Glosse: 'Nomen est Oma'

Baby im Bauch: Vorname verzweifelt gesucht!

Die Suche nach einem Vornamen für ihr Baby findet urbia-Autorin Daniela Egert mindestens so anstrengend wie den Besuch eines Fußballspiels der vierten Kreisliga, zu dem ihr Mann sie gerne mal nötigt. An Ideen mangelt es ja nicht. Aber welcher Vorname ist ein echter Volltreffer?

Autor: Daniela Egert

Bauchtritt der 'Untermieterin' für Anastasia

Schwangere lachend Buch
Foto: © iStockphoto.com/ PhotonStock

Meine Tochter heißt Annika. Gestern hieß sie übrigens noch Sophie. Davor Mattea, Luise und – schwer im Trend – Leonie. Leider kann ich sie nicht selbst fragen, ob ihr ihre vielen wechselnden Namen gefallen, denn mein Mädchen ist vorerst nicht zu sprechen. Genauer gesagt befinde ich mich erst im siebten Schwangerschaftsmonat. Aber seit mir der Arzt beim Feinultraschall mitgeteilt hat, dass der Fötus weiblich ist, sehe ich nur noch rosa – und manchmal sehe ich auch rot, wenn wieder einer meiner differenziert ausgedachten, elaborierten Vornamenstipps auf blanke Ablehnung bei meinem Mann stößt. Der hatte aber schon bei unseren Jungs allen Ernstes Detlef und Andreas vorgeschlagen und fällt daher in Punkto kreative Namenssuche komplett aus.

Luisa – Maria – Chantal – Carina – Alina – Meline – Hannah – Celia – Nora - Philine

In dieser Hinsicht bin ich, inzwischen mit alarmierend expandierender Kugel unter dem Sweatshirt, nicht wirklich glücklich. Erst kürzlich habe ich einen heftigen Tritt meiner Untermieterin geerntet, nur weil ich den schönen Vornamen „Anastasia“ probehalber laut ausgesprochen habe. Mein noch ungeborenes Mädchen scheint Anastasia nicht gerade hipp zu finden. So eine Mini-Zicke! Vermutlich ist sie deswegen so sauer, weil auch zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR keiner mit den Worten bezeichnet werden will: „Pass auf, da kommt die STASI!“ Dann trinke ich aber doch wieder brav den Stadelmann-Schwangerschaftstee und massiere sanft meinen Bauch, in dem es inzwischen friedlicher zugeht. O.k., die Kleine hat das eigentliche Mitspracherecht. Ich muss zum Glück nicht mit einem Namen herumlaufen, den ich selber ausgesucht habe. Dafür trage ich einen Trendnamen der 70er, der zu der Zeit ungefähr so selten war wie heute Lukas und Marie. Nichtsdestotrotz liebe ich meinen Massennamen (es gab sechs von uns in der Jahrgangsstufe), und würde ihn gegen das ganze LeonieLeaLottaLinaLara der heute trendigen „L“-Mädchen nicht hergeben wollen.

Demnächst stecke ich mir einen Haufen Namenskarten hinten in die Tasche meiner Schwangerschaftshose, und mein Mann muss eine davon ziehen. Natürlich wird auf allen Karten „Maxima“ stehen. Schließlich ist auf Väter in Punkto Vornamen kein Verlass. Die Suche strengt sie mehr an als mich das Deppenspiel von der vierten Kreisliga, zu dem er mich immer hinschleift; mitsamt dem armen, ungeborenen Kind, das in meinem Uterus das alberne Gejohle im Stadium mit anhören muss. Meine Maxima! Aber unsere derzeitige Sahne-Ober-Namensauswahl - ich entscheide für den Erzeuger mal mit - kann ja morgen schon wieder abgelöst werden… Wie findest du eigentlich Sophia?

Bennet – Lasse – Quentin – Etienne – Tomi – Ole – Korbinian – Jan – Emanuel – Leon

Mein trotz allen Grübelns immer noch anonymer Mädchenbabybauch sieht mich vorwurfsvoll an, wenn ich ihn morgens eincreme, um Streifen zu vermeiden. Ich habe doch damals vor der Geburt unseres Ältesten (er wird im Juni fünf) so ein Vornamensbuch von Bekannten ausgeliehen. Zum Glück sind die dann unbekannt verzogen… das muss doch noch irgendwo sein! Bevor ich mich aber auf die langwierige Suche begebe, google ich nach erster Hilfe im Internet. Den Kommentaren auf www.vorname.com entnehme ich den Trost, dass Leute, die mit ihrem Rufnamen glücklich sind, etwa so häufig sind wie Teenager, die mit ihren Eltern zufrieden sind – so was gibt es eigentlich gar nicht. Der Rest ist vermutlich so frustriert, dass er lieber gleich ganz zu dem Thema schweigt. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel, und so fahnde ich unverdrossen weiter nach DEM Namen.

„Jacqueline!!“ tönt mein Ehemann aus dem Wohnzimmer. Will der mich auf dem Arm nehmen? Dann doch gleich Michelle oder Chantal oder Jasmin, und in den Foren können sie laut "Hochhauskind" schreien und uns mitsamt unserem Nachwuchs schon mal fertig abstempeln und einsortieren. Denn für viele riechen diese Namen ja nach Plattenbau, ob zu Recht oder nicht, wer weiß?

Seit ich mir eingestehe, bei dieser überaus wichtigen Entscheidung zu versagen, geht es mir besser, und ich habe die zehn Flaschen alkoholfreien Sekt, mit denen ich mich bewusstlos trinken wollte (in der Schwangerschaft geht das vielleicht), an eine Freundin verschenkt. Die ist nicht schwanger und hat das Zeug sofort in den Ausguss gekippt.

Victoria – Selina – Mathilde – Franziska – Marlene – Ariane – Melanie – Tabea – Kim

Falls du selbst ein Baby erwartest und bezüglich des Vornamens noch unschlüssig bist, schicke ich dir übrigens gerne die Satzung meines neu gegründeten Vereins mit dem schmissigen Kürzel „VzWdRsaidWdNnuE“ zu. Für Laien: „Verein zur Wahrung der Rechte schwangerer, aber in der Wahl des Namens noch unschlüssiger Eltern“.

Wenn alle Stricke reißen sollten, kann ich das Produkt unserer Leidenschaft immer noch mit einer literarischen Bezeichnung beglücken. Das ist in jedem Fall chic, es muss ja nicht unbedingt „Lolita“ sein. Eigentlich hieß das Mädchen in dem Nabukov-Klassiker auch Dolores, was ich aber gleich wieder aus dem Namensdepot in meinem Kopf streiche. Zugegeben war da vor ein paar Jahren dieser Bestseller von Tommy Jaud mit dem schönen Titel „Vollidiot“. Die Hauptfigur hieß Simon, ein total Bekloppter, der sofort als Namensspender für meinen Erstgeborenen herhalten musste. Mein zur Zeit auf jeden Fall ziemlich beschränkt wirkender Mann (die Schwangerschafts-Hormone!) hechelt soeben „Heike“ aus der Tiefe des Raumes. O Gott, unsere Kleine, die sich nicht wehren kann, wird uns ab dem ersten Atemzug dafür hassen! Zehn Minuten später kommt der mir Angetraute nochmals persönlich rein und schreit: „Ich hab`s – Amanda!“

Ich drehe das Radio lauter. Vermutlich will er sich an seiner Tochter rächen, weil sie um Jahrzehnte jünger ist als er selbst und ihren Vater schamlos überleben wird. Mich blöderweise auch. Wie wäre es also mit „Zoe“ oder „Eva“ inklusive der schönen Bedeutung „Leben“? Oder ich warte ganz cool ab und nehme mein frisch geliefertes Baby im Kreissaal unter die Lupe. In der Hoffnung, dass sie (zum Beispiel) aussieht wie eine Letizia. Das Gegenteil kann zum Glück keiner beweisen. Ich behaupte dann einfach, dass man so was an den Extremitäten erkennt: „Guck mal, leichte Segelohren, sie MUSS einfach so heißen!!“ Bevor jemand was dagegen einwenden kann, habe ich flugs den Antrag ans Standesamt unterzeichnet und den geburtsgestressten Vater ebenfalls dazu getriezt.

Tim – Konstantin – Leander – Janne – Cajus – Johnny – Neil – Justus – Jonte - Sören

Nur ungern möchte ich mich einem der Zufallsgeneratoren im Internet ausliefern, bei denen man seinen Nachnamen eingibt und dann den angeblich schicksalhaft dazu passenden Vornamen geliefert bekommt. Bei mir kamen „Jaromir“ und „Luitgard“ heraus, einfach gruselig. Luitgard heißt eine Erbtante meines Mannes, die glücklicherweise kein Internet hat und dies hier daher auch nicht lesen wird. Sonst ist sie vielleicht bald keine Erbtante mehr, und meine Ehe könnte unter dieser Entwicklung leiden. Eventuell sollten wir uns aber tatsächlich brav an die Tradition halten und aus dem Motto „nomen est omen“ ganz wie frühere Generationen ein „nomen est OMA“ machen. Wobei sich dann wieder die Frage stellt, wessen Mutter man ehren will. Für meine Tarantel-Schwiegermutter wäre allerhöchstens der Zweitname reserviert. Der bleibt wenigstens stumm, was man von Barbara selbst leider nicht sagen kann. Vielleicht lohnt sich ja der Blick über den familiären Tellerrand hin zum Gesellschafts-Adel. Der Pocher-Papa etwa hat vor ein paar Wochen einen besonders hippen Namen für seine süße Brut ausgesucht: Nayla Alessandra heißt das kleine Wunder aus der Sandy-Meyer-Wölden-Gebärmutter, wie inzwischen auch das letzte Frisösen-Opfer weiß. Tut mir leid, aber bevor ich meine Tochter Nayla nenne, was mich an Naylonstrumpf erinnert, nenne ich sie doch lieber Luitgart. Oder ich stopfe das Neugeborene wie diese Astrid-Lindgren-Figur mit skurrilen Vor- und Nachnamen zu, also mit so was ähnlichem wie „Pippi Lotta Viktualia Rollgardina Pfefferminza Efraims Tochter Langstrumpf“. Hm, nach der Vorhangstange („Rollgardina“) wollte ich meinen Nachwuchs eigentlich nicht benennen. Pfefferminza wäre gar nicht so übel, nachdem Esswaren bei den Promi-Gören ja sehr beliebt sind. Peaches, Apple und so weiter… Da findet sich meine Kleine dann in richtig guter Gesellschaft wieder: Kein C-Promi-Vorname von dem C-Promi-Paar Pocher, sondern gleich die A-Klasse – A wie „Amadeus“ zum Beispiel. Sind eigentlich die Beckers, also derzeit Boris und Lilly, in der ersten Gesellschaftsliga? Egal, die haben eh keinen funktionierenden Vornamens-Gusto.

Jule – Vanessa – Lilian – Greta – Chiara – Anke – Linea – Josefin – Rieke – Ann-Sophie

Aus der Küche schreit es „SILKE!!!“ Leider ist das mit der Geschmacklosigkeit nicht auf die VIPs begrenzt. Demnächst kommt er mir wahrscheinlich mit Klothilde. Vielleicht sollten wir ja der Eingebung der Eltern von Brooklyn Beckham und Paris Hilton folgen und unser Kind nach dem Ort benennen, an dem wir damals (mindestens) ein Spermium und eine Eizelle aufeinander losgelassen haben. In unserem Fall wäre das dann „Sofa“ oder so, was als Vorname nur tendenziell besser klingt als „Rollgardina“. Jedenfalls schlucken die Standesämter inzwischen sowieso alles, von Legolas bis Pepsi-Carola, wie ich den Artikeln auf  www.beliebte-vornamen.de entnehme. Als Begründung der Zukunft für ausgefallene Kreationen könnte schon folgendes reichen: Bitte lieber Standesbeamte, genehmige uns den Namen, der passt so gut zu dem von unserem Hamster!

So langsam mache ich mir Vorwürfe. Hätten wir uns für die Entstehung der Kleinen keinen aufregenderen Platz als unser Wohnzimmer aussuchen können, die Bahamas zum Beispiel? „Bahama“ klingt fast wie „Obama“, und vielleicht wäre das Kind dann mal der erste weibliche US-Präsident geworden. Es muss für dieses Amt ja wohl nicht gleich in einer BARACKE entstanden sein, haha! Ein völlig wirrer Name klingt immerhin interessanter, als wenn die Kleine später als die fünfte „Lea“ in ihrer Klasse herumläuft, oder? Seufzend schlage ich die Zeitung auf.

Matteo – Jaron – Philipp – Nikolai – Dorian – Fionn – Marten – Jesse – Hendrik - Lauro

Unter der Rubrik „Vermischtes“ lese ich, dass Fürstin Gloria von Thurn und Taxis neben ihrem Adel auf ganze 15 (!!) Vornamen verweisen kann. Damit verweist sie selbst unsere allseits geliebte Pippi (was auf schwedisch hoffentlich anderes bedeutet) auf die Plätze. Also mal kurz Luft holen: „Mariae Gloria Ferdinanda Gerda Charlotte Teutonia Franziska Magarethe Frederike Simone Johanna Joachima Josefine Wilhelmine Huberta“. Sollte die Frau eine jüngere Schwester haben, dann blieb für die Arme sicher nur „Jo“ oder „Bo“ übrig, weil Gloria bereits den ganzen Rest weggerafft hatte. Dafür konnte sie ihren Eltern wenigstens nie den Vorwurf machen, ihr einen unmöglichen Rufnamen angetan zu haben. Die konterten in dem Fall lässig: „Dann nimm eben einen von den vierzehn anderen!“ So raffiniert werde ich es auch machen, na klar! Nur ein bisschen weniger christlich: Annika Sophia Luisa Therese Lara…

„Veronika!“ quäkt mein Mann vom Flur. Demnächst schlägt er „Lady Gaga“ vor. Auch nicht schlimmer. Ich und mein Ungeborenes, das den besten Namen von allen erhalten wird (falls ich den noch finde), knallen – wums! - die Tür zu.

P.S.: „Klothilde“ ist der vierte Vorname der ersten Thurn-und-Taxis-Tochter.
P.P.S.: Ich hatte nicht vor, jemanden in seinen Namensgefühlen zu verletzen!