Goldene Regeln für entspannte Mahlzeiten

Mein Kind isst nichts!

Es ist ein starker Instinkt, der uns Eltern ängstigt, wenn unser Nachwuchs bei den Mahlzeiten nicht tüchtig reinhaut. Manchmal schießen wir dabei über das Ziel hinaus und Essen wird zum Kampf. Hier Tipps für entspannte Mahlzeiten mit Kleinkindern.

Autor: Gabriele Möller

Wir haben ihn noch, den Fütterungs-Instinkt

Foto: © iStock, skynesher

Der kleine Enes hat keinen Hunger. Das ist auch kein Wunder, denn der Einjährige hat eine akute Magen-Darm-Grippe. Trotzdem versuchen Mutter Aylin und Vater Thomas* mit allen möglichen Tricks, ein warmes Essen in ihren Sohn hinein zu bugsieren. Weil er das angebotene Möhrengemüse verweigert, tarnen sie jeden Löffel davon mit etwas Schokoladenpudding. Diese wenig appetitliche Mischung drängen die Eltern dem kleinen Kranken nun unter vielem Zureden in den zugepressten Mund. So beobachtet in der Kinderklinik, in der ich mit meinem Sohn ein paar Tage ein Zimmer mit der kleinen Familie teilte. Verurteilen sollte man das noch sehr junge Paar aber nicht leichtfertig. Es ist offenbar ein starker Instinkt, dass es uns Eltern ängstigt, wenn unser Nachwuchs bei den Mahlzeiten nicht tüchtig reinhaut. Dieser Fütterungs-Drang stammt wohl noch aus einer Zeit, als Nahrung knapp war und es unsere Altvorderen beruhigte, ihrem Kind genug Erjagtes und Gesammeltes anbieten zu können. Den meisten Vätern und Müttern fällt es daher auch in unserer Überflussgesellschaft schwer, gelassen zu bleiben, wenn ein sowieso eher zartes Kleinkind wenig isst und zu den Mahlzeiten im Essen herumpickt wie ein Vögelchen. Vor allem natürlich, wenn es im Gegensatz zu unserem Beispiel ganz gesund ist. Was aber ist eigentlich "zu wenig"? Und wie stellt man sicher, dass das eigene Kind genug Nährstoffe aufnimmt (und das bitte auch noch ohne Stress am Esstisch)?

*Namen geändert

Das Verslein vom "Löffelchen für die Mama" lieber vergessen

Ein Kleinkind zwischen ein und drei Jahren braucht täglich etwa 950 bis 1100 Kalorien. "Auch für Kinder kann man schon den BMI (Body-Mass-Index) errechnen", so Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Hier bekomme man schon einen Hinweis darauf, ob das Gewicht des Kindes sich für sein Alter im Normbereich befinde (Infos am Textende). Wenn ein Kind deutlich untergewichtig oder über längere Zeit appetitlos sei und dabei vielleicht blass und müde wirke, sollte ein Arztbesuch an erster Stelle stehen, rät die DGE-Expertin. Doch auch, wenn das Kind laut Kinderarzt kerngesund ist, leuchtet im elterlichen Stammhirn bekanntlich schnell die rote Warnlampe auf, sobald ein Kind "nichts" essen möchte. Und ein uralter Text wird abgespult, der da lautet: "Hilfe! Dieses Kind isst zu wenig, es wird schrecklich schwach werden und bald elendig verhungern!". Und schon säuseln wir - wie schon Generationen vor uns - leierkastenartig den berühmten Vers: "Und jetzt noch ein Löffelchen für die Mama" (wahlweise den Papa, für Oma, Opa, etc.), der auch durch jahrhundertelange Benutzung nicht origineller geworden ist. Wir nutzen die anfängliche Gutmütigkeit unserer Kinder aus, die so einiges mit sich veranstalten lassen, und drängen ihnen einige Löffel mehr auf. Das klappt jedoch nicht lange. Irgendwann verweigert sich das Kind, und der Machtkampf ums Essen entbrennt. Da wird erpresst ("sonst gibt es keinen Nachtisch"), gedrängt ("nur noch drei Gäbelchen!"), übertrieben ("du wächst nicht, wenn du nichts isst") und die Mitleidstour erprobt ("Mama hat das extra für dich gekocht!"). Alle Gedanken und Aktivitäten bei Tisch kreisen fortan nur noch um den "schlechten Esser".

Essstörungen drohen

Ganz ungefährlich ist dieser Kleinkrieg am Esstisch nicht. Er zermürbt nämlich nicht nur an sich glückliche Familien, sondern kann sogar riskante Spätfolgen zeitigen: "Zu starker Druck und Zwang beim Essen kann unter Umständen zu späteren Essstörungen führen", so Silke Restemeyer. "Natürlich haben Essstörungen aber auch noch viele andere Ursachen", so die Expertin. Dennoch kann ein Kind, das zu sehr zum Essen gedrängt wurde, sich also z.B. in der Pubertät der Nahrungsaufnahme aus seinem neu gewonnenen Selbstbehauptungsdrang zu sehr verweigern (Magersucht). Umgekehrt kann ein Kind, das immer über sein Sättigungsgefühl hinaus essen musste, das Gefühl für seinen natürlichen Appetit verlieren und auf Dauer übergewichtig werden. "Es ist z.B. auch ein Alarmzeichen, dass zunehmend mehr Kinder in Deutschland bereits in jungen Jahren über Diäterfahrung verfügen", so die Fachfrau.

Eine tägliche Mindest-Empfehlung für schlechte Esser hat der US-Kinderarzt Dr. T. Berry Brazelton zusammengestellt:

  • Zwei Gläser Milch, oder 60 Gramm Käse, oder anderthalb Becher Joghurt, oder zwei Kugeln Milcheis
  • 60 g Fleisch, oder ein Ei, oder drei Esslöffel Müsli (evt. mit Eisentropfen angereichert)
  • Ein halbes Glas Orangensaft, oder eine halbe Kiwi oder anderes Obst
  • Gabe eines Multivitamin-Präparats
  • (Vor der Gabe von Vitamin- oder Eisenpräparaten den Kinderarzt fragen).

Quelle: Feeding your Child: The Brazelton Way

Fünf goldene Regeln für eine entspannte Mahlzeit

Folgende Tipps helfen, den Essgenuss und die Freude an den Familientisch zurückkehren zu lassen:

  • 1. Verstehen, wie Kleinkinder ticken

    Ab einem Jahr möchten kleine Kinder schon viele Dinge selbst bestimmen. Auch wieviel sie essen. Die Eltern entscheiden also, was es gibt, das Kind aber, welche Menge es davon essen will. Um mehr Lust aufs Essen zu machen, kann man beim gemeinsamen Einkauf das Kind das Obst und Gemüse mit aussuchen und es später beim Kochen helfen lassen (Gemüse, Kartoffeln klein schneiden usw.). Das ist fast eine Garantie dafür, dass das Kind das Ergebnis dann auch essen möchte. „Auch mögen kleine Kinder viele Dinge nicht auf Anhieb, sondern müssen sich erst an ihren Geschmack gewöhnen. Man kann also nach einiger Zeit nochmal versuchen, ob das Kind das jeweilige Nahrungsmittel doch annimmt“ rät Silke Restemeyer. Oft sind also mehrere Wiederholungen nötig, bis ein Kind auf den Geschmack kommt. Je weniger Süßes ein Kleinkind dabei bekommt, desto mehr bleibt ihm der Geschmackssinn und die Lust auf feinere und gesündere Genüsse erhalten.

  • 2. Gemeinsam essen

    Mindestens eine gemeinsame Mahlzeit, bei der alle am Tisch sitzen, sollte bei jeder Familie drin sein. Und auch bei den übrigen Mahlzeiten sollte ein Kind nie allein essen müssen. Dass der Fernseher bei Tisch aus bleibt, versteht sich von selbst. „Es geht darum, einen festen Treffpunkt zu haben, Zeit zu haben und sich über den Tag auszutauschen“, so Restemeyer. Das Essverhalten des Kindes solle nicht betont werden. Zweck des Essens könne nicht sein, nur das Kind zu füttern und darüber zu sprechen, wieviel es heute mal wieder (nicht) esse.

  • 3. Kleine Portionen auftischen

    Ein zu voller Teller entmutigt Kinder. Kleine Portionen und kleine Bissen, möglichst ansprechend arrangiert, laden zum Zulangen ein. Besonders anregend sehen bunte Gemüse in allen Farben aus, aus denen man z.B. Muster oder Gesichter formen kann. Nachfüllen kann man immer noch, falls das Kind noch mehr Appetit hat. Es darf jedoch auch ruhig etwas auf dem Teller zurück bleiben, denn Essen sollte etwas Genussvolles sein, zu dem niemand gezwungen werden darf.

  • 4. Vertrauen lernen: Kein gesundes Kind leidet Mangel

    Als auch meine eigene Tochter vor einiger Zeit eine lange "Ich-hab’-aber-keinen-Hunger"-Phase hatte, wandte ich mich Hilfe suchend an den populären Kinderarzt Dr. Busse, der verunsicherten Eltern im Internet, in TV und Presse Trost und Rat schenkt. Seine Antwort auf meine besorgte Anfrage in seinem Forum: "Es macht keinen Sinn, sich so viele Gedanken zu machen!" (Ah so? Es fällt mir aber immer so schwer, das Denken abzustellen, wenn es um meine Kinder geht...). Er ergänzte dann jedoch glücklicherweise: "Kein gesundes Kind verhungert vor vollem Teller oder leidet Mangel." (Aha! Jetzt ging es mir schon besser, denn das wollte ich ja eigentlich lesen.) Die Devise heißt also: Das Kind in seinem Essverhalten dort abholen wo es steht, und ihm nicht die eigenen Vorstellungen aufdrängen. Vertrauen ins Kind also ist angesagt, wovon wir Eltern ja generell oft zu wenig haben.

  • 5. Was jeden Tag auf den Teller gehört

    Aber was genau sollte denn ein Kleinkind zwischen ein und drei Jahren allermindestens am Tag essen? "Es isst einfach so viel oder so wenig es mag von dem, was es zu den Mahlzeiten gibt und bekommt kein Extra- oder Ersatzessen", so der Kinderarzt weiter. "Wichtig sind auf Dauer zwei Portionen Milch täglich. Also vielleicht ein Becher Milch plus ein Joghurt, etwas Käse, Brei oder Pudding pro Tag". Wie aber sieht es aus mit den Zwischenmahlzeiten? Sollte man die bei einem schlechten Esser weglassen, damit zu den Hauptmahlzeiten mehr Appetit da ist? Hier hilft Silke Restemeyer weiter: "Nein, denn Zwischenmahlzeiten sind bei Kindern sehr wichtig, damit ihr Blutzuckerspiegel nicht zu stark absinkt. Eine Milchschnitte oder andere Süßigkeiten sind jedoch hier nicht gemeint!", warnt sie. Besser seien Obst, rohes Gemüse, eine Portion Naturjoghurt oder auch mal ein Butterbrot.

Infos und Adressen

Den BMI (Body Mass Index) errechnet man aus der Formel "Gewicht geteilt durch: Körpergröße mal Körpergröße". Zur Orientierung: Bei einem einjährigen Kind sollte der BMI etwa zwischen den Werten 15 und 18,5 liegen. Bei einem dreijährigen Kind nur noch zwischen 14 und 18.

Die DGE gibt in ihrer Info-Broschüre "optimiX" genaue Übersichtstabellen für Normalgewicht und BMI exakt für jede Altersstufe an. Außerdem gibt es ausführliche Tipps für die richtige Ernährung von Kindern und Jugendlichen, die vom Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) in Dortmund erarbeitet wurden. Auch werden hier sieben Tipps für gute Laune am Familientisch gegeben. Erhältlich ist die Broschüre beim DGE Medien Service in Bonn, Telefon 0228/ 90 92 626, e-mail info@dge-medienservice.de, Home: www.dge-medienservice.de.

Homepage des Forschungsinstituts für Kinderernährung: www.fke-do.de

Homepage der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE): http://www.dge.de