Autos, Krach und Hundehaufen

Leben mit Kindern in der Stadt

Eigentlich ist es wunderbar in der Stadt zu leben: Wenn da nicht Autos, Krach und Hundehaufen wären. Was alles passieren kann, wenn man sich mit zwei kleinen Kindern in den Großstadt-Dschungel wagt, lesen Sie in diesem Artikel.

Autor: Petra Fleckenstein

Warum eigentlich nicht aufs Land?

Vater rennt mit Kinderwagen
Foto: © panthermedia.de/ Ursula Deja-Schnieder

Sicher kennen Sie das. Eigentlich liebt man ja das Land. Die Natur, die Ruhe, die gute Luft. Aber dann all diese Nachteile: Irgendwie schauen die Menschen dort anders aus der Wäsche, der Bäcker backt sonntags keine Brötchen und die Kinder müssten mit dem Auto zum weit abgelegenen Kindergarten gekarrt werden. Der einzige Supermarkt befindet sich zehn Kilometer Luftlinie im nächsten Städtchen und die kleine Dorfbücherei hat nur sonntags von zehn bis zwölf Uhr geöffnet.

Also wohnen wir in der Stadt. Dort, wo das Leben pulsiert, wo die Gesichter Weltoffenheit und Inspiration ausstrahlen und sieben Supermärkte bequem zu Fuß zu erreichen sind. Zudem konnten wir aus einem Dutzend Kindergärten denjenigen auswählen, der unseren Sprösslingen und deren anspruchsvollen Eltern nun wahrhaft genehm war. Und auch bei den Schulen fordert ein reiches Angebot die elterliche Entscheidungskraft: Die simple Grundschule um die Ecke oder Montessori, vielleicht Peter Petersen oder Waldorf? Kurzum:

Wir lieben das Leben in der Stadt, wenn da nicht...

...die Sache mit den Autos wäre

Unweit unseres Hauses gibt es eine große Brücke, die mächtig den Rhein überspannt. Brücken sind wunderbar, vorausgesetzt, es rauschen nicht täglich 80 000 Autos darüber - ihre Gase und etliche Dezibel in die Luft verströmend. Also Fenster zu, tagsüber und vor allem nachts.

Überhaupt ist ja in der Stadt nichts so heilig, nichts so mächtig wie die Blechkiste auf vier Rädern. "Auto" war das erste Wort, das mein Jüngster sprechen konnte. "Guck mal Mama, Daimler-Chrysler und Renault Espace", überrascht schon der Zweijährige durch seine profunde Kenntnis jeder Auto-Marke. Statt an Bäumen, Blumen, Insekten und Vogelstimmen, schulen meine Jungs ihr Gedächtnis im deutschen Schilderwald: "Das hier heißt ,absolutes Halteverbot’ und das ,Vorsicht Kinder’ tönt es, gerade als ein metallblauer BMW mit Tempo 70 die Spielstraße durchmisst. Apropos Vorsicht: Wussten Sie, wie viele Menschen in der Stadt täglich um ihr Leben rennen? Und das direkt vor den Augen meiner Kinder! Denn meist zeigt die Fußgängerampel rot, und auf der anderen Seite naht die Bahn. Die aber muss unbedingt erwischt werden – koste es was es wolle, denn die nächste lässt sicher drei Minuten auf sich warten. Also Augen zu und durch, auch unter Lebensgefahr. "Der ist bei Rot gegangen", schallt es stereo neben mit aus zweifachem Kindermund. Eltern in Erklärungsnot.

...die Sache mit dem Hundekot wäre

Unserem Haus gegenüber gibt es einen Spielplatz. Und um diesen herum etwas, das in der Großstadt selten ist – ein wenig Grün. "Pusteblumen", schreien die Kinder und streben zur Wiese hin. Pustekuchen! Viel zu gefährlich – mindestens ein Hundehaufen pro Quadratdezimeter. Bloß nicht den Gehweg verlassen, auf dem die Ausscheidungen der vielgeliebten Vierbeiner wenigstens deutlich sichtbar zum Himmel stinken.

Kürzlich habe ich von einer Studie gelesen, nach der die Russen an den Deutschen unter anderem bewundern, dass sie sogar die Hundehaufen in Tütchen packen und säuberlich entsorgen. Fragt sich, wo die Russen so etwas gesehen haben. Jedenfalls nicht auf der Wiese vor unserem Haus!

...die Sache mit den Hinterhöfen wäre

Hinter unserem Haus gibt es einen großen Innenhof. Mit viel Platz für Bäume, Bänke, Sandkasten, Schaukel und ein maurisches Brünnchen. Wenn da nicht all die Garagen wären und eine strenge Unterteilung in ein paar säuberlich abgetrennte und durch hohe Mauern garantiert uneinsehbare Mikro-Grünflächen. Oft stehen meine Kinder am Fenster und beäugen sehnsüchtig all den ungenutzten und kläglich verschandelten Lebensraum.

Da zeigt sich plötzlich ein menschliches Wesen und schickt sich an, eine allwöchentlich wiederkehrende Kulthandlung zu verrichten: Auto raus aus der Garage, Eimer mit Seifenwasser und dann Stund um Stund polieren, was das Zeug hält. "Der Mercedes hat’s gut", sagen meine Kinder. "Der kann im Hof spielen".

...die Sache mit den Wunderkindern wäre

Mozart wurde von seinem Vater gefördert und brachte es zum Genie. Bei Stadtkindern übernimmt das die Musikschule (musikalische Früherziehung), die freie Theaterschule für Vorschulkinder, der Kreativ-Tanzkurs für Kinder ab drei oder die Malschule für die kommenden Nachfahren von Leonardo da Vinci. Oder vielleicht doch die Lehrerin vom Englisch-Kurs für Kindergartenkinder?

Alles ist möglich in der Großstadt und die Qual der Wahl allgegenwärtig. Was aber, wenn Kinder, anstatt mit vier Jahren Noten zu pauken oder ab drei mit englischen Vokabeln traktiert zu werden, einfach nur auf Bäume klettern oder ein wenig Fahrrad fahren wollen? Erstens: Aus der Traum vom Wunderkind! Zweitens: Nun ist elterliche Kreativität gefragt - wo um Himmels willen findet sich ein Kletterbaum und wo Platz zum gefahrlosen Fahrrad-Fahren?

Später einmal...

Wenn mein Sohn einst Bundeskanzler wird, können Kinder in der Stadt aufatmen. Eine kleine Auswahl seiner Neuerungen: 1. Hundehalter, die die Ausscheidungen ihres tierischen Gefährten nicht entsorgen, müssen eine Woche lang Kindern Hundehaufen von Schuhen, Händen und Hosen entfernen. 2. Sämtliche Garagen, betonierte Flächen und Zäune in Hinterhöfen und Gärten werden niedergerissen und machen Bäumen, Gras, Bänken und Sandkästen Platz. 3. Als Erziehungsmaßnahme für Autofahrer werden Abgase fortan nicht mehr in die Umwelt, sondern in den Pkw-Innenraum geleitet. Vielleicht steigen dann noch mehr auf Fahrrad und Straßenbahn um. Bis dahin nehmen wir das Leben in der Stadt eben so wie es ist.