Nestbau Teil 2

Umzug mit Kindern

Jobwechsel, Scheidung, das Häuschen im Grünen: Auch Familien mit Kindern müssen heutzutage häufig umziehen. Aber Kind und Kegel komplett "umzutopfen" ist weitaus komplizierter als der Nestbau für das erste Kind. Wie Eltern (und Kinder) es zusammen meistern, liest du hier.

Autor: Maja Roedenbeck

Umzug mit Kind und Kegel: Nestbau Teil 2

Mutter Kind Umzugskartons
Foto: © iStockphoto.com/ killerb10

Wenn immer alles nach Plan liefe, würden wir's halten wie die Vögelchen: erst das Nest bauen, dann eine Familie gründen. Doch das Leben läuft nun mal meist nicht nach Plan. Es schenkt uns ungeplante dritte oder vierte Kinder, mit denen es im ursprünglichen Nest zu eng wird. Es beschert dem Haupternährer einer Familie Arbeitslosigkeit und ein Jobangebot aus der Ferne. Oder es stellt uns vor die Scherben einer Ehe. Und dann ist Nestbauen, Teil II, angesagt. Dass ein Umzug mit Kind oder Kindern um einiges komplizierter ist als ohne, dürfte jedem Betroffenen klar sein. Es sind mehr Möbel und heiß geliebter Krimskrams zu bewegen, die Kinderbetreuung muss neu organisiert werden und Wohnungsbesichtigungen oder –renovierungen mit naseweisem Anhang kosten Nerven. Vor allem aber ist da die kindliche Seele, die den Abschied selten ganz ohne Blessuren wegsteckt. Kein Kind gibt gern sein gewohntes Umfeld auf (Kindergarten, Schule, Freunde, Spielplatz, ja selbst den Supermarkt um die Ecke) und verzichtet bereitwillig auf liebgewordene Rituale (Sonntagsfußball mit Papa im benachbarten Park, Brathähnchen und Pommes vom Imbiss an der Ecke nach dem Fußballtraining). „Manche Eltern sind sehr sensibel für die umzugsbedingten Sorgen und Nöte ihrer Kinder, doch viele stecken selbst so sehr im Umzugsstress, haben Zukunftsängste oder leiden unter den Umständen, die die räumliche Veränderung notwendig machen, dass sie die Perspektive der Kleinen nicht primär im Blick haben“, erzählt Dieter Buck aus 25jähriger Erfahrung als Geschäftsführer der Hamburger huckepack GmbH. Seine Firma hat bei Umzügen seit jeher ein besonderes Augenmerk auf die Interessen der Kinder und bietet auf ihrer Website diesbezüglich Tipps und Informationen.

Das gewohnte Umfeld verlassen: Eine emotionale Achterbahnfahrt für Kinder

Der Umzugsexperte stellt immer wieder fest, dass noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden muss. Er hält es für sinnvoll, das Thema in Kindergärten und Schulen zu behandeln, weil durch Migration und die heutzutage geforderte räumliche Flexibilität im Beruf viele Kinder in jungen Jahren mit Umzügen oder zugezogenen Spielkameraden konfrontiert werden. Mit dem spezialisierten Service seiner huckepack GmbH leistet Buck einen eigenen Beitrag zur Sensibilisierung der Eltern. „Wir tun, was wir können, um die Kinder mit einzubeziehen und den Umzug für sie zu einer nachvollziehbaren und möglichst angenehmen Erfahrung zu machen“, so der Hamburger Geschäftsmann. Das bedeutet konkret, dass er sein Team anhält, die Kinder nicht als Störenfriede zu betrachten, die nur im Weg herumstehen, sondern den Kontakt zu ihnen zu suchen. „Wenn ich bei einem Lokaltermin in die Privatsphäre eines Kinderzimmers eindringe und Bemerkungen darüber mache, wie die Möbel zu verpacken sind, kann das auf die Kleinen bedrohlich wirken. Also versuche ich, sie in ein Gespräch zu verwickeln und ihnen zu erklären, warum ich hier bin. Da entwickeln sich aufschlussreiche Dialoge!“ Am Umzugstag selbst dürfen die Kinder mit ins Führerhäuschen des Lastwagens klettern, ein Erlebnis, das aus Abschiedstränen ganz schnell Abenteuerlust werden lässt. Zudem verleiht die huckepack GmbH kostenlos Bilderbücher an ihre Kunden (Buchtipps siehe unten), in denen die emotionale Achterbahn, die für Kinder mit einem Umzug einhergeht, thematisiert wird.

Wie Kinder den Umzug verkraften, hängt auch vom Alter ab

Es ist nicht leicht einzuschätzen, wie der Nachwuchs diesen Einschnitt im Leben wegstecken wird. Kinder reagieren sehr unterschiedlich, je nach Charakter, Alter, Entfernung zwischen der alten und neuen Heimat und je nachdem, ob das neue Umfeld sich so sehr vom gewohnten unterscheidet, dass es einen regelrechten „Kulturschock“ auslöst. Unter Dreijährige sind meist nach kurzer Eingewöhnung überall glücklich, wo die Familie glücklich ist, Kindergarten- und Schulkinder haben bereits ein eigenständiges Leben und tun sich schwerer. Manche Jungen und Mädchen nehmen die Ereignisse kommentarlos zur Kenntnis und machen ihren Abschiedsschmerz mit sich selbst aus, andere haben einen großen Gesprächsbedarf (oft jedoch in mehreren kurzen Einheiten) oder lassen die Tränen laufen, aber es kann auch zu einer behandlungsbedürftigen Anpassungsstörung kommen. Davon betroffene Kinder verhalten sich noch längere Zeit nach dem Umzug auffällig: sie schlafen oder essen schlecht, weinen viel, bettnässen, lutschen wieder am Daumen, verfallen zurück in die Babysprache, sind plötzlich überängstlich, hyperaktiv, trotzig oder aggressiv. Doch dem lässt sich mit einer ordentlichen Portion Einfühlungsvermögen vorbeugen.

Eine Krise für die ganze Familie

„Ein Umzug ist für die ganze Familie eine Krise. Man verliert etwas Liebgewordenes, ohne dafür sofort einen adäquaten Ersatz geboten zu bekommen“, resümiert Anke F. (40), Mutter eines Sohnes (6) und einer Tochter (3), ein halbes Jahr nach dem Heimatwechsel von Hamburg nach München, „Doch rückblickend habe ich mehr für meine Kinder gelitten als sie selbst, und weiß jetzt: Man sollte ihnen einfach zutrauen, diese Herausforderung zu meistern.“ Die Kleinen nicht in Watte packen, sondern ehrlich zu ihnen sein – das war von Anfang an das Rezept der freiberuflichen Schreibtrainerin. Sie selbst ist als Kleinkind mit drei und vier Jahren zweimal umgezogen, musste mehrere Kitawechsel durchmachen und ihre beste Freundin zurücklassen – Ereignisse, an die sie keine gute Erinnerung hat. Für die 40jährige Wahlmünchnerin dennoch kein Grund, ihre eigenen Kinder von einem Umzug zu verschonen, sondern ein Ansporn, es ihnen leichter zu machen: „Wir haben schon Monate vor dem Umzug mit Robin darüber gesprochen und ihm unsere Gründe erklärt. Wir haben ihm vermittelt, dass es okay ist zu weinen, wenn er traurig ist, dass sein bester Freund nicht mitkommen kann. Und wir haben nie versucht, ihm die Sache schönzureden, sondern ihm offen erklärt, dass in München alles neu für uns sein und sich anfangs komisch anfühlen wird.“ Und so war es dann auch. In den ersten zwei Monaten, als die Kinder während der Sommerschließzeit der neuen Kita zwischen Kisten und gestressten Eltern zu Hause saßen, stritten und langweilten sie sich, fühlten sich einsam. „Doch mit dem ersten Tag in der neuen Kita war es, als sei ein Schalter umgelegt worden“, lacht Anke F., „Alles war gut. Robin hat sofort zwei neue Freunde gefunden.“

Bewusst gemeinsam Abschied nehmen

Beim Umziehen an die Seelen der Kinder zu denken, heißt auch, als Erwachsener selbst vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken und dem Nachwuchs so ein Vorbild zu sein. Es gibt – neben der Liebe zu allem Gewohnten und Vertrauten – eine zweite, nicht minder starke Kraft in der Kinderseele, und das ist die Neugier auf alles Neue, die vorurteilsfreie Bereitschaft, sich für alles Unbekannte zu interessieren. Und diese Kraft können Eltern stimulieren, aber bitte erst nach einem heilsam ausgelebten Abschied. Die große Party mit allen Freunden, bei der jeder einen liebevoll gestalteten Flyer mit der neuen Adresse und Telefonnummer bekommt, ist ebenso wichtig wie ein Auf-Wiedersehen-Kuchen für den Kindergarten und der letzte bewusste Gang durch die Wohnung ("Tschüss Küche! Tschüss Kinderzimmer!"). Am Umzugstag selbst findet es Dieter Buck besonders wichtig, dass die Kinder den Umzugsprozess in allen Phasen miterleben dürfen: „Die meisten Kunden bringen den Nachwuchs ein paar Tage zu den Großeltern und holen ihn dann später in die fertig eingerichtete neue Wohnung nach. Das halte ich für falsch. Meiner Erfahrung nach verkraften Kinder die Veränderung besser, wenn sie zusehen dürfen wie der Möbelpacker die Kiste mit den Spielsachen abholt, sie in den Transporter stellt und später wieder auslädt. Kinder, die mit anpacken oder kleine Einrichtungsentscheidungen treffen dürfen, erleben das stolze Gefühl: Ich habe zu diesem Umzug beigetragen, ich bin Teil des Ganzen, es ist nicht über meinen Kopf hinweg passiert.“ Spielsachen sollten übrigens zuletzt eingepackt und zuerst ausgepackt werden, ein Rucksack mit Kuscheltier, Lieblingsbuch, Proviant und Wechselwäsche immer in der Nähe des Kindes sein.

Und dann nach vorne schauen

Ist der Umzug erst gelaufen, gilt es, nach vorne zu schauen: Wie lässt sich die Ankunft in der neuen Heimat möglichst sanft und positiv gestalten? Während es gerade für die unter Dreijährigen wichtig ist, dass alle Möbel und Spielsachen mitkommen und ihr Kinderzimmer möglichst genauso aussieht wie vorher, freuen sich Schulkinder auf das neue zu Hause, wenn dort endlich das heiß ersehnte, nigelnagelneue Hochbett steht und die Kinderzimmerwände in einer selbst ausgesuchten Knallfarbe erstrahlen. Während unter Dreijährige erst einmal die nächste Umgebung kennen lernen und den schönsten Spielplatz in Fußweite suchen möchten, freuen sich größere Kinder über Unternehmungen, die in der alten Heimat nicht möglich waren (Ausflug ans Meer oder in die Berge, in ein spannendes Museum oder Spaßbad, Ausprobieren einer neuen Sportart). Kinder jeden Alters finden schneller Anschluss, wenn sie ihre neuen Freunde aus Kindergarten und Schule bald nach Hause einladen dürfen.

Eine wichtige Lektion: Gewohntes loslassen

Ist die Eingewöhnungszeit erst überstanden und der Umzug soweit verdaut, haben die Kinder einige wichtige Lektionen fürs Leben gelernt. Zum Beispiel, dass sich Freundschaften auch über die Distanz erhalten lassen. „Wir haben uns eine Webcam gekauft und Skype installiert, sodass Robin Videotelefonie mit seinem besten Freund aus Hamburg machen kann“, ermutigt Anke F., kreative Lösungen zu finden, „Wir schicken ihm Postkarten und zu Robins Geburtstag kam er uns besuchen.“ Wer schon als Kind übt, Kontakte zu pflegen, Gewohntes loszulassen und sich anderswo neu zu integrieren, wird als Erwachsener im Beruf und Privatleben einen Vorteil daraus ziehen.

Im Familienhandbuch des Staatsinstituts für Frühpädagogik (www.familienhandbuch.de) schreibt die Pädagogische Organisationsberaterin und Ratgeberautorin Petra Stamer-Brandt: „Flexibilität gehört schon heute zu den Schlüsselqualifikationen und sie wird in Zukunft immer größere Bedeutung gewinnen. Unsere Kinder müssen auf ein wechselhaftes Leben eingestellt sein. Sie werden, wie es schon jetzt bei fast 50 Prozent der Großstädter der Fall ist, von Scheidung betroffen sein, den Job wechseln, in eine andere Stadt umziehen und vom Arbeitgeber zum Sprachkurs oder in Arbeitslosigkeit geschickt werden. Ein Wandel dieser Entwicklung ist bei zunehmender Globalisierung und Technisierung nicht in Sicht.“ Dieter Buck hat seine Kindheit auf dem Bauernhof der Eltern verbracht, ohne jemals „verpflanzt“ zu werden, und er hat sich aus dieser Erfahrung heraus seinem eigenen Sohn zuliebe gegen einen Umzug vom Dorf in die Nähe seiner Firma in Hamburg entschieden. Der Neunjährige wollte seinen Fußballverein nicht aufgeben und Buck hat Verständnis gehabt. Dennoch will er Umzüge in der Kindheit nicht verdammen: „Es ist vor allem wichtig, dass im Elternhaus Harmonie herrscht. Wenn dort zum Beispiel wegen Arbeitslosigkeit Spannungen entstehen, ist es für die Kinder die bessere Alternative, sich der Herausforderung eines Umzugs zu stellen, damit die ganze Familie an einem anderen Ort glücklich werden kann.“

Bilderbücher zum Thema Umzug mit Kindern

„Jette zieht um“ von Martina Baumbach (Thienemann Verlag, 12,90 Euro)

Ein großes, buntes Bilderbuch mit viel Text, empfohlen für 4- bis 5jährige. Die Geschichte umfasst die Zeit von der Ankündigung der Eltern „Wir ziehen um!“ bis zum Ende der ersten Woche im neuen Heim. Es werden neben Gefühlen wie Verlorenheit und Unsicherheit viele verschiedene Aspekte thematisiert: der Abschied von der besten Freundin und dem Kindergarten, der erste Besuch im leeren neuen Haus, das Chaos am Umzugstag, Streit und Tränen in der Woche danach, der Start im neuen Kindergarten und die aufregenden Dinge, die man in der neuen Heimat erleben kann. Natürlich mit Happy End: Jettes Lieblingstasse, die beim Umzug verschwunden war, taucht wieder auf! Rundherum empfehlenswert, besonders für Mädchen, denn Jettes kleiner Bruder Nils taugt, weil er noch ein Baby ist, nicht als Identifikationsfigur für Jungs.

„Lea zieht um“ von Maria Blazejovsky (Jungbrunnen Verlag, 13,90 Euro)

Für Lea ist das Umziehen besonders hart, denn sie wohnt mit Mama und Papa bei Oma und Opa in einem kleinen Haus mit Garten. Da will sie natürlich nicht weg, auch wenn es recht eng ist und auch wenn ihr für das neue zu Hause ein eigenes Zimmer und ein nahe gelegenes Schwimmbad in Aussicht gestellt werden. Die Geschichte behandelt die Gründe für den Umzug, die Vorbereitungen, den Umzug und den ersten Tag im neuen Heim. Das Happy End kommt dann recht schnell, denn Lea erlebt gleich so viele schöne Sachen und so viele positive Eindrücke von ihrem neuen Umfeld, dass sie ihre Vorbehalte vergisst und der Oma sagt, sie fühle sich wohl. Das ist in diesem Tempo vielleicht nicht ganz realistisch, macht den kleinen Lesern aber Mut. Empfohlen für 4- bis 5jährige.

„Jan und Julia ziehen um“ von Margret Rettich (Oetinger Verlag, 6,50 Euro)

Obwohl die „Jan und Julia“-Serie schon fast 40 Jahre alt ist, wirken die Bücher auch heute noch faszinierend auf Kinder, die mit einer ordentlichen Prise Humor direkt in ihrer Erlebniswelt abgeholt werden. So auch hier: Jan und Julia ziehen um, und zwar von einer Wohnung, von deren Balkon aus sie einen Ausblick auf Baukräne und Fabrikschornsteine haben, in eine Wohnung über einem grünen Hof mit Sandkasten. Logisch, dass es dort schöner ist! Jan und Julia werden auch nicht – wie viele Kinder in der Realität – beim Babysitter untergebracht und vom Umzugsgeschehen abgeschirmt, sondern sie dürfen dabei sein: bei der Suche nach einer neuen Wohnung, beim Einpacken der Sachen, beim Umzug mit den Möbelleuten und beim Einrichten des eigenen Zimmers. Klar, dass sie umziehen ganz schön interessant finden. Dieses Buch ist auch schon für Kleinkinder ab ca. 2 Jahren geeignet.

„Conni zieht um“ von Liane Schneider (Carlsen Verlag, nur noch gebraucht, z.B. über Ebay)

Diesmal soll die kleine Conni, die in der Pixiebuch/Lesemaus-Serie schon so allerhand erlebt hat, umziehen. Und sie reagiert wütend auf die Ankündigung: Umziehen? Kommt überhaupt nicht in Frage! Doch dann siegt die kindliche Neugier. Vielleicht… ist das neue Haus ja doch gar nicht so schlecht. Schön erzählt und illustriert wie alle Conni-Bücher.

„Wie ist das? Wir ziehen um“ von Regine Götz (Favorit Verlag, 3,50 Euro)

Bilderbuch mit sehr wenig Text für die ganz Kleinen, in dem nicht die seelischen, sondern die praktischen Erfahrungen thematisiert werden: Kisten packen, die Möbelpacker kommen und los geht’s!

„Hier ist alles irgendwie anders: Stefan zieht um“ von Georg Bydlinski (Betz Verlag, 10,95 Euro)

Hier geht es trotz des Titelbilds voller Kisten und Kartons nicht um die Vorbereitungen oder den Umzugstag selbst, sondern um die Zeit danach: die Gefühle und Erlebnisse im neuen Umfeld. Wie findet man neue Freunde, wie geht man mit der Sehnsucht nach alten Freunden um, wie findet man sich in der neuen Umgebung zurecht? Pluspunkt: Hier zieht im Gegensatz zu den meisten anderen Büchern mal ein Junge um! Empfohlen für 3- bis 5jährige.