Worte, die Kinder ein Leben lang verfolgen

Was Eltern niemals sagen dürfen

Oh, wie bist du ungeschickt! Wenn ein Kind Sätze wie diesen häufig hört, leidet sein Selbstbewusstsein und es verliert mit der Zeit den Mut. Eltern sollten derartige "Bannbotschaften" daher unbedingt vermeiden.

Autor: Dr. Andrea Schmelz

Bannbotschaften rauben Kraft und Neugier

Was Eltern niemals sagen dürfen Vater Tochter
Foto: © fotolia.com/Halfpoint

"Lass mich das machen, du bist immer so ungeschickt!" kann für ein Kind eine Hypothek fürs ganze Leben bedeuten. Egal wie kompetent es als Erwachsener einmal sein wird: Es hat immer noch diesen Satz im Kopf, der es als selbsterfüllende Prophezeiung am Erfolg hindert.
Worte sind mächtig und können verletzen. Manche sind sogar so mächtig, dass sie uns als Bannbotschaften das ganze Leben verfolgen. Den Begriff Bannbotschaften prägte die Psychotherapeutin Sabine Unger für Sprüche und Gedanken aus der Kindheit, die sich wie ein böser Bann über einen Menschen legen. Sätze wie "Das macht man nicht!", "Lass das, das geht sonst bloß wieder schief!", "Das schaffst du nie!" oder "Mädchen machen so was nicht!" kennt jeder von uns. Und solche Sätze nisten sich im Kopf ein und rauben uns Kraft, Mut und Energie. Sie untergraben unser Selbstbewusstsein und lähmen Neugier und Fantasie.

Eltern sagen die Wahrheit und haben Recht

Das glaubt zumindest dein Kind. Wenn es dann Sätze wie "Mathematisch bist du völlig unbegabt" oder "Kannst du denn gar nichts richtig machen?" immer wieder hört, dann glaubt es daran. Viele dieser Botschaften brennen sich ins Unterbewusstsein ein und wirken dort als Erfolgsverhinderer.

Häufig verfolgt uns dieser Glaube das ganze Leben lang. Selbst wenn Erwachsene, ganz objektiv betrachtet, diese Botschaften als falsch entlarven können sollten: Die Bannbotschaft wirkt, da hat alles andere keine Chance mehr. Man kann einem Menschen dann noch so oft sagen, dass er gut ist oder etwas gut kann – er wird es nicht glauben!

Die Macht des Wörtchens 'immer'

Sicher kennst auch du Sätze wie "Immer lässt du dein Spielzeug rumliegen" oder "Nie kann man sich auf dich verlassen". Sie sind ungerecht und – genaugenommen – völlig übertrieben, denn niemand macht etwas wirklich "immer" bzw. "nie". Außerdem wirken solche Sätze entmutigend. Wenn man es doch immer nur falsch macht, dann braucht man sich doch gleich gar nicht mehr zu bemühen, oder? Irgendwann geht das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten möglicherweise ganz verloren. Auch bei späteren Fehlern und Misserfolgen wird das Kind verstärkt die Schuld bei sich suchen, statt auch einmal widrige äußere Umstände dafür verantwortlich zu machen.

Wie sich die Bannbotschaft festsetzt

Bannbotschaften können Kindern überall begegnen: im Kindergarten, in der Schule, unter Freunden. Die meisten werden jedoch, häufig unwissentlich oder gar mit der Absicht, das Kind vor Schaden zu bewahren, von den Eltern ausgesprochen.

Die Botschaften können z. B. lauten:

  • "alte Heulsuse" unter Kindergartenkindern
  • "so ein unsportliches Kind wie dich habe ich schon lange nicht mehr in einer Klasse gehabt" vom Sportlehrer
  • "Du fällst da noch runter! Die Rutsche ist zu hoch für dich" von der Mutter

Hört ein Kind solche Vorwürfe und Ermahnungen immer wieder, untergraben sie sein Selbstbewusstsein. Es verliert den Mut und fühlt sich als Versager. Es traut sich nichts mehr zu und vermeidet neue Herausforderungen aus Angst erneut zu versagen. So gerät es in einen Teufelskreis: Es traut sich nichts zu und probiert sicherheitshalber nichts Neues aus. So kann es keine neuen Fähigkeiten erwerben und keine Erfolgserlebnisse sammeln. Es wird deswegen immer öfter scheitern. Irgendwann ist sein Selbstbewusstsein so tief gesunken, dass es schon an leichten Aufgaben verzweifelt. Psychologen bezeichnen das als "erlernte Hilflosigkeit".

Sinnsprüche, die alles andere als sinnvoll sind

Es gibt eine ganze Reihe von Lebensweisheiten, die häufig zitiert werden. Trotzdem können manche davon einem Kind schaden, weil sie "Tugenden" beinhalten, die man seinem Kind vermutlich gar nicht wünscht. Hier ein paar Beispiele, wie die Botschaft im Klartext lautet:

  • "Wer hoch hinaus will, der fällt auch tief", bedeutet: Jede Herausforderung birgt das Risiko, dass etwas dabei schief geht. Drum probier es lieber erst gar nicht.
  • "Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um", bedeutet: Geh nur kein Risiko ein, selbst wenn es dich weiterbringen könnte.
  • "Ein Indianerherz kennt keinen Schmerz", bedeutet: Behalte deine Gefühle lieber für dich, um nicht für schwach oder verletzlich gehalten zu werden.
  • "Schuster, bleib bei deinen Leisten", bedeutet: Mache nichts, was du nicht von der Pike auf gelernt hast. Neuen Dingen bist du nicht gewachsen.
  • "Müßiggang ist aller Laster Anfang", bedeutet: Schufte ohne Pause, denn Ausruhen ist bloß ein anderes Wort für Faulheit.
  • "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold", bedeutet: Du handelst dir nur Unannehmlichkeiten ein, wenn du den Mund aufmachst. Sei bescheiden, dann kommst du weiter.

Die sich selbst erfüllende Prophezeiung

Hat sich eine Bannbotschaft wie "Das geht sowieso schief. Mir gelingt eben nie etwas" erst einmal im Kopf festgesetzt, führt sie dazu, dass sich das Kind – oder der Erwachsene – unbewusst auch entsprechend verhält. Es ist unsicher, sucht bei anderen stets nach Zeichen von Kritik oder Missbilligung ("Der Lehrer guckt schon so zweifelnd"), erinnert sich nur an frühere Missgeschicke, während ihm Erfolge gar nicht in den Sinn kommen. Wen wundert's, dass über kurz oder lang wirklich etwas schief geht, sich die Prophezeiung also (wieder) selbst erfüllt und damit erneut bestätigt.

Bannsprüche als Selbstschutz und Ausrede

Bannbotschaften können manchmal auch bequem sein, wenngleich sie immer das Potenzial des Kindes oder Erwachsenen lahm legen. Ein überzeugtes "Ich kann das sowieso nicht" schützt vor Misserfolgen, denn wer nichts versucht, kann auch nicht scheitern. Ein "Ich bin in Mathe einfach eine Niete" ist eine stilvolle Ausrede nach der verhauenen Mathearbeit. Denn man braucht sich auch gar nicht erst anzustrengen und Mathe zu pauken, weil das Ergebnis schon vorher feststeht. So verliert ein Kind (bei Mathe sind es eher Mädchen, während den Jungen oft die Kompetenz in Deutsch und bei Fremdsprachen abgesprochen wird) von vornherein jede Motivation.

Bannbotschaften aus der Erziehung verbannen!

Eltern sind auch nur Menschen und so gibt es immer wieder Situationen, in denen ihnen aus Ärger oder Zorn mal etwas herausrutscht, das sie nachher bereuen. Doch keine Sorge! So lange es sich dabei um vereinzelte Ausrutscher handelt, stecken seelisch stabile Kinder, die sich von ihren Eltern geliebt wissen, diese Tiefschläge unbeschadet weg. Manchmal ist es sinnvoll, einem größeren Kind zu erklären, warum man in dieser Situation so ungehalten reagiert hat. Auch eine Entschuldigung kann vieles wieder gutmachen – wenn sie ernst gemeint ist und nicht zu häufig gebraucht wird. Ansonsten nutzt sie sich nämlich ab.

Mit den folgenden drei Schritten verbannst du Bannbotschaften an dein Kind:

  • 1. Mache dir bewusst, wie du mit deinem Kind sprichst. Gibt es da offensichtliche oder versteckte Bannbotschaften? Machst du manchmal abfällige Kommentare wie "Typisch Lena! Kann natürlich wieder nicht ohne zu verschütten Milch eingießen!" oder Vergleiche wie "Nimm dir mal eine Beispiel an deinem Bruder. Der kann ja auch bei Tisch stillsitzen."? Vielleicht erstellst du sogar eine Liste.
  • 2. Überlege dir, warum du diese Bannbotschaften aussprichst. Was ließ dich in einer bestimmten Situation so gereizt reagieren? Warst du enttäuscht von deinem Kind? Warum? Hat eine bestimmte Situation dich an deine eigene Kindheit erinnert? Bist du unterschwellig enttäuscht, weil du dir immer ein kontaktfreudiges Kind gewünscht hast, dein Sohn aber schüchtern und schweigsam ist?
    Ein Tipp: Jeder Mensch trägt sein Päckchen an Bannbotschaften, schlechten Erfahrungen und unerfüllten Träumen mit sich herum. Überlege dir einmal, was in deinem Päckchen alles enthalten ist. Wenn du dir das bewusst machst, wird es dir leichter fallen, diese negativen Gefühle nicht auf dein Kind zu übertragen. Denn die Botschaften, die du an dein Kind weitergibst, liegen oft weniger in der Person oder dem Verhalten deines Kindes begründet, sondern vielmehr in deiner eigenen Vergangenheit.
  • 3. Überprüfe das Kommunikationsverhalten in deiner Familie. Wie sprichst du mit deinem Kind? Würdest du so auch mit Bekannten oder Freunden sprechen? Manchmal hilft ein gezielt eingesetzter, höflicher Umgangston, um mit weniger Stress und mehr Freundlichkeit sogar mehr bei deinem Kind zu erreichen.

Verhängnisvolle Sätze, die Kindern schaden

Hüte dich vor den folgenden Sätzen. Sie wirken wie "verbale Ohrfeigen" und verunsichern und verängstigen ein Kind:

  • "Ich will dich nicht mehr sehen!" oder "Jetzt hab ich dich nicht mehr lieb!" Ohne deine Liebe ist dein Kind hilflos, deswegen sind Sätze wie diese derart bedrohlich. Wenn du deinem Kind eine Auszeit verordnest, tue das bitte mit neutralen Worten: "Du gehst jetzt in dein Kinderzimmer, bis du dich wieder beruhigt hast!"
  • "Du bist (selbst) schuld!" Das Wort "Schuld" ist ein sehr harter Begriff. Kinder neigen ohnehin dazu, sich für alles Mögliche verantwortlich zu fühlen, z. B. sogar für die Scheidung der Eltern. Diese Tendenz solltest du durch Sätze wie diesen nicht noch verstärken. Und wenn etwas passiert ist: Wem hilft es, wenn am Schluss feststeht, wer schuld war?
  • "Du bist wie dein Vater/ deine Mutter!" Meist wird damit leider auf die negativen Eigenschaften des Partners angespielt. Kindern ist ein Satz wie dieser in den meisten Fällen unverständlich und hinterlässt nur ein ungutes Gefühl. Du kannst dein Kind allerdings gerne mit Aussagen wie „Ich habe damit früher auch oft Schwierigkeiten gehabt.“ oder „Dein Papa ist auch keine Sportskanone. Dafür kann er sehr geschickt kaputte Dinge wieder reparieren.“ trösten, wenn etwas schiefgegangen ist oder ihm etwas schwer fällt.
  • "Ich hab dir ja gleich gesagt, dass du das nicht kannst!" oder "Dafür bist du zu klein/zu ungeschickt/zu schusselig" Sätze wie diese nisten sich schneller im Kopf ein als einem lieb ist. Formuliere lieber positiv: "Versuch es mal. Wenn es nicht gleich klappt, macht es auch nichts." oder "Wenn du mich brauchst, helfe ich dir gerne."
  • "Ich hab jetzt keine Zeit!", "Ich habe Wichtigeres zu tun!", "Das interessiert mich nicht!" oder "Lass mich bloß mit deinem Kram in Ruhe!" Sätze wie diese signalisieren deinem Kind, dass es dir unwichtig bzw. andere Dinge viel wichtiger sind. Hört es sie häufiger, untergräbst du massiv das kindliche Selbstbewusstsein. Formuliere lieber positiv: "Ich muss jetzt eben telefonieren. Aber dann setzen wir uns zusammen aufs Sofa und du erzählst mir das ganz genau."
  • "Ich versteh dich nicht!“ oder "Wie du nur so ... sein kannst, kann ich wirklich nicht verstehen!" Überlege, wie du dich fühlen würdest, wenn dir jemand nachdrücklich sagt, dass er deine Art oder deine Handlungen nicht nur nicht gutheißt, sondern sie nicht mal verstehen kann.
  • "Aus dir wird nichts!", "Dumm geboren und nichts dazugelernt!" oder "Sag mal, wie dämlich kann man eigentlich sein?" Diese Sätze demotivieren ein Kind dermaßen, dass es bald noch nicht einmal mehr einen Versuch wagen möchte. Deshalb sollten derart negative Sätze wirklich tabu sein.

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Zum Weiterlesen: "Das schaffst du nie!" von Sabine Unger; Kreuz-Verlag 2004; 16,90 EUR. Dieses Buch ist jedoch kein Erziehungsratgeber, sondern beleuchtet die Wirkung von Bannbotschaften auf Erwachsene. Trotzdem empfehlenswert, da jeder Erwachsene solchen Ballast mit sich herumschleppt, und eine wertvolle Anregung, was du bei deinem Kind besser machen kannst.