Lernen, Staunen und Lachen

Buchtipps: Jungs lesen ander(e)s

Bei der ersten Annäherung an Bücher werden Jungs vor allem von Frauen begleitet. Nur deckt sich ihr Geschmack oft nicht mit dem der kleinen Männer, die Helden und spannende Sachthemen lieben. urbia hat von Jungs geliebte (Bilder-)Buch-Klassiker und solche, die es werden könnten, zusammengestellt.

Autor: Heike Byn

Lieblingsschmöker Lego-Katalog

Jungen Bücher Lesen
Foto: © iStockphoto.com/ mammamaart

Kleine Jungs und größere erst recht tun sich gemeinhin schwer mit dem Medium Buch. Sie gelten als „lesefaul“ und wenig interessiert an erzählenden Geschichten. Sie blättern lieber in Comics und Lego-Katalogen herum, statt wie Mädchen wortwörtlich gleich reihenweise Kinderbücher zu verschlingen. Doch woran liegt das? Sind Jungs schlicht „ anders drauf“ als Mädchen und bevorzugen Sport und Spiel statt stillem Schmökern? Oder finden Großeltern, Eltern, Tanten oder Freunde des Hauses einfach nicht das richtige Lesefutter für den Nachwuchs, der schon im Bilderbuch nach männlichen Helden, spannenden Sachbuchthemen und einer zeitgemäßen Sprache lechzt. Derweil schleppt die Familie in Erinnerungen schwelgend die Buchklassiker der eigenen Kindheit und Jugend nach Hause. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Für alle, die nach zeitlosen und beliebten oder neuen und frechen Bilderbüchern für Jungen suchen, haben wir deshalb hier eine Liste mit Buchtipps zusammengestellt.

Zeitlose Bilderbuchklassiker

Für Wilhelm Busch lief der Verkauf seines ersten Bilderbuchs Max und Moritz eher schleppend an. Erst Jahre später fand das Volk Gefallen am Urahn heutiger Comic-Romane und seinem Lausbuben-Werk. Bis zu Buschs Tod wurden fast 500.000 Exemplare davon verkauft, auch wenn die Kritik das Buch als Kinder gefährdend, grausam und unpädagogisch diffamierte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch am Erfolg nicht, denn der Kick, den beiden bösen Buben beim Übertreten von Regeln und der finalen brutalen Strafaktion – Max und Moritz werden gemahlen und als Körnerfutter von Hühnern aufgepickt – zuzuschauen, kommt auch bei Kindern im 21. Jahrhundert gut an.

Das gebetmühlenartig heruntergeleierte „Love“ und „Peace“ der Hippie-Bewegung nahm Leo Lionni schon Ende der 1960er Jahre mit seiner Geschichte über das Fantasie sammelnde Mäuschen Frederick vorweg. Wie bei vielen anderen Bilderbüchern ist auch hier neben der Botschaft die Zeitlosigkeit der Illustrationen für den anhaltenden Erfolg verantwortlich.

Mit Hans de Beers Bilderbuch Der kleine Eisbär bricht 1987 die Ära der fotografisch genauen Bilderbücher an. Mit seinen akribisch ausgemalten Details trifft de Beer punktgenau das Väter- und Jungenherz. Über die pastelligen Farben – ansonsten als „Mädchenfarben“ diskreditiert, sehen die Männer dabei gerne großzügig hinweg. Denn schließlich geht es hier um nichts weniger als die männlichen „Ur-Jobs“ wie jagen, Freunde finden und die Welt retten.

Nicht nur inhaltlich, auch optisch war 1989 Der Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat von Werner Holzwarth und Wolf Erlbruch ein Gegenentwurf. Bis heute 2,5 Millionen(!) mal verkauft, garantiert die Geschichte über Größe, Geruch und Konsistenz tierischer Ausscheidungen immer noch herzhafte Lacher bei kleinen und großen Leuten.

Darüber lachen kleine Männer

Die Bilderbücher des 21. Jahrhundert müssen ihre Dauerhaftigkeit und Zeitlosigkeit erst beweisen, um Klassiker zu werden – einige taugen aber schon jetzt dazu: Wie Leon Pirat von Christine Nöstlinger. Die Illustrationen von Thomas M. Müller sind farbenfroh, karikierend und witzig, die Story kreist um einen typischen Generationenkonflikt: Vater Pirat will, dass sein einziger Sohn in seine Fußstapfen tritt, doch der will lieber Schiffskoch werden. Auch Die Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte von Martin Baltscheit lebt von ihren farbensatten, doppelseitigen Zeichnungen. Der Titelheld ist Analphabet und will doch so gerne der hübschen Löwin einen Liebesbrief schreiben. Seine tierischen Nachbarn sollen deshalb das Ghostwriting übernehmen. Natürlich geht die Sache erstmal ordentlich daneben. Das etwas andere Plädoyer für die Vorzüge schulischer Bildung.

Viele Jungs träumen davon, als Superheld die Welt zu retten – oder zumindest die eigene Mutter vor großen Gefahren. In Michael Fuchs’ Buch gewordener Jungen-Fantasie Paul der Superheld merken die Eltern des Achtjährigen natürlich gar nicht, was für einen tollen Sohn sie haben. Wie er täglich den gefährlichen Einbrecher in einen Briefträger verwandelt und die Babysitterin vor dem nächtlichen Gewitter beschützt. Paul sagt dazu nichts, denn wahre Helden tun, was zu tun ist und schweigen darüber.

Einblicke in den Alltag der Großen

Wer ist wohl der erste männliche Held, dem Jungen nacheifern wollen? Richtig: der eigene Vater. Schade, dass nur wenige Bücher das zum Thema machen. In Kate Banks’ großformatigem Bilderbuch Nachts auf der Baustelle nimmt Alex’ Vater, ein Bauingenieur, seinen Sohn mit zur Nachtschicht auf die Großbaustelle. Vater und Sohn sehen sich alles an, der Junge darf sogar ein paar Hebel an einem Bagger drücken, danach gehen sie wieder nach Hause zur schlafenden Mama. Eigentlich unspektakulär, doch die in Licht-Schatten-Bilder getauchte Farb-Atmosphäre und die verständlichen Texte schaffen eine Stimmung der Geborgenheit, gewürzt mit einem Schuss Poesie.

Mit großem Erfolg und schon ziemlich lange läuft die Lesemaus-Reihe über interessante oder spannende Berufe. Darin spiegeln die realistischen Illustrationen ein detailliertes Bild des Berufsalltags von Feuerwehrmännern, Notfallärzten & Co wieder. Ralf Butschkows Band Ich hab einen Freund, der ist Pilot erzählt zum Beispiel vom Innenleben der Bordküche oder dem langen Weg eines Koffers von der Gepäckaufgabe bis zur Landehalle. Hier erfahren auch Erwachsene jede Menge Neues über Berufe, die ihnen eigentlich vertraut erscheinen.

Zugegeben: ein richtiges Bilderbuch ist Jan Paynes 1000 coole Rekorde nicht, auch wenn es zu jeder kleinen Geschichte mindestens ein Foto oder Bild gibt. Dennoch muss diese ultimative Sammlung wildester, verrücktester und gruseligster Rekorde hier unbedingt erwähnt werden. Das wirklich Coole an diesem Buch aber ist, dass es nicht nur eine Aufzählung von Rekorden liefert, sondern auch viele interessante Detailinfos und Erklärungen gibt. Zum Beispiel, warum man in Frankreich kein Schwein „Napoleon“ nennen darf oder die Christus-Statue hoch über Rio de Janeiro das jüngste Weltwunder ist.

Es muss nicht immer Conny sein

Die weibliche Titelheldin der ebenso beliebten wie erfolgreichen Conny-Bände ist ein absolutes „must have“ für Mädchen. Begleitet doch das nette Mädchen von nebenan kleine Frauen von der Kindergartenzeit bis mittlerweile ins Teenager-Alter. Lange hatte die Kleine mit der Schleife im Haar die Alleinherrschaft über typische Kinder-Alltagsgeschichten in Fortsetzung. Doch seit einiger Zeit gibt es mit den Max-Geschichten von Christian Tielmann endlich auch eine Identifikationsfigur für Jungen. Die übersichtlich gestalteten und kindgerecht formulierten Erzählungen thematisieren vom ersten Tag bei der Tagesmutter bis zur Einschulung fast alles, was die Kinderseele beschäftigt. Wie seine „große Schwester“ Conny auch, erscheinen die Max-Storys nicht nur in der Lesemaus-Reihe, sondern auch im Pixie-Kleinformat.

Kirsten Boie ist eine der bekanntesten Kinderbuchautorinnen Deutschlands. Ihr Name bürgt für literarische Qualität, die dabei aber keineswegs den Spaß beim (Vor-)lesen ausschließt. In ihren Geschichten um einen Jungen namens Juli(an) greift sie gerne auch stressige und konfliktreiche Alltagssituationen in der Familie auf, die andere Bücher so oft umschiffen. Doch der Wiedererkennungswert von Chaos, mieser Stimmung und blöden Gefühlen verführt Groß und Klein zum Schmunzeln und unterhält dabei auch noch bestens. So erzählt Boie in Kein Tag für Juli von einem extrem verkorksten Tag, an dem alles schief geht – bis Papa abends im Gebüsch Julis allerliebstes Glühwürmchen wiederfindet und doch noch alles gut wird.

Infos zu den Büchern

  • Wilhelm Busch: Max und Moritz. Eine Bubengeschichte in sieben Streichen. Esslinger Verlag Schreiber 1997, 20 S., ab 6, € 5,95. ISBN 978-3-480-06336-5
  • Leo Leonni: Frederick. Beltz & Gelberg 2010, 32 S., ab 3, € 5,95. ISBN 978-3-407-76007-4
  • Hans de Beer: Der kleine Eisbär – die schönsten Abenteuer. Nord-Süd-Verlag 2008, 90 S., ab 4, € 16,95. ISBN 978-3-314-01639-4
  • Werner Holzwarth / Wolf Erlbruch: Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat. Peter Hammer Verlag 2001, 24 S., ab 4, € 9,90. ISBN 978-3-314-01707-0
  • Christine Nöstlinger / Thomas M. Müller: Leon Pirat. Beltz & Gelberg 2010, 40 S., ab 4, € 5,95. ISBN 978-3-407-76079-1
  • Martin Baltscheit: Die Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte. Bajazzo Verlag 2002, 40 S., ab 4, € 13,90. ISBN 978-3-907-58836-9
  • Michael Fuchs / Karsten Teich: Paul der Superheld. Kinderbuchverlag Wolff 2007, 48 S., ab 6, € 9,50. ISBN 978-3-938-76610-1
  • Kate Banks / Georg Hallensleben: Nachts auf der Baustelle. Moritz Verlag 2003, 40 S., ab 4, € 13,80. ISBN 978-3-895-65131-1
  • Ralf Butschkow: Ich hab einen Freund, der ist Pilot. Reihe Lesemaus, Band 73. Carlsen Verlag  2010, 24 S., ab 3, € 3,90. ISBN 978-3-551-08873-4
  • Jan Payne / Mike Philipps: 1000 coole Rekorde. Ravensburger Verlag 2009, 120 S., ab 7, € 8,95. ISBN 978-3-473-55261-0
  • Christian Tielmann / Sabine Kraushaar: Max kommt in die Schule. Serie Lesemaus, Band 70. Carlsen Verlag 2010, 24 S., ab 3, € 3,90. ISBN 978-3-551-08870-3
  • Kirsten Boie / Jutta Bauer: Kein Tag für Juli. Reihe Minimax. Beltz & Gelberg 2011, 32 S., ab 4, € 5,95. ISBN 978-3-407-76001-2