Fünf Fallen, die du vermeiden kannst

Starthilfe für Patchworkfamilien

Aller Anfang ist schwer, besonders für Familien, die sich mit neuen Partnern erst finden müssen. Fünf Jahre geben Experten Patchwork-Familien, bis sie zu einer Einheit zusammengewachsen sind. Wie der Alltag gelingen kann? Indem du die fünf Fallen des Patchwork-Alltags kennst.

Autor: Maja Roedenbeck

Patchworkfamilie: Probleme und Strategien im Alltag

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Patchworkfamilien (also getrennte/verwitwete Elternteile mit ihren Kindern, einem neuen Partner und möglicherweise seinen oder gemeinsamen Kindern) sind längst nichts Exotisches mehr: Jede siebte Familie in Deutschland ist „zusammengeflickt“ und immer mehr Prominente von Heidi Klum bis zu den Pitt-Jolies leben uns dieses Modell vor. Ein Erfolgsrezept für Patchworker hat sich trotzdem noch nicht herumgesprochen, muss Psychologin Katharina Grünewald, die als Beraterin für Patchworkfamilien arbeitet und zu diesem Thema auch forscht (www.patchworkfamilien.com), ernüchternd resümieren: „Eine konkrete Vorstellung davon, wie eine Patchworkfamilie funktionieren kann, ist noch nicht in unserer Gesellschaft angekommen. Als Orientierung gebendes Leitbild funktioniert unbewusst immer noch das Modell der Kernfamilie."

Du bist auch Teil einer Patchworkfamilie? Welche Erfahrungen hast du gemacht? Diskutiere mit in unserem Forum Patchworkfamilien.

Die Folge: Viele Patchwork-Anwärter haben zwar lauter gute Vorsätze, tappen aber, wenn es ernst wird, oft in dieselben Fallen wie viele andere Patchworkfamilien vor ihnen. Doch Katharina Grünewald macht Mut: „Es lässt sich zwar nicht verhindern, dass die Beteiligten beim Zusammensetzen einer Patchworkfamilie an ihre Grenzen stoßen, aber wenn sie sich darauf vorbereiten, können sie die Probleme im Zusammenleben effektiver angehen.“ Lassen wir uns die Heimtücken des Patchworkalltags also einmal von verschiedenen Experten erklären und Strategien aufzeigen, wie sie zu nehmen sind:

Falle 1: Konfliktherde unterschätzen

Wenn die Trennung vom Expartner verarbeitet ist, kommt irgendwann eine neue Liebe mit Zukunft ins Spiel. Ein tolles Gefühl! Doch in Falle 1 tappt in dieser Phase, wer jetzt vor lauter rosaroter Glückseligkeit glaubt, ausgerechnet er werde mit seiner Patchworkfamilie von Problemen verschont bleiben. „Gerade am Anfang besteht die Gefahr, vieles zu leicht zu nehmen. Verstecken Sie sich nicht hinter einem wohlmeinenden ‚Das kriegen wir schon hin’. Vermeiden Sie es, die Unterschiede zwischen der bisherigen Lebensführung Ihres Partners und Ihrer eigenen zu verharmlosen“, mahnt Ratgeberautorin Stefanie Glaschke („Unsere Patchwork-Familie“). Denn Fakt ist: Auch nach einem unerwartet glatten Start ins Patchworkleben, den die Kinder erstmal abwartend mitgemacht haben, können und werden sich die Abgründe nach und nach auftun. Revierkämpfe unter den Stiefgeschwistern, Organisationsschwierigkeiten mit den Expartnern, unvereinbare Rituale an den Festtagen – es gibt einfach zu viele potenzielle Konfliktherde. Besser, man ist darauf vorbereitet. Stefanie Glaschke, die auch als psychologische Beraterin tätig ist, plädiert für einen wohlüberlegten Start ins Patchworkleben, wenn’s sein muss auf Kosten der Romantik. Dazu gehören ein vorsichtiges Einführen des neuen Partners mit Anhang in die Familie und ausführliche Vorgespräche zwischen den künftigen Patchworkeltern. Erziehungs- und Ernährungsfragen, Familiengewohnheiten und Regeln für das Mitbringen von Gästen sollten diskutiert werden, damit es nach dem Zusammenziehen kein böses Erwachen gibt. Journalistin Barbara Link, die ebenfalls einen Ratgeber zum Thema verfasst hat („Moderne Familienformen“), beschreibt die ungeklärten Alltagskonflikte der Startphase als tickende Zeitbombe: „Das neue Paar ist hin und her gerissen zwischen Gewohnheiten und Kompromissen, zwischen Regelwerk und Laisser-faire. Wie immer hilft auch hier – reden! Und zwar bald. Denn aus jenen ersten Unsicherheiten werden nach dem ersten Streit gern bis aufs Messer zu verteidigende Gewohnheitsrechte.“

Auch Erziehungsexperte Jan-Uwe Rogge hat in diesem Video Tipps für dich, falls es in deiner Patchworkfamilie oft Streit gibt:

Falle 2: Unrealistische Ziele setzen

Das A und O bei den Vorgesprächen und beim Schmieden von Zukunftsplänen ist es jedoch, realistisch zu bleiben. Falle 2 in der Startphase des Patchworklebens sind nämlich zu hoch gesteckte Erwartungen des neuen Elternpaars. Wie oft hören Familienberater die eher verzweifelten als hoffnungsvollen Worte: „Ich will meine Stiefkinder genauso lieben wie meine eigenen!“, „Ich will in der zweiten Ehe alles perfekt machen!“, „Ich will noch mal ganz von vorne anfangen!“ Doch solche Vorhaben sind unrealistisch und stressen nur. Die Gefühle für die eigenen und die Stiefkinder werden in den allermeisten Fällen unterschiedlich sein und bleiben, und das ist auch völlig okay. Ganz von vorn anfangen – wie soll das gehen, wenn jeder seine Vorgeschichte mitbringt und die auch nicht einfach ablegen kann? Und wie fatal Perfektionismus sein kann wissen wir von Experten, die berichten, dass gerade Perfektionisten besonders gefährdet sind, an dem selbst aufgebauten Druck zu zerbrechen – bis hin zum Burnout. Sinnvoller ist es also, mit seinen Erwartungen realistisch zu bleiben und sich erreichbare Zwischenziele auf dem Weg zu einer funktionierenden Patchworkfamilie zu setzen: Jetzt kümmern wir uns erstmal um eine größere Wohnung, in der jeder genug Freiraum hat, und dann organisieren wir einen Babysitter, damit wir Eltern einmal im Monat einen romantischen Ausgehabend einlegen können. „Eine ‚Politik der kleinen Schritte’ kann helfen“, weiß Barbara Link, „Die Situation kann sich schon durch Lösungen für konkrete Detailprobleme entspannen. Das große Ganze braucht Zeit.“

Falle 3: Neue Beziehungen undefiniert lassen

Ein wichtiger Schritt ist es, die Beziehungen zwischen den zusammengewürfelten Familienmitgliedern zu definieren. Patchworkeltern, die glauben, sie könnten ihren Stiefkindern eine zweite Mutter oder ein zweiter Vater sein, haben Falle 3 übersehen: Da die Stiefkinder bereits Eltern haben, kommt es so zu einer Konkurrenzsituation, in der das neue Elternteil nur verlieren kann, weiß Katharina Grünewald aus langjähriger Erfahrung. Da hilft es auch nicht, dem Stiefkind sein Lieblingsessen zu kochen oder teure Ausflüge in den Vergnügungspark zu unternehmen. „Ein Stiefkind wird der Stiefmutter keine Dankbarkeit und keine Liebe zeigen und auch nicht freiwillig ein Küsschen geben, weil das in seinen Augen ein Verrat an der eigenen Mutter wäre“, versucht die Kölner Psychologin zu vermitteln, „Und das ist leichter zu ertragen, wenn man weiß, dass man dem Stiefkind im besten Fall eine mütterliche Freundin oder eine Mentorin sein kann, die aufpasst, dass der Zögling sich gut entwickelt, die wohlwollend diesen Weg begleitet und auf Entwicklungssprungbretter aufmerksam macht!“

Neues und Altes muss seinen Platz haben

Falle 4: Veränderungen zu schnell einführen

Der Aufbau einer Patchworkfamilie ist für alle Beteiligten mit vielen Veränderungen im Alltag verbunden. Erwachsene können damit umgehen, schließlich haben sie sie aktiv herbeigeführt, doch auf Kinder wirken diese Veränderungen, die sie sich keinesfalls gewünscht haben, bedrohlich. Falle 4 wäre es, die Kinder damit zu überfallen und sich hinterher darüber zu wundern, dass sie sich in trotzige, biestige Giftzwerge verwandelt haben. „Kinder können Veränderungen am besten ertragen, wenn sie nicht das Gefühl haben müssen, dass gleich ihr ganzes Lebensgerüst einstürzt“, erklärt Expertin Katharina Grünewald. Ein sanfter Übergang in die neue Lebensphase bedeute für sie, auf das vorbereitet zu sein, was kommt („In zwei Wochen zieht Jörg bei uns ein und wird dann bei mir im Ehebett schlafen“), und versichert zu bekommen, dass eine gewisse Stabilität erhalten bleibt („Du darfst aber deinen Mittagsschlaf weiter im Ehebett halten und jeden Freitag machen wir einen Mutter-Kind-Tag, an dem wir zwei ganz alleine was unternehmen“).

Falle 5: Zu viel verändern wollen

Doch ganz gleich, wie sanft der Übergang gelaufen ist: Keiner der Beteiligten kann verhindern, dass es in einer Patchworkfamilie zu starken emotionalen Reibungen kommt. Die Teenagertochter mag ihren „Ersatzpapa“ nicht, die Mutter findet, das Trostbedürfnis der Stiefkinder klaue ihr die wohlverdiente Paarzeit, und Klein Emma vermisst nach dem Umzug in die patchworktaugliche Wohnung ihren alten Kindergarten. Falle 5 wäre an diesem Punkt, sich das Hirn über Dinge zu zermartern, die sich einfach nicht sofort ändern lassen, und an dieser unlösbaren Aufgabe zu verzweifeln. Die beschriebenen Gefühle sind vorhanden, sie sind „erlaubt“ und sollten akzeptiert werden. Stattdessen kann man seine Kraft lieber darauf verwenden, die Dinge zu ändern, die sich die ändern lassen. Es gibt so viele Reibungspunkte, an denen man ansetzen kann: Oft fühlen sich beispielsweise die Mitglieder der Patchworkfamilie, gerade die Kinder, mit ihren Bedürfnissen nicht ausreichend wahrgenommen. Immer wieder heißt es nur: Wir müssen Kompromisse finden! Wir müssen uns jetzt eben alle zusammenreißen! Und wo bleibe ich? Ratgeberautorin Stefanie Glaschke empfiehlt so genannte „Wunschtage“, an denen reihum jeder einmal bestimmen darf, wie sie gestaltet werden. So lernen die Familienmitglieder die Gewohnheiten und Vorlieben der anderen kennen und bekommen gleichzeitig Gelegenheit, Dinge einzufordern, die sie selbst vermissen. Weiterhin fehlt es oft an verbindenden Gemeinsamkeiten: „In einer Patchwork-Familie entwickeln sich seltener eigene Familienrituale“, bedauert Stefanie Glaschke, „Vielmehr sind bereits viele Rituale doppelt vorhanden. Trotzdem sollten Sie das eine oder andere miteinander teilen, bei dem Sie ganz unter sich sein können. Das stärkt den Zusammenhalt.“ Ob ein neuer Kinofilm, den man sich gemeinsam anschaut, oder ein Campingwochenende, wenn vorher noch nie einer im Zelt geschlafen hat – aus Gruppenerlebnissen werden gemeinsame Erinnerungen und daraus entsteht Teamgeist.

Patchworkfamilie: Tipps für den Aufbau einer stabilen Familienstruktur

Nach all diesen Tipps für ein besseres Zusammenleben in der Patchworkfamilie muss gesagt werden, dass nicht jeder von ihnen für jeden etwas taugt. Jede Patchworkfamilie ist ein individuelles Gebilde, die ihren eigenen Zusammenführungsprozess durchläuft und ihre eigenen Regeln braucht. „Trotz aller Schwierigkeiten einerseits erlebe ich es immer wieder, dass Patchworker in bestimmten Momenten intuitiv richtig handeln“, beruhigt aber Psychologin Katharina Grünewald, „Erleichterung erfahren viele, wenn sie den allgemeinen Eindruck ‚Unsere Patchworkfamilie steckt in der Krise’ in konkrete Fragestellungen und begreifbare Aufgaben aufgedröselt haben, die sie sich nacheinander vornehmen können.“ Tröstend wirke oft auch die Erkenntnis, dass Patchworkprobleme nicht von einem anderen Stern kommen. Es sind dieselben Probleme, die herkömmliche Familien auch erleben: z.B. starke Eifersuchtsgefühle in der Kennenlernphase, Nachwehen der Exbeziehung, Kleinkindphase und Pubertät des Nachwuchses. Nur dass diese Probleme in der Patchworkfamilie geballt auftreten. Das „work“ in Patchwork, also die Arbeit, wird darum nicht so schnell getan sein. „Etwa fünf Jahre mit Höhen und Tiefen dauert der Aufbau einer stabilen Familienstruktur. Wenn Sie ein Team geworden sind, werden Sie und die Kinder erheblich älter als heute sein“, hält Expertin Stefanie Glaschke den Betroffenen vor Augen. Und die Pädagogin Dorothee Döring ergänzt in ihrem Ratgeber „Glückliche Patchwork-Kinder“: „Wer diesen Entstehungsprozess eines Patchwork-Familiensystems beschleunigen will und vorschnell auf Normalität und Harmonie drängt, überfordert damit nicht nur den Partner und die Kinder, sondern meist auch sich selbst.“ Gefordert sind also eine ordentliche Portion Geduld, Durchhaltevermögen und Optimismus!

Zum Weiterlesen:

Hier geht’s zu einer Liste mit Ratgebern für Patchworkfamilien und Kinderbüchern über Patchworkfamilien, die urbia-Autorin Maja Roedenbeck sich für dich angeschaut hat.