Überlebenstipps für Eltern

Zwei Kinder unter zwei

Vielleicht dachtet ihr, in einem Aufwasch ginge alles leichter. Manchmal ist das Gegenteil der Fall: Zwei Kinder unter zwei bedeuten nicht nur Glück und Lebendigkeit im Doppelpack, sondern immer wieder auch doppelte Anstrengung und doppelte Zuwendung, denn ihr habt eben nicht nur ein Baby, sondern auch ein Kleinkind, dass euch braucht.

Autor: Petra Fleckenstein

Füttern, wickeln, tragen, trösten im Doppelpack

Zwei kleine Kinder sitzen auf Stühlen
Foto: © iStock, Orbon Alija

Vielleicht war es der Wunsch, die Familienplanung abzukürzen und die Kinder in einem Aufwasch großzuziehen, vielleicht die romantische Vorstellung, dass Geschwister ähnlichen Alters so schön miteinander spielen können. Egal, warum zwei Kinder unter zwei Jahren euren Alltag auf den Kopf stellen – es gibt sicherlich Momente, in denen ihr mal zweifelt, ob es richtig war, sich den Geschwister-Doppelpack zuzumuten. Spätestens, wenn das vermeintlich große Kind das Baby erstmals aus der Wiege wirft, die Knirpse jede Nacht zum Tag machen und beide hohes Fieber haben. Oder wenn du zwischen Stillmahlzeiten schnell mit schreiendem Baby im Kinderwagen und dem trotzigen Eineinhalbjährigen die Einkäufe aus dem Supermarkt bugsierst.

Wenn die "Große" dem Nesthäkchen die Zähne zeigt

Eigentlich fand Ruth Böhler-Scherwitz ihre einjährige Tochter anstrengend genug, als sie wieder schwanger wurde. Schon die letzten sechs Wochen dieser Schwangerschaft erlebte sie als viel belastender. Wie alle kleinen Kinder wollte natürlich auch Helena auf Mamas Arm, egal wie dick deren Bauch schon war. Anstatt mit Jubel auf ihr Geschwisterchen zu reagieren, wurde sie beim Erstbesuch im Krankenhaus erst mal krank und demonstrierte eindeutig, wie sie das alles fand: einfach zum Kotzen. Zu Hause zeigte sie ihrem kleinen Bruder des öfteren die Krallen oder ließ ihn gar ihre Zähne fühlen.

Ihre Tage teilte Ruth fortan in gute und schlechte ein: Gute waren die, da sie mehr als fünf Stunden am Stück geschlafen hatte, schlechte waren die nach unzähligen nächtlichen Unterbrechungen. Fazit nach der anstrengendsten Zeit ihres Lebens: "Nicht verzweifeln, es lohnt sich." Nach dem schlimmen ersten Jahr gibt es den Lohn für die Mühe. "Die Kleinen spielen miteinander, und es ist sehr angenehm, zwei Kinder gleichzeitig im Kindergarten zu haben." Ruths Rat an alle Eltern: "Hilfe suchen, sich entlasten lassen und dem älteren Kind Vertrauen schenken, dass es über kurz oder lang mit der Situation klarkommen wird."

In unserem Video beantwortet Erziehungsexperte Jan-Uwe Rogge die Frage: Wie bereite ich mein Kind gut auf das Geschwisterchen vor?

Bereit sein ist alles: Überlebenstipps vom Fachmann

Tipps des Kölner Kinderarztes und Psychotherapeuten Hans-Helmut Brill für Eltern mit kleinem Kind, die ein Baby erwarten:

Vor der Geburt:

  • Eltern sollten realistisch sehen, dass eine sehr große Belastung auf sie zukommt und sich für die Zeit nach der Geburt des zweiten Kindes nicht zu viel vornehmen.
  • Für das ältere Kind hat der wachsende Bauch der Mutter eine bedrohliche Komponente, die häufig zu wenig wahrgenommen und angesprochen wird.
  • Klärt euer Kind darüber auf, was im Bauch drin ist. Vielleicht, indem ihr Bilder von der ersten Schwangerschaft zeigt und dem Kind vermittelt, dass es das alles auch hatte.
  • Preist gegenüber eurem älteren Kind das Baby nicht als künftigen Spielkameraden an. Sonst fühlt es sich nach der Geburt irritiert oder gar belogen. Denn lange Zeit ist das Geschwisterchen ja vor allem ein pflegebedürftiges Baby, um das sich die Eltern ständig kümmern müssen.
     

Bei der Geburt:

  • Sorgt rechtzeitig für eine gute Betreuung eures Kindes während der Geburt seines Geschwisterchens, damit keine Hektik aufkommt, wenn es dann wirklich losgeht.
  • Bei der ersten Begegnung mit dem Neugeborenen könnt ihr dem größeren Kind ein Geschenk geben, so dass das kleine Baby also etwas für das ältere Kind mitgebracht hat.
  • Organisiert die erste Zeit so, dass sich die Mutter um das Nesthäkchen kümmert und Vater oder die Großeltern um das Erstgeborene. Andernfalls gerät das ältere Kind bezüglich Aufmerksamkeit und Zuwendung in Konkurrenz zum Baby. Das aber stellt eine Überforderung für die Mutter und das erste Kind dar.


Nach der Geburt:

  • Macht euch bewusst, dass euer älteres Kind – besonders wenn es das erste Kind war – die Situation als Verstoßung von seinem Thron erlebt, egal wie liebevoll ihr euch um es kümmert.
  • Zeigt auch jetzt dem größeren Kind öfters Fotos von seiner Zeit als kleines Baby, um ihm zu vermitteln, dass es all die Zuwendung auch bekommen hat.
  • Lasst Gefühle von Wut und Aggression eures Kindes auf das Baby zu. Wenn das ältere Kind sein Geschwisterchen eher unsanft "gestreichelt" hat, sprecht an, was ist. Zum Beispiel so: "Ich habe gesehen, du bist sauer auf Marie. Das ist ja auch blöd, wenn ich jetzt immer sie auf dem Arm habe." Ihr Kind fühlt sich dann in seinen Gefühlen gesehen und ernstgenommen. Vor aggressiven Handlungen müsst ihr das Neugeborene natürlich schützen. Vielleicht haut ihr mit eurem Kind zusammen ein Kissen, damit es seine Wut auf andere Weise loswerden kann.
  • Wenn euer älteres Kind plötzlich wieder klein sein möchte, ein Fläschchen will, wieder Windeln tragen möchte oder einen Schnuller verlangt – lasst diese Regressionen zu und stärkt zugleich die Stärken des größeren Kindes. Zum Beispiel, indem ihr ihm sagt: "Du kannst ja prima laufen, das kann das Baby noch nicht."
  • Gewährt dem älteren Kind einmal pro Woche eine "Prinzenstunde". Das bedeutet: Lasst zu einem festen Termin das Baby vielleicht von der Oma versorgen und seid ganz für euer großes Kind da. Störungen, beispielsweise durch das Telefon, lasst ihr während der "Prinzenstunde" nicht zu.
  • Kritisch für das ältere Kind sind oft die häufigen Stillphasen im Tagesablauf. Vielleicht macht ihr das Stillen manchmal zu einer gemeinsamen Fütterungsaktion und bietet eurem Kind an, in der Zeit seine Mama oder seine Puppe zu füttern.
  • Ein Trost für schwierige Zeiten: Auch wenn es das ältere Kind jetzt schwer hat – ein Geschwisterchen zu bekommen, bedeutet einen Intensivkurs in sozialer Kompetenz, von dem es in seinem weiteren Leben profitieren wird.
     

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