber erhalten wollte, ob das Kind, das sie in sich trägt, das Down-Syndrom hat. Nur die Ergebnisse der invasiven Amniozentese und Chorionzottenbiopsie galten bislang als verlässlich. Allerdings können solche Punktionen verschiedene Komplikationen hervorrufen, bei durchschnittlich 0,5 Prozent der Fälle sogar eine Fehl- oder Frühgeburt. Diese Gefahr soll ein neuer, nicht-invasiver Test nun ausschließen: Für den wird statt Fruchtwasser lediglich ein wenig Blut der Mutter benötigt. Darin befinden sich – übertragen von abgestorbenen Zellen, die über die Plazenta in den Kreislauf der Mutter gelangen – auch Erbinformationen des Kindes. Diese werden darauf untersucht, wie oft sich hier Fragmente des veränderten Chromosoms 21, Ursache des Down-Syndroms, finden, erklärt die LifeCodexx AG. Das Konstanzer Unternehmen führt den Test in Kooperation mit der US-Firma Sequenom, dem Patentinhaber des Verfahrens, in Deutschland ein.  In den USA steht der Test Schwangereren bereits länger zur Verfügung. Bei uns ist er seit dem 20. August erhältlich, vorerst in einigen wenigen, auf Pränataldiagnostik spezialisierten Zentren.

Ersttrimesterscreening wird nicht ersetzt

Der Bluttest wird nicht das Ersttrimesterscreening ersetzen und genereller Standard für alle Schwangeren sein, sagt Dr. Markus Stumm vom Berliner Zentrum für Pränataldiagnostik und Humangenetik Kudamm-199, das an Praxisstudien von LifeCodexx beteiligt ist und zu den ersten Anbietern des Verfahrens gehören wird. „Der Test ist vor allem für die Frauen hilfreich, die nach einem auffälligen Befund im Ersttrimesterscreening direkt eine Chorionzottenbiopsie oder eine Amniozentese machen lassen würden“, erklärt der Mediziner. „Würde man in diesen Situationen den nicht-invasiven Test dazwischen schalten, könnten nach Berechnungen des chinesischen Wissenschaftler Dr. Dennis Lo, dem Entdecker der fetalen DNA im mütterlichen Blut, 98 Prozent der invasiven Eingriffe vermieden werden.“ In Deutschland werden jährlich etwa 50.000 solcher Untersuchungen zwecks Chromosomenanalysen vorgenommen, schätzt Dr. Stumm; die häufigste Diagnose lautet Down-Syndrom. Ein weiterer Vorteil des Bluttests: Er kann mindestens drei Wochen vor der Amniozentese angewendet werden – ab der 10. Schwangerschaftswoche schreibt Sequenom, ab der 12. gibt LifeCodexx an. Von der Blutabnahme bis zum Ergebnis soll es eine Woche dauern. Wie viele Schwangere sich den neuen Test allerdings werden leisten können, ist zumindest in den ersten Jahren fraglich: „Er wird primär nicht als Kassenleistung abrechenbar, sondern privat zu bezahlen sein. Ich gehe davon aus, dass der Preis zwischen 1.000 und 1.200 Euro liegen wird, weil die Kosten für die erforderlichen Chemikalien noch sehr hoch sind“, so Pränataldiagnostiker Stumm.

 

Argumente der Kritiker und Befürworter

Kritiker befürchten mehr Schwangerschaftsabbrüche

Noch frühere und noch genauere Diagnostik: Die Vorteile des Bluttests stoßen nicht nur auf Zustimmung. So machen sich manche Politiker, Mediziner und Interessensvertretungen für Behinderte mit Blick auf die Zeit, wenn der Test eine Kassenleistung sein wird, Sorgen um einen Anstieg von Abtreibungen. Zum Ersten, weil die Hemmschwelle sinke, den Folgetest zum Ersttrimesterscreening machen zu lassen, da keine Komplikationen mehr zu befürchten sind und sich deshalb vielleicht mehr Frauen für weitere Diagnostik entscheiden werden. Zum Zweiten, weil man glaubt, bei einer höheren Testgenauigkeit werden mehr Fälle als bisher diagnostiziert. Und zum Dritten, weil auch die Hemmschwelle für Abbrüche sinken könnte, wenn diese noch innerhalb der gesetzlichen Frist möglich wären. Wenn, wie Erhebungen zeigen, jetzt gut 90 Prozent der Schwangeren einen Trisomie 21-Fötus abtreiben, könnte sich dies langfristig gesehen auf nahezu 100 Prozent steigern, so die Befürchtungen.

Befürworter betonen Schutz des Fötus

Dr. Markus Stumm hält – wie viele andere Kollegen (beispielsweise aus der International Society for Prenatal Diagnosis) sowie auch das Bundesforschungsministerium, das die Entwicklung des Tests finanziell gefördert hat – den Kritikern vor allem entgegen, dass es unverantwortlich sei, eine Technologie, die Gefahren und Risiken senken und damit Leben schützen kann, nicht einzusetzen. „Die Schwangerschaftsbetreuung erfährt mit dem nicht-invasiven Test der Pränataldiagnostik eine Evolution, einen Fortschritt, den man den Patientinnen aus ärztlicher Sicht nicht vorenthalten darf“, betont der Diagnostiker.

„Mit einem Bluttest kann man die Leben der gesunden Kinder retten, die bei invasiven vorgeburtlichen Untersuchungen verloren gehen“, betont auch Prof. Dr. Udo Markert, Leiter des Plazenta-Labors der Abteilung für Geburtshilfe der Friedrich-Schiller-Universität Jena, den gewichtigen Vorteil. Ein Team seines Forschungslabors ist derzeit daran beteiligt, ebenfalls einen Bluttest auf Trisomie 21 zu entwickeln. „Wir suchen nicht nur Partikel des kindlichen Erbgutes im mütterlichen Blut, sondern ganze Zellen, weil wir glauben, dass sich Diagnosen damit noch sicherer stellen lassen als anhand einzelner Fragmente“, erklärt Markert. Dass mit den neuen Diagnoseverfahren die Abtreibungszahlen steigen, hält er für unwahrscheinlich: „Ich glaube, dass eine Frau, die solche Informationen über ihr Kind haben will, so oder so eine Untersuchung machen lässt, egal welche, und damit prinzipiell auch die Option Abbruch bedenkt.“ Dr. Markus Stumm ist ebenfalls überzeugt, dass „Frauen sich nicht wegen eines neuen, nicht-invasiven Tests für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden.“

Eine Frage der Ethik?

„Der Test selber ist nicht das Problem. Als Ersatz für die Fruchtwasseruntersuchung ist er sicher gut“, stimmt Dr. Sven Hildebrandt, Gynäkologe in Dresden und Präsident der Internationalen Gesellschaft für Prä- und Perinatale Psychologie und Medizin e.V., zu. „Das Problem entsteht daraus, wie damit umgegangen wird, sowohl ganz allgemein in der Gesellschaft wie auch konkret in der Schwangerschaftsbegleitung.“ Schon heute sei Pränataldiagnostik oft nur von der technischen Machbarkeit bestimmte Routine, Geburtshilfe zu selten Herzenssache. „Dass jede Schwangere sich Gedanken darum macht, ob ihr Kind gesund ist, ist völlig menschlich“, betont der Arzt. „Ich würde das als werdender Vater auch wissen wollen, um mich gegebenenfalls darauf einstellen zu können. Aber menschliche Regungen dürfen nicht zu Unmenschlichkeit führen.“

Gerade beim Down-Syndrom gibt es Zweifel, ob pränatale Diagnostik hierzu überhaupt gerechtfertigt ist. Denn das Gendiagnostikgesetz erlaubt vorgeburtliche Untersuchungen nur zu medizinischen Zwecken, wenn eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Fötus zu befürchten ist, jedoch nicht zur Selektion von (un)erwünschten Eigenschaften. Trisomie 21 bewirke aber keine bedrohlichen Probleme, argumentieren unter anderem Behindertenverbände, zudem seien diese Menschen in der Regel fröhliche, aufgeschlossene Persönlichkeiten. Darüber hinaus kann die Ausprägung der Chromosomenstörung unterschiedlich – also auch nur sehr leicht – ausfallen, was sich mit keinem Testergebnis voraussagen lässt. Ebenso wird der zweite Aspekt des Sinns von Pränataldiagnostik beim Down-Syndrom in Frage gestellt: der Schutz der mütterlichen Gesundheit während Schwangerschaft und Geburt. „Meines Wissens gibt es keine Nachweise dafür, dass das Austragen eines Fötus mit Trisomie 21 für die Mutter schwerwiegendere Beeinträchtigungen bringt als der in der Regel gewählte und oft als dramatisch empfundene Schwangerschaftsabbruch“, gibt Frauenheilkundler Hildebrandt zu bedenken.

Bluttest bei Schwangerschaft: Wie sieht die Zukunft aus?

LifeCodexx arbeitet laut Dr. Markus Stumm derweil bereits am Ausbau des nicht-invasiven Testsystems, um auch die klinisch schwerwiegenderen Trisomien 13 und 18 auf diesem Wege zu diagnostizieren. Vor dem Hintergrund, dass das Team um Dr. Dennis Lo inzwischen schon über 90 Prozent der kindlichen DNA im Blut einer Schwangeren erfassen konnte, sind weitere Anwendungen vermutlich nur eine Frage der Zeit. „Wenn es uns gelingt, komplette Zellen des Kindes im mütterlichen Blut zu finden, dann stehen uns im Prinzip alle Möglichkeiten offen“, schaut Prof. Markert mit Blick auf das Jenaer Forschungsprojekt in die Zukunft. Unabhängig davon, wie lange es noch dauert, bis nicht-invasive Verfahren die Pränataldiagnostik tatsächlich einmal dominieren oder wie damit gegebenenfalls im Ausland umgegangen wird, sieht der Wissenschaftler aber auch die Notwendigkeit, den Schutz vor Missbrauch sicherzustellen: „Es darf nicht irgendwann dazu führen, dass unsinnige Sachen wie das Geschlecht oder die Haarfarbe untersucht werden.“ Dr. Sven Hildebrandt hält angesichts der rasanten medizinisch-technischen Fortschritte eine ganz prinzipielle Diskussion für notwendig: „Bevor sich die Technisierung weiter fortsetzt, müssen wir dringend gesellschaftliche und ethische Fragen klären. Vor allem die, warum das vorgeburtliche Kind, obwohl es von Anfang an mit Bewusstsein und Gefühlen ausgestattet und damit ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft ist, im Gegensatz zu einem Embryo überhaupt keine Rechte besitzt.“ Der Mediziner zweifelt vorgeburtliche Untersuchungen jedoch nicht grundsätzlich an: „Pränataldiagnostik ist sinnvoll und wichtig, wenn der Verlauf einer Schwangerschaft von der Normalität abweicht und wenn es darum geht, wirkliche Gefahren rechtzeitig zu erkennen.“

Dies dürfte bei einem weiteren neuen Produkt von LifeCodexx der Fall sein: Das Unternehmen vermeldet die Arbeit an einem Frühtest zur Risikobestimmung von Präeklampsie, einer potentiell tödlichen Bluthochdruckerkrankung der Mutter, der man dann rechtzeitig entgegenwirken könnte.

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