Unerfüllter Kinderwunsch

Wenn Männer unfruchtbar sind

Wenn sich ein Paar ein Kind wünscht, die Schwangerschaft aber auch nach längerem "Üben" ausbleibt, dann liegt das ebenso oft am Mann wie an der Frau. In unserem Artikel geht es um Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten männlicher Unfruchtbarkeit.

Autor: Heike Byn

Unfruchtbar: Jedes sechste Paar bleibt kinderlos

Ein junges Paar sitzt auf dem Bett und wirkt unglücklich

Foto: © iStock, domoyega

Unfruchtbarkeit – eine Diagnose, die viele Paare entsetzt, weil sie Lebensperspektiven zerstört und Partnerschaften erschüttert. Schätzungsweise jedes sechste Paar in den westeuropäischen Ländern bleibt ungewollt kinderlos. Und es scheinen immer mehr zu werden. Exakt belegen lässt sich das mangels entsprechender Erhebungen zwar nicht, fest steht aber, dass mehr und mehr Paare ärztliche Hilfe suchen. Dabei betonen Ärzte immer wieder: Unfruchtbarkeit geht in gleichem Maße auf beide Geschlechter zurück – in je 30 bis 40 Prozent der Fälle liegt es am Mann oder an der Frau. Bei 15 bis 30 Prozent der Paare gibt es bei beiden Hinderungsgründe. Die meisten Paare suchen dann nach sechs bis zwölf Monaten mit regelmäßigem Sex und vergeblichem Warten auf eine Schwangerschaft einen Gynäkologen, Urologen/Andrologen oder gleich ein Kinderwunschzentrum auf.

Die Gründe für einen unerfüllten Kinderwunsch sind vielfältig: So werden immer mehr Paare erst mit deutlich über 30 Jahren zum ersten Mal Eltern – in einer Lebensphase, in der vor allem bei den Frauen die Fruchtbarkeit langsam abnimmt. Die Ursache kann aber auch eine organische Störung sein oder ein falscher Lebensstil. Manchmal sind auch Umweltgifte schuld oder dauerhafter, psychischer Stress.

Mögliche Ursachen für Unfruchtbarkeit

Beim Mann mit Kinderwunsch sind Störungen der Spermienproduktion am häufigsten für eine eingeschränkte Fruchtbarkeit verantwortlich. Ferner können auch verschlossene Samenleiter, sogenannter Spermienantikörper, Entzündungen und seltener auch Impotenz für Probleme sorgen.

Gestörte Spermienproduktion

Mit einer Samenanalyse versucht der Arzt, Fehler bei der Produktion der Spermien nachzuweisen. Dabei werden die Anzahl, die Beweglichkeit und das Aussehen der Samenzellen geprüft. Bei den meisten Männern lässt sich aber trotz starker Störungen der Spermienproduktion keine Ursache dafür finden – damit ist eine gezielte Behandlung nicht möglich. Dann können nur noch die Therapiemöglichkeiten der Reproduktionsmedizin helfen.

Schuld an den Problemen sind bei Männern oft angeborene oder später erworbene Erkrankungen, die ihre Fruchtbarkeit stören: Zum Beispiel ein Hodenhochstand, bei dem die Hoden des Embryos nicht vom Körperinneren in den Hodensack wandern, sondern im Leistenkanal oder im Bauchraum stecken bleiben. Den betroffenen Kindern wird noch im Baby- oder Kleinkindalter mit einer Operation geholfen. Auch eine Krampfader am Hoden kann schon von Geburt an vorhanden sein. Die verdickte Ader erhöht die Temperatur des Hodens und beeinflusst damit die Spermienproduktion. Solch eine Krampfader wird in einer Operation entfernt.

Genetische Ursachen sind zwar selten, werden aber bei starken Einschränkungen der Spermienqualität zur Sicherheit mit abgeklärt. So führt das Klinefelter-Syndrom – hier haben die Männer ein X-Chromosom zuviel – dazu, dass der Körper zuwenig männliche Hormone ausschüttet. Beim ebenfalls angeborenen Sertoli-Cell-Only-Syndrom befinden sich im Hoden nur noch Zellen des Hoden-Stützgewebes (Sertoli-Zellen). Die Zellen, die in den Hodenkanälchen die Spermien bilden, fehlen völlig.

Zu den erworbenen Fruchtbarkeitsstörungen zählt zum Beispiel die Entzündung der Hoden bei einer Mumpserkrankung. Die Kinderkrankheit kann Jungen aber erst nach Beginn der Pubertät gefährlich werden. Auch Medikamente können die Qualität der Spermien verschlechtern. Allen voran Zellgifte wie Chemotherapeutika, die zur Behandlung von Krebs eingesetzt werden. Nach Ende der Therapie kann sich die Spermienproduktion aber wieder komplett herstellen. Erwiesen ist auch der schädliche Einfluss auf die Spermien durch exzessiven Alkohol- oder Nikotinmissbrauch. Inwieweit Umweltgifte die Abnahme der Spermienqualität in den Industrieländern beeinflussen, ist schwer zu sagen. Schwermetalle und Pflanzenschutzmittel stehen aber unter dringendem Verdacht, schädigend zu wirken.

Verschlossene Samenleiter

Bei manchen Männern fehlt der Samenleiter völlig oder er ist verschlossen, dann versucht man, ihn in einer Operation wiederherzustellen, oder man gewinnt Spermien aus dem Nebenhoden. Davon betroffen sind oft Patienten mit Mukoviszidose oder solche, bei denen Entzündungen die Samenwege verschlossen haben. Bei sterilisierten Männern ist ein Stück vom Samenleiter unterbunden worden. Wollen sie später noch ein Kind zeugen, kann auch hier der Samenleiter operativ wiederhergestellt werden.

Spermienantikörper, Entzündungen und Impotenz

Spermien werden von der körpereigenen Abwehr als Fremdkörper erkannt, sobald sie mit den Abwehrstoffen im Blut in Kontakt kommen – zum Beispiel bei Verletzungen oder Entzündungen der Samenwege. Die Antikörper sind gegen die Spermien gerichtet und setzen sich an ihnen fest. Im Blut und Sekret lassen sie sich durch Laboruntersuchungen bestimmen und dann gezielt bekämpfen.

Wenn Keime in die Samenwege dringen, lösen sie dort Entzündungen aus. Ein Abstrich aus dem Ejakulat oder Penis bringt dem Arzt über ihre Herkunft Aufschluss. Eine gezielte und schnelle Behandlung ist dann wichtig – auch der Partnerin, um eine Wiederansteckung zu vermeiden. Die Unfähigkeit, wegen einer fehlenden oder mangelnden Erektion Sex haben zu können, nennt man Impotenz. Etwa drei bis sechs Millionen Männern in Deutschland leiden darunter. Verantwortlich dafür sind oft Krankheiten, die Nerven und Gefäße negativ verändern, wie Diabetes, Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen. Ein Grund für Impotenz kann aber auch ein niedriger Hormonspiegel sein oder auch psychische Ursachen – wie Leistungsdruck und Versagensängste.

Der (lange) Weg zur richtigen Diagnose

Bei Männern ist es oft schwieriger als bei Frauen, die Ursache der Sterilität herauszufinden. Allein schon deshalb, weil über die männlichen Fortpflanzungsorgane weniger bekannt ist. „Wir wissen immer noch nicht genau, wie die Samenbildung reguliert, gesteuert und beeinflusst wird“, sagt der Androloge Wolfgang Schulze vom Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf. „Sieben bis zehn Prozent aller Männer haben im Laufe ihres Lebens Probleme mit der Fruchtbarkeit. Und bei 70 Prozent von ihnen haben wir keine Ahnung, warum die Samenqualität eingeschränkt ist.“ Deshalb dauert es auch oft ziemlich lange, bevor der Arzt eine Diagnose stellen kann.

Die wichtigste Untersuchung beim Mann ist eine Samenanalyse, deren Ergebnisse im Spermiogramm zusammengefasst werden. Die Samenprobe wird durch Masturbation gewonnen, der Samenerguss in einem sterilen Behälter aufgefangen. Um genaue Ergebnisse zu erhalten, soll der Mann drei bis fünf Tage vor der Samenprobe sexuell enthaltsam sein. Im Labor wird das Sperma unter dem Mikroskop beurteilt und auf verschiedene Aspekte hin überprüft: Die Menge (Anzahl von einzelnen Samenfäden), die Beweglichkeit (Schwimmfähigkeit der Samenzellen), die Morphologie (Form der Samenzellen) und ihre Vitalität (Lebens- und Überlebensfähigkeit der Samenzellen).

Bei einer sehr schlechten Samenqualität ist in manchen Fällen noch ein zusätzlicher Spermientest nötig, um zu beurteilen, ob die Spermien für eine Reagenzglas-Befruchtung geeignet sind. Denn dafür müssen ausreichend bewegliche Samenzellen gewonnen werden, die die Eizelle im Labor befruchten können.

Den Verdacht, dass vom Abwehrsystem der Frau gebildete Antikörper in der Gebärmutterschleimhaut die Spermien nicht durchlassen oder männliche Antikörper die Samenzellen schwächen, kann der Immunobead-Test bestätigen. Dabei werden die eventuelle Antikörper im Blut oder Gebärmutterschleim sowie auf den Samenzellen nachgewiesen.Mit einer Ultraschalluntersuchung der Hoden stellt der Arzt beispielsweise Krampfadern oder einen Verschluss der männlichen Samenwege fest.

Wenn im Ejakulat keine Spermien nachweisbar sind und ein Verschluss der Samenwege ausgeschlossen ist, lässt sich anhand einer Hodenbiopsie prüfen, ob trotzdem Spermien produziert werden. Dazu wird bei einem kurzen operativen Eingriff ein kleines Gewebestück des Hodens entfernt und unter dem Mikroskop auf vorhandene Samenzellen untersucht.

Die individuell beste Behandlung finden

Für männliche Fruchtbarkeitsstörungen gibt es zahlreiche Behandlungsformen, von der einfachen hormonellen Stimulation bis hin zur aufwändigen und Mann und Frau belastenden Befruchtung im Reagenzglas. Wichtig ist dabei, die für das jeweilige Paar geeignete Therapie zu finden.

Insemination für eine bessere Spermienqualität

Bei der Insemination wird zum Zeitpunkt des Eisprungs aufbereitetes Sperma mit einer Spritze in die Gebärmutter injiziert. Aufbereitet bedeutet, dass gute und schlechte Spermien getrennt werden, und letztere nicht mehr die guten am Fortkommen behindern. Außerdem stellt der Schleimpfropf im Gebärmutterhaus so kein Hindernis mehr dar; mögliche Unverträglichkeiten zwischen Spermien und Gebärmutterschleimhaut können umgangen werden. Zudem sind die Spermien von Anfang an näher am Eileiter, dem Ort der Befruchtung.

Befruchtung im Reagenzglas - In-vitro-Fertilisation (IVF)

Die so genannte künstliche Befruchtung kommt dann in Frage, wenn mehrere Inseminationen erfolglos waren oder die Spermienqualität schlecht ist. Hier bekommt die Frau Hormone, die mehrere Eibläschen in einem Behandlungszyklus gleichzeitig heranreifen lassen. Diese Eibläschen werden zum optimalen Zeitpunkt durch die Scheide aus dem Eierstock genommen und dann im Reagenzglas mit den Spermien des Mannes vermischt. Etwa drei Tage später werden maximal drei befruchtete Eizellen zurück in die Gebärmutterhöhle der Frau gesetzt. Die noch recht neue Methode der In-Vitro-Maturation (IVM) ähnelt der IVF. Allerdings werden hier die Eizellen nach kurzer und niedrig dosierter Hormongabe im noch unreifen Stadium gewonnen und über wenige Stunden außerhalb des Körpers gereift, während bei der IVF-Therapie das Heranreifen von Eizellen im Körper der Frau durch eine hoch dosierte Hormongabe stimuliert wird.

Starthilfe für Spermien – Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)

Bei der ICSI-Methode ist die Vorbehandlung dieselbe wie bei der IVF. Im Labor werden die Spermien aber nicht nur mit den Eizellen gemischt, sondern direkt in die Eizelle eingebracht. Dazu wird ein einzelnes Spermium in eine dünne Pipette aufgezogen und in die Eizelle eingespritzt. Die ICSI-Behandlung ist dann besonders sinnvoll, wenn die Spermienqualität deutlich eingeschränkt ist, mindestens zwei IVF-Versuche fehlgeschlagen sind oder die Spermien-Körper insgesamt fehlerhaft sind.

 

Für wen ist eine ICSI sinnvoll? 

Letzte Rettung für viele – TESE- und MESA-Therapien

Es gibt Männer, bei denen keine Spermien im Ejakulat vorhanden sind. Zum Beispiel, wenn deren Samenleiter verschlossen ist. Dann wird in einer testikuläre Sperma-Extraktion (TESE) eine Gewebeprobe aus dem Hoden entnommen und aus den Samenkanälchen dann die Spermien ausgewaschen. Bei der MESA (mikrochirurgische epididymale Spermienaspiration) gewinnt man die Samenzellen aus dem Nebenhoden und verwendet sie zum Beispiel für die ICSI-Therapie weiter.

Erfolgsaussichten und Kosten

Natürlich hoffen alle Paare mit Hilfe der Reproduktionsmedizin auf eine Schwangerschaft nach einer Insemination, IVF oder ICSI. Dabei ist die Erfolgsquote gar nicht so schlecht und vergleichbar mit der Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Zyklus’ auf normalem Wege schwanger zu werden: Sie beträgt bei der Insemination zwischen 15 und 20 Prozent und bei der IVF oder der ICSI nach einem Transfer von drei Eizellen zwischen 20 und 30 Prozent. Die Erfolgsaussichten erhöhen sich nach viermaliger IVF oder ICSI auf immerhin zwischen 50 und 60 Prozent. Seit einiger Zeit müssen die Patienten alle genannten Therapien zu 50 Prozent selber zahlen, die andere Hälfte übernimmt die gesetzliche Krankenkasse. Die genauen Kosten hängen von der Art der Behandlung ab: Bei der IVF fallen etwa für einen Behandlungszyklus rund 1.200 Euro an Arztkosten und noch mal der gleiche Betrag für Medikamente an. Beim ICSI-Verfahren liegen die Gesamtkosten bei rund 3.000 Euro. Voraussetzung für die anteilige Kostenerstattung der Krankenkassen ist aber, dass das Paar verheiratet ist. Für Mann und Frau gelten zudem Altersgrenzen (Frau 25 bis 40 Jahre, Mann bis 50 Jahre). Außerdem ist die Anzahl der Versuche, die bezahlt werden, begrenzt: Bei IVF/ICSI sind es drei Zyklen, bei der Insemination werden bis zu acht Zyklen bezuschusst.

Indiskrete Fragen und gut gemeinte Ratschläge

Für viele Männer ist die Tatsache, keine Kinder zeugen zu können, ein Schock: Dabei geht es um mehr als um die Angst, ohne Stammhalter zu altern. Die meisten betroffenen Männer fühlen sich entmannt, denn nur wer zeugen kann, ist auch potent. Darüber mit Freunden oder Bekannten zu reden, ist ein Tabu. „Sie können als Mann nicht einfach in ihren Sportverein gehen und erzählen: ‚Übrigens, ich kann kein Kind zeugen.’ Dann sind Sie in der Männerwelt unten durch“, sagt Bernhard Meyer, Sozialpädagoge bei Pro Familie in Freiburg. Die meisten Männer können aber auf eine verständnisvolle Partnerin hoffen, denn eine Frau tut sich erfahrungsgemäß leichter darin, die Unfruchtbarkeit ihres Mannes zu akzeptieren, als umgekehrt ein Mann die der Frau – auch wenn ihr Kinderwunsch meist größer ist. Deshalb sollte sich ein Paar mit unerfülltem Kinderwunsch von Anfang an Gedanken darüber machen, ob und wie es darüber in der Öffentlichkeit redet. Männer haben in der Regel größere Schwierigkeiten damit, dass ihre Unfruchtbarkeit bekannt wird.

Doch egal, wie sich Mann und Frau verhalten, sie sollten sich gegen indiskrete Fragen und gut gemeinte Ratschläge wappnen – und daran denken, dass sie sich in einer äußerst sensiblen Phase befinden, die sie verletzbar macht. Oft sind die Äußerungen von Außenstehenden unbedacht und tatsächlich in bester Absicht gesagt. Wer dann gekränkt und gereizt reagiert, stößt auf Unverständnis. „Unverschämte Zeitgenossen sollten dagegen eindeutig in ihre Grenzen gewiesen werden“, betont Rainer Jensen. Der Mittvierziger hatte mit seiner Frau Sabine bereits alle Stationen einer Kinderwunschbehandlung absolviert, bis die beiden nach sechs Jahren Warten endlich ihre Tochter Lara in den Armen halten konnten. Irgendwann in dieser Zeit hatte er mit einem Kollegen über seinen Kinderwunsch gesprochen. „Soll ich mal zu dir nach Hause kommen und nachhelfen? Da muss ein richtiger Mann ran“, hatte der feixend vorgeschlagen. „Das fand ich weder komisch noch mitfühlend und habe gekontert: ‚Nein danke. Wir wollen schließlich ein einigermaßen intelligentes Kind mit Charakter bekommen’“, erzählt Jensen.

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