Religiöse Erziehung

Kinder fragen nach Gott

Mütter und Väter kommen um die Beschäftigung mit religiösen Fragen nicht herum - auch wenn sie nicht gläubig sind. Denn ihre Kinder stellen irgendwann die Grundfragen des Lebens: Wer lässt die Blumen wachsen? Wo komme ich her?

Autor: Constanze Nieder

"Wer lässt die Blumen wachsen?"

Mutter Kind Kirche Gespraech
Foto: © iStockphoto.com, FrankyDeMeyer

Mitten im allabendlichen Gebet hält Hanna (vier Jahre) inne. Ganz leise fragt sie ihre Mutter: "Mama, kann uns Gott wirklich hören? Hat er so große Ohren? Ist Gott ein Mann oder eine Frau? Wann wurde Gott geboren?" – die Fragen sprudeln nur so aus ihr heraus. Die Mutter versucht, Antworten zu geben. "An manchen Tagen bombardiert sie mich regelrecht mit religiösen Fragen", schildert Sabine Kolzem-Wirth. Die Lehrerin gesteht: "Manchmal komm ich ganz schön ins Schleudern. Vor allem die Frage nach Gottes Geburtstag hat Hanna so beschäftigt, dass sie sie auch dem Pfarrer während des Kindergartengottesdienstes gestellt hat. Im nächsten Familiengottesdienst hat er sich auf Hannas Frage hin mit diesem Thema beschäftigt."

Ähnlich geht es vielen Eltern. Fragen wie "Papa, wo wohnt der liebe Gott?", "Warum kann das Christkind zu uns kommen, der Uropa aber nicht, der ist doch auch im Himmel?", "Gibt es Gott wirklich?", "Warum hat Gott die Oma sterben lassen?", "Wer lässt die Blumen wachsen?", "Warum wurde Jesus an das Kreuz genagelt?", werden von den Sprösslingen bereits im Kindergartenalter gestellt. Kinder stellen die Fragen auch dann, wenn in der Familie das Thema Religion bisher ausgespart blieb und die Eltern den Kirchenbesuch mieden.

Bedürfnis nach einem Schutzbegleiter

Kinder haben ein Grundbedürfnis nach Religion, auch dann, wenn sie aus einem keineswegs religiös geprägten Elternhaus kommen. Das stellte auch die Religionswissenschaftlerin Dr. Ilse Flöter in einer aktuellen Studie fest. Sie interessierte die Frage, welches Bild von Gott heutige Grundschüler haben, die ja häufig erst in der Schule mit diesem Thema konfrontiert werden. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit "Gott in Kinderköpfen und Kinderherzen", die sie im Fach Evangelische Theologie der Universität Oldenburg abgeschlossen hat, befragte sie 108 Grundschulkinder eines vierten Jahrgangs.

Über die Antworten war sie selbst sehr überrascht: "Alle befragten Kinder haben gesagt, dass es Gott für sie gibt. Sie hatten alle ein starkes Bedürfnis nach einem Schutzbegleiter. Es gab keine Äußerung, die negativ war." Erstaunt war Flöter auch darüber, wie bereitwillig die Kinder von ihrem Gottesbild erzählten. "Religion ist für viele nicht mehr so in. Wenn sie aber einen Anstoß bekommen, dann sprechen sie gerne darüber. Die Kinder bewegt das Thema und sie möchten etwas loswerden", beschreibt die Religionswissenschaftlerin ihre Erfahrungen bei der Untersuchung.

Entwicklungspsychologen und Psychoanalytiker wie beispielsweise Sigmund Freud, C.G. Jung oder Jean Piaget hätten Kindern schon vor 100, 50 oder 30 Jahren ein Grundbedürfnis nach Religion bescheinigt, erklärt die Religionswissenschaftlerin. "Woher komme ich?", "Wohin gehe ich?", "Warum können die Blumen nicht sprechen?", "Wer ist Gott?" … - Kinder fragen im wahrsten Sinne des Wortes nach Gott und der Welt; sie wollen Antworten auf alle Dinge und Vorgänge haben, die sie bewusst zur Kenntnis nehmen. Die Antworten der Eltern spielen bei der Bildung der eigenen Weltanschauung eine große Rolle.

Halt in schwierigen Zeiten

Wenn die Vermittlung von Religion einher geht mit einer liebevollen Erziehung, dann stärkt sie und gibt Halt, darüber sind sich Religionswissenschaftler, Pädagogen und Psychologen einig. Zu diesem Ergebnis kamen auch Wissenschaftler der Universität Tübingen im Rahmen einer Studie der "Stiftung Ravensburger Verlag". Demnach genießen Kinder von religiösen Eltern oder Großeltern als Jugendliche und Erwachsene einen guten Schutz vor Orientierungslosigkeit und können Krisen besser meistern. Der Erfolg hänge jedoch davon ab, welches Gottesbild den Kindern vermittelt werde. Überwiege eine autoritäre und destruktive Religionserziehung, dann könne dies auch negative Auswirkungen haben. Religiosität in der Familie könne Kindern sowohl Chance als auch Hindernis für eine geglückte Persönlichkeitsentwicklung bieten, je nach dem, welche Vorstellungen von Gott dem Kind vermittelt werden.

In diesen Zusammenhang passt auch das Ergebnis von Ilse Flöter. So erfuhren einige der befragten Kinder von frühester Kindheit an eine sehr rigide religiöse Erziehung von Elternhaus und Gemeinde. Flöter: "Sie waren sehr eingeengt. Sie kannten die Bibel fast in- und auswendig, haben aber nur nachbetet." Bei ihnen zeigte sich die Vorstellung eines bedrohlichen und Angst einflößenden Gottes. So kannten sie beispielsweise den Begriff "ewige Höllenqualen". Zum Beispiel ein Mädchen namens Lisa quälte sich mit dem Gedanken an ihre eigene Sündhaftigkeit: "Dann habe ich auf einmal gesehen, dass ich nicht richtig lebe als bekehrter Mensch, und dann habe ich mich geändert, und seitdem spür ich auch immer ganz plötzlich, dass ich Sünden getan habe."

Religion durch die Kinder neu entdecken

Viele Eltern, denen der Glaube oder zumindest die Kirchenzugehörigkeit im Lauf ihres bisherigen Lebens abhanden gekommen ist, entdecken durch ihre Kinder das Thema Religion von Neuem. Da ist zum Beispiel Karin Müller (Name geändert). Kurz nach der kirchlichen Trauung hatte sie mit ihrem Mann begonnen, ein Haus zu bauen. Das Geld war knapp und der Austritt aus der Kirche folgte: Um die Kirchensteuer einzusparen, aber auch, weil sie sich "in der Kirche nicht mehr zu Hause fühlten." Nachdem ihre knapp dreijährige Tochter aber zunehmend religiöse Fragen stellte, ist sie wieder in die Kirche eingetreten. "Julia soll auch getauft werden. Ich finde es wichtig, dass sie frühzeitig eine religiöse Erziehung erfährt. Wir haben sie auch in einem katholischen Kindergarten angemeldet." Auch Sabine Kolzem-Wirth ist es wichtig, frühzeitig Weichen für eine religiöse Erziehung zu stellen: Beide Töchter sind getauft und besuchen regelmäßig mit ihren Eltern den Familien- und Kindergottesdienst. Hanna und Caroline lieben es, Geschichten aus der Bibel zu hören und gemeinsam mit den anderen Kindern Kirchenlieder zu singen. Auch die Eltern fühlen sich in der Gemeinde gut aufgehoben und genießen die Gemeinschaft. Da ist in der Adventszeit beispielsweise das gemeinsame Schlagen und Aufstellen des Tannenbaums in der Kirche. Das habe schon Eventcharakter: Nach der Arbeit folge das Feiern bei einer wärmenden und stärkenden Gulaschsuppe.

Ganz andere Erfahrungen hat Anja Tillmanns (Name geändert) gemacht: "Kürzlich waren wir auf einer katholischen Kindtaufe. Lisa (zwei Jahre) sah vorne Jesus am Kreuz und sagte laut: 'Da vorne hängt einer. Warum hängt der da?' Einerseits mussten wir über die unverblümte Frage schmunzeln, andererseits war uns das auch peinlich, weil der Pfarrer und auch einige Kirchenbesucher uns mahnend anguckten." Auch der Besuch des Gottesdienstes in der eigenen Gemeinde war für Tillmanns eher enttäuschend: "Es wurden Phrasen abgedroschen, die nichts mit unserer Lebenssituation zu tun hatten. Wir haben für uns nichts mit nach Hause nehmen können. Und Krabbelgottesdienste werden in dieser Gemeinde auch nicht angeboten."

Krabbelgottesdienste als "gute Andockpunkte"

Dabei könnten Krabbelgottesdienste gerade für Eltern, die sich von der Kirche nicht mehr angesprochen fühlen, den religiösen Wissensdurst ihrer Sprösslinge aber stillen wollen, "gute Andockpunkte sein". Das jedenfalls betont Rüdiger Maschwitz von der Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kindergottesdienst der Evangelischen Landeskirche im Rheinland. Vor etwa 15 Jahren seien die Krabbelgottesdienste, die mittlerweile in vielen evangelischen und katholischen Gemeinden angeboten werden, aus dem "Nichts entstanden". Wie Pfarrer Maschwitz erklärt, entsprechen diese Angebote dem Bedürfnis der Eltern, religiös Elementares zu erfahren, und dem Bedürfnis der Kinder, etwas gemeinsam mit den Eltern zu machen. Ob es nun das selbst gebastelte Windlicht, ein Stern oder ein Liederbuch ist – die Kinder nehmen aus den Krabbelgottesdiensten immer etwas mit. Das Erzählte soll hierdurch im wahrsten Sinne des Wortes für die Kleinen be-greifbar gemacht werden.

"Die Kirche muss die Kinder Ernst nehmen, sie muss sich in die Perspektive des Kindes hineinversetzen", fordert Maschwitz. Krabbel-, Kinder- und Familiengottesdienste sind zudem für Eltern und Kinder entspannter; hier dürfen die Kleinen auch mal nach vorne zum Altar kommen und Fragen stellen – ohne dass sich andere Kirchenbesucher gestört fühlen. Sie erleben Gemeinschaft und können sich aktiv im Gottesdienst beteiligen.

Religiöse Erziehung auch ohne Kirchenbesuche?

Ist eine religiöse Erziehung der Kinder aber auch ohne Kirchenbesuch möglich? Pfarrer Maschwitz sagt: "Bei der Antwort dieser Frage muss man wahrscheinlich die katholische und evangelische Meinung differenzieren. Eine religiöse Erziehung der Kinder kann bedingt auch ohne Kirchenbesuch möglich sein." Allerdings rät er Eltern dazu, gute und hilfreiche Angebote der Gemeinden anzunehmen: "Es gibt viele Pfarrer beider Konfessionen, die sehr offen sind." Nach Ansicht von Ilse Flöter können Eltern ihre Kinder in Glaubensfragen auch dann gut begleiten, wenn sie selbst mit Religion nicht viel zu tun haben: "Eltern sollten in jedem Fall ein offenes Ohr für die Fragen der Kinder haben und sich auf diese einlassen. Bei den Antworten in Glaubensfragen gibt es kein richtig und falsch. Man sollte sich auf sein Bauchgefühl verlassen." Wollen die Sprösslinge genauere Informationen über das Leben Jesu oder über Ereignisse im Alten oder Neuen Testament haben, so hilft ein Blick in die Bibel. Wenn sich Eltern gemeinsam mit ihren Kindern auf die Suche nach Gott machen wollen, dann sei das Erzählen und Vorlesen biblischer Geschichten hilfreich, betont Landespfarrer Maschwitz. Auch Kindergartenkinder kämen bereits gut klar mit dem Erzählen biblischer Geschichten. Maschwitz: "Allerdings muss die Bildsprache altersgemäß übersetzt sein. Die Geschichten werden verstanden, wenn sie für das Kind alltagsrelevant sind." Maschwitz gibt ein Beispiel, das auf den ersten Blick nichts mit religiösen Fragen zu tun hat. Ein Kind fragt: "Warum regnet es?" Der Vater erklärt ausführlich das naturwissenschaftliche Phänomen, erzählt etwas von Verdunstung, Wolken und H2O. Das Kind hört zu, sagt dann: "Ja, Papa, aber warum regnet es?" Die Mutter gibt die einfache und für den Jungen einleuchtende Antwort: "Weil die Blumen Durst haben."

Der Tod als Anlass, über Gott zu sprechen

Zum Leben gehört aber auch der Tod. Der Tod eines Haustieres oder eines geliebten Menschen bedeutet gerade für Kinder ein einschneidendes Erlebnis. Eltern sollten dieses Thema auf keinen Fall aussparen, betont Rüdiger Maschwitz. Kinder müssten auch erkennen, dass ihrem Wunsch nach "Heilwerden" nicht immer Rechnung getragen werden kann. Die Vorstellung, dass der Verstorbene im Himmel ist, könne im Trauerprozess hilfreich sein, meint Dr. Ilse Flöter. Und Hans-Steffen Kind, Gemeindereferent und Krankenhausseelsorger an der Uniklinik Köln, unterstreicht: "Leid, Krankheit und Tod ist nicht das letzte Wort – sagt Gott."

Eine Mutter dreier Kinder erzählt: "Als ich mit meiner Jüngsten schwanger war, starb mein Onkel. Meinen Kindern habe ich erklärt, wenn jemand stirbt, dann wird seine Hülle beerdigt. Alles was ihn aber ausmacht, seine Gefühle, seine Gedanken, sein Lachen und Weinen – seine Seele - löst sich vom Körper. Und wenn ein neuer Mensch geboren wird, dann sucht sich die Seele einen neuen Körper. Diese Erklärung war für mich am sympathischsten. Als meine knapp Dreijährige sagte: 'Wird der Onkel dann unser neues Baby?', musste ich aber doch schlucken."

Rituale gehören zur religiösen Erziehung

Auch feste Rituale wie beispielsweise das gemeinsame Aufstellen der Krippe in der Adventszeit oder das Schmücken des Osterzweiges gehören zu einer religiösen Erziehung dazu. Annette Jansen, Mutter eines vierjährigen Sohnes, erzählt: "Kaum ist St. Martin vorbei, fragt Peter schon immer, wann stellen wir die Krippe denn wieder auf?"

Zu einem festen Ritual ist in vielen Familien auch das abendliche Gebet geworden. Was ist aber Beten? Rüdiger Maschwitz gibt eine Antwort: "Es ist das Hineingehen in die Urgeborgenheit Gottes." Gott sollte von den Kindern nicht als ein Mann mit Bart gesehen werden, sondern als ein "Du, das mit einem durch dick und dünn geht" – als "ein begleitender Engel".

Für viele Kinder gehört das abendliche Gebet zu einem der wichtigsten Rituale: So kann die dreijährige Carlina kann zwar auf ihre Gute-Nacht-Geschichte verzichten; ohne Gebet schläft sie aber nicht ein. Dr. Ilse Flöter fand heraus, dass das Beten auch für Kinder aus nichtgläubigen Familien eine Rolle spielt. So betonte ein Mädchen: "Manchmal brauch ich das einfach." Und ein Junge berichtete: "Wenn ich einen ganz großen Wunsch hab, lege ich mich abends ins Bett und bete, z.B. wenn ich Streit mit meinen Eltern hatte. Und danach geht es mir dann wieder besser und am nächsten Tag vertrage ich mich wieder."

Die Bedeutung von Jahresfesten

Vor allem für Kinder, die von zu Hause nicht religiös geprägt sind, sind die kirchlichen Jahresfeste wie Ostern, Pfingsten, Nikolaus oder Weihnachten die Ereignisse, an denen sie der Religion hautnah begegnen. Zugleich sind die eigentlichen Inhalte durch kommerzielle Interessen (Schokonikoläuse im September) und rein dekorative Akzente (jährlich neue Trends für Oster- und Weihnachtsschmuck) jedoch oftmals kaum zu erkennen. Gleichwohl bieten die Feste aber auch Eltern, die mit Kirche nicht viel am Hut haben, die Chance, einmal innezuhalten; sich gemeinsam mit den Kindern auf die ursprünglichen Aussagen der Feste einzulassen. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten kann durchaus auch kritisch sein.

Das Anzünden von Kerzen, das gemeinsame Basteln von Oster- oder Weihnachtsschmuck, das Backen von Plätzchen, das Singen von Weihnachtsliedern, das Vorlesen biblischer Geschichten oder das gemeinsame Gestalten des Pfingstausflugs können aus den vordergründigen Konsumfesten ein Mehr machen. So verweisen Hermine und Karl Heinz König in ihrem Buch "Feste feiern – Bräuche neu entdecken", erschienen im Kösel Verlag, darauf, dass Brauchtum - und dazu gehören christliche Jahresfeste, die eng mit dem jahreszeitlichen Kreis verwoben sind - "stets dem Sinn des Lebens auf der Spur ist." Die Autoren geben ein Beispiel. Während für die einen das Ei lediglich ein Lebensmittel ist, wird das Ei für andere zu einem Erkennungszeichen für eine zweite Wirklichkeit – aus dem Ei schlüpft ein Küken. In etwas Sichtbaren könnte man etwas Unsichtbares entdecken. So wurde das Ei auch zum Zeichen für das Ostergeschehen, für Jesu Auferstehung.

Auch in der anthroposophischen Lehre sind die vielen wiederkehrenden Jahresfeste (Michaeli, Erntedank, Laternenfest, Epiphanias, Weihnachten, Fasching, Ostern, Pfingsten und Johanni ) im Rhythmus des Jahreslaufes eingebettet. Im gemeinsamen Singen, Spielen, Tanzen und Essen sollen Freude und Dankbarkeit zum Ausdruck kommen, beschreibt die Waldorfpädagogik einen Teil ihrer Erziehungsaufgabe: "Die Kinder erleben Brauchtum als einen wesentlichen Teil unserer Kultur." Egal in welchem Maß Eltern ihre Kinder religiös begleiten, für Hans-Steffen Kind steht fest: "Als Eltern können wir bei der religiösen Erziehung dem Kind Räume eröffnen. Wir können Kinder aber nicht programmieren; Glaube ist ein Geschenk."