Glosse über ein verbreitetes Syndrom

Duzi-duzi-Phase: Eltern lernen sprechen

Oft scheint es, als würden sich Eltern kurz nach der Geburt ihres Kindes eine völlig neue Sprache aneignen - oder handelt es sich um einen Abbau bereits vorhandener Sprachfähigkeiten? Daniela Egert über ihre Beobachtungen des elterlichen Sprechverhaltens und seine Auswirkungen auf den Nachwuchs.

Autor: Daniela Egert

Nam-nam, Bauchi vollmachen

Baby Mutter Reden
Foto: © iStockphoto/ CAP53

Die berühmt-berüchtigte „Duzi-duzi-Phase“ aller Eltern setzt gewöhnlich in den ersten Lebensminuten ihres kleinen Windelwillis oder aber ihrer Windelwalli ein. Etwa so: „Eieiei! Wen haben wir denn da?“. Der Neuankömmling im Kreißsaal muss jetzt ganz tapfer sein, denn sämtliche Wortsilben werden vor ihm ab sofort in ermüdender Weise stark akzentuiert wiederholt. Häufig schämen sich die Babys für ihre Eltern, sagen aber aus Rücksicht nichts. Im Alltag äußert sich das reduzierte Sprechvermögen von Papa und Mama dann in Sätzen wie: „Lara – nam nam! Bauchi vollmachen!“ Wie, um Gottes Willen, soll ein intelligentes Wesen so was verstehen? Mühsam müssen die Kleinen ihren Verwandten das falsch Erlernte wieder abtrainieren.

Zunächst jedoch tritt ein fataler Effekt ein: Wie der dänische Familientherapeut Jesper Juul schreibt, neigen schon Wickelkinder dazu, mit ihren Angehörigen mental zu kooperieren. Um sich an die Sprachfetzen der Eltern anzupassen, beginnen die Neugeborenen spontan zu lallen. Kein Wunder, kriegen sie doch den ganzen Tag nichts anderes als hirnlose Satzruinen zu hören. Ein weiteres, erschreckendes Beispiel: „Oh-oh-oh, da hat aber das liebe Mausi-Mausi wieder brav Heia gemacht!“ als Lob der Mama für das Nickerchen ihres Brüllwürfels. Die Anpassung an diesen Brabbel-Jargon tritt quasi sofort ein, und der bedauernswerte Säugling schrubbelt monatelang nur noch Schwachsinn.

Erste vollständige Sätze: Ist er hochbegabt?

Garantiert wirksame Heilmittel gegen diese auch „Deideidei-Syndrom“ genannte Periode gibt es leider nicht. Da müssen Mama und Papa mitsamt ihrem kleinen Goldstück jetzt durch - was oft genug in der totalen Verblödung beider Seiten mündet. Erste Besserung der gemein ansteckenden Lalleritis winkt rund um den zweiten Geburtstag, wenn der Nachwuchs seinen ersten Satz mit grammatikalisch richtigem Aufbau und Interpunktion in die Welt setzt.

Oft handelt es sich dabei um Elementares. „Dür ist zu!“ verkündet mein hoffnungsvoller mittlerer Filius Tino etwa im Auto. Ein Sicherheitsfanatiker, Gott sei Dank! An der nächsten roten Ampel äußert der Kleine sogar eine plötzliche philosophische Eingebung. „Simon auch Durst, blubblubb machen!“ vermeldet der Dreikäsehoch also mit Blick auf seinen ebenfalls nach Saft verlangenden Bruder. Hier hat ein Zweijähriger allem Anschein nach die ethischen Grundwerte des Teilens und der menschlichen Güte verinnerlicht!

Man könnte zwar auch profaner urteilen, dass Tino einfach (berechtigte) Angst hat, später von dem Größeren verdroschen zu werden, wenn der bezüglich des Himbeersafts leer ausgeht. So eine simple Interpretation des Tino-Satzes lässt mein Mutterstolz aber nicht zu. Hinter mir in der Familienkutsche sitzt in Windeln definitiv ein moralisch frühreifes Wesen. O Gott, stöhne ich zuinnerst erschüttert, vielleicht ist der Kurze ja auch intellektuell hochbegabt! Künftig werde ich ihn nur noch mit seinem vollen Namen Constantin rufen. In den Geschichtsbüchern wird mal stehen... Da bemerke ich, dass das Bübchen als Dreingabe (vergesst Einstein!) den Rest vom Saft auf seine Ralph-Lauren-Hose von der Tante gekippt hat und zufrieden die ruinierten Stellen begutachtet - die, ich sehe es sofort, kein Feinwaschpulver der Welt je wieder rauskriegen wird.

Die Dialoge werden komplexer

Von höflichen Diskussionen hält Tino ebenfalls wenig. Dass Ein- und Zweijährige wie er auch ohne Linguistik-Diplom in ihrer Familie das Sagen haben, zeigt sich beispielsweise dann, wenn der Nachwuchs spazieren gehen will. In dem Fall tönt es meist lautstark aus dem Kinderzimmer: „Adda gehen will!“ Und, falls der langsame erwachsene Befehlsempfänger die Botschaft nicht sofort kapiert hat: „AAA-DAAAA GEHEN!!!!!“ Bei den Mini-Despoten allerdings noch beliebter ist der Klassiker: „Tino - Bombom!!“ Das Verb „wollen“ wird dabei wirkungsvoll durch den SEHR energischen Tonfall ersetzt. Falls die gewünschte Süßigkeit den jungen Herrn nicht sofort erreichen sollte, droht non-verbales Auf-den-Boden-werfen, Brüllen und ein extrem rot angelaufenes Babyface, das trotz aller Jugend spontan einen Schlaganfall befürchten lässt.

Dementsprechend entwickelte sich zwischen meinem putzigen Brabbler Tino - wie alle Männer eher schweigsam - und mir vor einer Woche folgender Dialog:

Tino: „HEIA!!!!“ (Übersetzung: „Will zum Einschlafen gestillt werden, also her mit der Muttermilch!“)

Mama: „Heia is gaga!“ (Schutzbehauptung: Muttis Busen ist keineswegs leer.)

Tino: Tritt wortlos in meine Richtung, um sich für meine Weigerung zu rächen.

Der Fratz wird wohl noch quer durch die Grundschule gestillt. Sein und mein Sprach­vermögen sollte sich bis dahin gebessert haben. Trost naht immerhin von wissenschaftlicher Seite. Wie vor kurzem herausgefunden wurde, ist die Duzi-duzi-Phase angeblich sogar besonders wertvoll für die kindliche Entwicklung. Na also, wir haben es ja immer gewusst: Alles eieiei. Darauf sollten wir uns jetzt aber wirklich ein dickes „Bombom“ gönnen!