Sekundäre Sterilität

Kinderwunsch: Wenn das nächste Kind nicht kommen will

Wer einmal schwanger war, wird es auch wieder – diese Regel gilt zwar meistens, aber nicht immer. Sekundäre Sterilität nennen Ärzte es, wenn ein Paar schon eines oder mehrere Kinder hat, es danach aber nicht mehr mit dem Schwangerwerden klappen will. Wo liegen die Ursachen? Und was können Mütter und Väter mit erneutem Kinderwunsch tun?

Autor: Gabriele Möller

Unser Kind soll nicht allein bleiben

Ein junges Paar sitzt auf dem Bett und wirkt unglücklich

Foto: © iStock, domoyega

„Wir versuchen jetzt seit ungefähr zweieinhalb Jahren, noch ein zweites Kind zu bekommen“, erzählt Markus* (42), Vater der kleinen Lisa (3,5 Jahre). Seine Frau Johanna und er hätten gern noch ein Geschwisterchen für ihre Tochter. Der Kinderwunsch ist dabei nicht nur eine reine Bauchsache für das Paar, sondern beide sehen auch ganz konkrete Vorteile, wenn ihr Mädchen kein Einzelkind bleibt. „Wir merken es jetzt schon bei Lisa: Es muss praktisch immer etwas organisiert werden, damit sie jemanden zum Spielen hat. Bei Geschwistern ist das mit dem gemeinsamen Spielen sicher einfacher.“ Auch für das Kind sei es schöner, wenn es mit Bruder oder Schwester zum Beispiel auch mal über die Eltern meckern könne. „Wenn noch ein Kind kommt, wäre es natürlich gut, wenn der Altersunterschied nicht zu groß wäre.“ Markus befürchtet, dass die Kinder sonst kaum noch miteinander spielen. Dennoch möchten er und Johanna sich zeitlich nicht unter Druck setzen.

Bei anderen Paaren sind es eher die Ärzte, die abwarten möchten. Nicht immer zu Recht, findet Dr. med. Elmar Breitbach: „Viele Kollegen glauben, wenn ein Paar schon ein Kind hat, könne der Leidensdruck nicht allzu groß sein“, berichtet der Reproduktionsmediziner von der Deutschen Klinik Bad Münder bei Hannover. „Ich selbst sehe das anders: Auch ein unerfüllter Wunsch nach einem weiteren Kind kann erheblichen Leidensdruck verursachen. Deswegen sollten Ärzte auch in diesen Fällen eine sorgfältige Abklärung der möglichen Ursachen durchführen - und nicht einfach davon ausgehen, dass es irgendwann schon klappen wird, nur weil bereits ein Kind geboren wurde.“

Schwangerschaft klappt nicht: Die häufigsten Gründe

Beim unerfüllten Wunsch nach einem weiteren Kind liegen oft die gleichen medizinischen Gründe vor wie bei Paaren, die noch vergebens auf ihr erstes Kind warten. „Auch hier sind eine eingeschränkte Spermienqualität, hormonelle Störungen, Verklebungen der Eileiter, Myome (gutartige Gebärmuttergeschwulste) oder Endometriose (Ansiedlung von Gebärmutterschleimhautzellen außerhalb der Gebärmutter) die häufigsten Ursachen“, erklärt Breitbach. „Manche dieser Probleme bestanden schon vor der ersten Schwangerschaft und kamen einfach noch nicht so stark zum Tragen. Zum Beispiel kann eine junge Frau durch ihre hohe Fruchtbarkeit eine eingeschränkte Spermienqualität des Mannes oft noch ausgleichen.“

Bei anderen Paaren war auch schon beim ersten Kind medizinische Nachhilfe nötig, damit es klappen konnte. „Natürlich können medizinische Schwangerschaftshindernisse aber auch erst nach der vorherigen Schwangerschaft ganz neu hinzu gekommen sein“, so der Facharzt aus der Kinderwunschklinik. „Bei vielen dieser Ursachen spielt das Alter des Paares eine entscheidende Rolle“, betont Breitbach. „Ab etwa 30 Jahren nimmt die Häufigkeit von (sekundärer) Sterilität bereits zu.“ Weitere Faktoren, die die Fruchtbarkeit einschränken können, sind Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen, Rauchen und Übergewicht.

Wie lange sollte man abwarten?

„Während es sich empfiehlt, beim ersten Kinderwunsch schon nach etwa einem Jahr nach möglichen Ursachen zu suchen, wenn keine Schwangerschaft eintritt, kann man bei sekundärer Sterilität ruhig etwa zwei Jahre abwarten“, so Breitbach. Erste Untersuchungen, wie ein Zyklus-Monitoring (Zyklusüberwachung), eine Eileiterdurchgängigkeitsprüfung, Hormonbestimmungen oder eine medikamentöse Stimulation des Eisprungs nehme manchmal auch der niedergelassene Gynäkologe vor. Weiter gehende Untersuchungen kann ein Paar in einer Kinderwunschpraxis oder –klinik vornehmen lassen. Hierfür müssen beide eine Überweisung mitbringen sowie die Unterlagen über etwaige bisher vorgenommenen Untersuchungen.

Behandlung: Soviel wie nötig, so wenig wie möglich

Bei Elternpaaren mit einem erneuten Kinderwunsch gilt für Reproduktionsmediziner der Grundsatz, der vorhandenen Fruchtbarkeit so viel wie nötig und so wenig wie möglich nachzuhelfen. Hormonelle Störungen lassen sich dabei zum Beispiel oft durch eine Hormontherapie ausgleichen. Ob eine Frau Myome, Endometriose oder verschlossene Eileiter hat, lässt sich jedoch oft nur per Bauchspiegelung zuverlässig abklären. Diese minimal-invasive OP (nach „Schlüssellochtechnik“) wird in manchen Kliniken bereits ambulant angeboten. Manche Fruchtbarkeitshindernisse lassen sich bereits im Rahmen der OP beseitigen.

„Je nach vorliegendem Problem stehen natürlich auch die verschiedene Verfahren der unterstützten Befruchtung zur Verfügung“, erklärt Kinderwunschexperte Breitbach. Im Fall einer geringen Einschränkung der Spermienqualität können Reproduktionsmediziner die Spermien beispielsweise bei der Insemination mit einem Katheter nahe an die Eizelle heranführen. Bei der sogenannten IVF (In-vitro-Fertilisation) findet die Befruchtung dagegen außerhalb des Körpers statt, Eizelle und Spermium finden im Reagenzglas selbständig zueinander.

Was wird bei einer In-vitro-Fertilisation gemacht?

Anders bei der sogenannten ICSI (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion): Hier injizieren Fachleute unter dem Mikroskop das Spermium direkt in die Eizelle und setzen diese (oft mehrere) in die Gebärmutter ein.

Kiwu-Behandlung: Kasse zahlt auch beim zweiten Mal

Die Diagnostik zur Ursache für die sekundäre Sterilität eines Paares bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen (wie beim ersten Kinderwunsch) ganz. Auch die Methoden der hormonellen Stimulation muss ein Paar nicht selbst bezahlen. Für die künstliche Befruchtung gilt: „Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen hier denselben Anteil an den Kosten, wie bei Paaren mit erstem Kinderwunsch“, so Breitbach. Dies sind bei einer künstlichen Befruchtung 50 Prozent für drei Versuche der künstlichen Befruchtung bei verheirateten Paaren, die schon 25 Jahre, aber noch nicht 40 Jahre (50 Jahre beim Mann) alt sind. Dabei ist es auch egal, ob das erste Kind des Paares ebenfalls schon mit Hilfe von Verfahren der Kinderwunschbehandlung entstand oder nicht. Bei den privaten Krankenkassen sollte man zu Details der Kostenübernahme nachfragen.

Bei zweitem Kinderwunsch etwa gleich hohe Erfolgsquote wie bei Kinderlosen

Ist die Erfolgsquote bei Paaren mit erneutem Kinderwunsch denn größer als bei solchen, die noch gar kein Kind haben? „Hier besteht fast Chancengleichheit“, dämpft der Reproduktionsmediziner zu hohe Erwartungen. „Bei Betroffenen, die schon ein Kind haben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es mit Hilfe einer Kinderwunschbehandlung klappt, nur um wenige Prozentpunkte größer.“ Auch hier spiele aber auch das Alter wieder eine wichtige Rolle.

Bei IVF oder ICSI liegt die Erfolgsquote bei durchschnittlich knapp 30 Prozent, sie ist bei jüngeren Frauen allerdings deutlich höher (bis ca. 40 Prozent), bei älteren deutlich niedriger. Bei einer Insemination plus Hormonbehandlung beträgt die Quote durchschnittlich 14 Prozent. Bei jüngeren Frauen und gutem Spermiogramm des Mannes ist sie jedoch wiederum wesentlich höher.

Jedes Paar muss entscheiden, wie viel Diagnostik es möchte

Natürlich müssen Eltern überlegen, ob sie überhaupt eingehendere Untersuchungen oder auch eine Kinderwunschbehandlung für ein weiteres Kind auf sich nehmen möchten. Dies hängt oft auch davon ab, wie groß der Kinderwunsch ist, und ob hierdurch ein Leidensdruck besteht. Markus und Johanna sind hier eher zurückhaltend: „Wir sind eigentlich nicht so der ‚klassische Kinderwunschtyp’, der alles an Möglichkeiten ausschöpfen würde. Eine künstliche Befruchtung zum Beispiel wäre für uns schon weit jenseits dessen, was wir machen würden. Ich habe außerdem die Einstellung, dass – wenn der liebe Gott das will – auch noch ein Kind kommen wird.“

 

Intrauterine Insemination: Was ist das?

Ein wenig Diagnostik hat Markus jedoch machen lassen: „Schon vor Johannas erster Schwangerschaft hatte ich mich beim Urologen untersuchen lassen, weil es damals längere Zeit nicht klappen wollte. Auch dieses Mal habe ich nach etwa zwei Jahren ein Spermiogramm machen lassen.“ Beide Male zeigte sich eine Einschränkung in der Beweglichkeit der Spermien, die aber nicht unbedingt gravierend ist. „Die Anzahl der Spermien insgesamt war okay.“ Für ein zunächst ganz geringes Maß an Therapie wäre Markus ebenfalls offen: „Ich hatte beim ersten Kinderwunsch Zink eingenommen, weil dies die Spermienqualität verbessern soll - und tatsächlich hatte es damals auch geklappt. Ich überlege noch, ob ich dieses Mal vielleicht wieder ein wenig mit Zink nachhelfen sollte.“ Ob das Paar vielleicht noch andere Maßnahmen ergreifen würde, die aber ebenfalls nicht allzu sehr in die Natur eingreifen dürfen, das haben Johanna und Markus noch nicht entschieden.

Wer kann, sollte gelassen bleiben

Ob und wie viel Diagnostik oder Therapie Eltern nutzen möchten, ist also sehr unterschiedlich. Damit der Kinderwunsch nicht zum bestimmenden Faktor in der Beziehung wird, ist Gelassenheit in jedem Fall hilfreich. Markus und Johanna haben davon eine reichliche Portion. „Johanna und ich haben hier eine ähnliche Einstellung: Ein weiteres Kind wäre schön, muss aber nicht sein“, erzählt Markus. „Wir haben uns beide beruflich gut etabliert, können uns dementsprechend auch Einiges leisten. Außerdem war das erste Jahr mit unserer Lisa ziemlich traumatisch für uns: Sie wurde mit einem orthopädischem Problem geboren und musste schon im ersten Lebensjahr mehrere Operationen über sich ergehen lassen. Echter Babyalltag kam da nicht auf, es war eine einzige Ausnahmesituation“, erinnert er sich. „Natürlich weiß ich, dass sich exakt so etwas wohl kaum wiederholen wird. Trotzdem habe ich diese Erfahrung natürlich immer im Hinterkopf.“ Dieses Jahr zumindest hat das Paar sich vorgenommen, die Sache gelassen anzugehen und nichts weiter zu machen. „Wir finden, so sehr drängt es nicht.“

*Alle Namen geändert